Sauberes Wasser ist die Grundvoraussetzung irdischer Existenz, und nichts verdeutlicht die Bedeutung einer öffentlichen Gemeinwohlsicherung stärker als die Frage der Wasserversorgung. Im Zuge der neoliberalen Privatisierungs- und Globalisierungsideologie fiel jedoch Anfang der neunziger Jahre auch diese Bastion öffentlicher Alleinverantwortung. Seither wird die Privatisierung der Trinkwasserressourcen und der damit verbundenen Dienstleistungen einerseits als Königsweg propagiert, andererseits vehement bekämpft. Das Buch macht die komplexen Dimensionen der globalen Wasserkrise sichtbar und verfolgt die Entwicklung von der öffentlichen Daseinsfürsorge zu Strukturen globaler Governance - eine Entwicklung, die eng mit theoretischen Auffassungen über die Bedeutung der Allmende, die beste Art der Gemeinwohlsicherung und die Möglichkeiten politischer Steuerung verknüpft ist. Die empirische Untersuchung der Strukturen des globalen Wasserpolitiknetzwerkes macht dabei exemplarisch deutlich, daß es gute effizienz- und demokratietheoretische Gründe gibt, den generellen Vertrauensvorschuß für globale Governance einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2010Wie löscht man den Durst der Welt?
Werden sich die Menschen den Zugang zur immer knapper werdenden Ressource Wasser demnächst mit Gewalt verschaffen? Petra Dobner beschreibt die Fährnisse der internationalen Wasserpolitik.
Die Vereinten Nationen haben den Anspruch auf sauberes Wasser in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen. Diese Forderung ist nicht leicht zu erfüllen: Derzeit herrscht besonders dramatischer Wassermangel in Osteuropa, an sauberem Trinkwasser fehlt es aber auch in denjenigen Gebieten, die in diesem Sommer von Flutkatastrophen betroffen sind. Viel zu viel Wasser, aber zu wenig sauberes Trinkwasser gibt es derzeit nicht nur in Pakistan und Teilen Chinas; auch im Dreiländereck von Deutschland, Tschechien und Polen konnte während der Überflutungen nicht genug Trinkwasser über öffentliche Netze zur Verfügung gestellt werden.
Angesichts dieser Probleme ist man gespannt auf ein Buch mit dem Titel "Wasserpolitik". Petra Dobner fragt: Sollen Staaten oder Privatunternehmen, einzelne Akteure oder die Global Governance Verantwortung für eine für alle Menschen wichtige Ressource tragen? Die Wasserpolitik dient nur als Exempel für dieses allgemeine politikwissenschaftliche Problem.
Global Governance ist ein neues Zauberwort, die Autorin bietet ihm wacker die Stirn: "Die Versuche einer genauen Bestimmung des Inhalts von Global Governance sind zahlreich; für den Moment mag es genügen, Global Governance als eine Vielzahl von Organisationsformen staatlicher, nichtstaatlicher und genuin transstaatlicher Akteure zu definieren, die auf formellen und informellen Wegen versuchen, in der globalisierten Welt politische und gesellschaftliche Verhältnisse sowie Regelungsmodi für diese durchzusetzen, und sich hierbei aller Mittel bedienen, die ihnen legitim erscheinen."
Die Verteilung von Wasser ist seit Jahrtausenden ein wichtiges Politikfeld. Man mutmaßt darüber, dass die Wasserverteilung die Entstehung früher Staaten entlang der großen Ströme des Orients begünstigt hat. Sind aber Staaten heute mit der Aufgabe der Trinkwasserversorgung überfordert? Eine private Versorgung mit Ressourcen könnte eventuell mehr leisten, doch zeigt sich, dass private Konzerne gerade dort nicht investieren, wo es am dringendsten notwendig wäre, nämlich in den armen Ländern der Erde. Vor diesem Hintergrund wird die Wasserversorgung tatsächlich zu einem Testfall der Global Governance. Und umgekehrt bekommt die Kritik am Neoliberalismus mit Blick auf wasserpolitische Erfordernisse bei Petra Dobner eine existentielle Schubkraft: "Mit seiner Absage an den Staat als legitimen Gestalter der öffentlichen Dinge wird der Neoliberalismus zu einer geradezu idealen Theorie für eine Welt, die im Begriff steht, den Staat als vorherrschende Form der politischen Organisation hinter sich zu lassen."
Was die Autorin über die konkreten örtlichen Wasserprobleme berichtet, ist deprimierend. Das Buch stellt die einzelnen Wassernetzwerke vor, die in den letzten Jahren gegründet wurden, aber ein Menetekel der Ineffizienz sind. Milliardenbeträge verschleuderte man für die zentrale Verwaltung der Organisationen, mehr als ein Drittel der Ausgaben versickerten in der Global Water Partnership, einer Versorgungsanstalt für Wasserfunktionäre im Gewand der globalen Durstlöscherin. Mit einer einfachen Methode weist die Autorin nach, wie die Mitglieder der weltweit tätigen Wasserorganisationen miteinander verbandelt sind: Sie klärt über Nachforschungen bei "Google" auf, welche Akteure sich woher kennen. Das Ergebnis erstaunt nicht, wenn man weiß, wie Netzwerke entstehen: Immer wieder die gleichen Akteure treten in Erscheinung, sie sind nicht durch Wahlen legitimiert, sondern ernennen sich gegenseitig in immer neuen Ämtern und Würden. Man möchte von einer "Wassermafia" sprechen.
Jährlich treffen sich Tausende von Delegierten aus aller Welt zu "Wassergipfeln" und "Wasserkonferenzen". Was dabei herauskommt, ist enttäuschend, weil es nicht gelingt, die durchaus vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse so aufzubereiten und zu vermitteln, dass sie merklichen Einfluss auf die Wassernutzung hätten. Zu einigen "Mega-Events" gab es nicht einmal Abschlussberichte. Der einzig greifbare Sinn und Zweck der Übung ist, so scheint es, dass sich viele Menschen treffen und angesichts des Elends ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen.
Leider vermag das Buch den dysfunktionalen Zug dieser internationalen Betroffenheitsveranstaltungen nicht zu brechen. Denn die Autorin setzt auf ungefilterte Partizipation, möchte alle Gruppen von Akteuren an den Prozessen der Entscheidungsfindung beteiligen, zumal Delegierte aus armen Ländern und Frauen. So willkommen Frauen und Gesandte aus der Dritten Welt natürlich sind, so wäre es im Angesicht der Wassernot doch zwingend gewesen, den Sachverstand als oberstes Teilnahmekriterium stark zu machen. Das Thema verträgt keine politischen Proporz-Spielchen, wie sie faktisch an der wasserpolitischen Tagesordnung sind. Hier hat das Buch ärgerlicherweise eine Chance zum Widerspruch vertan.
Statt Absichtserklärungen bedarf es der Bereitschaft, eine eingeschliffene Pfründepolitik aufzubrechen, um das von den Vereinten Nationen proklamierte Grundrecht auf sauberes Wasser zu gewährleisten. An die Adresse der wasserpolitischen Funktionäre müsste denn auch der Appell ergehen: Gebt den Erfindergeist frei! Man sollte, so legt das Buch bei aller Wasserkonferenz-Begeisterung dann doch nahe, mehr auf den Einfallsreichtum von Technikern und Naturwissenschaftlern setzen und sie anregen, konkrete Projekte zu entwickeln.
Die globalen Wasserprobleme sind nicht allgemeingültig oder global zu lösen; sie erfordern immer wieder andere lokale Ansätze, flexible Methoden, den Bau von Stauanlagen, Kanälen, Wasseraufbereitungsanlagen, die Bepflanzung von Trockengebieten mit Gewächsen, die gegenüber langen Trockenphasen resistent sind. Petra Dobner zitiert Peter M. Haas: "Wenn Entscheider mit den technischen Aspekten eines speziellen Problems nicht vertraut sind, wie sollen sie dann öffentliche Interessen formulieren und praktikable Lösungen erarbeiten?" Tatsächlich ist hier einmal mehr das wasserpolitische Grundübel angesprochen, nämlich der fehlende Sachverstand von Politikern, die die Lösungsansätze der Techniker nicht wirklich durchdringen. Am Ende hängt es an der Fähigkeit dieser Techniker, sich in der Politik verständlich zu machen, ob der Durst der Welt gelöscht werden kann oder zunimmt. Es gibt keine Zeit zu verlieren, will man nicht erleben, wie sich die Menschen den Zugang zur immer knapper werdenden Ressource Wasser demnächst mit Gewalt verschaffen.
HANSJÖRG KÜSTER
Petra Dobner: "Wasserpolitik". Zur politischen Theorie, Praxis und Kritik globaler Governance. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 400 S., 10 Abb., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Werden sich die Menschen den Zugang zur immer knapper werdenden Ressource Wasser demnächst mit Gewalt verschaffen? Petra Dobner beschreibt die Fährnisse der internationalen Wasserpolitik.
Die Vereinten Nationen haben den Anspruch auf sauberes Wasser in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen. Diese Forderung ist nicht leicht zu erfüllen: Derzeit herrscht besonders dramatischer Wassermangel in Osteuropa, an sauberem Trinkwasser fehlt es aber auch in denjenigen Gebieten, die in diesem Sommer von Flutkatastrophen betroffen sind. Viel zu viel Wasser, aber zu wenig sauberes Trinkwasser gibt es derzeit nicht nur in Pakistan und Teilen Chinas; auch im Dreiländereck von Deutschland, Tschechien und Polen konnte während der Überflutungen nicht genug Trinkwasser über öffentliche Netze zur Verfügung gestellt werden.
Angesichts dieser Probleme ist man gespannt auf ein Buch mit dem Titel "Wasserpolitik". Petra Dobner fragt: Sollen Staaten oder Privatunternehmen, einzelne Akteure oder die Global Governance Verantwortung für eine für alle Menschen wichtige Ressource tragen? Die Wasserpolitik dient nur als Exempel für dieses allgemeine politikwissenschaftliche Problem.
Global Governance ist ein neues Zauberwort, die Autorin bietet ihm wacker die Stirn: "Die Versuche einer genauen Bestimmung des Inhalts von Global Governance sind zahlreich; für den Moment mag es genügen, Global Governance als eine Vielzahl von Organisationsformen staatlicher, nichtstaatlicher und genuin transstaatlicher Akteure zu definieren, die auf formellen und informellen Wegen versuchen, in der globalisierten Welt politische und gesellschaftliche Verhältnisse sowie Regelungsmodi für diese durchzusetzen, und sich hierbei aller Mittel bedienen, die ihnen legitim erscheinen."
Die Verteilung von Wasser ist seit Jahrtausenden ein wichtiges Politikfeld. Man mutmaßt darüber, dass die Wasserverteilung die Entstehung früher Staaten entlang der großen Ströme des Orients begünstigt hat. Sind aber Staaten heute mit der Aufgabe der Trinkwasserversorgung überfordert? Eine private Versorgung mit Ressourcen könnte eventuell mehr leisten, doch zeigt sich, dass private Konzerne gerade dort nicht investieren, wo es am dringendsten notwendig wäre, nämlich in den armen Ländern der Erde. Vor diesem Hintergrund wird die Wasserversorgung tatsächlich zu einem Testfall der Global Governance. Und umgekehrt bekommt die Kritik am Neoliberalismus mit Blick auf wasserpolitische Erfordernisse bei Petra Dobner eine existentielle Schubkraft: "Mit seiner Absage an den Staat als legitimen Gestalter der öffentlichen Dinge wird der Neoliberalismus zu einer geradezu idealen Theorie für eine Welt, die im Begriff steht, den Staat als vorherrschende Form der politischen Organisation hinter sich zu lassen."
Was die Autorin über die konkreten örtlichen Wasserprobleme berichtet, ist deprimierend. Das Buch stellt die einzelnen Wassernetzwerke vor, die in den letzten Jahren gegründet wurden, aber ein Menetekel der Ineffizienz sind. Milliardenbeträge verschleuderte man für die zentrale Verwaltung der Organisationen, mehr als ein Drittel der Ausgaben versickerten in der Global Water Partnership, einer Versorgungsanstalt für Wasserfunktionäre im Gewand der globalen Durstlöscherin. Mit einer einfachen Methode weist die Autorin nach, wie die Mitglieder der weltweit tätigen Wasserorganisationen miteinander verbandelt sind: Sie klärt über Nachforschungen bei "Google" auf, welche Akteure sich woher kennen. Das Ergebnis erstaunt nicht, wenn man weiß, wie Netzwerke entstehen: Immer wieder die gleichen Akteure treten in Erscheinung, sie sind nicht durch Wahlen legitimiert, sondern ernennen sich gegenseitig in immer neuen Ämtern und Würden. Man möchte von einer "Wassermafia" sprechen.
Jährlich treffen sich Tausende von Delegierten aus aller Welt zu "Wassergipfeln" und "Wasserkonferenzen". Was dabei herauskommt, ist enttäuschend, weil es nicht gelingt, die durchaus vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse so aufzubereiten und zu vermitteln, dass sie merklichen Einfluss auf die Wassernutzung hätten. Zu einigen "Mega-Events" gab es nicht einmal Abschlussberichte. Der einzig greifbare Sinn und Zweck der Übung ist, so scheint es, dass sich viele Menschen treffen und angesichts des Elends ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen.
Leider vermag das Buch den dysfunktionalen Zug dieser internationalen Betroffenheitsveranstaltungen nicht zu brechen. Denn die Autorin setzt auf ungefilterte Partizipation, möchte alle Gruppen von Akteuren an den Prozessen der Entscheidungsfindung beteiligen, zumal Delegierte aus armen Ländern und Frauen. So willkommen Frauen und Gesandte aus der Dritten Welt natürlich sind, so wäre es im Angesicht der Wassernot doch zwingend gewesen, den Sachverstand als oberstes Teilnahmekriterium stark zu machen. Das Thema verträgt keine politischen Proporz-Spielchen, wie sie faktisch an der wasserpolitischen Tagesordnung sind. Hier hat das Buch ärgerlicherweise eine Chance zum Widerspruch vertan.
Statt Absichtserklärungen bedarf es der Bereitschaft, eine eingeschliffene Pfründepolitik aufzubrechen, um das von den Vereinten Nationen proklamierte Grundrecht auf sauberes Wasser zu gewährleisten. An die Adresse der wasserpolitischen Funktionäre müsste denn auch der Appell ergehen: Gebt den Erfindergeist frei! Man sollte, so legt das Buch bei aller Wasserkonferenz-Begeisterung dann doch nahe, mehr auf den Einfallsreichtum von Technikern und Naturwissenschaftlern setzen und sie anregen, konkrete Projekte zu entwickeln.
Die globalen Wasserprobleme sind nicht allgemeingültig oder global zu lösen; sie erfordern immer wieder andere lokale Ansätze, flexible Methoden, den Bau von Stauanlagen, Kanälen, Wasseraufbereitungsanlagen, die Bepflanzung von Trockengebieten mit Gewächsen, die gegenüber langen Trockenphasen resistent sind. Petra Dobner zitiert Peter M. Haas: "Wenn Entscheider mit den technischen Aspekten eines speziellen Problems nicht vertraut sind, wie sollen sie dann öffentliche Interessen formulieren und praktikable Lösungen erarbeiten?" Tatsächlich ist hier einmal mehr das wasserpolitische Grundübel angesprochen, nämlich der fehlende Sachverstand von Politikern, die die Lösungsansätze der Techniker nicht wirklich durchdringen. Am Ende hängt es an der Fähigkeit dieser Techniker, sich in der Politik verständlich zu machen, ob der Durst der Welt gelöscht werden kann oder zunimmt. Es gibt keine Zeit zu verlieren, will man nicht erleben, wie sich die Menschen den Zugang zur immer knapper werdenden Ressource Wasser demnächst mit Gewalt verschaffen.
HANSJÖRG KÜSTER
Petra Dobner: "Wasserpolitik". Zur politischen Theorie, Praxis und Kritik globaler Governance. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 400 S., 10 Abb., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit Spannung angesichts der aktuellen weltweiten Probleme mit der Ressource Wasser nimmt Hansjörg Küster das Buch zur Hand. Küster lernt über Global Governance, eine Bezeichnung, hinter der sich staatliche und nichtstaatliche Organisationen tummeln und, mehr schlecht als recht, wie Küster erfährt, Wasserpolitik betreiben. Von mangelnder Effizienz, Pfründepolitik und mafiösen Strukturen weiß Petra Dobner dem entsetzten Rezensenten zu berichten, allerdings ohne sich selbst genügend für mehr Sachverstand in den Diskussionen stark zu machen und gegen den Betroffenheitskult auf den Wasserkonferenzen. Für Küster ein Manko des Buches.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Atemberaubend stellt Dobner dar, wie die Vereinten Nationen seinerzeit ihre Rolle an 'transnationale Netzwerke' ... abgetreten haben.« Christiane Grefe DIE ZEIT 20100602