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Andreas Kunz greift die Forderung nach einer "Geschichte der Gesellschaft im Krieg" auf und stellt sich der Herausforderung einer Strukturgeschichte der bewaffneten Macht in der Zeit des militärischen, staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs 1944/45. Im Ergebnis zeigt die Untersuchung, dass jede verall gemeinernde Vorstellung, die Wehrmacht habe bis zum Schluss gekämpft, die Komplexität des historischen Gegenstandes verkennt, die sich hinter der Fassade eines vermeintlich konsistenten und zuverlässigen militärischen Instruments verbirgt.

Produktbeschreibung
Andreas Kunz greift die Forderung nach einer "Geschichte der Gesellschaft im Krieg" auf und stellt sich der Herausforderung einer Strukturgeschichte der bewaffneten Macht in der Zeit des militärischen, staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs 1944/45. Im Ergebnis zeigt die Untersuchung, dass jede verall gemeinernde Vorstellung, die Wehrmacht habe bis zum Schluss gekämpft, die Komplexität des historischen Gegenstandes verkennt, die sich hinter der Fassade eines vermeintlich konsistenten und zuverlässigen militärischen Instruments verbirgt.
Autorenporträt
Dr. Andreas Kunz ist Leiter der Außenstelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2005

Deutsche Endkämpfer
Wehrmachtsgenerale schickten in den letzten Kriegsmonaten kaum ausgebildete Soldaten in den Tod

Andreas Kunz: Wehrmacht und Niederlage. Die bewaffnete Macht in der Endphase der nationalsozialistischen Herrschaft 1944 bis 1945. R. Oldenbourg Verlag, München 2005. 390 Seiten, 34,80 [Euro].

Die Darstellung der Wehrmacht in der Endphase des Zweiten Weltkrieges ist für das Verständnis des Jahres 1945 ein zentrales Thema. Bislang lag dazu kein umfassendes Werk vor, das alle Betrachtungsebenen berücksichtigte. Und dies mit gutem Grund: Zum einen ist die Quellenlage außerordentlich problematisch. Zum anderen löste sich die Struktur der Wehrmacht seit Herbst 1944 immer mehr auf, so daß sie als Untersuchungsgegenstand nur noch schwer handhabbar ist. Andreas Kunz hat diese Herausforderungen gleichwohl bravourös gemeistert: Er verdeutlicht, wie die geschlagene Armee bei den "Endkämpfen" um das Deutsche Reich in organisatorischer, materieller, personeller und operativ-taktischer Hinsicht derart ihre Gestalt veränderte, daß von den Konturen des einstigen Gebildes bald nichts mehr zu erkennen war.

Die Ergebnisse lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen: 1. Der Kampf der Wehrmacht folgte seit Herbst 1944 keiner rationalen Logik mehr. 2. Das innere Gefüge der Wehrmachtselite war längst zerschlagen, weshalb - anders als 1918 - die Generalität keinen politischen Einfluß mehr nehmen konnte und es ihr nicht möglich war, auf eine Kapitulation hinzuwirken. Bei Kriegsende vollendete sich durch die völlige gesellschaftliche Ausschaltung des Militärs die nationalsozialistische Revolution. 3. Das "Dritte Reich" fühlte sich an keine ethisch-moralischen oder ideologischen Selbstbeschränkungen mehr gebunden. Im Endkampf erreichte der totale Krieg seinen Höhepunkt, zeitweise herrschte in manchen Regionen oder Verbänden die blanke Anarchie. 4. Die Wehrmacht vermochte ihre Leistungsfähigkeit im operativen und vor allem im taktischen Bereich in der letzten Phase des Krieges nicht mehr zu halten. Die Kampfkraft verringerte sich immer schneller. 1945 nahm dieser Erosionsprozeß geradezu dramatische Formen an, was sich in den exorbitanten Verlusten zeigte. So mußten aufgrund der enormen Ausfälle der Jahre 1944/45 - in den letzten zwölf Monaten den Krieges fielen mehr Soldaten als im gesamten Krieg zuvor - drei Viertel des Personalbestandes des Feldheeres ausgetauscht werden. Somit erfolgte eine grundlegende Umwälzung der Personalstruktur des Heeres. 5. Die Wehrmacht hat keinesfalls überall bis zur Kapitulation gemäß ihren Durchhaltebefehlen gekämpft. Die Verhaltensmuster der rund zehn Millionen Soldaten waren überaus unterschiedlich, ebenso ihre Motivation, den Kampf einzustellen oder bis zur sprichwörtlichen letzten Patrone weiterzukämpfen.

Besonders eindrucksvoll schildert Kunz, wie unter dem Druck der Niederlagen die Wehrmachtsführung alle Grundsätze einer nachhaltigen Ausbildung über Bord warf. Während frontbewährte Divisionen keinen Ersatz erhielten, wurden hastig zusammengestellte Divisionen mit kaum ausgebildeten Soldaten an der Front binnen weniger Wochen vernichtet, um dann von noch provisorischer aus dem Boden gestampften Verbänden ersetzt zu werden. Die Erklärung für diesen geradezu kriminellen Umgang mit dem Leben der Soldaten vermag Kunz allerdings auch nicht zu liefern.

Der Verfasser geht multiperspektivisch vor. Er stellt etwa die Wortakrobatik der Durchhaltebefehle ausführlich dar, verdeutlicht zugleich aber auch, daß ein im besten nationalsozialistischen Stil verfaßter Aufruf zum Kampf bis zum letzten Atemzug noch nichts über das wirkliche Verhalten einer Truppe im Gefecht aussagt. Theorie und Praxis klafften vielfach weit auseinander, und Tausende Soldaten zogen die Gefangenschaft dem von oben verschriebenen "Heldentod" vor. Gerade bei dieser Gegenüberstellung hätte man sich freilich ein systematischeres Eingehen auf die Ereignisgeschichte gewünscht. So wäre es interessant zu erfahren, wo und unter welchen Umständen Verweigerungshaltungen besonders häufig vorkamen oder an welchen Frontabschnitten es sie praktisch nicht gab.

Abschließend widmet sich Kunz auf knapp 40 Seiten dem individuellen Erleben des Kriegsendes. Er vermag auch hier den außerordentlichen Facettenreichtum anschaulich darzustellen, wenngleich die Beispiele manchmal etwas bezugslos aneinandergereiht erscheinen. Gerade bei der Behandlung dieser Betrachtungsebene tritt die Quellenproblematik besonders deutlich zutage. So muß vielfach auf nach dem Krieg verfaßte Erinnerungsschriften zurückgegriffen werden, deren Aussagewert stets problematisch ist. Da im Strudel des Untergangs oftmals keine schriftlichen Aufzeichnungen angefertigt wurden, liegen den Historikern vielfach aber keine anderen Quellen hierüber vor.

SÖNKE NEITZEL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Bravourös" hat nach Ansicht von Rezensent Sönke Neitzel der Autor dieser Studie die Herausforderung gemeistert, dass sein Untersuchungsgegenstand heute nur noch schwer handhabbar sei. Denn die Quellenlage sei problematisch, weil sich die Struktur der Wehrmacht seit 1944 immer mehr in Auflösung befunden habe. Im "Strudel des Untergangs" schließlich seien kaum noch Aufzeichnungen angefertigt worden. Dennoch gelinge es Andreas Kurz zu verdeutlichen, wie die Wehrmacht in den Endkämpfen um das Deutsche Reich "in organisatorischer, materieller, personeller und operativ-taktischer Hinsicht" derart ihre Gestalt verändert habe, dass von ihren ursprünglichen Konturen wenig übrig geblieben sei. Besonders eindrucksvoll findet der Rezensent die Schilderung, wie unter dem Druck der Niederlage die Wehrmachtsführung alle Grundsätze "einer nachhaltigen Ausbildung" über Bord geworfen hätten, weshalb in den letzten Kriegsmonaten mehr Soldaten als im ganzen Krieg zuvor gefallen seien. In seiner Studie gehe Kurz "multiperspektivisch" vor. So stelle er etwa die "Wortakrobatik" der Durchhaltebefehle ausführlich dar, verdeutliche aber auch, dass so ein Aufruf zum Kampf nichts über das wirkliche Verhalten im Kampf aussagen würde. An manchen Stellen der von ihm insgesamt hochgeschätzen Studie hätte sich der Rezensent allerdings ein etwas "systematischeres Eingehen auf die Ereignisgeschichte " gewünscht.

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"Die Darstellung der Wehrmacht in der Endphase des Zweiten Weltkrieges ist für das Verständnis des Jahres 1945 ein zentrales Thema. Bislang lag dazu kein umfassendes Werk vor, das alle Betrachtungsebenen berücksichtigte. Und dies mit gutem Grund: Zum einen ist die Quellenlage außerordentlich problematisch. Zum anderen löste sich die Struktur der Wehrmacht seit Herbst 1944 immer mehr auf, so daß sie als Untersuchungsgegenstand nur noch schwer handhabbar ist. Andreas Kunz hat diese Herausforderungen gleichwohl bravourös gemeistert: Er verdeutlicht, wie die geschlagene Armee bei den "Endkämpfen" um das Deutsche Reich in organisatorischer, materieller, personeller und operativ-taktischer Hinsicht derart ihre Gestalt veränderte, daß von den Konturen des einstigen Gebildes bald nichts mehr zu erkennen war." Sönke Neitzel, Frankfurter Allgemeine Zeitung.