Das Interview-Projekt Wege der Bildwissenschaft will zur Idee einer allgemeinen, interdisziplinär verfassten Bildwissenschaft beitragen, indem es die folgenden Einzelziele verfolgt: 1. zum Verständnis des Zusammenhangs von Bildwissenschaft und Medientheorie beizutragen, 2. die Rolle, die der Philosophie hierbei zukommt, genauer zu bestimmen, 3. eine terminologische Klärung der unterschiedlichen Traditionen der philosophischen Bild-theorie anzuregen, 4. die Bilddiskussion einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.Klaus Sachs-Hombach interviewte: Gernot Böhme, Hans Belting, Reinhard Brandt, Ferdinand Fellmann, Dietfried Gerhardus, Tonio Hölscher, Hans Dieter Huber, Karlheinz Lüdeking, Roland Posner, Oliver R. Scholz, Peter Schreiber, Michael Sukale, Felix Thürlemann, Bernhard Waldenfels, Lambert Wiesing, Hans Jürgen Wulff und Gottfried Boehm.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2004Wie wir die Dinge sehen, ist nicht so leicht zu entdecken
Zum Stand der Debatte um die Bildwissenschaft: Klaus Sachs-Hombach facht den Streit um die Deutungshoheit des Visuellen an
In den achtziger Jahren wurde die Musikwelt um den weißen Rap bereichert, unter tätiger Mithilfe der "Beastie Boys" und einem Tonträger namens "Licensed to Ill". Während die Musik jener Platte Geschichte ist und höchstens Fans oder Radioredakteure noch interessiert, läßt sich mit der Hülle eine aktuelle Frage exponieren: Was ist zu entdecken mit einem solchen "Cover", das doch eigentlich etwas bedecken soll? Und welche Wirkung erzielt dieses Gebrauchsbild, wenn man im automatischen Reflex das Wissen um das aufregendste Medienereignis der letzten Jahre abruft, dem dieses Bild um Jahre vorausging?
Mit welcher Methode Bilder zu verstehen seien, ob und wie der Bildbegriff heute überhaupt noch generell zu fassen wäre, diese Fragen hat der Philosoph Klaus Sachs-Hombach an eine Reihe deutschsprachiger Professoren gerichtet. Seinen Antrieb hat der Herausgeber schon oft dargelegt, zuletzt in einer Habilitationsschrift aus dem letzten Jahr: "Das Bild als kommunikatives Medium". Es ist der Wunsch nach einer allgemeinen Bildwissenschaft. Nach deren konkreter Durchsetzbarkeit befragt, antwortet die Mehrzahl der nun Befragten freilich skeptisch; um so skeptischer, so scheint es, je konkreter die Einzelnen in ihrem Alltag mit Bildern befaßt sind. Dagegen steht auf der Seite der beteiligten Philosophen eine Lust der Arbeit an Begrifflichkeiten, die Begehrlichkeiten spürbar werden läßt, der Mutter aller Geisteswissenschaft neues Terrain zu erschließen.
Siebzehn Männer hat Sachs-Hombach zum imaginären Dialog versammelt. Sie eint die Einsicht, daß der Gebrauch ebenso wie die Deutung der Bilder vom Zusammenhang abhängt, in denen jene erscheinen. Danach wirkt die museale Hängung, die doch auf das Sichtbare konzentrieren soll, verfremdend. Eine CD-Hülle mit einem verkaufsträchtigen Schockbild hat bereits durch den Ort ihres Auftretens anderen Charakter als der Schock einer Kriegserklärung, die medial im eigenen Wohnzimmer stattfindet. Hans-Dieter Huber nimmt diesen Unterschied zum Ausgang einer auch mittlerweile selbständig formulierten Theorie, die er "Bild-Beobachter-Milieu" nennt. Heute zählt die auratische Erscheinung nur mehr wenig. Kaum ein Bild macht aus sich allein noch ersichtlich, ob es ein bedeutsames Zeichen ist oder nicht.
Sind Bilder als Zeichen überhaupt adäquat zu beschreiben? Textformen als Vergleichsparameter für Bilder, Ikonographien oder die noch vehement ins Feld geführte Semiotik - dies alles wird im Moment überdacht, neu sortiert, auf Anschließbarkeit überprüft. Diesen Wandel garantiert allein die Attraktivität der Aufgaben, vor die uns die neuen Bildwelten stellen. Weitere gute Gründe kann man bei einer Reihe von Disziplinen finden, die ihre Stimmen in der Bildfrage lange nicht erhoben haben oder schlicht nicht gefragt wurden.
Die Vielzahl an Perspektiven, sei es die eines Medienwissenschaftlers, eines Archäologen oder eines Mathematikers, macht den Reiz des Interview-Bandes von Sachs-Hombach aus. Gleichwohl eröffnet sie auch die Schwierigkeiten, des Gegenstandes Bild überhaupt habhaft zu werden. Hier schlägt die Stunde der Philosophen: Ein Bild sei mehr als ein vorüberrauschender Event, sobald ihm subjektiv irgendeine Bedeutung zugemessen, irgendeine "Bildlichkeit der Erfahrung" (Bernhard Waldenfels), irgendeine "Weise der Welterzeugung" (Dietfried Gerhardus) zuerkannt wird. Diese Weise kann sich ganz vom Bildobjekt abwenden und allein ein Zwischenraum sein, jene Gernot Böhme so wichtige "Atmosphäre", die im guten Fall zwischen Gegenstand und Betrachter entsteht; hierunter fällt freilich auch ein Gewitter. Im extremen Fall wird ein Bild ganz mental: Es ist dann nur noch im Bewußtsein des Subjekts vorhanden, als Mittel der Selbst- und Welterkenntnis.
Das moderne Bild wird von Karl-Heinz Lüdeking als Reduktion des realen Seheindrucks, aber auch des ikonischen Bildes verstanden; allein mit ästhetischen Mitteln gelänge ihm, an die Stelle des geschauten Objekts zu treten. In ähnlicher Richtung, nur systematischer, stellt Lambert Wiesing die "Bedingungen der Möglichkeiten von Bildern" (Lüdeking) dar. Er unterscheidet zwischen Zeichen, Dingen und Bildern. Der Unterschied zwischen letzteren werde vom Bild absichtsvoll negiert: Es stelle Dinge - oder Ereignisse - in großer Evidenz dar, könne aber aufgrund der bloßen Anschauung seiner selbst nicht verheimlichen, daß es sich dabei um anderes als Wirklichkeit handle, um ein allein sichtbar werdendes Ereignis - um ein Bild eben. Hier kommen das Wohnzimmererlebnis des New Yorker Attentats und die Strategie der "Beastie Boys" zusammen. Wiesing deutet an, daß es ungleich komplexere Bilder als jene gäbe. Konsequent formuliert er die ebenso monumentale wie reizvolle Aufgabe, einen an der Bildenden Kunst gewonnenen Wahrnehmungshorizont auf die Neuen Medien anzuwenden.
Gerade die älteren Hochschullehrer zeigen sich ihrer Methode sicher und formulieren dennoch - oder genau deshalb - geradezu ikonoklastische Einsichten: der Kantianer Reinhardt Brandt etwa, der den Einbruch der Bewegung ins Bild als "ikonische Wende der Neuzeit" tituliert. Damit verschiebt sich das definitorische Problem schlicht vom Zugang zum Gegenstand. Denn das Bild ist mittlerweile kaum mehr jenes überkommene Ding an sich, als das es noch im Sammelband Gottfried Boehms verstanden wurde, der vor zehn Jahren den ersten Markstein in der hiesigen Debatte setzte. Der Bildbegriff wird heute mehrheitlich im Plural gebraucht. Dieser Verflüssigung helfen weniger Bildbestimmungen ab - notwendig sind sie allenfalls als akademische Passierscheine. Wird analytische Theorie heute nicht kreativ anverwandelt, erreicht sie rasch ein Abstraktionsvolumen, das Texte des "Wiener Kreises" zum Lesevergnügen macht. Gefragt sind dagegen denkende Menschen, die genau hinsehen. Was dann bleibt, sind die seit Wölfflins Zeiten virulenten Probleme von Figur und Grund, von Gesagtem und zu Sehendem, von Einfühlung und Abstraktion. Die Aufgaben stehen im Raum. Einen schlichten Rat gab der Philosoph Gilbert Cohen-Séat vor mehr als fünfzig Jahren zu bedenken; im Entwurf seiner "Filmologie" riet er, eine Sammlung von Studien anzulegen, bei der sich jeder vornehme, was ihm entspreche und zu dem er fähig sei.
THOMAS MEDER
Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.): "Wege zur Bildwissenschaft". Interviews. Herbert von Halem Verlag, Köln 2004. 281 S., br., 26,- [Euro].
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Zum Stand der Debatte um die Bildwissenschaft: Klaus Sachs-Hombach facht den Streit um die Deutungshoheit des Visuellen an
In den achtziger Jahren wurde die Musikwelt um den weißen Rap bereichert, unter tätiger Mithilfe der "Beastie Boys" und einem Tonträger namens "Licensed to Ill". Während die Musik jener Platte Geschichte ist und höchstens Fans oder Radioredakteure noch interessiert, läßt sich mit der Hülle eine aktuelle Frage exponieren: Was ist zu entdecken mit einem solchen "Cover", das doch eigentlich etwas bedecken soll? Und welche Wirkung erzielt dieses Gebrauchsbild, wenn man im automatischen Reflex das Wissen um das aufregendste Medienereignis der letzten Jahre abruft, dem dieses Bild um Jahre vorausging?
Mit welcher Methode Bilder zu verstehen seien, ob und wie der Bildbegriff heute überhaupt noch generell zu fassen wäre, diese Fragen hat der Philosoph Klaus Sachs-Hombach an eine Reihe deutschsprachiger Professoren gerichtet. Seinen Antrieb hat der Herausgeber schon oft dargelegt, zuletzt in einer Habilitationsschrift aus dem letzten Jahr: "Das Bild als kommunikatives Medium". Es ist der Wunsch nach einer allgemeinen Bildwissenschaft. Nach deren konkreter Durchsetzbarkeit befragt, antwortet die Mehrzahl der nun Befragten freilich skeptisch; um so skeptischer, so scheint es, je konkreter die Einzelnen in ihrem Alltag mit Bildern befaßt sind. Dagegen steht auf der Seite der beteiligten Philosophen eine Lust der Arbeit an Begrifflichkeiten, die Begehrlichkeiten spürbar werden läßt, der Mutter aller Geisteswissenschaft neues Terrain zu erschließen.
Siebzehn Männer hat Sachs-Hombach zum imaginären Dialog versammelt. Sie eint die Einsicht, daß der Gebrauch ebenso wie die Deutung der Bilder vom Zusammenhang abhängt, in denen jene erscheinen. Danach wirkt die museale Hängung, die doch auf das Sichtbare konzentrieren soll, verfremdend. Eine CD-Hülle mit einem verkaufsträchtigen Schockbild hat bereits durch den Ort ihres Auftretens anderen Charakter als der Schock einer Kriegserklärung, die medial im eigenen Wohnzimmer stattfindet. Hans-Dieter Huber nimmt diesen Unterschied zum Ausgang einer auch mittlerweile selbständig formulierten Theorie, die er "Bild-Beobachter-Milieu" nennt. Heute zählt die auratische Erscheinung nur mehr wenig. Kaum ein Bild macht aus sich allein noch ersichtlich, ob es ein bedeutsames Zeichen ist oder nicht.
Sind Bilder als Zeichen überhaupt adäquat zu beschreiben? Textformen als Vergleichsparameter für Bilder, Ikonographien oder die noch vehement ins Feld geführte Semiotik - dies alles wird im Moment überdacht, neu sortiert, auf Anschließbarkeit überprüft. Diesen Wandel garantiert allein die Attraktivität der Aufgaben, vor die uns die neuen Bildwelten stellen. Weitere gute Gründe kann man bei einer Reihe von Disziplinen finden, die ihre Stimmen in der Bildfrage lange nicht erhoben haben oder schlicht nicht gefragt wurden.
Die Vielzahl an Perspektiven, sei es die eines Medienwissenschaftlers, eines Archäologen oder eines Mathematikers, macht den Reiz des Interview-Bandes von Sachs-Hombach aus. Gleichwohl eröffnet sie auch die Schwierigkeiten, des Gegenstandes Bild überhaupt habhaft zu werden. Hier schlägt die Stunde der Philosophen: Ein Bild sei mehr als ein vorüberrauschender Event, sobald ihm subjektiv irgendeine Bedeutung zugemessen, irgendeine "Bildlichkeit der Erfahrung" (Bernhard Waldenfels), irgendeine "Weise der Welterzeugung" (Dietfried Gerhardus) zuerkannt wird. Diese Weise kann sich ganz vom Bildobjekt abwenden und allein ein Zwischenraum sein, jene Gernot Böhme so wichtige "Atmosphäre", die im guten Fall zwischen Gegenstand und Betrachter entsteht; hierunter fällt freilich auch ein Gewitter. Im extremen Fall wird ein Bild ganz mental: Es ist dann nur noch im Bewußtsein des Subjekts vorhanden, als Mittel der Selbst- und Welterkenntnis.
Das moderne Bild wird von Karl-Heinz Lüdeking als Reduktion des realen Seheindrucks, aber auch des ikonischen Bildes verstanden; allein mit ästhetischen Mitteln gelänge ihm, an die Stelle des geschauten Objekts zu treten. In ähnlicher Richtung, nur systematischer, stellt Lambert Wiesing die "Bedingungen der Möglichkeiten von Bildern" (Lüdeking) dar. Er unterscheidet zwischen Zeichen, Dingen und Bildern. Der Unterschied zwischen letzteren werde vom Bild absichtsvoll negiert: Es stelle Dinge - oder Ereignisse - in großer Evidenz dar, könne aber aufgrund der bloßen Anschauung seiner selbst nicht verheimlichen, daß es sich dabei um anderes als Wirklichkeit handle, um ein allein sichtbar werdendes Ereignis - um ein Bild eben. Hier kommen das Wohnzimmererlebnis des New Yorker Attentats und die Strategie der "Beastie Boys" zusammen. Wiesing deutet an, daß es ungleich komplexere Bilder als jene gäbe. Konsequent formuliert er die ebenso monumentale wie reizvolle Aufgabe, einen an der Bildenden Kunst gewonnenen Wahrnehmungshorizont auf die Neuen Medien anzuwenden.
Gerade die älteren Hochschullehrer zeigen sich ihrer Methode sicher und formulieren dennoch - oder genau deshalb - geradezu ikonoklastische Einsichten: der Kantianer Reinhardt Brandt etwa, der den Einbruch der Bewegung ins Bild als "ikonische Wende der Neuzeit" tituliert. Damit verschiebt sich das definitorische Problem schlicht vom Zugang zum Gegenstand. Denn das Bild ist mittlerweile kaum mehr jenes überkommene Ding an sich, als das es noch im Sammelband Gottfried Boehms verstanden wurde, der vor zehn Jahren den ersten Markstein in der hiesigen Debatte setzte. Der Bildbegriff wird heute mehrheitlich im Plural gebraucht. Dieser Verflüssigung helfen weniger Bildbestimmungen ab - notwendig sind sie allenfalls als akademische Passierscheine. Wird analytische Theorie heute nicht kreativ anverwandelt, erreicht sie rasch ein Abstraktionsvolumen, das Texte des "Wiener Kreises" zum Lesevergnügen macht. Gefragt sind dagegen denkende Menschen, die genau hinsehen. Was dann bleibt, sind die seit Wölfflins Zeiten virulenten Probleme von Figur und Grund, von Gesagtem und zu Sehendem, von Einfühlung und Abstraktion. Die Aufgaben stehen im Raum. Einen schlichten Rat gab der Philosoph Gilbert Cohen-Séat vor mehr als fünfzig Jahren zu bedenken; im Entwurf seiner "Filmologie" riet er, eine Sammlung von Studien anzulegen, bei der sich jeder vornehme, was ihm entspreche und zu dem er fähig sei.
THOMAS MEDER
Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.): "Wege zur Bildwissenschaft". Interviews. Herbert von Halem Verlag, Köln 2004. 281 S., br., 26,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Was der Anstifter dieses Bandes - der Philosoph Klaus Sachs-Hombach - im Schilde führt, das sei, so der Rezensent Thomas Meder, schnell klar: Er will hinaus auf eine umfassende Wissenschaft vom Bild, das verrät ja auch der Titel schon. Bei seinen Interviewpartnern stößt er mit diesem Begehren, dem sich bereits seine Habilitation verdankte, nur zum Teil auf offene Ohren. Die Philosophen sind allzeit bereit, stellt der Rezensent fest, die Wissenschaftler jedoch, die mit begrenzten Bild-Gegenständen arbeiten, sträubten sich gegen die ihnen angesonnenen Verallgemeinerungen. Im einen wie im anderen Fall jedoch lässt sich viel lernen, über die "ikonische Wende der Neuzeit" (bei Rainhardt Brandt), über die "Bedingungen der Möglichkeit von Bildern" (von Karl-Heinz Lüdeking) und die "Bildlichkeit der Erfahrung" (bei Bernard Waldenfels). Resümee von Thomas Meder: "Die Aufgaben stehen im Raum."
© Perlentaucher Medien GmbH
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