Boyles erster Roman in neuer Übersetzung
Mungo Park, Afrikaforscher aus Schottland, begibt sich Ende des achtzehnten Jahrhunderts wie viele Europäer vor ihm auf die Suche nach dem Niger. Johnson, ein Afrikaner, den ein wechselvolles Schicksal zeitweilig in Londons beste Gesellschaft verschlug, bis er infolge eines Duells zurück nach Afrika verbannt wurde, steht ihm als Dolmetscher zur Seite. Eine verwegene Reise beginnt, ein Abenteuer, das durch die Begegnung mit Ned Rise, einem Pechvogel und Trunkenbold, eine schicksalhafte Wendung nimmt. Mit dabei auf dieser Tour de Force: Huren, Schläger, Kannibalen, Stammesfürsten, Glücksritter.
Mungo Park, Afrikaforscher aus Schottland, begibt sich Ende des achtzehnten Jahrhunderts wie viele Europäer vor ihm auf die Suche nach dem Niger. Johnson, ein Afrikaner, den ein wechselvolles Schicksal zeitweilig in Londons beste Gesellschaft verschlug, bis er infolge eines Duells zurück nach Afrika verbannt wurde, steht ihm als Dolmetscher zur Seite. Eine verwegene Reise beginnt, ein Abenteuer, das durch die Begegnung mit Ned Rise, einem Pechvogel und Trunkenbold, eine schicksalhafte Wendung nimmt. Mit dabei auf dieser Tour de Force: Huren, Schläger, Kannibalen, Stammesfürsten, Glücksritter.
Ein Roman über drei Überlebenskünstler. Zum Totlachen! Oliver Masucci Gala 20210318
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eigentlich hätte Burkhard Müller Grund zur Freude. "Wassermusik", erschienen im Original vor 30 Jahren, hält der Rezensent für einen mit seinem Stoff so frei wie genial verfahrenden Roman, eine abwechslungsreiche Episoden-Erzählung, der es an bizarren Szenen nicht fehlt, gepaart mit einem ernsteren Handlungsstrang. Für Müller ergibt das heitere, spannende, effektive Unterhaltung. Die Kraft des Ganzen, die Abstrusität auch, die in T. C. Boyles Sprache gründet, wie Müller erklärt, gilt es, ins Deutsche hinüberzuretten. Das nun misslingt laut Rezensent in dieser Neuübersetzung durch Dirk van Gunsteren, der, so Müller, leider die Fehler der alten Übertragung von Werner Richter wiederholt, indem er ein Gefühl für Rhythmus vermissen lässt und allzu eigenmächtig verfährt. Wenn eine Neuübertragung aber vor allem alte Fehler widerholt, ist sie überflüssig, findet Müller, und belegt das auch anhand einer Reihe von Textstellen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2014Wie man in zwei Flüssen untergeht
T. C. Boyles Erstlingsroman „Wassermusik“ erschien im Original 1982 und machte den Autor zum Shootingstar.
Jetzt gibt es eine neue Übersetzung – aber leider wiederholt sie die Fehler ihrer Vorgängerin
VON BURKHARD MÜLLER
Rund dreißig Jahre ist es her, da veröffentlichte der noch junge und unbekannte Tom Coraghessan Boyle einen Roman, der mit einem Paukenschlag seinen Ruhm begründete: „Watermusic“, „Wassermusik“ im Deutschen. Das spielt auf das gleichnamige Stück von Händel an; als wichtiger aber erweist sich das Grundrauschen der zwei Flüsse, der eigentlichen Protagonisten dieses umfangreichen, mit seinem Stoff sehr frei verfahrenden Buchs. Stärker sind sie als die menschlichen Helden, die es mit ihnen zu tun bekommen, und verschlingen sie in ganz unmetaphorischem Sinn.
Da ist auf der einen Seite Ned Rise, ein Schlitzohr und Schelm, der im Hinterzimmer der Londoner Taverne „Vole’s Head“ eine atemberaubende Live-Sexshow inszeniert, welche dann aber leider von der Polizei gesprengt wird; auf seiner wilden Flucht stürzt er sich in die vereiste Themse und wird daraufhin allgemein für tot gehalten, was eindeutig auch seine Vorteile hat: Denn so kann er, ohne dass ihm seine zahlreichen Feinde auf die Schliche kämen, ganz neu anfangen, diesmal ein Geschäft mit russischem Kaviar, der in Wahrheit aus Froschlaich und Schuhwichse besteht. Auch das geht natürlich über kurz oder lang schief; er hat das Pech, bei einem Handgemenge einen Lord auf einem eisernen Gartenzaun aufzuspießen, landet am Galgen, erwacht aber auf dem Sektionstisch des Doktor Delp zu wiederum neuem Leben. „To rise“ heißt auferstehen; dafür hat Ned ein echtes Talent.
Parallel zu dieser abwechslungsreichen Episoden-Erzählung läuft der andere Handlungsstrang, der ernstere (obwohl es auch ihm nicht an bizarren Szenen fehlt): Mungo Park, der schottische Entdecker, ist entschlossen, das Innere Afrikas zu erkunden, von dem man um 1800 noch so gut wie nichts weiß, vor allem den Lauf des Hauptstroms im Westen, des Niger. Das erste Mal tut er es tollkühn auf eigene Faust. Das zweite Mal, etliche Jahre später, ist er im Auftrag der englischen Regierung unterwegs, mit einer großen Expedition, die in der Katastrophe endet; die Lastesel gehen durch, die Männer sterben weg wie die Fliegen. Wie sich erst lang hinterher herausstellt, ertrinken Park und seine letzten Leute während eines Angriffs der Einheimischen, als sie sich in die Stromschnellen des großen Flusses stürzen. Diesmal ist Ned, als Sträfling deportiert, auch dabei.
Das ist, in seinem Neben- und Durcheinander von pittoresken, heiteren, spannenden und auch emotionalen Elementen, ein äußerst effektiv gebautes Buch. Salman Rushdie pries es mit wahrer Gruselfreude: „Es ist ein Buch im schlimmstmöglichen Geschmack, ohne erkennbaren Zweck, randvoll mit abstoßenden, schmutzigen Einfällen. (. . .) Es stinkt nach Gin und Afrika. Es schäumt – oder sollte ich sagen
‚Boyles‘– vor Leben, Sprache, Komik, Kraft und anderen Formen von Abstrusität.
Leben, Komik und Kraft bewahrt es sich, denn es ist ein zähes Gewächs, auch in seinen deutschen Versionen. Anders steht es mit der Sprache. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Erstausgabe bei Rowohlt, in der Übersetzung von Werner Richter, legt nun der Hanser-Verlag, der die Rechte erworben hat, eine Neuübersetzung von Dirk van Gunsteren vor. Nun kann es von einem guten Buch gar nicht genug Übersetzungen geben; jede hat die Chance, eine andere Facette des Originals aufblitzen zu lassen. Mit Verdruss aber sieht man bei Richter und van Gunsteren, dass dieselben Fehler zweimal gemacht wurden; und das ist gewiss überflüssig. Beide operieren ohne Gefühl für den Rhythmus des Originals und mit einer nicht akzeptablen Eigenmächtigkeit, wodurch die im engeren Sinn literarische Leistung des Originals erheblichen Schaden leidet. Ein solch scharfes Urteil muss sich rechtfertigen; und das tut man am besten, indem man eine einzelne kurze Passage relativ beliebig herauspflückt und untersucht, was die deutschen Bearbeiter daraus machen.
Park erreicht den Palast des einheimischen Königs Mansong, eine große, aber undurchschaubare Anlage. Bei Boyle steht: „The flow of the building is interrupted by an involuted series of walled walkways and courtyards.“ Bei Richter wird daraus: „Der architektonische Zusammenhalt wird durch eine verschachtelte Serie ummauerter Gänge und Innenhöfe zerstückelt.“ Hier besteht offenbar akute Einsturzgefahr; dabei handelt es sich bloß um Störungen des architektonischen Rhythmus. Noch freihändiger bei van Gunsteren: „Es ist eine komplizierte Anlage mit zahlreichen ineinander verschachtelten Innenhöfen und gemauerten Verbindungsgängen.“ Hier ist jede Erinnerung, dass die Störung eines Musters vorliegt, getilgt; dafür verschachteln sich die Höfe „ineinander“, was sich schwer vorstellen lässt – tatsächlich ist ja bloß ihre Abfolge „involuted“. Und wie hätte man sich einen „gemauerten“ Verbindungsgang zu denken? (Hier muss man zu Richter greifen, der sie korrekt als „ummauert“ wiedergibt.)
Die roten Lehmmauern sind mit einer Mischung aus Knochenmehl, Stärke und Wasser getüncht. „Inadequate to the task, the wash has left the walls a soft pastel pink.“ Bei Richter: „Da diese Tünche ihrer Aufgabe nicht gewachsen war, hat sich den Wänden ein blassrosa Pastellton erhalten.“ Man begreift an dieser Stelle, weshalb deutsche Versionen oft um die Hälfte länger sein müssen als ihr englisches Gegenstück: weil sie glauben, immer überdeutlich sein zu müssen. Aus der lockeren Nominalgruppe wird ein umständlicher Nebensatz. Mehr als umständlich, nämlich falsch ist „hat sich den Wänden ein blassrosa Pastellton erhalten“: Den hatten sie vorher ja keineswegs, den bekamen sie erst durch die Tünche verpasst. Noch selbstherrlicher verfährt van Gunsteren: „doch wegen der mangelnden Deckkraft dieser Mixtur ist das Ergebnis ein sanftes Rosa“. Das ist der klassische Fall der einseitig interpretierenden Übersetzung: Nirgends steht, dass die Tünche nicht deckkräftig wäre; sehr gut möglich, dass sie, da sie Wasser enthielt, einfach die oberste Schicht des ungebrannten Lehms aufgelöst und als rötliches Pigment in die Mischung eingebracht hat.
Weiter bei Boyle: „in places the red glares through in streaks like clawmarks in a flank of a sacrificial cow“. Bei Richter: „an manchen Stellen kommt das Rot auch in grellen Striemen durch, wie Klauennarben auf der Flanke einer Opferkuh“. Wer sagt denn, dass es „Narben“ wären? Dann könnten sie nicht so krass rot leuchten: frisch müssen die Hiebe sein. Freilich l e u c h t e t das Rot ja hier auch nicht, sondern kommt bloß d u r c h; „grell“ sind dafür die Striemen. Und ganz am Rande, warum „auch“? Bei van Gunsteren: „an manchen Stellen leuchtet das Rot in Streifen hervor, die sich ausnehmen wie die Wunden auf der Flanke eines geopferten Ochsen“. Das „like“ wird unnötigerweise ausgewalzt zu „die sich ausnehmen wie“, dafür sind die Klauen und die damit implizierte Attacke eines Raubtiers weg; es bleiben bloße „Wunden“. Das Tier ist schon „geopfert“, also tot, während es im Original nur heißt, es sei zum Opfer bestimmt („sacrificial“). Das beiläufige Drama, das Boyle in nur einer Zeile entfaltet, ist ziemlich komplett gestrichen, substituiert wird ein Stillleben. Dass Boyle hier eine Kuh auftreten lässt, missbilligt van Gunsteren aus unbekannten Gründen und schreibt „Ochse“.
Warum haben sich die Übersetzer nicht dem Original anvertraut, das hier wirklich ganz frei von Stromschnellen fließt? Dann stünde da einfach: „Stellenweise leuchtet das Rot durch, in Streifen wie Klauenhiebe an der Flanke einer Opferkuh“ – ohne Narben, ohne Ochsen, ohne auch. Man halte ein Vorgehen, wie es hier geübt wird, bitte nicht für kleinlich: Das war der Ertrag von gerade einmal sieben Zeilen. Das Buch aber hat rund 17 000. Wenn so etwas nicht da oder dort passiert, sondern praktisch ununterbrochen, wird ein Buch beschädigt.
T.C. Boyle: Wassermusik. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser Verlag, München 2014. 576 S., 24,90 Euro, E-Book 18,99 Euro.
Es kann von einem guten
Buch gar nicht genug
Übersetzungen geben
Warum wird aus einer Kuh ein
Ochse, warum aus einem
beiläufigen Drama ein Stillleben?
Wer in den Wassern der Sprache fischt, muss auf
die Fließgeschwindigkeit, den Rhythmus achten: Fischer an den
Boyomafällen des Kongo. Foto: Andrew McConnell, Agentur Focus
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T. C. Boyles Erstlingsroman „Wassermusik“ erschien im Original 1982 und machte den Autor zum Shootingstar.
Jetzt gibt es eine neue Übersetzung – aber leider wiederholt sie die Fehler ihrer Vorgängerin
VON BURKHARD MÜLLER
Rund dreißig Jahre ist es her, da veröffentlichte der noch junge und unbekannte Tom Coraghessan Boyle einen Roman, der mit einem Paukenschlag seinen Ruhm begründete: „Watermusic“, „Wassermusik“ im Deutschen. Das spielt auf das gleichnamige Stück von Händel an; als wichtiger aber erweist sich das Grundrauschen der zwei Flüsse, der eigentlichen Protagonisten dieses umfangreichen, mit seinem Stoff sehr frei verfahrenden Buchs. Stärker sind sie als die menschlichen Helden, die es mit ihnen zu tun bekommen, und verschlingen sie in ganz unmetaphorischem Sinn.
Da ist auf der einen Seite Ned Rise, ein Schlitzohr und Schelm, der im Hinterzimmer der Londoner Taverne „Vole’s Head“ eine atemberaubende Live-Sexshow inszeniert, welche dann aber leider von der Polizei gesprengt wird; auf seiner wilden Flucht stürzt er sich in die vereiste Themse und wird daraufhin allgemein für tot gehalten, was eindeutig auch seine Vorteile hat: Denn so kann er, ohne dass ihm seine zahlreichen Feinde auf die Schliche kämen, ganz neu anfangen, diesmal ein Geschäft mit russischem Kaviar, der in Wahrheit aus Froschlaich und Schuhwichse besteht. Auch das geht natürlich über kurz oder lang schief; er hat das Pech, bei einem Handgemenge einen Lord auf einem eisernen Gartenzaun aufzuspießen, landet am Galgen, erwacht aber auf dem Sektionstisch des Doktor Delp zu wiederum neuem Leben. „To rise“ heißt auferstehen; dafür hat Ned ein echtes Talent.
Parallel zu dieser abwechslungsreichen Episoden-Erzählung läuft der andere Handlungsstrang, der ernstere (obwohl es auch ihm nicht an bizarren Szenen fehlt): Mungo Park, der schottische Entdecker, ist entschlossen, das Innere Afrikas zu erkunden, von dem man um 1800 noch so gut wie nichts weiß, vor allem den Lauf des Hauptstroms im Westen, des Niger. Das erste Mal tut er es tollkühn auf eigene Faust. Das zweite Mal, etliche Jahre später, ist er im Auftrag der englischen Regierung unterwegs, mit einer großen Expedition, die in der Katastrophe endet; die Lastesel gehen durch, die Männer sterben weg wie die Fliegen. Wie sich erst lang hinterher herausstellt, ertrinken Park und seine letzten Leute während eines Angriffs der Einheimischen, als sie sich in die Stromschnellen des großen Flusses stürzen. Diesmal ist Ned, als Sträfling deportiert, auch dabei.
Das ist, in seinem Neben- und Durcheinander von pittoresken, heiteren, spannenden und auch emotionalen Elementen, ein äußerst effektiv gebautes Buch. Salman Rushdie pries es mit wahrer Gruselfreude: „Es ist ein Buch im schlimmstmöglichen Geschmack, ohne erkennbaren Zweck, randvoll mit abstoßenden, schmutzigen Einfällen. (. . .) Es stinkt nach Gin und Afrika. Es schäumt – oder sollte ich sagen
‚Boyles‘– vor Leben, Sprache, Komik, Kraft und anderen Formen von Abstrusität.
Leben, Komik und Kraft bewahrt es sich, denn es ist ein zähes Gewächs, auch in seinen deutschen Versionen. Anders steht es mit der Sprache. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Erstausgabe bei Rowohlt, in der Übersetzung von Werner Richter, legt nun der Hanser-Verlag, der die Rechte erworben hat, eine Neuübersetzung von Dirk van Gunsteren vor. Nun kann es von einem guten Buch gar nicht genug Übersetzungen geben; jede hat die Chance, eine andere Facette des Originals aufblitzen zu lassen. Mit Verdruss aber sieht man bei Richter und van Gunsteren, dass dieselben Fehler zweimal gemacht wurden; und das ist gewiss überflüssig. Beide operieren ohne Gefühl für den Rhythmus des Originals und mit einer nicht akzeptablen Eigenmächtigkeit, wodurch die im engeren Sinn literarische Leistung des Originals erheblichen Schaden leidet. Ein solch scharfes Urteil muss sich rechtfertigen; und das tut man am besten, indem man eine einzelne kurze Passage relativ beliebig herauspflückt und untersucht, was die deutschen Bearbeiter daraus machen.
Park erreicht den Palast des einheimischen Königs Mansong, eine große, aber undurchschaubare Anlage. Bei Boyle steht: „The flow of the building is interrupted by an involuted series of walled walkways and courtyards.“ Bei Richter wird daraus: „Der architektonische Zusammenhalt wird durch eine verschachtelte Serie ummauerter Gänge und Innenhöfe zerstückelt.“ Hier besteht offenbar akute Einsturzgefahr; dabei handelt es sich bloß um Störungen des architektonischen Rhythmus. Noch freihändiger bei van Gunsteren: „Es ist eine komplizierte Anlage mit zahlreichen ineinander verschachtelten Innenhöfen und gemauerten Verbindungsgängen.“ Hier ist jede Erinnerung, dass die Störung eines Musters vorliegt, getilgt; dafür verschachteln sich die Höfe „ineinander“, was sich schwer vorstellen lässt – tatsächlich ist ja bloß ihre Abfolge „involuted“. Und wie hätte man sich einen „gemauerten“ Verbindungsgang zu denken? (Hier muss man zu Richter greifen, der sie korrekt als „ummauert“ wiedergibt.)
Die roten Lehmmauern sind mit einer Mischung aus Knochenmehl, Stärke und Wasser getüncht. „Inadequate to the task, the wash has left the walls a soft pastel pink.“ Bei Richter: „Da diese Tünche ihrer Aufgabe nicht gewachsen war, hat sich den Wänden ein blassrosa Pastellton erhalten.“ Man begreift an dieser Stelle, weshalb deutsche Versionen oft um die Hälfte länger sein müssen als ihr englisches Gegenstück: weil sie glauben, immer überdeutlich sein zu müssen. Aus der lockeren Nominalgruppe wird ein umständlicher Nebensatz. Mehr als umständlich, nämlich falsch ist „hat sich den Wänden ein blassrosa Pastellton erhalten“: Den hatten sie vorher ja keineswegs, den bekamen sie erst durch die Tünche verpasst. Noch selbstherrlicher verfährt van Gunsteren: „doch wegen der mangelnden Deckkraft dieser Mixtur ist das Ergebnis ein sanftes Rosa“. Das ist der klassische Fall der einseitig interpretierenden Übersetzung: Nirgends steht, dass die Tünche nicht deckkräftig wäre; sehr gut möglich, dass sie, da sie Wasser enthielt, einfach die oberste Schicht des ungebrannten Lehms aufgelöst und als rötliches Pigment in die Mischung eingebracht hat.
Weiter bei Boyle: „in places the red glares through in streaks like clawmarks in a flank of a sacrificial cow“. Bei Richter: „an manchen Stellen kommt das Rot auch in grellen Striemen durch, wie Klauennarben auf der Flanke einer Opferkuh“. Wer sagt denn, dass es „Narben“ wären? Dann könnten sie nicht so krass rot leuchten: frisch müssen die Hiebe sein. Freilich l e u c h t e t das Rot ja hier auch nicht, sondern kommt bloß d u r c h; „grell“ sind dafür die Striemen. Und ganz am Rande, warum „auch“? Bei van Gunsteren: „an manchen Stellen leuchtet das Rot in Streifen hervor, die sich ausnehmen wie die Wunden auf der Flanke eines geopferten Ochsen“. Das „like“ wird unnötigerweise ausgewalzt zu „die sich ausnehmen wie“, dafür sind die Klauen und die damit implizierte Attacke eines Raubtiers weg; es bleiben bloße „Wunden“. Das Tier ist schon „geopfert“, also tot, während es im Original nur heißt, es sei zum Opfer bestimmt („sacrificial“). Das beiläufige Drama, das Boyle in nur einer Zeile entfaltet, ist ziemlich komplett gestrichen, substituiert wird ein Stillleben. Dass Boyle hier eine Kuh auftreten lässt, missbilligt van Gunsteren aus unbekannten Gründen und schreibt „Ochse“.
Warum haben sich die Übersetzer nicht dem Original anvertraut, das hier wirklich ganz frei von Stromschnellen fließt? Dann stünde da einfach: „Stellenweise leuchtet das Rot durch, in Streifen wie Klauenhiebe an der Flanke einer Opferkuh“ – ohne Narben, ohne Ochsen, ohne auch. Man halte ein Vorgehen, wie es hier geübt wird, bitte nicht für kleinlich: Das war der Ertrag von gerade einmal sieben Zeilen. Das Buch aber hat rund 17 000. Wenn so etwas nicht da oder dort passiert, sondern praktisch ununterbrochen, wird ein Buch beschädigt.
T.C. Boyle: Wassermusik. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser Verlag, München 2014. 576 S., 24,90 Euro, E-Book 18,99 Euro.
Es kann von einem guten
Buch gar nicht genug
Übersetzungen geben
Warum wird aus einer Kuh ein
Ochse, warum aus einem
beiläufigen Drama ein Stillleben?
Wer in den Wassern der Sprache fischt, muss auf
die Fließgeschwindigkeit, den Rhythmus achten: Fischer an den
Boyomafällen des Kongo. Foto: Andrew McConnell, Agentur Focus
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