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Die Vielfalt des Wattenmeers aus der Vogelperspektive lässt das Gesamtkunstwerk des UNESCO-Weltnaturerbes sichtbar werden. Vor der wilden und unbeeinflussbaren Natur nehmen sich die Leuchttürme, Wattwanderer und Kulturspuren des Menschen wie Anmerkungen zu einem beeindruckenden Kunstwerk aus. Die Inseln und Halligen, die Wattflächen und Küstenlinien, die Priele und Rinnen werden zu abstrakten Strukturen und faszinierenden Formen. Die Fotografen unternehmen einen Flug über das gesamte Wattenmeer. Von der weitläufigen Wattlandschaft des "Höllentors" nahe Den Helder im äußersten Westen der Niederlande über die Watten, Inseln und Halligen der deutschen Küste bis hin zum "Teufelshorn", dem gefährlichen Riff am nördlichen Ende des Wattenmeeres in Dänemark geht die Reise. Jedes Land lernt der Leser dabei mit seinen Besonderheiten und seinem Bezug zum UNESCO-Weltnaturerbe kennen. Gespickt mit Geschichten, Legenden und Hintergrundwissen, entsteht das liebens- und schützenswerte Porträt einer beeindruckenden Naturlandschaft.
Dieser Bildband widerlegt aufs Schönste Robert Capas Diktum, wonach sich die Qualität eines Fotos nach der Nähe des Fotografens zu seinem Objekt bemisst. Die Fotografien vom Wattenmeer in diesem Buch sind aus großer Distanz vom Flugzeug aus aufgenommen und doch so vollkommen in ihrer Ästhetik, dass die weiten Landschaften wie Kunstwerke wirken und nicht wie willkürliche Naturprodukte, entstanden aus dem Wechselspiel von Ebbe und Flut. Das Buch huldigt dennoch keinem modischen Eskapismus wie viele der zurzeit publizierten Bildbände mit ihren Landschaftsaufnahmen aus der Vogelperspektive, die sich mitunter in zweckfreier Schönheit verlieren. Die Fotografen Martin Stock und Pieter de Vries mussten auf ihrer fünftausend Kilometer langen Reise mit der einmotorigen Cessna über die Wattlandschaft der Niederlande, Dänemarks und Norddeutschlands nichts beschönigen, konnten sie doch eine der wenigen noch intakten europäischen Naturlandschaften zeigen, die 2009 nicht ohne Grund in die Unesco-Liste der Weltnaturerbe-Stätten aufgenommen wurde. Die Luftbildaufnahmen der beiden vermitteln ein Bild vom Wattenmeer, wie wir es bisher noch nicht gesehen haben. Der von feinverästelten Prielgabeln zerschnittene Schlick, die von Rippeln abfließenden Wassers durchzogenen Sandbänke und die im Sonnenschein weiß glänzenden Schlickwatten muten aus der Distanz geheimnisvoll und fremdartig an, manchmal auch wie abstrakte Gemälde. Doch der Band beschränkt sich nicht auf fotografische Opulenz. Die den Fotografien beigestellten Texte von Experten und Wattbewohnern informieren ebenso kenntnisreich wie unterhaltsam über Ursprung, Flora und Fauna dieses einzigartigen Naturraums. Dies ist umso erwähnenswerter, als der Textteil der meisten Bildbände meist weit hinter der Qualität der Abbildungen zurückbleibt. Unbedingt lesenswert sind die Begegnungen der Ko-Autorin Jennifer Timrott mit Wattbewohnern wie dem Vogelkönig von Amrum, dem Seebären von Westerheversand oder dem Motorradfahrer von Texel - skurrile Persönlichkeiten allesamt, wie sie vielleicht nur ein Leben in der Einsamkeit des Wattenmeers hervorzubringen vermag.
Nag.
"Wattenmeer" von Martin Stock und Pieter de Vries sowie Jennifer Timrott (Texte). Wachholtz Verlag, Neumünster 2014. 204 Seiten, zahlreiche Fotos. Gebunden, 49,80 Euro.
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