Das Fest der guten Absichten"Weihnachten wird diesmal richtig schön" - dieser gute Vorsatz trägt das Scheitern schon in sich. Alle wollen das Beste für sich und ihre Lieben, und gleichzeitig fürchten sie sich vor den Feiertagen und voraussehbaren Enttäuschungen und Katastrophen. Fast jeder möchte dem Besinnlichkeitsstress entkommen, aber niemand traut sich, es dem andern einzugestehen. So hält man tapfer den Vorfreudeschein aufrecht, obwohl man statt "Alle Jahre wieder" lieber "Es geht alles vorüber" singen würde. Und, o Wunder, am Ende wird trotzdem alles irgendwie gut, selbst wenn es schiefgeht.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Zum richtigen Zeitpunkt empfiehlt Sabine Rohlf Gabriele Wohmanns Weihnachtsgeschichten. Das Buch ist was für Spießer und Verzweifelte gleichermaßen, versichert Rohlfs, weil die Autorin sowohl ersteren aufrichtige Momente zugesteht, als auch über die Fährnisse des Festes nicht schweigt, sondern von ihnen im Gegenteil schön sachlich, garniert mit komischen Spitzen berichtet, wie Rohlfs erläutert. Von entsorgten Gänsen, nervtötenden Gesprächen und Tabletten unterm Christbaum erzählt Wohmann laut Rezensentin mit gewohnter Vertrautheit und Sinn für die Spannung zwischen Anspruch und Bequemlichkeit, die uns alle Jahre wieder fast zerreißt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2015Alle Jahre wieder: Weihnachten mit Gabriele Wohmann
Es ist ein handliches kleines Buch, gebunden in tannengrünes Hardcover, mit zierlichen roten Stegen oben und unten, sorgfältig gemacht. Den Titel ziert ein harter Kehrbesen, auf den Rücken gelegt. In seinen hellgrünen Borsten, die er nach oben reckt, steckt eine rote Kerze mit brennendem Docht. Es ist Weihnachten, verheißt dieses sehr profane Gesteck, entsprechend heißt der Band "Weihnachten ohne Parfüm", und er versammelt fünfzehn Erzählungen von Gabriele Wohmann, die sich dem Fest der Liebe mit der ganzen kratzbürstigen Zärtlichkeit ihrer Verfasserin zuwenden.
Die begnadete Erzählerin ist im Juni dieses Jahres gestorben. "Weihnachten ohne Parfüm" ist eine charmante Hommage an sie und zugleich an ihre hohe Kunst der scharfen Observation allzumenschlichen Verhaltens. Da ist "Lauras Weihnachtseinladung" an ihre frisch verwitwete Freundin Lily, von phänomenaler Scheinheiligkeit, für die Lauras im Lauf der Ehe längst wortkarg gewordener Gatte Gustav mit herhalten muss. Doch das Ergebnis ist verblüffend: "Zwei Tage später sagte Lilys Tränenstimme: Ich komme!" So kann's gehen, wenn die Weihnachtseinsamkeit voll zuschlägt. Denn schon der Einstimmungsstress enthüllt gnadenlos das Drama produktiven Missverstehens, so auch in "Weihnachten wird diesmal richtig schön". Dort erzählt Gabriele Wohmann aus der Perspektive von Paul, der noch ein Junge ist. Paul ist einer Art Lebensgenießens-Tyrannis seiner Mutter ausgesetzt, die er überhaupt nicht nachvollziehen kann. Dass die Mutter sich beim Schmücken des weihnachtlichen "Mammutbaums" im Absteigen vom Küchentritt am 21. Dezember einen Sehnenriss zuzieht und ins Krankenhaus muss, setzt Vater und Sohn daheim - und übrigens auch die Mutter in ihrem Krankenbett - in eine unverhoffte Freiheit: "Die Lage war entspannt, und zwar für alle drei." Die bleiche Pute, deren Zubereitung die ambitionierte Mutter ohnehin nicht gewachsen gewesen wäre, vergräbt die Vater-Sohn- Dyade im Garten.
Ehe also ein Weihnachtsabend ins familiäre oder parafamiliäre Desaster kippt, wäre es vielleicht eine rettende Idee, wenn einer der zur Besinnlichkeit zwangsverpflichteten Anwesenden eine von Gabriele Wohmanns Geschichten vorliest. Ein erlösendes Lachen könnte der Dank sein. Und dann steht vielleicht wie in "Weihnachten ohne Mr. Addams" ein von Magenproblemen und Arthrose geplagtes altes Hundchen als Geschenk der Freundinnen vor der Tür: "Er meint auch Fröhliche Weihnachten, sagte Olga Mieder." Das ist viel herzwärmender als jeder unwiderstehliche Mann. (Gabriele Wohmann: "Weihnachten ohne Parfüm". Erzählungen. Aufbau Verlag, Berlin 2015. 207 S., geb., 15,- [Euro].)
rmg
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist ein handliches kleines Buch, gebunden in tannengrünes Hardcover, mit zierlichen roten Stegen oben und unten, sorgfältig gemacht. Den Titel ziert ein harter Kehrbesen, auf den Rücken gelegt. In seinen hellgrünen Borsten, die er nach oben reckt, steckt eine rote Kerze mit brennendem Docht. Es ist Weihnachten, verheißt dieses sehr profane Gesteck, entsprechend heißt der Band "Weihnachten ohne Parfüm", und er versammelt fünfzehn Erzählungen von Gabriele Wohmann, die sich dem Fest der Liebe mit der ganzen kratzbürstigen Zärtlichkeit ihrer Verfasserin zuwenden.
Die begnadete Erzählerin ist im Juni dieses Jahres gestorben. "Weihnachten ohne Parfüm" ist eine charmante Hommage an sie und zugleich an ihre hohe Kunst der scharfen Observation allzumenschlichen Verhaltens. Da ist "Lauras Weihnachtseinladung" an ihre frisch verwitwete Freundin Lily, von phänomenaler Scheinheiligkeit, für die Lauras im Lauf der Ehe längst wortkarg gewordener Gatte Gustav mit herhalten muss. Doch das Ergebnis ist verblüffend: "Zwei Tage später sagte Lilys Tränenstimme: Ich komme!" So kann's gehen, wenn die Weihnachtseinsamkeit voll zuschlägt. Denn schon der Einstimmungsstress enthüllt gnadenlos das Drama produktiven Missverstehens, so auch in "Weihnachten wird diesmal richtig schön". Dort erzählt Gabriele Wohmann aus der Perspektive von Paul, der noch ein Junge ist. Paul ist einer Art Lebensgenießens-Tyrannis seiner Mutter ausgesetzt, die er überhaupt nicht nachvollziehen kann. Dass die Mutter sich beim Schmücken des weihnachtlichen "Mammutbaums" im Absteigen vom Küchentritt am 21. Dezember einen Sehnenriss zuzieht und ins Krankenhaus muss, setzt Vater und Sohn daheim - und übrigens auch die Mutter in ihrem Krankenbett - in eine unverhoffte Freiheit: "Die Lage war entspannt, und zwar für alle drei." Die bleiche Pute, deren Zubereitung die ambitionierte Mutter ohnehin nicht gewachsen gewesen wäre, vergräbt die Vater-Sohn- Dyade im Garten.
Ehe also ein Weihnachtsabend ins familiäre oder parafamiliäre Desaster kippt, wäre es vielleicht eine rettende Idee, wenn einer der zur Besinnlichkeit zwangsverpflichteten Anwesenden eine von Gabriele Wohmanns Geschichten vorliest. Ein erlösendes Lachen könnte der Dank sein. Und dann steht vielleicht wie in "Weihnachten ohne Mr. Addams" ein von Magenproblemen und Arthrose geplagtes altes Hundchen als Geschenk der Freundinnen vor der Tür: "Er meint auch Fröhliche Weihnachten, sagte Olga Mieder." Das ist viel herzwärmender als jeder unwiderstehliche Mann. (Gabriele Wohmann: "Weihnachten ohne Parfüm". Erzählungen. Aufbau Verlag, Berlin 2015. 207 S., geb., 15,- [Euro].)
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