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Die meisten Menschen werden durch die Familie geprägt, in die sie hineingeboren wurden. Das bedeutet für den Erwachsenen dann häufig Unfreiheit und Zwang. Mögliche Wege in die innere Freiheit beschreibt Alice Miller in Form von sieben fiktiven Geschichten. "Indem wir auf die Suche nach der Wahrheit verzichten, retten wir die Liebe nicht, auch nicht die Liebe zu unseren Eltern. Der Akt der Verzeihung hilft uns nicht, solange er das Geschehene verschleiert... Aus der Unwahrheit, der Leugnung des Leidens in der eigenen Vergangenheit, ist der auf Unschuldige verschobene Haß geboren... Wahre Liebe erträgt die Wahrheit."…mehr

Produktbeschreibung
Die meisten Menschen werden durch die Familie geprägt, in die sie hineingeboren wurden. Das bedeutet für den Erwachsenen dann häufig Unfreiheit und Zwang. Mögliche Wege in die innere Freiheit beschreibt Alice Miller in Form von sieben fiktiven Geschichten. "Indem wir auf die Suche nach der Wahrheit verzichten, retten wir die Liebe nicht, auch nicht die Liebe zu unseren Eltern. Der Akt der Verzeihung hilft uns nicht, solange er das Geschehene verschleiert... Aus der Unwahrheit, der Leugnung des Leidens in der eigenen Vergangenheit, ist der auf Unschuldige verschobene Haß geboren... Wahre Liebe erträgt die Wahrheit."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.1998

Ich bin froh, daß du fragst
Alles ganz einfach: Alice Miller im Wunderland der Fiktion

Was hält den Menschen im Innersten zusammen? Wie funktioniert unsere Psyche? Was sollen wir tun? Wenden Sie sich an Frau Alice Miller, sie berät in Fragen der Seelenzergliederung. Seit zwanzig Jahren widmet sich die Erfolgsautorin dieser Aufgabe, und zum erstenmal wählt sie fiktive Geschichten zur Verbreitung ihrer psychoanalytischen Einsichten.

Es sind Exempelgeschichten, und sie transportieren vorwiegend sittliche Lehren; Alice Miller lehrt den Grundsatz, wonach der psychischen Störung im Erwachsenenalter ein unverarbeitetes kindliches Trauma zugrunde liegt. Über die Verbreitung dieser Annahme hinaus, die Miller seit ihrem ersten Buch, dem "Drama des begabten Kindes", vertritt, haben die Geschichten keine Bedeutung. In ihnen bewegen sich Figuren, die jenseits psychoanalytisch relevanter Merkmale keine Eigenschaften haben, Gliederpuppen, die sich gegenseitig therapieren, sonst aber wenig Regung zeigen. Dabei verwenden sie eine künstliche Sprache. Das wäre nicht weiter beunruhigend, wenn die Autorin nicht Analytikerin wäre, die sich über vier Jahrzehnte hinweg mit Menschen beschäftigt hat. Hört Miller nicht hin? Oder konstruiert sie Menschen nach ihrem Bilde?

Da ist beispielsweise die Geschichte von Claudia und Daniel. Als Studenten ein Paar, treffen sie sich dreißig Jahre später wieder. Beide sind Therapeuten und blicken auf gescheiterte Ehen zurück. "Ich habe nie verstanden, warum du ausgerechnet Max geheiratet hast", sagt Daniel. "Die Erklärung liegt vermutlich in deiner Kindheit. Ich möchte heute mehr über dich erfahren, über deine Kindheit und deine Ehe mit Max, den ich ja kannte." "Ich bin froh, daß du mir diese Frage stellst", antwortet Claudia. "Damals liebte ich dich wirklich, und ich träumte schon lange davon, dir alles zu erzählen." So locker geht es zu, wenn alte Freunde sich wiedertreffen. Claudias Mann war zu einer "warmherzigen Kommunikation" nicht fähig, da er dem traurigen Kind in sich kein Leben zugestand; sie litt als Kind an den Ansprüchen ihrer Eltern. Da mußte die Ehe scheitern, auch die Beziehung zur Tochter: "Was meine Geschichte mit Carla betrifft, so sehe ich sie heute als die Konsequenz meiner sprachlosen Kindheit und meiner Situation in der Ehe." Dem schließt Daniel eine Selbstanalyse an. "Wir konnten einiges aus unserer gemeinsamen Vergangenheit klären und verstehen uns heute besser als früher."

Die sieben Exempelgeschichten treten wohl aus Angst vor dem schillernden Charakter von Literatur so bemerkenswert unliterarisch auf. Ästhetische Vieldeutigkeit kann nur stören, wenn eine einzige Wahrheit vermittelt werden soll. Sie dienen aber nicht nur der Belehrung und Bekehrung, sondern sind, wiederum ihren aufklärerischen Vorläufern ähnlich, auch die Basis für "Reflexionen", die am Schluß des Buches stehen. Im letzten Kapitel werden Haß, Genozide, Führer und Gurus erklärt.

Hitlers Wahn wurzelt in seiner Kindheit: "Wenn man weiß, daß Hitler von seinem Vater schwer gequält, erniedrigt und verspottet wurde, und wenn man zudem weiß, daß er seine wahren Emotionen ihm gegenüber verleugnete, springen einem die Quellen seines Hasses ins Auge." Ähnliches konnte man bei Alice Miller schon Anfang der achtziger Jahre lesen. Seinen frühkindlichen Haß auf den Vater verschiebt Hitler auf die Juden. Das erklärt Miller mit der Rolle, die ein jüdischer Kaufmann in der Familiengeschichte spielte. Er sorgte für Spekulationen über eine jüdische Herkunft des Vaters, die diesen quälten. So entwickelte der Vater seinen problematischen Charakter, unter dem Hitler litt. "Von da aus gibt es im Bewußtsein eines zornigen und verwirrten Kindes nur einen Schritt zum Gedanken, man müßte alle Juden ausrotten." Einen Schritt? So wird eine historisch nicht nachgewiesene Prägung der Kindheit in willkürlicher Weise mit späteren Handlungen kurzgeschlossen. Und der fruchtbare Boden, den Hitlers Judenhaß fand? Den erklärt Miller mit den Erziehungsmethoden der "schwarzen Pädagogik". Die Kinder des Wilhelminismus wurden durch diese Pädagogik geprägt; später suchten sie "Sündenböcke" für die verdrängten Haßgefühle gegen ihre Eltern; sie fanden sie in den Juden. Für Miller hat jeder Mensch, der zur Zeit der Erziehungstraktate von Daniel Gottlieb Moritz Schreber lebte, ein kindliches Trauma, das er später auslebte als Täter oder Mitläufer. Aber nicht nur Hitler wird monokausal behandelt. Stalin, Mao, Terroristen und Gurus funktionieren nach dem gleichen Muster. Sie waren ein Opfer ihrer Erziehung und wurden dadurch, daß sie diese nicht bewältigten, zu Tätern. "Mao wurde von seinem Vater regelmäßig ausgepeitscht und ließ dreißig Millionen Menschen sterben, um keine Wut auf seinen Vater aufkommen zu lassen."

Wo Gewalt mit einer Formel erklärt wird, muß man die Formel nur umstellen, um die Welt zu verbessern. Alice Miller glaubt, die weltweiten Übel ließen sich durch das Eingehen auf frühkindliche Bedürfnisse eindämmen. Sie läßt den Leser glauben, ihre Ansicht würde von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gestützt. Die Frage aber, welche Faktoren im frühkindlichen Erleben unter welchen Umständen zu psychischen Störungen führen, ist umstritten. Alice Miller ist sich sicher, daß Haß kein "Naturereignis" ist, sondern eine Folge falscher Erziehung und durch Aufklärung zu überwinden: "Zum Glück soll es Völker geben, die nie Krieg führen. Man sagt, sie würden ihre Kinder achten. Angeblich lassen sie sich ihre Träume erzählen und ermutigen sie zur Offenheit. Denn wenn die Berichte stimmen, würden wir von Informationen über den Ursprung ihrer Friedfertigkeit sehr viel lernen können." Von der im letzten Jahrzehnt stärker gewordenen anthropologischen Skepsis hat sie wenig wahrgenommen, wenig auch von älteren Skeptikern. Freud bekennt in einem Brief an Einstein von 1932, es habe "keine Aussicht, die aggressiven Neigungen der Menschen abschaffen zu wollen". Er fährt in geradezu Hobbesscher Weise fort, das wirksamste Mittel zur Vermeidung von Gewaltanwendung sei die Übertragung der Macht an eine größere Einheit. "Die Gesetze dieser Vereinigung bestimmen dann, auf welches Maß von persönlicher Freiheit, seine Kraft als Gewalt anzuwenden, der Einzelne verzichten muß, um ein gesichertes Zusammenleben zu ermöglichen." Man sollte sich besser von Doktor Freud beraten lassen. SANDRA KERSCHBAUMER

Alice Miller: "Wege des Lebens". Sieben Geschichten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 295 S., geb., 42,- DM.

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