Mit Arne Jysch wendet sich der erste deutsche Zeichner dem Thema Afghanistan zu. Gekonnt erzählt und inszeniert er eine spannende Geschichte in den Wirren des Bundeswehreinsatzes, die von Freundschaft und Verantwortung handelt. Gleichzeitig vermittelt Arne Jysch dem Leser eine wirklichkeitsgetreue Darstellung des Alltags in diesem fremden Land und was es für einen deutschen Soldaten heißt, dort Dienst zu tun. Das alles schafft er, ohne ideologisch oder belehrend zu sein. Es ist einfach nur - spannend.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Arne Jysch, meint Christian Schlüter, hat es mit seinem Afghanistan-Comic allen recht machen wollen, der Bundeswehr, den Amerikanern, den Afghanen, für alles bringt er Verständnis auf, allem begegnet er mit Skepsis. Den rezensenten kann er damit nicht hinterm Ofen hervorlocken. Denn auch wenn Jysch - dank Unterstützung aus der Bundeswehrpressabteilung - ein sehr heutiges Bild vom Soldatenleben zeichnet, sieht Schlüter den Comic am Ende nicht allzu weit von den alten Landser-Heftchen entfernt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2012Explosionen in milden Aquarellfarben
„Das ist ein böser Tag gewesen“: Der Comic „Wave and Smile“ des Berliner Zeichners Arne Jysch schildert den Alltag deutscher Soldaten in Afghanistan
Als im Mai der US-amerikanische Kulturhistoriker Paul Fussel starb, hatte das angelsächsische Publikum einen Anlass, über das eigene Verhältnis zum Krieg nachzudenken. Fussel hatte 1975 den Klassiker „The Great War and Modern Memory“ geschrieben. Er analysierte darin Gedichte, Romane und Memoiren aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und schilderte, wie der Krieg die Erinnerungskultur in Europa und in den USA veränderte. „Der Krieg machte unsere Idee von Fortschritt rückgängig.“
Auch die Kriege des 21. Jahrhunderts verändern die Gesellschaften, die sie führen, unabhängig davon, ob man diese Kriege „Krieg“ nennt oder „Einsatz“. Der Afghanistan-Krieg, in dem bisher 27 deutsche Soldaten starben, hat in Deutschland keine neue Erinnerungskultur geschaffen, sondern höchstens eine Verdrängungskultur. Sollten Kulturhistoriker je über diese geistige Tektonik nachdenken, werden sie wohl auch den Comic „Wave and Smile“ des Berliner Zeichners und Regisseurs Arne Jysch berücksichtigen.
Es ist die erste Graphic Novel zum Isaf-Einsatz der Bundeswehr, und sie könnte sogar im Mittelpunkt einer kulturgeschichtlichen Analyse stehen, denn sonst hat der Krieg nicht viel Literatur hervorgebracht, sieht man von den Zeitzeugnissen zurückgekehrter Soldaten ab. Der Comic ist diese Woche im Carlsen Verlag erschienen. Auf 200 Seiten erzählt Jysch die Geschichte des Hauptmanns Menger, der Journalistin Anna und des Hauptfeldwebels Marco. Anna landet in Kundus und stellt sich vor: „Ich bin Anni, die neue Poolfotografin.“ – „Oh, einen Pool haben wir hier leider nicht“, antwortet Marco. Seine Einheit hat kürzlich bei einem Sprengstoff-Anschlag – „BROOM, TATATATAT, KRAWOMM“ – drei Kameraden verloren. Anna war noch nicht da, sie weiß noch sehr wenig. Es wird dauern, bevor sie und die Soldaten eine gemeinsame Sprache sprechen.
Arne Jysch zeichnet die Stube von Hauptmann Menger, Handtücher auf einer improvisierten Leine, die schweren Schuhe neben dem Gewehr und an der Wand drei Schwarz-weiß-Porträts mit dem schrägen schwarzen Balken oben rechts. „Das ist ein böser Tag gewesen“, tippt der Hauptmann in seinen Laptop. „Das ist ein Scheißkrieg hier. Aber das will ja keiner wahrhaben.“ Er geht hinaus und füttert Rambo, die Kompanieschildkröte, die sich in einem Rosenbeet versteckt.
Arne Jysch ist 38 und sagt, er habe sich bis 2007 für die Bundeswehr in Afghanistan nicht interessiert. „Mir ging’s wie vermutlich den meisten Deutschen.“ Erst nachdem er einen Exilafghanen kennengelernt hatte, fing Jysch an zu recherchieren. Er ist zwar nicht selbst nach Afghanistan gefahren, aber er hat mit mehreren Soldaten gesprochen.
Er arbeitet mit milden Aquarellfarben, Blau, Ocker, verwaschenes Grün. Explosionen und Gefühlsausbrüche, die in solchen Tönen gezeichnet werden, bleiben länger in Erinnerung. Anna packt bei einer Patrouillenfahrt ihre Kamera aus, fotografiert Kinder auf dem Basar. „Neutrale Bilder als embedded Journalist..? Ist das nicht ein bisschen naiv?“ fragt Marco. „Ist es nicht naiv“, fragt Anna zurück, „in einem Land, das fünftausend Kilometer weit weg ist, sein Leben für eine Mission ohne Ziel zu riskieren?“
Es prallen Welten aufeinander, Taliban auf die Bundeswehr, der ferne deutsche Alltag auf Kundus. Es ist das Jahr 2009, Osama bin Laden ist noch am Leben. Die Soldaten erzählen sich Witze: „Und womit fährt Bin Laden morgens zur Arbeit? – Na, mit der Taliban!“ Marco wird von den Taliban entführt. Hauptmann Menger skypt mit seiner Frau und Tochter, aber seine Ehe geht in die Brüche. Im Heimaturlaub kommt er nicht zurecht, schlägt einem Mann ins Gesicht, der Soldaten Mörder nennt. Er kehrt zurück nach Afghanistan, getarnt als Journalist „einer linksradikalen Zeitung“. Er schläft mit Anna, deren Küsse ihm Alkohol ersetzen, und lässt sich einen wilden Bart wachsen. Er begibt sich in die Tribal Areas. Er sucht nach dem verschleppten Marco.
TIM NESHITOV
Und womit fährt Bin Laden
morgens zur Arbeit?
Na, mit der Taliban!
Da prallen Welten aufeinander: Ausschnitt aus Arne Jyschs Graphic Novel „Wave and Smile“. Abb.: Carlsen Verlag
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„Das ist ein böser Tag gewesen“: Der Comic „Wave and Smile“ des Berliner Zeichners Arne Jysch schildert den Alltag deutscher Soldaten in Afghanistan
Als im Mai der US-amerikanische Kulturhistoriker Paul Fussel starb, hatte das angelsächsische Publikum einen Anlass, über das eigene Verhältnis zum Krieg nachzudenken. Fussel hatte 1975 den Klassiker „The Great War and Modern Memory“ geschrieben. Er analysierte darin Gedichte, Romane und Memoiren aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und schilderte, wie der Krieg die Erinnerungskultur in Europa und in den USA veränderte. „Der Krieg machte unsere Idee von Fortschritt rückgängig.“
Auch die Kriege des 21. Jahrhunderts verändern die Gesellschaften, die sie führen, unabhängig davon, ob man diese Kriege „Krieg“ nennt oder „Einsatz“. Der Afghanistan-Krieg, in dem bisher 27 deutsche Soldaten starben, hat in Deutschland keine neue Erinnerungskultur geschaffen, sondern höchstens eine Verdrängungskultur. Sollten Kulturhistoriker je über diese geistige Tektonik nachdenken, werden sie wohl auch den Comic „Wave and Smile“ des Berliner Zeichners und Regisseurs Arne Jysch berücksichtigen.
Es ist die erste Graphic Novel zum Isaf-Einsatz der Bundeswehr, und sie könnte sogar im Mittelpunkt einer kulturgeschichtlichen Analyse stehen, denn sonst hat der Krieg nicht viel Literatur hervorgebracht, sieht man von den Zeitzeugnissen zurückgekehrter Soldaten ab. Der Comic ist diese Woche im Carlsen Verlag erschienen. Auf 200 Seiten erzählt Jysch die Geschichte des Hauptmanns Menger, der Journalistin Anna und des Hauptfeldwebels Marco. Anna landet in Kundus und stellt sich vor: „Ich bin Anni, die neue Poolfotografin.“ – „Oh, einen Pool haben wir hier leider nicht“, antwortet Marco. Seine Einheit hat kürzlich bei einem Sprengstoff-Anschlag – „BROOM, TATATATAT, KRAWOMM“ – drei Kameraden verloren. Anna war noch nicht da, sie weiß noch sehr wenig. Es wird dauern, bevor sie und die Soldaten eine gemeinsame Sprache sprechen.
Arne Jysch zeichnet die Stube von Hauptmann Menger, Handtücher auf einer improvisierten Leine, die schweren Schuhe neben dem Gewehr und an der Wand drei Schwarz-weiß-Porträts mit dem schrägen schwarzen Balken oben rechts. „Das ist ein böser Tag gewesen“, tippt der Hauptmann in seinen Laptop. „Das ist ein Scheißkrieg hier. Aber das will ja keiner wahrhaben.“ Er geht hinaus und füttert Rambo, die Kompanieschildkröte, die sich in einem Rosenbeet versteckt.
Arne Jysch ist 38 und sagt, er habe sich bis 2007 für die Bundeswehr in Afghanistan nicht interessiert. „Mir ging’s wie vermutlich den meisten Deutschen.“ Erst nachdem er einen Exilafghanen kennengelernt hatte, fing Jysch an zu recherchieren. Er ist zwar nicht selbst nach Afghanistan gefahren, aber er hat mit mehreren Soldaten gesprochen.
Er arbeitet mit milden Aquarellfarben, Blau, Ocker, verwaschenes Grün. Explosionen und Gefühlsausbrüche, die in solchen Tönen gezeichnet werden, bleiben länger in Erinnerung. Anna packt bei einer Patrouillenfahrt ihre Kamera aus, fotografiert Kinder auf dem Basar. „Neutrale Bilder als embedded Journalist..? Ist das nicht ein bisschen naiv?“ fragt Marco. „Ist es nicht naiv“, fragt Anna zurück, „in einem Land, das fünftausend Kilometer weit weg ist, sein Leben für eine Mission ohne Ziel zu riskieren?“
Es prallen Welten aufeinander, Taliban auf die Bundeswehr, der ferne deutsche Alltag auf Kundus. Es ist das Jahr 2009, Osama bin Laden ist noch am Leben. Die Soldaten erzählen sich Witze: „Und womit fährt Bin Laden morgens zur Arbeit? – Na, mit der Taliban!“ Marco wird von den Taliban entführt. Hauptmann Menger skypt mit seiner Frau und Tochter, aber seine Ehe geht in die Brüche. Im Heimaturlaub kommt er nicht zurecht, schlägt einem Mann ins Gesicht, der Soldaten Mörder nennt. Er kehrt zurück nach Afghanistan, getarnt als Journalist „einer linksradikalen Zeitung“. Er schläft mit Anna, deren Küsse ihm Alkohol ersetzen, und lässt sich einen wilden Bart wachsen. Er begibt sich in die Tribal Areas. Er sucht nach dem verschleppten Marco.
TIM NESHITOV
Und womit fährt Bin Laden
morgens zur Arbeit?
Na, mit der Taliban!
Da prallen Welten aufeinander: Ausschnitt aus Arne Jyschs Graphic Novel „Wave and Smile“. Abb.: Carlsen Verlag
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"Arne Jysch ist ein großer Wurf gelungen.", DER TAGESSPIEGEL, Michael Schmidt, 04.07.2012