Friedrich Dürrenmatt besaß eine künstlerische Doppelbegabung, die er zeit seines Lebens weitgehend geheim hielt. Lange kämpfte er mit der Entscheidung, ob er eher Maler oder Schriftsteller werden sollte, und selbst als die Entscheidung zugunsten der Literatur gefallen war, betrieb er die Malerei mit
großem Ernst, wenn auch ohne wirtschaftliches Interesse weiter. Ausgestellt wurden seine…mehrFriedrich Dürrenmatt besaß eine künstlerische Doppelbegabung, die er zeit seines Lebens weitgehend geheim hielt. Lange kämpfte er mit der Entscheidung, ob er eher Maler oder Schriftsteller werden sollte, und selbst als die Entscheidung zugunsten der Literatur gefallen war, betrieb er die Malerei mit großem Ernst, wenn auch ohne wirtschaftliches Interesse weiter. Ausgestellt wurden seine Zeichnungen und Gemälde nur selten, verkauft hat er fast nichts, verschenkt dagegen viel. Heute besitzt das Centre Dürrenmatt in Neuchatel (CDN) den umfangreichsten Bestand seines bildnerischen Werks, der auch, ergänzt durch Blätter aus der Privatsammlung Liechtli, Grundlage des vorliegenden Katalogs ist.
Obwohl, „Katalog“ trifft das Konzept nicht ganz. Weder handelt es sich um einen auf Komplettheit zielenden Catalogue raisonné, noch beschränkt es sich auf die reine Faksimilierung. Dürrenmatts Bilder standen im Austausch mit dem, was ihn bewegte und interessierte, sie waren keine isolierten „Eingebungen“, sondern man findet Spuren dazu überall in seiner Biografie und seinem literarischen Schaffen. Diese gegenseitige Befruchtung aufzudecken, ist das Ziel der Herausgeber. Sie sitzen bezeichnenderweise direkt an der Quelle: Madeleine Betschart ist Direktorin des CDN, Julia Röthinger arbeitet dort als Wissenschaftlerin, Pierre Bühler zeichnet als Präsident des CDN Fördervereins für die Finanzierung des Projekts verantwortlich und ist, ebenso wie die weiteren Autoren der Einzelbeiträge, auch akademisch in der Dürrenmatt-Forschung anerkannt.
Stilistisch sind bei Dürrenmatt Surrealismus und Expressionismus prägend, auch wenn er vereinzelt zeitgenössische Elemente der Fünfziger- und Sechzigerjahre aufnimmt. Wie ein roter Faden zieht sich ein augenzwinkernder Humor durch sein Werk, was mir persönlich fast wie ein Leitmotiv erscheint. Die mit sicherer Hand gezogenen Umrisszeichnungen auf den drei Einbänden können dafür durchaus als Beispiel dienen: Mit feiner (Selbst)ironie karikieren sie Mythen und Erwartungen, gleichzeitig sind sie aber auch bezeichnend für Dürrenmatts ausgeprägtes grafisches Talent. Einige seiner Zeichnungen mit Tusche oder schwarzem Filzstift besitzen eine künstlerische Ausdruckskraft, die ihn mit den großen Grafikern seiner Zeit auf Augenhöhe stellen. In späteren Jahren werden seine Motive allerdings düsterer und sein Strich verliert leider auch die handwerkliche Sicherheit.
Die Bände sind nicht chronologisch, sondern bildthematisch strukturiert. Einige Bildfindungen variiert Dürrenmatt über viele Jahre hinweg, wobei sich hier Autobiografisches und persönliches Interesse (z. B. an naturwissenschaftlichen, mythologischen oder religiösen Themen) oft vermischen. Die Autoren analysieren den umfangreichen Quellenbestand im CDN mit der gleichen Akribie, wie sie das literarische Werk nach Querverbindungen durchforsten. Neben dem Offensichtlichen entdecken sie dabei einige Überraschungen, was vor allem an ihrem überragenden biografischen Detailwissen liegt. Man muss nicht unbedingt jedem ihrer Schlüsse folgen (zumal künstlerische Absichten, sofern sie nicht vom Künstler selber dokumentiert sind, bis zu einem gewissen Grad immer hypothetisch bleiben), aber alleine die umfassende und reflektierte Analyse ist es immer wert, gelesen zu werden. Sämtliche Textbeiträge sind sowohl in französischer wie in deutscher Sprache verfasst.
„Wege und Umwege“ zeigt einen Künstler, der im wahren Sinn „seinen Weg“ sucht. Diese Suche beginnt Dürrenmatt in früher Jugend und er hat sie nie wirklich beendet. So wie wir alle.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)