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"Weggehen für Anfänger" ist auch für den Fortgeschrittenen zu empfehlen, gibt der Band doch als eine Art Handbuch anschauliche Anleitungen, wie wir all den Abschieden und Abschiednahmen begegnen können: dem schmerzlichen Loslösen, dem entschlossenen Hintersichlassen, der endgültigen Abkehr in Protest oder Resignation. In einem dichten Geflecht heterogener Beobachtungen spürt Cvetka Lipus in den urbanen Alltag des modernen westlichen Menschen hinein, in die uns umgebenden und auf uns einströmenden Realitäten, dargeboten in überraschenden Perspektiven, ironischen Zuspitzungen und…mehr

Produktbeschreibung
"Weggehen für Anfänger" ist auch für den Fortgeschrittenen zu empfehlen, gibt der Band doch als eine Art Handbuch anschauliche Anleitungen, wie wir all den Abschieden und Abschiednahmen begegnen können: dem schmerzlichen Loslösen, dem entschlossenen Hintersichlassen, der endgültigen Abkehr in Protest oder Resignation. In einem dichten Geflecht heterogener Beobachtungen spürt Cvetka Lipus in den urbanen Alltag des modernen westlichen Menschen hinein, in die uns umgebenden und auf uns einströmenden Realitäten, dargeboten in überraschenden Perspektiven, ironischen Zuspitzungen und melancholisch-resignativen Stimmungsbildern. Mit der Zeit, die wir vorm Weggehen haben, lässt sich rechnen, verrät ein Gedicht: "Gewesenes wird abgezogen von Künftigem", so die Formel, deren Ergebnis folgerichtig auf die Gegenwart hinausläuft: Wir reisen durch sie hindurch / vom Herzschlag bei der Ultraschalluntersuchung - / ein pulsierender Stern auf schwarzem Bildschirm - / bis zum Hinstrecken auf den geraden Strich des Kardiogramms.
Autorenporträt
Geboren 1966 in Bad Eisenkappel/elezna Kapla. Studium der Komparatistik und Slawistik in Klagenfurt. In den neunziger Jahren, neben Maja Haderlap und Fabjan Hafner, Mitherausgeberin der Kulturzeitschrift "Mladje". Ab 1995 in den Vereinigten Staaten, Studium der Bibliothek- und Informationswissenschaften an der Universität Pittsburgh. Lebt seit 2009 in Salzburg. Schreibt in slowenischer Sprache. Veröffentlichte bisher acht Gedichtbände. U. a. ausgezeichnet mit dem Preis der Preeren Stiftung (2016), mit dem Lyrikpreis des Landes Kärntens (2020), mit dem österreichischen Staatstipendium für Literatur und mit dem Förderungspreis des Landes Kärnten für Literatur. 2008 und 2015 wurden ihre Gedichte jeweils für den Veronika Preis für den besten Lyrikband Sloweniens des Jahres nominiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2023

Ein Kontakt dorthin, wo keine Stimme mehr ist
Hoffnung auf die Sonntagsausgabe des Lebens: Neue slowenische Gedichte von Cvetka Lipus

"Wie sich verbergen", heißt ein Kapitel, "Wie weggehen" ein anderes, "Wie allein reisen" ein drittes: Würde man daraus schließen, dass es im neuen Lyrikband von Cvetka Lipus, der 1966 im Karawanken-Luftkurort Bad Eisenkappel geborenen Tochter des Autors Florjan Lipus, einzig um die fortdauernde Beschreibung einer selbst betriebenen Isolation gehe, unterschlüge man die Frage, die in jeder dieser Überschriften steckt und keineswegs die Bereitschaft signalisiert, den dabei betrachteten Weg auch einzuschlagen.

Und es ist nicht nur das eigene Weggehen, der Abschied aus eigenem Impuls, den die auf Slowenisch schreibende Österreicherin behandelt. Einige der schönsten Gedichte dieses Bandes handeln von den Toten und von der Frage, welche Verbindung zu ihnen noch möglich ist: "Wenn sich der Schlummer ohne mich davonstiehlt", heißt es im vierteiligen Gedicht "Anrufung", das weit vorn im Band zu finden ist, "suche ich im Vorhof des Schlafs nach der Fahrkarte / ins Jenseits. Dort warten jene, / die schon gegangen sind. Verändert / wandeln sie durch den Traum." Es folgt eine berückende Schilderung der Toten, die sich nicht mehr gleich sehen und für die Träumende dennoch an bestimmten Gesten und Bewegungen zu erkennen sind. Doch auch in der Begegnung im geschützten Raum des Traumes ist der Abschied endgültig, ist keine Nähe möglich. "Mitunter gehen sie / an mir vorüber. Sie antworten nicht, / wenn ich flüstere, wie geht es euch, wenn ihr nicht seid?" Im slowenischen Original ist diese Frage noch prägnanter: "Kako ste, ko vas ni?"

Es ist ein Gleiten in den Zustand der erträumten Begegnung, der Auslöser kann das schläfrige Stöbern im Handyspeicher sein, Bekannte, Freunde, Ärzte, geordnet nach dem Alphabet: "Ich halte inne, unerwartet. Ein Name ist noch immer / auf dem Schirm. Ich habe ihn noch nicht gelöscht. / Die Zahlen versprechen eine Verbindung dorthin, wo / keine Stimme mehr ist, kein Atem. Wenn ich einschlafe, meldet sie sich."

Gemeinsam mit der Dichterin Maja Haderlap und dem großartigen Literaturwissenschaftler und Vermittler zwischen der slowenischen und der deutschsprachigen Kultur, Fabjan Hafner, gab Cvetka Lipus in den Neunzigerjahren die Kulturzeitschrift "Mladje" heraus. Hafner starb vor bald sieben Jahren (F.A.Z. vom 13. Mai 2016), und man könnte das Gedicht "Was ist das", dem die Widmung "Für Fabjan" vorangestellt ist, vielleicht auf diesen toten Freund beziehen. "Was ist das, dass sich manche um uns still verabschieden, / in die Stille treten, / sich selbst aus dem Leben nehmen, / dass die Nähte reißen, / die uns verbinden." Über diese Menschen, die ihre Stimmen bis zum Schweigen dämpfen und die übrigen auf diese Weise hohl klingen lassen "wie ein / leergeräumtes Haus, / wenn jemand die Tür schließt", heißt es, dass sie "den Blick abkehren / in eine unbekannte Richtung", während diejenigen, die zurückbleiben, ihre Spur verlieren: "Müde bis ins Mark / starren wir in die Wolken", während diejenigen, die gegangen sind, nicht zurückblicken.

Das wäre eine verständliche, schöne und ein wenig konventionelle Beschreibung eines Verlusts - das Gegenüber geht, entscheidet sich dazu, und bei den übrigen sind Ratlosigkeit, Trauer und die Suche nach dem, was von dem Verschwundenen bleibt. In diesem Gedicht aber kommt eine leise, fast gespenstische Vermischung hinzu, die zwischen den Gegangenen und den Gebliebenen stattfindet, zwischen "sie" und "wir". Zusammen finden sie in den "Herzkammern", in denen die einen schweigen und die anderen vom Klang der eigenen Stimmen befremdet sind, aber um wessen Herz geht es? Wohin schweifen die Blicke der einen, wohin die der anderen, nach oben, nach unten, und treffen sich nie?

Die Gedichte von Cvetka Lipus sind zugänglich, aber an keiner Stelle flach, sie steuern jeweils auf eine Pointe zu, ohne ihr alles unterzuordnen, und sie suchen in den anstürmenden Eindrücken innerlicher wie äußerlicher Vorgänge das, was über den Moment hinausweist. Oft genug sind das glücklich gefundene Bilder einer belebten Welt der Dinge, die - wie in den Reisen durch Nordamerika und China, von denen der vorletzte Teil des Bandes handelt - sich aus der Natur ebenso speisen kann wie aus den Artefakten der Fremde.

Eingeschrieben ist diesen Texten, dass es im Weggehen keine saubere Trennung geben kann. Wer geht, nimmt etwas vom anderen mit und lässt ihm zugleich etwas zurück, ohne dass es dabei in einem von ihnen zu einer Abspaltung käme. Umgekehrt heißt das aber, dass auch die Einheit derjenigen Person infrage steht, die sich dem Phänomen einer Trennung stellt. So beginnt das allererste Gedicht des Bandes mit den Worten: "Ich, die Vorsitzende der Vereinten Unternehmungen / bringe alle Zweifler in mir zum Schweigen", ein Entschluss, der sich im weiteren Verlauf des Gedichtes als frommer Wunsch erweist. Schließlich gibt es, wo jemand den Vorsitz einnimmt, auch all die anderen, selbst wenn sie gerade nicht am Ruder sind, und wo der Vorsitzenden "die Geschichte" hinterhertrippelt, sind auch falsche Entscheidungen und nicht genutzte Chancen ein Thema, das der jetzigen Anführerin zeigt, dass es zu ihr auch Alternativen gegeben hat und geben wird. Es kommt zum "Defilee einstiger Überzeugungen, / die am Präsidentinnensessel sägen, denn / in meiner jetzigen Gestalt erkennen sie sich / nicht wieder", was den sicheren Auftritt weiter untergräbt, zumal die derzeitige Vorsitzende immer mit den "Fanatikern in mir" rechnen muss.

Wie geht man damit um? In dem Gedicht "Litanei der üblichen Versprechungen" findet sich die Hoffnung auf "ein Leben in Sonntagsausgabe", das sich plötzlich einstellt, wenn die Erzählerin sich dazu entschließt. In einem anderen wird der Entschluss, für ein glücklicheres Leben alles Geschehene hinter sich zu lassen, eisern behauptet, auch gegen die greinende Vergangenheit: "Sie sagt, es ging uns doch gar nicht / so schlecht", aber die Lyrikerin hat sich für eine Liebesbeziehung mit dem Vergessen entschieden: "Ich bin total verknallt / in sein kurzes Gedächtnis."

Doch dabei bleibt es nicht. Wo Cvetka Lipus die Sommer zählt, die eigenen wie die der Menschheit und des Alls, wo sie nach dem Verrinnen der Zeit fragt und danach, was dann das Wort "ewig" bedeuten möge, da probiert sie eine Reihe von respektablen Antworten aus und findet die schönste doch in einer Vergangenheit, die sie im Schlaf überfällt und am Morgen nicht mehr weichen will. Der Flirt mit dem Vergessen, so scheint es, hat keine große Zukunft. TILMAN SPRECKELSEN

Cvetka Lipus: "Weggehen für Anfänger".

Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Otto Müller Verlag, Salzburg 2023. 148 S., geb.,

23,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tilman Spreckelsen nimmt ein wenig Hoffnung mit aus den Gedichten von Cvetka Lipuš. Die auf Slowenisch schreibende Österreicherin, Tochter des Autors Florjan Lipuš, nähert sich den Themen Abschied, Verlust und Tod "zugänglich", aber nicht platt und mit Sinn für wohldosierte Pointen, freut sich der Kritiker. Vor allem aber bricht sie mit Konventionen, etwa wenn sie die Gegangenen und die Verbliebenen in "Herzkammern" aufeinander treffen oder die Toten und die Lebenden in Träumen aneinander vorbeiziehen lässt, fährt Spreckelsen fort. Endgültige Trennungen gibt es bei Lipuš nicht: Jede Reise, jeder Sommer, jeder Verlust hinterlässt seine Spuren bei der Erzählerin, für die der "Flirt mit dem Vergessen" wenig Aussicht auf Zukunft hat. Nicht zuletzt verdankt der Kritiker diesen Gedichten den Traum von einem "Leben in Sonntagsausgabe".

© Perlentaucher Medien GmbH