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1947 verändert ein historisches Ereignis die bis dahin kosmopolitische Stadt Fiume, in der Italiener, Ungarn, Kroaten und Slowenen friedlich zusammenleben, und somit auch das Leben von Marisa Madieris Familie grundlegend: Die Italiener werden aufgefordert, die jugoslawische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder nach Italien zu emigrieren. Hunderttausende entscheiden sich für die Emigration.
Marisa Madieri erzählt von dieser Tragödie ohne jedes Pathos, erinnert sich aus dem Abstand von Jahrzehnten an diese Zeit des Umbruchs. "Eine Geschichte vom Zauber und von der Ernüchterung des Daseins." (Claudio Magris)
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Produktbeschreibung
1947 verändert ein historisches Ereignis die bis dahin kosmopolitische Stadt Fiume, in der Italiener, Ungarn, Kroaten und Slowenen friedlich zusammenleben, und somit auch das Leben von Marisa Madieris Familie grundlegend: Die Italiener werden aufgefordert, die jugoslawische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder nach Italien zu emigrieren. Hunderttausende entscheiden sich für die Emigration.

Marisa Madieri erzählt von dieser Tragödie ohne jedes Pathos, erinnert sich aus dem Abstand von Jahrzehnten an diese Zeit des Umbruchs. "Eine Geschichte vom Zauber und von der Ernüchterung des Daseins." (Claudio Magris)
Autorenporträt
Marisa Madieri, geboren 1938 in Fiume (heute Rijeka), lebte ab 1949 in Triest. Sie unterrichtete Englisch und war mit dem Schriftsteller und Germanisten Claudio Magris verheiratet. Sie starb 1996 in Triest.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Die Farbe des Wassers ist die Farbe der Liebe
Flüchtlingsschicksal: Marisa Madieri erinnert sich an eine Kindheit in Istrien / Von Pia Reinacher

Dieses Buch ist das Dokument einer Erlösung. Marisa Madieri befreit in "Wassergrün. Eine Kindheit in Istrien" ein Stück traumatisierende Vergangenheit aus dem Abgedrängten. Zug um Zug berührt sie mit Sprache die Erinnerung an einen Lebensabschnitt, der so quälend war, daß nur die vollständige Versteinerung blieb. Mit dieser Methode weicht die Schriftstellerin die Verhärtung auf und verflüssigt sie im Strom der wiedererweckten Bilder. Es ist kein Zufall, daß die italienische Schriftstellerin ihr autobiographisches Buch weder Roman noch Erzählung nennt und auch nicht Tagebuch, obwohl diese Gattungsbezeichnung wohl noch am ehesten zutreffen würde.

Die Beobachtungen und Notizen, die in "Wassergrün" versammelt sind, wurden zwischen dem 24. November 1981 und dem 27. November 1984 aufgezeichnet. Marisa Madieri erzählt darin ihr Schicksal als Flüchtlingskind einer italienischen Familie am Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie wächst in der kosmopolitischen Stadt Fiume auf, in der Slowenen, Italiener, Ungarn und Kroaten friedlich zusammenlebten. Heute heißt die Stadt Rijeka. Zwischen 1947 und 1948 verlangten die Jugoslawen von allen in Fiume verbliebenen Italienern, entweder ins Mutterland auszuwandern oder die jugoslawische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Etwa dreihunderttausend Italiener verließen in diesen Jahren in verschiedenen Etappen Istrien, Fiume und andere Orte Dalmatiens. Sie verloren alles, vegetierten, von Angst und Einschüchterung verfolgt, in Flüchtlingslagern, arm und elend.

Es war eine doppelte Verstoßung. Denn auch in Italien waren die Vertriebenen nicht willkommen. Die Einheimischen beäugten die Eindringlinge mißtrauisch; sie fürchteten um ihre eigene Existenz und stießen so die Exilierten verbittert in eine immer tiefere Isolation. Marisa Madieris Familie, die erst Madjarich, dann Madierich heißt und schließlich den Namen zu Madieri anpaßt, entschließt sich zum Exil nach Triest und lebt in einem dieser Silos genannten Lager.

Die schleichende Adaption des Namens an immer neue Verhältnisse enthüllt auf einen Schlag den Kern dieses Protokolls einer krisenhaften Kindheit. Marisa Madieri kennt in ihrer Jugend keine Gewißheiten, kein Vertrauen, keine Sicherheiten und schon gar keine fest definierte Identität. Der Alltag wird bestimmt vom hartnäckigen Willen zum Überleben. Man hält sich mit ständiger Improvisation, verbogenen Wahrheiten, Halblegalität und Hasardeurtum über Wasser - ein Strampeln über dem Bodenlosen. Die Befreiung vom Schatten der Kindheit mittels literarischen Stenogramms hatte für diese Autorin zweifellos eine therapeutische Dringlichkeit.

Marisa Madieri, die Frau des italienischen Germanisten und Schriftstellers Claudio Magris, erkrankte an Krebs und ist 1996 in Triest gestorben. Sie hatte dort als Englischlehrerin gewirkt und - wie Claudio Magris in seinem Nachwort schreibt - vielen seiner Bücher als kritische Gesprächspartnerin zum Durchbruch verholfen. "Wassergrün" ist aber nicht nur die Schilderung ihres individuellen Schicksals. Durch die Reduktion aufs Wesentliche, die Lakonie, bisweilen fast Kälte des Erzählens gelingt es Marisa Madieri, modellhaft ein Flüchtlingsschicksal am Ende des Zweiten Weltkriegs darzustellen - auf der Augenhöhe eines Kindes, das im luftleeren Raum ausgesetzt wurde und hilflos an allen Seiten abgleitet. Diese Umsetzung von historischen Fakten in die Sinnlichkeit von Geschichten, welche die Autorin geduldig aus den aufgestiegenen Erinnerungsfetzen addiert, macht den Vorzug dieses Buches aus.

Die Farbe des Wassers ist dabei das Leitmotiv. Träge, vollkommen unberührt fließt der Strom des Lebens dahin. Grün ist auch die Farbe des fernen adriatischen Horizontes oder der Lagunen in Venedig, wohin das Kind im Sommer zu Verwandten geschickt wird. Und durchsichtig wie Wasser zieht der Erzählstrom über die verborgenen, düsteren Unterwasserwelten. Und dann ist da noch das Kleid: Inbegriff der ersten Liebe und der mütterlichen Fürsorge. Das Kind besucht in Triest das Gymnasium. Hellsichtig hatte die Mutter erkannt, daß nur Bildung der Tochter das eigene, demütigend abhängige Leben ersparen würde. Sie sorgt eisern dafür, daß sie die Schule besuchen kann.

Gegen Ende der Unterprima wird das Mädchen einmal ins Haus einer Klassenkameradin eingeladen. Ein Fest, zu dem alle anderen in luftigen Kleidern erscheinen, deren Stoffe und Schnitte sie Wochen vorher in der Schule beschreiben. Die eigene Ärmlichkeit stürzt das Kind in die konfuseste Unruhe. Die Mutter durchschaut seine Verlegenheit, versetzt im Pfandhaus ihren Schmuck und kauft dem Mädchen einen nilgrünen Glockenrock. "Wassergrün" nennt sie es jetzt, es wird zur Farbe der Liebe; eifersüchtig hütet das Kind von jetzt an den kostbaren Fetisch.

Marisa Madieris zurückgelassene Aufzeichnungen sind auch ein Dokument des Zusammenlebens und Untergehens im Schoß der italienischen Großfamilie. Großmütter und Schwiegermütter herrschen wie böse Drachen über die Töchter und deren Kinder. Es gibt kein Entkommen aus diesem Zweckverband, der als Bastion gegen Angriffe von außen aufgebaut wurde, aber das Leben der eigenen Kinder in tyrannischer Geborgenheit langsam erstickt. "Wassergrün" ist so etwas wie eine Sozialgeschichte der italienischen Nachkriegsfamilie, deren psychologische Strukturen bis heute weiterwirken. Die Funktion der Väter - machistische Versager und eitle Verführer - beschränkt sich auf den prahlerischen Auftritt, den man ihnen nachsichtig gewährt.

Die Fäden in der Hand aber halten die Obermütter, die ihre Männer gleichzeitig steuern und verachten. Das Kind schaut schweigend zu - und merkt es sich für den Rest des Lebens: Wie die Mutter zwar der Fuchtel der eigenen Mutter durch Heirat entkommt, nur, um auf der Stelle im noch viel despotischeren Herrschaftsreich der Schwiegermutter zu landen. Wie der Vater die Mutter aus Schwäche betrügt, anstatt gegen die Verhältnisse zu rebellieren. Und wie die Mutter langsam verstummt und sich in die Krankheit flüchtet. Marisa Madieri sammelt in "Wassergrün" nicht nur das Strandgut einer belastenden historischen europäischen Epoche ein und klebt aus den Bruchstücken das Bild der verlorenen Emigranten ohne Identität. Sie erlauscht auch die Schmerzensgeräusche der unterdrückten italienischen Frauen, die in der traditionellen Familie ohne Perspektive und ohne eigenes Ich dahindämmern und dabei langsam untergingen.

Marisa Madieri: "Wassergrün". Eine Kindheit in Istrien. Mit einem Nachwort von Claudio Magris. Aus dem Italienischen übersetzt von Ragni Maria Gschwend. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2004. 158 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2005

Das Atlantis an der Adria
Eine Kindheit in Istrien: Marisa Madieris „Wassergrün”
„Wassergrün” ist ein berückend persönliches Buch der Erinnerungen, eine Erzählung von seltener Eindringlichkeit: ein Buch wie nicht von dieser Welt, gleichwohl es mit nüchterner Präzision und bestechender Luzidität den Einbruch der historischen Zeit in eine Kindheit, die Beschädigungen eines jungen Lebens durch Krieg, Verfolgung und Vertreibung schildert. Man wird dieses schmale Bändchen so leicht nicht aus der Hand legen und schon gar nicht wieder vergessen können, zumal seiner Sprache wegen, die von unerhörter Schönheit ist. Und auch wegen der traurigen Dinge, von denen Marisa Madieri ohne alles Pathos und ohne jede Bitterkeit aus reiner Dankbarkeit für das Leben erzählt.
„Wassergrün” konnte nur am Meer, genauer an einem Ufer des Mittelmeeres geschrieben werden, wo Norden und Süden, Osten und Westen bis zur Verwischung der geografischen, ethnischen und kulturellen Grenzen seit zwei Jahrtausenden beständig ineinander übergehen. Von der Verwirrung gewohnter
historisch-geografischer Vorstellungen kann man sich dort noch immer ein Bild machen, auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, dessen äußerster Zipfel an dieser Stelle ins Mittelmeer stieß: Vom Hafenbecken der vormals habsburgischen Handelsstadt Triest und von den darüber gelegenen Karsthöhen, hinter denen Slowenien liegt, schaut man von italienischem Boden aus über die Adria hinüber auf die Apenninische Halbinsel. Über Italien, hinter den im Abendlicht schemenhaft zu erkennenden Bergen geht die Sonne unter, während linker Hand und zum Greifen nahe die kroatische Halbinsel Istrien ins Meer stößt. Dahinter liegt die alte venezianische Enklave Rijeka, die von den Italienern auch heute noch Fiume genannt wird.
Die Höhlen des Gebirges
In dieser einst kosmopolitischen Stadt, in der sich viele Sprachen und Ethnien seit Jahrhunderten mischten, wurde Marisa Madieri im Jahr 1938 geboren. Zehn Jahre später wurde sie von dort vertrieben, gemeinsam mit ihrer Familie und Tausenden Landsleuten, die sich weigerten, die jugoslawische Staatsangehörigkeit anzunehmen. In der unter alliierter Verwaltung stehenden Zone A des zweigeteilten Triest lebten die Madieri, die in früheren Generationen zunächst Madjaric, dann Madierich hießen, jahrelang eingepfercht in einem Flüchtlingslager. Waren die italienischen Flüchtlinge jenseits der Grenze verhasst, so fanden sie auch diesseits keine freundliche Aufnahme, sondern wurden als „sciavi” („Slawen”) verachtet.
Als Madieris Buch in Italien erstmals 1987 erschien und wenig später auch ins Kroatische übersetzt wurde, rührte es hier wie dort an ein Tabu, über das man lange Zeit ebenso wenig sprechen wollte wie über die Dolinen und Höhlen des Karstgebirges. Dort waren in den letzten Jahren des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit Tausende Menschen gewaltsam ums Leben gekommen, ohne dass man noch wusste oder hätte wissen wollen, wer eigentlich wen umgebracht hatte.
Wo liegt das Zuhause für ein Kind, das auf der Grenze geboren wurde? Der wohlbestallte Ort, der es umhegt und ihm erlaubt, in Frieden zu träumen und in der Erinnerung dahin zurückzukehren? In der bis weit über die Ländereien des Donauraums verzweigten Familie Madieri hatte sich bis dahin niemand darum geschert, wer als Angehöriger welcher Volksgruppe im Bett der Urgroßmütter gelegen hatte. Für Marisa Madieri war im Anfang Atlantis. Das Atlantis ihrer Kindheit war umgeben vom Meer, und das Meer war überall gleich. Der konzentrische Punkt war das großmütterliche Haus in Fiume. Am Anfang von „Wassergrün” fährt die Feder der Erzählerin wie mit Kinderfingern den Rundungen, den „Windungen und Einschnitten” eines wuchtigen Holztisches entlang, der als einziges Objekt eine geräumige und lichte Diele zierte: „Der Raum meiner ersten Abenteuer, der krabbelnd in den häuslichen Labyrinthen unternommenen Entdeckungen, war genau jene Diele, in der ich mich am freiesten bewegen durfte, da in ihr fast nichts herumstand.”
Abrupt und traumatisch endete Madieris Kindheit im Alter von zehn Jahren mit der Vertreibung aus ihrem „Ithaka”. Das Gegenbild zur lichten Diele des Hauses in Fiume ist der „Silos”, das hoffnungslos überfüllte Flüchtlingslager von Triest, ein riesiges, heute noch als Parkhaus erhaltenes Gebäude in der Nähe des Bahnhofs. Wie eine danteske Höllenlandschaft ist es in enge, stickige „Boxen” aufgeteilt, an deren Schauseite regelrechte Straßen entlangführen. Madieris Schilderungen des kümmerlichen, jeglicher Intimität entbehrenden Lebens im Silos rufen ein Stück verdrängter Nachkriegsgeschichte in die Erinnerung zurück.
Traum vom Draußen
Die Heranwachsende meistert es durch einen weitgehend intakt gebliebenen emotionalen Schutz, den ihr die Nähe zur Mutter gewährt, ansonsten aber durch ihre Träume vom „Leben draußen in der Welt”, durch den Rückzug an einen stillen Ort für Romanlektüren sowie durch ausgedehnte Spaziergänge am Meer: Dort war sie der engen Welt des Silos und seinem trüben Alltag ein Stück weit abhanden gekommen. Fast täglich ging sie ans Meer.
An einem gewittrigen Sommertag verließ sie den Strand früher als sonst: „plötzlich blieb ich stehen und sah über mir einen weit offenen Himmel, durchzogen von großen Wolken, die der Wind an den Rändern in lange bläuliche Fäden, ähnlich den Äderungen des Marmortischs bei der Großmutter väterlicherseits, ausfranste und auf einen glasklaren Horizont zutrieb. In der Ferne, am Ende des Golfs, zeichneten sich ganz deutlich die Umrisse der Häuser und des Campanile von Pirano ab. Etwas weiter, hinter Istrien, dachte ich, liegt meine Stadt, über der diese Wolken bald ankommen werden. Aber ich empfand kein Bedauern. Hier waren die gleichen Wellen, der gleiche Himmel, der gleiche Wind. Und mit einemmal fühlte ich mich zu Hause. Ich fing wieder an zu laufen und zu hüpfen, und mein Herz war erfüllt von Fröhlichkeit.”
Als Marisa Madieri ihre tagebuchartigen Notate niederschrieb, war sie längst in ein bürgerliches Leben zurückgekehrt, als Englischlehrerin, als Mutter bereits erwachsener Kinder und Ehefrau eines Literaturprofessors. Allerdings näherte sie sich da schon einer neuen Grenze, der zwischen Leben und Tod. Der Leser braucht eine Weile, um zu bemerken, dass auf der Melancholie ihres Schreibens nicht „alter Völker Müdigkeiten”, sondern die Anfänge einer Krebserkrankung lasten.
Ragni Maria Gschwend hat dieses Juwel von einem Buch, das bescheiden seine eigene Vorläufigkeit behauptet und sich doch im Kopf des Lesers zu einem vollständigen Epos ausdehnt, in ein bezauberndes Deutsch übersetzt. Der italienische Schriftsteller und Germanist Claudio Magris hat es mit einem gedankenvollen Nachwort versehen: Der Verfasser des Romans „Ein anderes Meer” und des epischen mit der Widmung „Für Marisa” versehenen Essays „Die Welt en gros und en detail” war der Ehemann der im Jahr 1996 in Triest Verstorbenen.
VOLKER BREIDECKER
MARISA MADIERI: Wassergrün. Eine Kindheit in Istrien. Aus dem Italienischen von Ragni Maria Gschwend. Zsolnay Verlag, Wien 2004. 159 Seiten, 16,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensentin Pia Reinacher ist begeistert von diesem posthum erschienenen autobiografischen Roman, dessen 1996 verstorbene Autorin ihren Informationen zufolge mit Claudio Magris verheiratet war. Sie feiert das Buch als Dokument einer Befreiung, dessen Vorzug es sei, historische Fakten in die Sinnlichkeit von Geschichten umzusetzen. Marisa Madieri beschreibt die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, in denen sie ihre Heimatstadt Fiume verlassen musste, nachdem die Jugoslawen alle Italiener aus Istrien und Dalmatien vertrieben hatten, und sie als Flüchtling in Italien auch unerwünscht war, erzählt die Rezensentin. Durch die Reduktion auf das Wesentliche, die Lakonie, "bisweilen fast Kälte des Erzählens" gelinge es Madieri, modellhaft ein Flüchtlingsschicksal am Ende des Zweiten Weltkrieges darzustellen, und zwar auf der Augenhöhe eines Kindes, "das im luftleeren Raum ausgesetzt wurde und hilflos an allen Seiten abgleitet". Zug um Zug, so Reinacher, erweckt Madieri mit ihrer Sprache die Erinnerung an einen Lebensabschnitt, der so quälend gewesen sei, dass nur die Versteinerung geblieben sei. Die nachgelassenen Aufzeichnungen aus den Jahren 1981-1984 sind für die bewegte Rezensentin auch ein Dokument des Zusammenlebens und Untergehens in einer italienischen Großfamilie und damit eine "Sozialgeschichte der italienischen Nachkriegsfamilie".

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