Wahrnehmungen, Gebrauchsweisen und sozioökonomische Folgen der Computernutzung bis zum Aufkommen des PCs.Die Verbreitung des Computers zählt zu den wichtigsten Veränderungen der jüngeren Zeitgeschichte. Bereits seit Mitte der 1950er Jahre setzten zunächst große Unternehmen und Behörden, dann auch das Militär und Sicherheitsdienste zunehmend Computer ein. Die Zeitgenossen diskutierten intensiv die Auswirkungen der Computernutzung und bewerteten sie als einen tiefgreifenden Umbruch. Dennoch hat sich die Zeitgeschichtsforschung bislang kaum mit dem Beginn des digitalen Zeitalters beschäftigt.Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes untersuchen die Verbindungen zwischen technischem und gesellschaftlichem Wandel als einen evolutionären Prozess, der selten gradlinig verlief. Klassische Themen der Zeitgeschichtsforschung, wie die Geschichte der Inneren Sicherheit, des Wohlfahrtsstaats und des Bankenwesens, der Arbeitswelt, der Verwaltung, aber auch von Protest- und Subkulturen werden auf diese Weise neu betrachtet. Dabei wird aufgezeigt, inwieweit Computer die Kontroll-, Betriebs- und Machtgefüge veränderten. Die Bundesrepublik steht im Vordergrund, jedoch mit vielfältigen Seitenblicken auf grenzübergreifende Verflechtungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2019Zusammenprall der Welten
Seit den sechziger Jahren begegnen sich Mensch und Computer. Zwei Bücher gehen der Frage nach, wer an dieser exklusiven Geschichte einer digitalen Gesellschaft mitschrieb - und wie.
Von den Leuten lässt sich vieles sagen. Dass sie Angst haben, zum Beispiel, ihre Möglichkeiten unterschätzen oder Warnungen ignorieren. Leute sind ganz einfach die anderen. Jedenfalls würde niemand, der über Leute spricht, sich selber meinen. Ernst nehmen wird man Leute erst, wenn sie zu sprechen beginnen. Auch von Computern lässt sich vieles sagen. Sie machen Angst, zum Beispiel, ihre Möglichkeiten werden unterschätzt, und man neigt dazu, ihre Warnungen zu ignorieren. Computer sind ganz einfach das andere. Ernsthafte Schwierigkeiten machen sie, seit sie ordnen, suchen, rechnen, kommunizieren und entscheiden können und in jüngster Zeit selbständig zu lernen begonnen haben.
Was aber passiert, wenn jemand eine Computergeschichte der Leute schreibt? Joy Lisi Rankin macht in ihrer "People's History of Computing" deutlich, dass beim Zusammenprall von Computer und Leuten viel geschehen ist und sich auch im Nachhinein viel beobachten lässt. Das hat Folgen für die Geschichte. Denn Leute und Computer begegneten sich schon in den sechziger Jahren und nicht ein Vierteljahrhundert später, als der Mac zum Vehikel der "kalifornischen Mythologie" stilisiert wurde. Glücklicherweise liefert Rankin ihrer Leserschaft nicht einfach Gegenfiguren. Ihr Programm setzt nicht auf Frauen statt Männer, auf Unterschicht statt Mittelschicht oder auf Konsumenten statt Militärs. Auch bei Rankin sind die Leute, die sich mit Rechnern beschäftigten, vorwiegend jung, weiß, reich und männlich. Aber ihre "computing citizens" sind keine Helden.
Als mögliche Mitglieder einer zukünftigen amerikanischen Elite treffen sie in den Mathematikvorlesungen des Dartmouth College gleich zu Beginn ihres Studiums auf das pädagogisch-infrastrukturelle Programm eines rudimentären Time-Sharing-System, das weiterzuentwickeln von ihnen im Unterricht verlangt wird. Und sie programmieren, fast möchte man sagen: als Autorenkollektiv, in einer grundsätzlich einfachen Sprache mit dem tollen Namen BASIC, dem Beginners' All-purpose Symbolic Instruction Code.
Es sind diese Kids, die mit ihren Lehrern zusammen Regeln des Zugangs und des Umgangs der Nutzergemeinschaft bestimmten, die Maschinen pflegten und für sich und ihre Kollegen stabile Programmroutinen entwickelten. Die Programme zur Lösung arithmetischer Aufgaben legten sie in Programmbibliotheken ab; ihre Spiele stabilisierten im mikrodevianten Modus eine einfältige Machokultur hochbegabter Jungs aus reichem Haus.
Dabei ging es "natürlich" um FOOTBALL, POKER und das Abfeuern von Salven mit SALVO42, es ging um einen schnell verfügbaren RACECHECK und den RACEMYTH, weil Rassenzugehörigkeit gerade wieder höchst konfliktträchtig geworden war, und der recht nützliche Algolcompiler der Studenten wurde für so wild und brutal gehalten, dass man ihn in martialischer Referenz auf ein indianisches Gewaltstereotyp SCALPS nannte. Dabei ging es, so Rankin, immer auch ums Aufschneiden gegenüber den Mädchen: keine Briefmarkensammlung mehr zu zeigen, dafür aber raffinierten Code geschrieben, notfalls nachts an einer der letzten freien Teletypestationen.
Rankins Buch ist eine wohltuend kritische Studie. Es zeigt, wie die Leute, die in den sechziger Jahren mit Computern verbunden waren, eine digitale Gesellschaft geschaffen haben, die in ihrer ganzen Exklusivität schnell auch andere Leute benachbarter und weit entfernter Colleges mit einschloss, eine eigene Sprache, eigene Kommunikationsregeln, Verhaltenscodes und Dokumentationsformen entwickelte. Rankin erklärt, wie dabei ganz selbstverständlich Werte und Normen einer elitären, männlich dominierten Mittelschicht in die Betriebsweise und Nutzungsform von Rechnern eingepflegt wurden. Kein Heldennarrativ, kein Opferdiskurs, sondern schlicht und einfach: Gesellschaft. Also beflissene und privilegierte Jungen mit neuem, ernstem Spielzeug.
Die Computergeschichte der Leute verdeutlicht, wie viel Arbeit damit verbunden war, die Welt in den Computer zu bringen. Mit einem Sammelband zur Sozialgeschichte des Computers hat sich fast gleichzeitig, aber ganz anders, Frank Bösch zu Wort gemeldet. Hier geht es um Computernutzung in der Bundesrepublik zwischen 1955 und 1990, vor allem aber um die Auswirkungen des Computereinsatzes. Fast alle Beiträge behandeln die Folgen von Maschinen, die im Prinzip immer schon da sind, nicht nur als Versprechen und Drohung, sondern als sauber definierte Apparate, die als "speicherprogrammierbare, binärdigitale elektronische Geräte zur Datenverarbeitung" zu verstehen sind.
Folgen für Sicherheit, Demokratie und Transparenz (Jens Wegener) werden untersucht, Folgen für den polizeilichen Zugriff auf nichtpolizeiliche Datenspeicher (Rüdiger Bergien) oder Folgen für die Verwaltung, Forschung und die Führungssysteme der Bundeswehr (Janine Funke). Digitalisiert oder computerisiert werden die Rentenversicherung, die Bankenwelt und die kommunale Versorgung oder das Schachspiel (Martina Hessler). Die Heimcomputer verbreiten sich und werden von der Post gebremst. Aber sie kommen.
Was Joy Lisi Rankin in einer Monographie und Frank Bösch in einem Sammelband präsentieren, unterscheidet sich nicht durch ihre Wahl des Ausschnitts aus der Computergeschichte. Sie unterscheiden sich auch nicht in ihrem Interesse für das Thema "Gesellschaft und Computer". Aber sie unterscheiden sich hinsichtlich der Frage, was historisch zur Disposition gestanden hat, was sich ändern ließ und was gegeben war. Während Rankin die Arbeit der College-Studierenden am Computer als aufwendige Arbeit der "computer citizens" an ihrer Gesellschaft deutet, behandeln die Texte des Sammelbands einen Prozess der Technisierung der Gesellschaft, der wenn überhaupt dann durch Hacker zu stören und durch Monopolisten zu verzögern war, im Wesentlichen aber unausweichlich war und Anpassungen notwendig machte. Es ist für die Digitalisierungsdebatte durchaus nützlich, diesen Unterschied zwischen gesellschaftlicher Konstruktion mit Technik und gesellschaftlicher Reaktion auf Technik im Kopf zu behalten.
DAVID GUGERLI
Joy Lisi Rankin: "Ready".
A People's History of Computing in the United States.
Harvard University Press, Cambridge, London 2018. 336 S., Abb., geb., 27,- [Euro].
Frank Bösch: "Wege in die digitale Gesellschaft". Computernutzung in der Bundesrepublik 1955-1990.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 326 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
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Seit den sechziger Jahren begegnen sich Mensch und Computer. Zwei Bücher gehen der Frage nach, wer an dieser exklusiven Geschichte einer digitalen Gesellschaft mitschrieb - und wie.
Von den Leuten lässt sich vieles sagen. Dass sie Angst haben, zum Beispiel, ihre Möglichkeiten unterschätzen oder Warnungen ignorieren. Leute sind ganz einfach die anderen. Jedenfalls würde niemand, der über Leute spricht, sich selber meinen. Ernst nehmen wird man Leute erst, wenn sie zu sprechen beginnen. Auch von Computern lässt sich vieles sagen. Sie machen Angst, zum Beispiel, ihre Möglichkeiten werden unterschätzt, und man neigt dazu, ihre Warnungen zu ignorieren. Computer sind ganz einfach das andere. Ernsthafte Schwierigkeiten machen sie, seit sie ordnen, suchen, rechnen, kommunizieren und entscheiden können und in jüngster Zeit selbständig zu lernen begonnen haben.
Was aber passiert, wenn jemand eine Computergeschichte der Leute schreibt? Joy Lisi Rankin macht in ihrer "People's History of Computing" deutlich, dass beim Zusammenprall von Computer und Leuten viel geschehen ist und sich auch im Nachhinein viel beobachten lässt. Das hat Folgen für die Geschichte. Denn Leute und Computer begegneten sich schon in den sechziger Jahren und nicht ein Vierteljahrhundert später, als der Mac zum Vehikel der "kalifornischen Mythologie" stilisiert wurde. Glücklicherweise liefert Rankin ihrer Leserschaft nicht einfach Gegenfiguren. Ihr Programm setzt nicht auf Frauen statt Männer, auf Unterschicht statt Mittelschicht oder auf Konsumenten statt Militärs. Auch bei Rankin sind die Leute, die sich mit Rechnern beschäftigten, vorwiegend jung, weiß, reich und männlich. Aber ihre "computing citizens" sind keine Helden.
Als mögliche Mitglieder einer zukünftigen amerikanischen Elite treffen sie in den Mathematikvorlesungen des Dartmouth College gleich zu Beginn ihres Studiums auf das pädagogisch-infrastrukturelle Programm eines rudimentären Time-Sharing-System, das weiterzuentwickeln von ihnen im Unterricht verlangt wird. Und sie programmieren, fast möchte man sagen: als Autorenkollektiv, in einer grundsätzlich einfachen Sprache mit dem tollen Namen BASIC, dem Beginners' All-purpose Symbolic Instruction Code.
Es sind diese Kids, die mit ihren Lehrern zusammen Regeln des Zugangs und des Umgangs der Nutzergemeinschaft bestimmten, die Maschinen pflegten und für sich und ihre Kollegen stabile Programmroutinen entwickelten. Die Programme zur Lösung arithmetischer Aufgaben legten sie in Programmbibliotheken ab; ihre Spiele stabilisierten im mikrodevianten Modus eine einfältige Machokultur hochbegabter Jungs aus reichem Haus.
Dabei ging es "natürlich" um FOOTBALL, POKER und das Abfeuern von Salven mit SALVO42, es ging um einen schnell verfügbaren RACECHECK und den RACEMYTH, weil Rassenzugehörigkeit gerade wieder höchst konfliktträchtig geworden war, und der recht nützliche Algolcompiler der Studenten wurde für so wild und brutal gehalten, dass man ihn in martialischer Referenz auf ein indianisches Gewaltstereotyp SCALPS nannte. Dabei ging es, so Rankin, immer auch ums Aufschneiden gegenüber den Mädchen: keine Briefmarkensammlung mehr zu zeigen, dafür aber raffinierten Code geschrieben, notfalls nachts an einer der letzten freien Teletypestationen.
Rankins Buch ist eine wohltuend kritische Studie. Es zeigt, wie die Leute, die in den sechziger Jahren mit Computern verbunden waren, eine digitale Gesellschaft geschaffen haben, die in ihrer ganzen Exklusivität schnell auch andere Leute benachbarter und weit entfernter Colleges mit einschloss, eine eigene Sprache, eigene Kommunikationsregeln, Verhaltenscodes und Dokumentationsformen entwickelte. Rankin erklärt, wie dabei ganz selbstverständlich Werte und Normen einer elitären, männlich dominierten Mittelschicht in die Betriebsweise und Nutzungsform von Rechnern eingepflegt wurden. Kein Heldennarrativ, kein Opferdiskurs, sondern schlicht und einfach: Gesellschaft. Also beflissene und privilegierte Jungen mit neuem, ernstem Spielzeug.
Die Computergeschichte der Leute verdeutlicht, wie viel Arbeit damit verbunden war, die Welt in den Computer zu bringen. Mit einem Sammelband zur Sozialgeschichte des Computers hat sich fast gleichzeitig, aber ganz anders, Frank Bösch zu Wort gemeldet. Hier geht es um Computernutzung in der Bundesrepublik zwischen 1955 und 1990, vor allem aber um die Auswirkungen des Computereinsatzes. Fast alle Beiträge behandeln die Folgen von Maschinen, die im Prinzip immer schon da sind, nicht nur als Versprechen und Drohung, sondern als sauber definierte Apparate, die als "speicherprogrammierbare, binärdigitale elektronische Geräte zur Datenverarbeitung" zu verstehen sind.
Folgen für Sicherheit, Demokratie und Transparenz (Jens Wegener) werden untersucht, Folgen für den polizeilichen Zugriff auf nichtpolizeiliche Datenspeicher (Rüdiger Bergien) oder Folgen für die Verwaltung, Forschung und die Führungssysteme der Bundeswehr (Janine Funke). Digitalisiert oder computerisiert werden die Rentenversicherung, die Bankenwelt und die kommunale Versorgung oder das Schachspiel (Martina Hessler). Die Heimcomputer verbreiten sich und werden von der Post gebremst. Aber sie kommen.
Was Joy Lisi Rankin in einer Monographie und Frank Bösch in einem Sammelband präsentieren, unterscheidet sich nicht durch ihre Wahl des Ausschnitts aus der Computergeschichte. Sie unterscheiden sich auch nicht in ihrem Interesse für das Thema "Gesellschaft und Computer". Aber sie unterscheiden sich hinsichtlich der Frage, was historisch zur Disposition gestanden hat, was sich ändern ließ und was gegeben war. Während Rankin die Arbeit der College-Studierenden am Computer als aufwendige Arbeit der "computer citizens" an ihrer Gesellschaft deutet, behandeln die Texte des Sammelbands einen Prozess der Technisierung der Gesellschaft, der wenn überhaupt dann durch Hacker zu stören und durch Monopolisten zu verzögern war, im Wesentlichen aber unausweichlich war und Anpassungen notwendig machte. Es ist für die Digitalisierungsdebatte durchaus nützlich, diesen Unterschied zwischen gesellschaftlicher Konstruktion mit Technik und gesellschaftlicher Reaktion auf Technik im Kopf zu behalten.
DAVID GUGERLI
Joy Lisi Rankin: "Ready".
A People's History of Computing in the United States.
Harvard University Press, Cambridge, London 2018. 336 S., Abb., geb., 27,- [Euro].
Frank Bösch: "Wege in die digitale Gesellschaft". Computernutzung in der Bundesrepublik 1955-1990.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 326 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
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»durchweg auf hohem Niveau geschriebene und gut lesbaren Beiträge« (Gerulf Hirt, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Heft 1/2019) »Ein inspirierendes Panorama, von dem sich gerade medienwissenschaftlich informierte Leser_innen angesprochen fühlen dürfen.« (Stefan Udelhofen, Medienwissenschaft 4/2019) »The volume is a must-read for anyone interested in data security, automation, and the internationalization of computing.« (Corinna Schlombs, Technology an Culture, Vol. 61, Nr. 4, October 2020)