Der "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" entwickelte sich bald nach seiner Gründung im Jahre 1893 zur größten politischen Vertretung der Interessen der deutschen Juden im Kampf um ihre volle Gleichberechtigung und gesellschaftliche Integration. Avraham Barkai legt hier die erste Gesamtdarstellung dieser für die deutsche wie deutsch-jüdische Geschichte wichtigen Organisation vor.
Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) wurde 1893 mit dem Ziel der Abwehr des Antisemitismus gegründet. Durch seine Aktivitäten - in der Politik, der Rechtsprechung, im Erziehungswesen und der Publizistik - sollte die volle Gleichberechtigung der Juden herbeigeführt und die Vorurteile der nichtjüdischen Bevölkerung überwunden werden. Unter dem Druck des wachsenden Antisemitismus und der zunehmenden Ideologisierung der Öffentlichkeit entwickelte sich der C.V. bald von einem "Abwehr-" zu einem "Gesinnungsverein", der zwar die nach außen gerichtete Arbeit fortsetzte, zugleich aber ein Ort der Auseinandersetzung religiöser wie säkularer Juden bei ihrer Identitätssuche zwischen Deutschtum und Judentum wurde. Bisher gab es keine Gesamtdarstellung dieser größten und wichtigsten politischen Organisation der deutschen Juden. Erst als das Archiv des Berliner Hauptbüros in einem in Moskau bis 1991 geheim gehaltenen "Sonderarchiv" auftauchte, war es dem Autor möglich, an die vorliegenden Arbeiten über die Zeit von 1893 bis zum Ende der Weimarer Republik anzuschließen und die Geschichte des C.V. bis zum Untergang der deutschen Judenheit darzustellen. Im Zentrum des Buches steht dabei die ideengeschichtliche Entwicklung des Vereins, stehen die Personen, die die Abwehrarbeit des C.V. geführt und den Diskurs innerhalb der deutschen Judenheit entscheidend mitbestimmt haben. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur deutsch-jüdischen Geschichte.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) wurde 1893 mit dem Ziel der Abwehr des Antisemitismus gegründet. Durch seine Aktivitäten - in der Politik, der Rechtsprechung, im Erziehungswesen und der Publizistik - sollte die volle Gleichberechtigung der Juden herbeigeführt und die Vorurteile der nichtjüdischen Bevölkerung überwunden werden. Unter dem Druck des wachsenden Antisemitismus und der zunehmenden Ideologisierung der Öffentlichkeit entwickelte sich der C.V. bald von einem "Abwehr-" zu einem "Gesinnungsverein", der zwar die nach außen gerichtete Arbeit fortsetzte, zugleich aber ein Ort der Auseinandersetzung religiöser wie säkularer Juden bei ihrer Identitätssuche zwischen Deutschtum und Judentum wurde. Bisher gab es keine Gesamtdarstellung dieser größten und wichtigsten politischen Organisation der deutschen Juden. Erst als das Archiv des Berliner Hauptbüros in einem in Moskau bis 1991 geheim gehaltenen "Sonderarchiv" auftauchte, war es dem Autor möglich, an die vorliegenden Arbeiten über die Zeit von 1893 bis zum Ende der Weimarer Republik anzuschließen und die Geschichte des C.V. bis zum Untergang der deutschen Judenheit darzustellen. Im Zentrum des Buches steht dabei die ideengeschichtliche Entwicklung des Vereins, stehen die Personen, die die Abwehrarbeit des C.V. geführt und den Diskurs innerhalb der deutschen Judenheit entscheidend mitbestimmt haben. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur deutsch-jüdischen Geschichte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2002Untergegangene Lebenswelt
Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens
Avraham Barkai: "Wehr Dich!" Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) 1893-1938. Verlag C.H. Beck, München 2002. 496 Seiten, 39,90 [Euro].
Der 1893 in Berlin - dem Sitz der größten jüdischen Gemeinde - gegründete "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" entstand als Abwehrorganisation, die mittels publizistischer Aufklärung und strafrechtlicher Abwehr dem grassierenden Antisemitismus im Kaiserreich Paroli bieten sollte. Im Ersten Weltkrieg zählte der C.V. rund 35 000 Mitglieder, in der Weimarer Republik über 70 000. Als Vereinszweck bestimmte die Satzung, "die deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens ohne Unterschied der religiösen und politischen Richtungen zu sammeln, um sie in der tatkräftigen Wahrung ihrer staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung sowie in der unbeirrbaren Pflege deutscher Gesinnung zu bestärken".
Das Bekenntnis zum deutschen Vaterland bestimmte alle programmatischen Erklärungen des C.V. und entsprach dem Selbstverständnis des deutschen Judentums, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Stolz auf einen beispiellosen sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg zurückblicken konnte. Der breite jüdische Mittelstand sah in Erziehung und Bildung die Voraussetzung weiteren sozialen Aufstiegs und gesellschaftlicher Anerkennung, als kulturelles Vorbild galt ihm das liberale deutsche Bürgertum. Die tradierten religiösen Bindungen und Gebräuche hatten an Bedeutung eingebüßt, so daß vielfach nur noch die hohen Festtage gefeiert wurden.
Der Prozeß der Assimilation - heute würden wir eher von Akkulturation sprechen - hatte seine stärksten Fürsprecher im jüdischen Bürgertum, dessen Vertreter die Verbandspolitik dominierten. Es entsprach dem Charakter des C.V. als einem deutsch-jüdischen Gesinnungsverein, daß er sich schon 1913 eindeutig von der aufkommenden zionistischen Bewegung distanzierte: "Soweit der deutsche Zionist danach strebt, den entrechteten Juden des Ostens eine gesicherte Heimstätte zu schaffen oder den Stolz des Juden auf seine Geschichte und Religion zu heben, ist er uns als Mitglied willkommen. Von dem Zionisten aber, der ein deutsches Nationalgefühl leugnet, sich als Gast im fremden Wirtsvolk und national nur als Jude fühlt, von dem müssen wir uns trennen." Damit ist die Spannbreite der intellektuellen Debatten über das jüdische Selbstverständnis angedeutet, die im Zentrum der primär ideengeschichtlichen Darstellung Barkais stehen. Die Protagonisten des innerjüdischen Diskurses kommen ausführlich zu Wort, wobei gelegentlich eine Straffung wohl nicht geschadet hätte. Die Studie ist damit weit mehr als eine bloße Verbandsgeschichte; sie läßt vor dem Auge des Lesers eine untergegangene Lebenswelt neu erstehen, deren Liebe zur deutschen Kultur und Heimat letztlich unerwidert blieb.
Der 1933 zur Staatsreligion erhobene Antisemitismus, die rasch voranschreitende Ausgrenzung und Entrechtung nivellierten die ideologischen Konflikte und führten zu einem innerjüdischen Burgfrieden, zur Zusammenarbeit aller Richtungen in der neugegründeten "Reichvertretung der deutschen Juden" unter Vorsitz von Leo Baeck. Dem Ausschluß aus der deutschen "Volksgemeinschaft" setzte man nun verstärkt die religiöse Einkehr, die Rückbesinnung auf die Werte des Judentums entgegen, die den Juden ihr Weiterleben in Deutschland als isolierte, geistig und auch materiell auf sich gestellte und enger denn bisher verbundene Gemeinschaft ermöglichen sollte. Die Tragik der deutsch-jüdischen Existenz faßte Eva Reichmann, eine führende Verbandsfunktionärin des C.V., 1934 mit den Worten zusammen: "Wir bleiben für immer ausgeschlossen von dem Volk, das wir mit unsagbarer Hingabe als unser eigenes empfunden haben und unter Schmerzen auch heute noch empfinden."
Nach dem Erlaß der Nürnberger Rassengesetze trug auch der C.V. der gewandelten Situation Rechnung. Er benannte sich in "Jüdischer Centralverein" um und bestimmte als Vereinszweck nun die "Pflege des jüdischen Lebens sowie die seelische, rechtliche und wirtschaftliche Betreuung der in Deutschland lebenden Juden". Im Mittelpunkt der erzwungenen Neuorientierung stand jetzt die Konzentration der Kräfte auf die Förderung der Auswanderung. Die letzten verzweifelten Hoffnungen auf einen Modus vivendi wurden mit dem Pogrom vom 9./10. November 1938 zerstört. Mit ihm endete die Tätigkeit der meisten jüdischen Organisationen, so auch des Centralvereins. Barkai schließt seine Darstellung mit einem Zitat Hans Reichmanns, dessen Selbstvorwürfe wohl alle Mitarbeiter quälten, die den Holocaust überlebten: "Auf den Männern des Centralvereins ruht eine tragische Schuld. Sie glaubten, weil sie Juden waren, an ewige unverletzbare Werte. Sie vertrauten auf den Sieg der Gerechtigkeit, sie hofften, daß Menschlichkeit und freiheitliches Streben sich als stärker erweisen würden als die Macht des Terrors . . . Der Centralverein und das deutsche Judentum zahlten für diesen Glauben mit dem Untergang."
CLEMENS VOLLNHALS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens
Avraham Barkai: "Wehr Dich!" Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) 1893-1938. Verlag C.H. Beck, München 2002. 496 Seiten, 39,90 [Euro].
Der 1893 in Berlin - dem Sitz der größten jüdischen Gemeinde - gegründete "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" entstand als Abwehrorganisation, die mittels publizistischer Aufklärung und strafrechtlicher Abwehr dem grassierenden Antisemitismus im Kaiserreich Paroli bieten sollte. Im Ersten Weltkrieg zählte der C.V. rund 35 000 Mitglieder, in der Weimarer Republik über 70 000. Als Vereinszweck bestimmte die Satzung, "die deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens ohne Unterschied der religiösen und politischen Richtungen zu sammeln, um sie in der tatkräftigen Wahrung ihrer staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung sowie in der unbeirrbaren Pflege deutscher Gesinnung zu bestärken".
Das Bekenntnis zum deutschen Vaterland bestimmte alle programmatischen Erklärungen des C.V. und entsprach dem Selbstverständnis des deutschen Judentums, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Stolz auf einen beispiellosen sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg zurückblicken konnte. Der breite jüdische Mittelstand sah in Erziehung und Bildung die Voraussetzung weiteren sozialen Aufstiegs und gesellschaftlicher Anerkennung, als kulturelles Vorbild galt ihm das liberale deutsche Bürgertum. Die tradierten religiösen Bindungen und Gebräuche hatten an Bedeutung eingebüßt, so daß vielfach nur noch die hohen Festtage gefeiert wurden.
Der Prozeß der Assimilation - heute würden wir eher von Akkulturation sprechen - hatte seine stärksten Fürsprecher im jüdischen Bürgertum, dessen Vertreter die Verbandspolitik dominierten. Es entsprach dem Charakter des C.V. als einem deutsch-jüdischen Gesinnungsverein, daß er sich schon 1913 eindeutig von der aufkommenden zionistischen Bewegung distanzierte: "Soweit der deutsche Zionist danach strebt, den entrechteten Juden des Ostens eine gesicherte Heimstätte zu schaffen oder den Stolz des Juden auf seine Geschichte und Religion zu heben, ist er uns als Mitglied willkommen. Von dem Zionisten aber, der ein deutsches Nationalgefühl leugnet, sich als Gast im fremden Wirtsvolk und national nur als Jude fühlt, von dem müssen wir uns trennen." Damit ist die Spannbreite der intellektuellen Debatten über das jüdische Selbstverständnis angedeutet, die im Zentrum der primär ideengeschichtlichen Darstellung Barkais stehen. Die Protagonisten des innerjüdischen Diskurses kommen ausführlich zu Wort, wobei gelegentlich eine Straffung wohl nicht geschadet hätte. Die Studie ist damit weit mehr als eine bloße Verbandsgeschichte; sie läßt vor dem Auge des Lesers eine untergegangene Lebenswelt neu erstehen, deren Liebe zur deutschen Kultur und Heimat letztlich unerwidert blieb.
Der 1933 zur Staatsreligion erhobene Antisemitismus, die rasch voranschreitende Ausgrenzung und Entrechtung nivellierten die ideologischen Konflikte und führten zu einem innerjüdischen Burgfrieden, zur Zusammenarbeit aller Richtungen in der neugegründeten "Reichvertretung der deutschen Juden" unter Vorsitz von Leo Baeck. Dem Ausschluß aus der deutschen "Volksgemeinschaft" setzte man nun verstärkt die religiöse Einkehr, die Rückbesinnung auf die Werte des Judentums entgegen, die den Juden ihr Weiterleben in Deutschland als isolierte, geistig und auch materiell auf sich gestellte und enger denn bisher verbundene Gemeinschaft ermöglichen sollte. Die Tragik der deutsch-jüdischen Existenz faßte Eva Reichmann, eine führende Verbandsfunktionärin des C.V., 1934 mit den Worten zusammen: "Wir bleiben für immer ausgeschlossen von dem Volk, das wir mit unsagbarer Hingabe als unser eigenes empfunden haben und unter Schmerzen auch heute noch empfinden."
Nach dem Erlaß der Nürnberger Rassengesetze trug auch der C.V. der gewandelten Situation Rechnung. Er benannte sich in "Jüdischer Centralverein" um und bestimmte als Vereinszweck nun die "Pflege des jüdischen Lebens sowie die seelische, rechtliche und wirtschaftliche Betreuung der in Deutschland lebenden Juden". Im Mittelpunkt der erzwungenen Neuorientierung stand jetzt die Konzentration der Kräfte auf die Förderung der Auswanderung. Die letzten verzweifelten Hoffnungen auf einen Modus vivendi wurden mit dem Pogrom vom 9./10. November 1938 zerstört. Mit ihm endete die Tätigkeit der meisten jüdischen Organisationen, so auch des Centralvereins. Barkai schließt seine Darstellung mit einem Zitat Hans Reichmanns, dessen Selbstvorwürfe wohl alle Mitarbeiter quälten, die den Holocaust überlebten: "Auf den Männern des Centralvereins ruht eine tragische Schuld. Sie glaubten, weil sie Juden waren, an ewige unverletzbare Werte. Sie vertrauten auf den Sieg der Gerechtigkeit, sie hofften, daß Menschlichkeit und freiheitliches Streben sich als stärker erweisen würden als die Macht des Terrors . . . Der Centralverein und das deutsche Judentum zahlten für diesen Glauben mit dem Untergang."
CLEMENS VOLLNHALS
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Es gab bislang keine umfassende Darstellung des "Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens", unterrichtet uns Christoph Jahr, was unter anderem daran gelegen habe, dass die Aktenbestände des C.V. von der Gestapo beschlagnahmt wurden und das "Sonderarchiv" erst wieder 1991 in Moskau auftauchte. Zum anderen wurde der Centralverein lange Zeit wegen angeblichen "Assimilantentums" verachtet, insofern stellt nun die Arbeit von Avraham Barkai auch eine Rehabilitierung des C.V. dar, die in Jahrs Augen die bisherige Dominanz der zionistischen Perspektive beendet. Barkais Leistung besteht vor allem in der Bündelung des heutigen Wissenstands, stellt Jahr klar, sein ideengeschichtlicher Ansatz vermittle ein dichtes atmosphärisches Bild, verliere sich allerdings manchmal in den Details. Die Zentrierung der Perspektive auf Berlin hält der Rezensent für ebenso bedauerlich wie unvermeidbar. Insgesamt lässt sich heute jedenfalls feststellen, so Jahr, dass der Centralverein einen wichtigen Beitrag zur Gruppenidentität der deutschen Juden geleistet habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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