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Die Diskussion um die Frage, ob es eine spezifisch weibliche Moral gibt oder eine einheitliche und geschlechtsunspezifische, hat der philosophischen Erörterung darüber, was Moral in der postchristlichen Gegenwart ist, starke Impulse gegeben. Die Moralkonzeption der Universalisten hatte jahrzehntelang eine derartige Evidenz, daß die Diversifizierungen im moralischen Bereich nicht in den Blick kamen. Darauf machten feministisch orientierte Philosophinnen aufmerksam. Das Lob des Unterschieds hörte man seither auch in der philosophischen Diskussion, die nicht feministisch intendiert war. Es wurde…mehr

Produktbeschreibung
Die Diskussion um die Frage, ob es eine spezifisch weibliche Moral gibt oder eine einheitliche und geschlechtsunspezifische, hat der philosophischen Erörterung darüber, was Moral in der postchristlichen Gegenwart ist, starke Impulse gegeben. Die Moralkonzeption der Universalisten hatte jahrzehntelang eine derartige Evidenz, daß die Diversifizierungen im moralischen Bereich nicht in den Blick kamen. Darauf machten feministisch orientierte Philosophinnen aufmerksam. Das Lob des Unterschieds hörte man seither auch in der philosophischen Diskussion, die nicht feministisch intendiert war. Es wurde entdeckt, daß es individuelle moralische Prioritätensetzungen gibt. Ebenso wurde die Bedeutung moralischer Gefühle und Motive erkannt, und es wurde gesehen, daß das Streben nach einem guten Leben nicht moralisch sanktionswürdig ist. Weiterhin wurde die Diversifizierung von Recht und Moral konstatiert. Gleichzeitig reklamierten vor allem Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, daß es dennoch eine gesellschaftlich einheitliche Moral geben muß, damit soziale Interaktionen funktionieren können. Die genauere Beobachtungsweise jedenfalls haben wir der feministischen Philosophie zu verdanken. Im vorliegenden Band wird die Diskussion weitergeführt.
Autorenporträt
Horster, DetlefDetlef Horster ist Professor für Sozialphilosophie an der Leibniz Universität Hannover.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.1999

Da werden Weiber wieder zu Sirenen
Die moralische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ist eine Legende der feministischen Ethik

Frauen artikulieren sich im Gegensatz angesichts moralischer Probleme nicht gefühlsblind und rational, sondern moralisch "in a different voice", so These und Titel der 1982 erschienenen Untersuchungen von Carol Gilligan. Denn Frauen sind geborene oder wenigstens durch einschlägige Erziehungsmuster konditionierte Partikularisten, die ihre moralische Beurteilung auf die persönliche Lebenslage und die besonderen sozialen Beziehungen eines konkreten Gegenüber zuschneiden. Männer bilden ihr Urteil durch Hinwendung zum begründenden Prinzip; das Medium der weiblichen Moralbeurteilung ist hingegen die Erzählung, die das Besondere profiliert und anteilnehmende Empfindungen auslöst. Und da die Moral prinzipienbegründeter Unparteilichkeit gemeinhin als normative Grundlage der Gerechtigkeit gilt, ordnete Carol Gilligan der rationalen Männlichkeit die Gerechtigkeitsmoral zu, während die narrative Weiblichkeit in ihren Augen eine Moral der Fürsorge und Anteilnahme entfaltete.

Diese These löste eine stürmische Diskussion in der weiblichen Philosophie aus, zuerst an den nordamerikanischen Universitäten, dann auch hierzulande. Ihre Nachwehen erstrecken sich bis in einen neuen, von Detlef Horster herausgegebenen Sammelband, der bereits im Titel andeutet, weibliche Moral könne ein Mythos sein. Die Kritik an der sich verabsolutierenden männlichen Rationalmoral der Gerechtigkeit fügte sich aber gut in das postmodernistische Programm der Vernunftkritik und stellte sich dem dekonstruktivistischen Angriff auf die Zitadelle des cartesischen Selbst selbstlos zur Verfügung. Auch mit Kommunitarismus und Neoaristotelismus arbeitete die feministische Ethik Hand in Hand: Ersteren bestärkte sie in seiner antiliberalen Überzeugung, daß mit dem Vertrag kein Staat zu machen sei; letzterem stand sie in seinem Kampf gegen die moralphilosophischen Standardtheorien der Moderne, gegen Kantianismus und Utilitarismus, bei. Und natürlich war die These von der geschlechtsspezifischen Doppelmoral besonders dem politischen Feminismus willkommen.

Diejenigen, die sich dem empirischen Material widmeten, wurden sich schnell darüber klar, daß diese These keinesfalls die Gerechtigkeitsorientierung und die Fürsorglichkeitsorientierung als einander ausschließende moralische Wahrnehmungsmuster interpretieren darf, sondern bestenfalls statistisch auffällige Tendenzen benennt. Welche philosophische Bedeutung diesem moralpsychologischen Befund jedoch zukommt, insbesondere welche normativen Konsequenzen mit dieser geschlechtlichen Verteilung unterschiedlicher Moralkonzeptionen zu verknüpfen sind, hat die Diskussion nicht einvernehmlich klären können. Einige wenige Philosophinnen haben zwar gemeint, daß die Moral der Fürsorge und Anteilnahme die überlegene Moral sei und daher die Gerechtigkeitsmoral auf allen Feldern des menschlichen Verkehrs zu verdrängen habe, aber letztlich kein vernünftiges Argument für die Unterlegenheit und damit Überflüssigkeit der Gerechtigkeit vorbringen können.

Überzeugender waren da die Versuche, die von Carol Gilligan entdeckte eigentümlich weibliche Moralbetrachtung für eine sowohl kategoriale als auch psychologische Bereicherung des philosophischen Standardverständnisses von Moral im allgemeinen zu nutzen. Damit rückte freilich die Ausgangsthese der geschlechtsspezifischen Differenzierung des moralischen Problemzugangs weit in den Hintergrund. Die Feminisierung der Moral wich zunehmend einer Ethisierung des Feminismus: Das, was ursprünglich als moralische Besonderheit der weiblichen Natur ausgegeben wurde, entdeckte sich als notwendiges Komplement einer vollständigen und geschlechtsunspezifischen, Männer wie Frauen gleichermaßen zu Gerechtigkeitsperspektive wie zur Perspektive der Fürsorge und Anteilnahme verpflichtenden Moral. Wie viele Feministen bereits zugestehen, kann die feministische Ethik ihre philosophische Aufgabe nur jenseits der Geschlechterdifferenz finden, in der Sorge um eine bessere Moralphilosophie, die die offensichtlichen Mängel einer prinzipienorientierten, kontextunempfindlichen, gefühlsblinden Moralphilosophie durch die Aufnahme narrativer Begründungsformen, die Berücksichtigung besonderer Verpflichtungsverhältnisse und durch die Entwicklung phänomenologischer und moralpsychologischer Sensitivität kompensiert.

Unterstützt wird dieser Diskurswechsel durch die Untersuchungen von Gertrud Nunner-Winkler, die einen Wendepunkt in der Debatte um männliche und weibliche Moral herbeiführte. Die Wissenschaftlerin begegnete der Untersuchung Gilligans mit demselben Argwohn, den diese gegenüber Kohlbergs Stufenmodell hegte. Denn Gilligan hatte ihre Versuchspersonen mit moralischen Konflikten konfrontiert, die vornehmlich in den weiblichen Lebenszusammenhang gehören. Nunner-Winkler hat deshalb in ihre Interviews Moralprobleme aus männlichen Lebenszusammenhängen aufgenommen und dann zeigen können, daß sich Frauen etwa gegenüber Problemen der Wehrdienstverweigerung ebenso verhalten wie Männer gegenüber Problemen der Abtreibung. Das legt den Schluß nahe, daß nicht das Geschlecht, sondern persönliche Betroffenheit und lebensgeschichtliche Problemnähe die moralische Wahrnehmung prägen.

Die Ausgangsintuition der feministischen Ethik läßt sich also nicht halten. Die weibliche Moral ist ein Mythos. Um die begrenzte Reichweite des vertragstheoretischen Gesellschaftsmodells, die Ergänzungsbedürftigkeit universalistischer Orientierungen durch die Obligationsprofile besonderer sozialer Beziehungen, die Unerläßlichkeit des persönlichen Standpunkts und die Bedeutung moralischer Empfindungen anzuerkennen, bedarf es weder einer weiblichen Natur, einer weiblichen Moral noch einer weiblichen Ethik. Daß all dies den wissenschaftlich geprägten modernen Standardethiken fehlt, weiß man seit langem. Und seit langem bemühen sich moralphilosophische Konzeptionen der unterschiedlichsten Herkunft, diese Mängel zu beseitigen.

Angesichts dieses Umstandes ist es nicht überraschend, daß der internen feministischen Ethikdiskussion der Rohstoff ausgeht. In der Debatte selbst führt das zunehmend zur Selbsthistorisierung; in ihrer wissenschaftlichen Dokumentation hingegen findet sich eine vermehrte Hinwendung zum bewährten Recyclingverfahren. Das zeigt auch Horsters Sammelband. Viele der hier abgedruckten Aufsätze sind bereits an anderen Orten abgedruckt worden; bemerkenswerterweise findet sich darunter auch ein Text, der vor Jahren selbst als Einleitung zu einem früheren und übrigens weit besseren und informativeren Sammelband zur feministischen Ethik gedient hat. WOLFGANG KERSTING

Detlef Horster (Hrsg.): "Weibliche Moral - ein Mythos?". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 231 S., br., 19,80 DM.

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