Daß schon der Weg das Ziel sei - dieses schöne Wort kann für ein Ziel nicht gelten: für Rom. Denn wenn sprichwörtlich alle Wege nach Rom führen, muß das Ziel ein besonderes, ein unvergleichliches sein. Und viele Besucher der Stadt mögen bei ihrer Ankunft ähnlich empfunden haben wie Johann Joachim Winckelmann: "Alles ist nichts gegen Rom." Arnold Eschs Rom-Studien erkunden jene Wege, die zur Ewigen Stadt führen, in einem ganz wörtlichen Sinne.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Arnold Eschs Aufsatzband "Wege nach Rom. Annäherungen aus zehn Jahrhunderten" hat Rezensentin Christine Tauber rundum überzeugt. Noch an kleinsten Detailbeobachtungen kristallisierten sich bei Esch Einsichten von "welthistorischer Bedeutung": die Asymmetrie von Selbst- und Fremdwahrnehmung, wirtschaftliche Konjunkturen, neue Einsichten über die Rolle des Papsttums oder generelle Überlegungen zum Verhältnis von Zentrum und Peripherie. Eschs "große Stärke" sieht Tauber in seiner Fähigkeit, Geschichte besonders lebendig darzustellen: Rom bleibe nicht der "abstrakte Schnittpunkt universalgeschichtlicher Kräftelinien", sondern wimmele plötzlich von interessanten Gestalten und Individuen. Tauber hebt hervor, dass Esch mit seiner jahrzehntelangen römischen Erfahrung eine "besondere Sensibilität für "palimpsestartige Quellen" entwickelt habe. Spolien, Graffiti, Fahrrinnen im römischen Pflaster und sprechende Straßennamen haben es ihm besonders angetan. Den Phantasiereichtum, den der Autor hier an den Tag legt, lobt Tauber als "unerschöpflich": ein Blick in den Opferstock für den Hauptaltar von St. Peter erschließe ihm Pilgerfrequenzen ebenso wie die Statistik des Weinkonsums um 1470. Insgesamt zeichnen sich Eschs "Annäherungen" an Rom zur Freude der Rezensentin durch eine "tiefe Menschlichkeit" aus.
© Perlentaucher Medien GmbH"
© Perlentaucher Medien GmbH"
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2017Nepotismus hat auch seine guten Seiten
Ein Führer durch die Ewige Stadt, wie man sich ihn kaum besser wünschen kann: Arnold Esch erzählt die Geschichte Roms und der Päpste im Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance.
Zu Weihnachten des Jahres 1468 reiste der deutsche Kaiser Friedrich III. als Gast von Papst Paul II. nach Rom. Sein Gefolge bestand aus 320 Personen mit 396 Pferden, die auf 27 Hotels aller Kategorien verteilt wurden. Im "Galea" an der Engelsbrücke waren 29 Mann mit 26 Pferden untergebracht. Als sie in der zweiten Januarwoche wieder aufbrachen, hatten sie den Weinkeller des "Galea" leer getrunken. Zur Auffüllung kaufte der Hotelwirt achteinhalb botte oder 4460 Liter Importwein. Viertausendvierhundertsechzig!
Die Frage, wie viertausend Liter Wein in drei Wochen durch die Mägen von dreißig deutschen Rittern laufen konnten, ist nur eins von vielen Schmankerln, die Arnold Eschs Buch über die Stadt der Päpste im fünfzehnten Jahrhundert bereithält. Der Autor, langjähriger Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Rom und eminenter Kenner der Geschichte, Kultur und Landschaft Mittelitaliens, hat seine Leser schon auf viele Reisen in die Welt des Mittelalters und der frühen Neuzeit mitgenommen, und auch in seinem neuen Rom-Panorama erweist er sich als ebenso sprachgewandter wie allwissender Cicerone.
Wenn sich in die Freude über dieses Buch dennoch ein leises Bedauern mischt, liegt das weniger an einem Fehler des Autors als an einem Versäumnis des Verlags. Eschs "Rom" ist ersichtlich aus Einzelstudien zusammengefügt, von denen jede zum Grundstock eines eigenen Buchs hätte werden können - über die Kunst und Architektur, den Humanismus, den Papsthof oder den Lebensalltag im Rom der Frührenaissance. Die Klammer aber, die alle diese Aspekte zusammenhält, die Geschichte der Päpste von Urban VI. bis zu Sixtus IV., ist weniger stark geschmiedet, als es dem Stoff guttut. Fast scheint es, als hätte Esch den Vergleich mit seinem Vorbild Ferdinand Gregorovius vermeiden wollen, dessen zu Unrecht vergessene "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" immer wieder wie durch ein Palimpsest durch die Seiten dieses Buchs hindurchschimmert.
Bei Gregorovius beginnt die Renaissance in Rom mit der Ankunft Martins V. im Jahr 1420 nach seiner Wahl zum Papst auf dem Konzil in Konstanz, und im Grunde setzt auch Eschs historische Erzählung mit diesem Datum ein - auch wenn er in zwei langen Eingangskapiteln auf die Vorgeschichte zurückblickt, den Aufstand Cola di Rienzos, das Schisma, den Kampf der Stadtrömer um ihre Freiheit. Martin V., ein Spross des Hauses Colonna, macht mit der aufmüpfigen Kommune kurzen Prozess, er zementiert die Papstherrschaft im Kirchenstaat und setzt den Nepotismus seiner Vorgänger ungehemmt fort. Ebendamit, so Esch, schafft er die Voraussetzungen für die Wiedergeburt Roms im Zeichen der Renaissance.
Die Ewige Stadt ist kein schöner Ort in dieser Zeit. Ihre Straßen, Schauplatz blutiger Sippenkämpfe, sind verödet, ehrwürdige Kirchen dienen als Pferdeställe, die alte Basilika von St. Peter ist "ganz und gar verlassen und aufgegeben", wie ein Chronist schreibt. Der neue Papst lässt die allerdringendsten Reparaturen ausführen: am Pantheon und im Lateran, an St. Peter, S. Maria Maggiore und S. Paolo fuori le mura. Sein Nachfolger, Eugen IV., der als Opfer der letzten großen Bürgerrevolte gegen die Papstherrschaft neun Jahre in Florenz lebt, holt dann die Humanisten nach Rom, und dessen Nachfolger, Nikolaus V. gründet die Vatikanische Bibliothek. Binnen weniger Jahre wird die verfallene Kleinstadt zum Hort der Gelehrsamkeit, und unter Pius II. (1458 bis 1464) kommen endlich auch die Künstler in Scharen nach Rom. Ihr glanzvolles Wirken, zeigt Arnold Esch, ist die Folge ebenjenes Nepotismus, der unser Bild des Papsttums vor der Reformation verdunkelt: In einer Wahlmonarchie, wie sie im Vatikan bis heute besteht, konnte der Regent seine Macht nur befestigen, indem er Familienmitglieder mit Pfründen versorgte. Diese wiederum setzten, mangels Möglichkeiten zu kriegerischer Betätigung, ihre Ruhmgier in Kunstwerke, opulente Feste und luxuriöse Grabmäler um. Wir sollten, so Esch, "große Mäzene nicht auf unsere Ebene herunterziehen, sondern uns an ihrer Größe freuen". Honi soit qui mal y pense.
Die vordere Innenseite des Einbands von "Rom" zeigt eine Karte des Stadtzentrums um 1500, mit den Palästen, Türmen und Kirchen der spätmittelalterlichen Papst- und den Trümmerresten der antiken Kaiserstadt. Das entspricht dem topographischen Denken Eschs, der historische Prozesse anhand von Veränderungen im Stadtbild beschreibt. Eine der schönsten Passagen des Buches handelt vom Umbau der Piazza Navona, die durch die Verlegung ihrer Häuserfassaden von der Außen- an die Innenseite regelrecht "umgestülpt" (Esch) wurde. Durch Paul II., dessen Familienpalast an der Stelle des heutigen Palazzo Venezia stand, wurde die Gegend an der Nordwestecke des Kapitols zum Zentrum urbanen Lebens. Sixtus II., sein Nachfolger, errichtete die Sixtinische Kapelle und den Ponte Sisto und legte die Via Sistina an, die den Vatikan an die nördliche Altstadt anschloss. Die Renaissancepäpste aus den Häusern Borgia und della Rovere waren zu jener Zeit längst Kardinäle, sie warteten nur auf ihre Chance, das begonnene Werk fortzusetzen.
Im Gleichtakt mit der Kultur blühte die Ökonomie der Stadt auf, die in den Jahrzehnten des Schismas zur Subsistenzwirtschaft herabgesunken war. Deutsche Bäcker und Drucker kamen nach Rom, französische Tuchhändler, spanische Schwertmacher, vor allem aber florentinische Kaufleute, die über ihr weitverzweigtes Kontor- und Bankennetz die Einnahmen der Kirche aus ganz Europa an den Tiber leiteten. Nicht nur die Kunst, auch das Finanzsystem der Päpste stammte aus Florenz, und so erscheint es nur konsequent, dass auch die Hochrenaissance mit einem Florentiner beginnt: Michelangelo Buonarroti, der im Juni 1496 die Stadt betritt.
Mit seiner Ankunft in Rom schließt sich der Bogen dieser Darstellung. Arnold Esch hat ein Jahrhundertfresko gemalt, das sich zwar nicht im Umfang, wohl aber in der Weite des Blicks undin der souveränen Durchdringung der Quellen mit Fernand Braudels klassischer Studie über die Mittelmeer-Welt vergleichen lässt. Nur das letzte Finish, die nahtlose Verbindung von Kultur- und Ereignisgeschichte, ist Eschs "Rom" verwehrt geblieben. Aber auch so ist es ein großes, wegweisendes Buch.
ANDREAS KILB.
Arnold Esch: "Rom". Vom Mittelalter zur Renaissance. 1378-1484.
Verlag C. H. Beck, München 2016. 410 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Führer durch die Ewige Stadt, wie man sich ihn kaum besser wünschen kann: Arnold Esch erzählt die Geschichte Roms und der Päpste im Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance.
Zu Weihnachten des Jahres 1468 reiste der deutsche Kaiser Friedrich III. als Gast von Papst Paul II. nach Rom. Sein Gefolge bestand aus 320 Personen mit 396 Pferden, die auf 27 Hotels aller Kategorien verteilt wurden. Im "Galea" an der Engelsbrücke waren 29 Mann mit 26 Pferden untergebracht. Als sie in der zweiten Januarwoche wieder aufbrachen, hatten sie den Weinkeller des "Galea" leer getrunken. Zur Auffüllung kaufte der Hotelwirt achteinhalb botte oder 4460 Liter Importwein. Viertausendvierhundertsechzig!
Die Frage, wie viertausend Liter Wein in drei Wochen durch die Mägen von dreißig deutschen Rittern laufen konnten, ist nur eins von vielen Schmankerln, die Arnold Eschs Buch über die Stadt der Päpste im fünfzehnten Jahrhundert bereithält. Der Autor, langjähriger Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Rom und eminenter Kenner der Geschichte, Kultur und Landschaft Mittelitaliens, hat seine Leser schon auf viele Reisen in die Welt des Mittelalters und der frühen Neuzeit mitgenommen, und auch in seinem neuen Rom-Panorama erweist er sich als ebenso sprachgewandter wie allwissender Cicerone.
Wenn sich in die Freude über dieses Buch dennoch ein leises Bedauern mischt, liegt das weniger an einem Fehler des Autors als an einem Versäumnis des Verlags. Eschs "Rom" ist ersichtlich aus Einzelstudien zusammengefügt, von denen jede zum Grundstock eines eigenen Buchs hätte werden können - über die Kunst und Architektur, den Humanismus, den Papsthof oder den Lebensalltag im Rom der Frührenaissance. Die Klammer aber, die alle diese Aspekte zusammenhält, die Geschichte der Päpste von Urban VI. bis zu Sixtus IV., ist weniger stark geschmiedet, als es dem Stoff guttut. Fast scheint es, als hätte Esch den Vergleich mit seinem Vorbild Ferdinand Gregorovius vermeiden wollen, dessen zu Unrecht vergessene "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" immer wieder wie durch ein Palimpsest durch die Seiten dieses Buchs hindurchschimmert.
Bei Gregorovius beginnt die Renaissance in Rom mit der Ankunft Martins V. im Jahr 1420 nach seiner Wahl zum Papst auf dem Konzil in Konstanz, und im Grunde setzt auch Eschs historische Erzählung mit diesem Datum ein - auch wenn er in zwei langen Eingangskapiteln auf die Vorgeschichte zurückblickt, den Aufstand Cola di Rienzos, das Schisma, den Kampf der Stadtrömer um ihre Freiheit. Martin V., ein Spross des Hauses Colonna, macht mit der aufmüpfigen Kommune kurzen Prozess, er zementiert die Papstherrschaft im Kirchenstaat und setzt den Nepotismus seiner Vorgänger ungehemmt fort. Ebendamit, so Esch, schafft er die Voraussetzungen für die Wiedergeburt Roms im Zeichen der Renaissance.
Die Ewige Stadt ist kein schöner Ort in dieser Zeit. Ihre Straßen, Schauplatz blutiger Sippenkämpfe, sind verödet, ehrwürdige Kirchen dienen als Pferdeställe, die alte Basilika von St. Peter ist "ganz und gar verlassen und aufgegeben", wie ein Chronist schreibt. Der neue Papst lässt die allerdringendsten Reparaturen ausführen: am Pantheon und im Lateran, an St. Peter, S. Maria Maggiore und S. Paolo fuori le mura. Sein Nachfolger, Eugen IV., der als Opfer der letzten großen Bürgerrevolte gegen die Papstherrschaft neun Jahre in Florenz lebt, holt dann die Humanisten nach Rom, und dessen Nachfolger, Nikolaus V. gründet die Vatikanische Bibliothek. Binnen weniger Jahre wird die verfallene Kleinstadt zum Hort der Gelehrsamkeit, und unter Pius II. (1458 bis 1464) kommen endlich auch die Künstler in Scharen nach Rom. Ihr glanzvolles Wirken, zeigt Arnold Esch, ist die Folge ebenjenes Nepotismus, der unser Bild des Papsttums vor der Reformation verdunkelt: In einer Wahlmonarchie, wie sie im Vatikan bis heute besteht, konnte der Regent seine Macht nur befestigen, indem er Familienmitglieder mit Pfründen versorgte. Diese wiederum setzten, mangels Möglichkeiten zu kriegerischer Betätigung, ihre Ruhmgier in Kunstwerke, opulente Feste und luxuriöse Grabmäler um. Wir sollten, so Esch, "große Mäzene nicht auf unsere Ebene herunterziehen, sondern uns an ihrer Größe freuen". Honi soit qui mal y pense.
Die vordere Innenseite des Einbands von "Rom" zeigt eine Karte des Stadtzentrums um 1500, mit den Palästen, Türmen und Kirchen der spätmittelalterlichen Papst- und den Trümmerresten der antiken Kaiserstadt. Das entspricht dem topographischen Denken Eschs, der historische Prozesse anhand von Veränderungen im Stadtbild beschreibt. Eine der schönsten Passagen des Buches handelt vom Umbau der Piazza Navona, die durch die Verlegung ihrer Häuserfassaden von der Außen- an die Innenseite regelrecht "umgestülpt" (Esch) wurde. Durch Paul II., dessen Familienpalast an der Stelle des heutigen Palazzo Venezia stand, wurde die Gegend an der Nordwestecke des Kapitols zum Zentrum urbanen Lebens. Sixtus II., sein Nachfolger, errichtete die Sixtinische Kapelle und den Ponte Sisto und legte die Via Sistina an, die den Vatikan an die nördliche Altstadt anschloss. Die Renaissancepäpste aus den Häusern Borgia und della Rovere waren zu jener Zeit längst Kardinäle, sie warteten nur auf ihre Chance, das begonnene Werk fortzusetzen.
Im Gleichtakt mit der Kultur blühte die Ökonomie der Stadt auf, die in den Jahrzehnten des Schismas zur Subsistenzwirtschaft herabgesunken war. Deutsche Bäcker und Drucker kamen nach Rom, französische Tuchhändler, spanische Schwertmacher, vor allem aber florentinische Kaufleute, die über ihr weitverzweigtes Kontor- und Bankennetz die Einnahmen der Kirche aus ganz Europa an den Tiber leiteten. Nicht nur die Kunst, auch das Finanzsystem der Päpste stammte aus Florenz, und so erscheint es nur konsequent, dass auch die Hochrenaissance mit einem Florentiner beginnt: Michelangelo Buonarroti, der im Juni 1496 die Stadt betritt.
Mit seiner Ankunft in Rom schließt sich der Bogen dieser Darstellung. Arnold Esch hat ein Jahrhundertfresko gemalt, das sich zwar nicht im Umfang, wohl aber in der Weite des Blicks undin der souveränen Durchdringung der Quellen mit Fernand Braudels klassischer Studie über die Mittelmeer-Welt vergleichen lässt. Nur das letzte Finish, die nahtlose Verbindung von Kultur- und Ereignisgeschichte, ist Eschs "Rom" verwehrt geblieben. Aber auch so ist es ein großes, wegweisendes Buch.
ANDREAS KILB.
Arnold Esch: "Rom". Vom Mittelalter zur Renaissance. 1378-1484.
Verlag C. H. Beck, München 2016. 410 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"... lehrt uns die rechten Blicke, mit denen erst das wahre Bild der Ewigen Stadt wahrgenommen werden kann." (Norbert H. Ott, SDZ)