Weihnachten wird weltweit groß gefeiert, von Christen wie Nichtchristen. Und alle Jahre wieder scheint es zwischen glänzend funkelnder Festbeleuchtung, Krippen und geschmückten Tannenbäumen kaum vorstellbar, dass es jemals anders war. Dabei beginnt die Biographie und Weltkarriere des Festes nicht gerade friedlich und harmonisch, sondern mit kniffligen theologischen Fragen und Konflikten.Karl-Heinz Göttert fahndet in der Kirchen- und Weltgeschichte nach Ursprung und Entwicklung dieses unvergleichlichen Festes. Er findet unglaubliche Ereignisse und skurrile Bräuche: Wie wurde aus der Geburtsszene im Stall Jahrhunderte später eine kirchliche Feier, um den Glauben an Jesus als Erlöser zu stärken? Warum nahm man als Termin ausgerechnet die Wintersonnenwende, die bis in die Neuzeit für Trubel und Verbote sorgte? Wie trugen Folklore und Kommerz zum Erfolg des Festes bei? Und in welchem Wettbewerb zueinander standen Krippe und Christbaum?Ein spannender historischer Überblick für alle, die Weihnachten lieben, wie auch für diejenigen, die daran verzweifeln.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zufrieden ist er nicht mit diesem Buch, der Rezensent Thomas Macho, der sich offenbar auskennt mit verschiedenen kulturgeschichtlichen Darstellungen zu Weihnachten. Die hier vorliegende ist ihm zu christlich-deutsch geraten, die Globalgeschichte des Festes werde nur gestreift. Datierungen des Festes seien bekanntermaßen durch Unterschiede in Lukas- und Matthäusevangelium immer schon erschwert gewesen, aber alte Theorien zur Feier des Sonnengottes anlässlich der römischen "Wintersonnenwende" (am 25.12.) würden, findet der Kritiker, wenig überzeugend noch einmal widerlegt. Einigermaßen ausführlich, so hat man den Eindruck, wird offenbar nur das Familienfest des 19. Jahrhunderts hier dargestellt, selbst die neueren "Aneignungen" des Festes in Literatur, Film und Politik bleiben zumeist außen vor. Im Epilog hat der Autor sich zum "Weihnachtsbrauchtum der eigenen Kultur" bekannt, aber diesen Kritiker hat er bis dahin längst verloren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2020Weisen Saturn und Jupiter das Jahr?
Eine Übung in Beschränkung: Karl-Heinz Göttert schreibt eine sehr christlich-deutsche Geschichte des Weihnachtsfests
Jedes Jahr feiern wir Weihnachten, heuer wohl nur in kleinsten Kreisen, und jedes Jahr erscheinen Bücher zum Fest: Kinderbücher, Weihnachtsromane, ja selbst Weihnachtsthriller und Gruselerzählungen. Populäre und gelehrte kulturgeschichtliche Darstellungen kommen dazu, von Hermann Useners "Das Weihnachtsfest" (1888) bis zu Thomas Hauschilds "Weihnachtsmann" (2012). Karl-Heinz Göttert hat nun eine " Biographie" des Weihnachtsfestes vorgelegt. Ob die Charakterisierung als "Biographie" wirklich passt, lässt sich bestreiten; zwar beginnt das Buch mit Geburtserzählungen, doch verliert der Vergleich mit einer Lebensgeschichte rasch seine Plausibilität: Wer wollte auch von Jugend, Reife, Alter oder Tod dieses Festes sprechen?
Weihnachten zählt zu den wenigen Festen, die - wie die Feiern zum Jahreswechsel - weltweit verbreitet sind; insofern wäre es naheliegend gewesen, eine globalgeschichtliche Darstellung zu verfassen. Doch Göttert überschreitet den Raum der traditionellen Religions- und Kirchengeschichte nur selten. Selbst die abschließenden Passagen zur Weihnachtsliteratur beschränken sich weitgehend auf den deutschen Sprachraum; ein kanonischer Text wie "A Christmas Carol" (1843) von Charles Dickens wird lediglich mit wenigen Zeilen gestreift. Nach zumindest kursorischen Erwähnungen ethnologischer Studien - etwa Laurence Caruccis "Nuclear Nativity" (1997) oder Daniel Millers "Christmas Against Materialism in Trinidad" (1993) - sucht man vergeblich; auch der berühmte Essay über die Hinrichtung des Weihnachtsmanns in Dijon von Claude Lévi-Strauss (1951) taucht nur im Literaturverzeichnis auf.
Das beginnt mit den Geburtsberichten in den Evangelien von Lukas und Matthäus. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Evangelien sind so markant, dass sie viele Generationen von Interpreten beschäftigt und die möglichst exakte Datierung des Geburtsdatums Jesu erheblich erschwert haben. Stern, die drei Könige, die Kindermorde des Herodes, so lesen wir es bei Matthäus; Volkszählung, Stall, Krippe und Hirten, so steht es bei Lukas. Die Anhaltspunkte für ein Datum sind widersprüchlich: Herodes der Große ist schon im Jahr 4 vor Christus gestorben, und der erste römische Zensus, eine Volkszählung für die Steuereintreibung, ist in Palästina frühestens in den Jahren 6 und 7 nach Christus durchgeführt worden, und zwar unter Quirinius, der in diesen Jahren Statthalter von Syrien war. Somit bleibt nur der Stern, der die Astronomen aus Chaldäa auf den Weg geschickt haben soll. Noch Johannes Kepler bemühte sich um eine astronomisch korrekte Datierung: Eine mehrfache Konjunktion von Saturn und Jupiter - Zeichen für den König der Juden? - schien auf das Jahr 7 vor Christus zu verweisen.
Kurzum, die Geburtsberichte in den Evangelien wurden, so konstatiert Göttert, schön erfunden. Und erfunden wurde auch das Weihnachtsfest, erst gegen Ende des vierten Jahrhunderts; mit dieser zweiten Erfindung beschäftigt sich das anschließende Kapitel. Ursprünglich standen ja Kreuzigung und Auferstehung im Zentrum der jungen christlichen Religion; noch Origenes kritisierte daher die heidnischen Geburtstagsfeste und erinnerte auch daran, dass der wahre Geburtstag eines Heiligen oder Märtyrers ohnehin sein Todestag sei. Doch wenn schon ein Geburtsfest Jesu eingeführt werden sollte, so musste zumindest die Frage des wiederkehrenden Tagesdatums geklärt werden: Wieso ausgerechnet der 25. Dezember, Tag der Wintersonnenwende im alten Rom, zugleich seit Kaiser Aurelian der Geburtstag des Sonnengotts Sol Invictus? Göttert erklärt zwar die sogenannte "Umbesetzungshypothese" für widerlegt, nach welcher das Weihnachtsfest im Zuge der konstantinischen Wende an die Stelle der Sol-Invictus-Feiern getreten sei; doch argumentiert er bloß mit unzuverlässiger Quellenlage. Warum hat dann Papst Leo der Große in seinen Weihnachtspredigten die Christen ermahnt, dass es nicht angebracht sei, beim Gang zur Mette, die damals in der Morgendämmerung abgehalten wurde, sich vor der aufgehenden Sonne zu verneigen?
In den folgenden Kapiteln befasst sich Göttert zunächst mit der Ausgestaltung des Kirchenjahrs und Weihnachtsfestkreises im Mittelalter, aber auch mit der Entwicklung lokaler Bräuche und Praktiken, etwa der Weihnachtsspiele, der Nikolausumzüge und der Krippenverehrung; lediglich das skandinavische Luciafest am 13. Dezember wird bloß in zwei Zeilen erwähnt, vielleicht wegen der neuerlichen Assoziation mit dem Wintersonnwendfest (vor Einführung des Gregorianischen Kalenders in Schweden). Geschildert wird danach der Wandel des Weihnachtsfestes zum bürgerlichen Familien- und Schenkfest im neunzehnten Jahrhundert; manche Festelemente, beispielsweise der mit Kerzen und Kugeln geschmückte Tannenbaum oder die Weihnachtsmärkte, kamen damals erst in Mode. Je mehr wir uns indes der Gegenwart nähern, umso knapper gerät die Darstellung. Santa Claus - skurriler "Gewinner" der puritanischen Weihnachtskritik - wird immerhin gewürdigt; doch schon die politische Aneignung des Weihnachtsfestes, der Richard Faber und Esther Gajek bereits 1997 einen instruktiven Sammelband gewidmet hatten, wird so wie die Weihnachtsliteratur nur gestreift. Von Weihnachtsfilmen oder den vielfältigen popkulturellen Anverwandlungen des Weihnachten erfährt man kaum ein Detail. Bei Göttert läuft es eben auf eine christlich-deutsche Geschichte hinaus, keine allgemeine Kulturgeschichte. Gegen Thomas Hauschilds These von den zentralasiatischen Wurzeln der Gestalt des Weihnachtsmanns wendet er daher im Epilog ein, es sei ihm - gegen alle Vorwürfe des Eurozentrismus - darauf angekommen, die spezifische Form zu untersuchen, die das Weihnachtsbrauchtum der eigenen Kultur verliehen habe.
THOMAS MACHO
Karl-Heinz Göttert: "Weihnachten". Biographie eines Festes.
Reclam Verlag, Ditzingen 2020. 252 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Übung in Beschränkung: Karl-Heinz Göttert schreibt eine sehr christlich-deutsche Geschichte des Weihnachtsfests
Jedes Jahr feiern wir Weihnachten, heuer wohl nur in kleinsten Kreisen, und jedes Jahr erscheinen Bücher zum Fest: Kinderbücher, Weihnachtsromane, ja selbst Weihnachtsthriller und Gruselerzählungen. Populäre und gelehrte kulturgeschichtliche Darstellungen kommen dazu, von Hermann Useners "Das Weihnachtsfest" (1888) bis zu Thomas Hauschilds "Weihnachtsmann" (2012). Karl-Heinz Göttert hat nun eine " Biographie" des Weihnachtsfestes vorgelegt. Ob die Charakterisierung als "Biographie" wirklich passt, lässt sich bestreiten; zwar beginnt das Buch mit Geburtserzählungen, doch verliert der Vergleich mit einer Lebensgeschichte rasch seine Plausibilität: Wer wollte auch von Jugend, Reife, Alter oder Tod dieses Festes sprechen?
Weihnachten zählt zu den wenigen Festen, die - wie die Feiern zum Jahreswechsel - weltweit verbreitet sind; insofern wäre es naheliegend gewesen, eine globalgeschichtliche Darstellung zu verfassen. Doch Göttert überschreitet den Raum der traditionellen Religions- und Kirchengeschichte nur selten. Selbst die abschließenden Passagen zur Weihnachtsliteratur beschränken sich weitgehend auf den deutschen Sprachraum; ein kanonischer Text wie "A Christmas Carol" (1843) von Charles Dickens wird lediglich mit wenigen Zeilen gestreift. Nach zumindest kursorischen Erwähnungen ethnologischer Studien - etwa Laurence Caruccis "Nuclear Nativity" (1997) oder Daniel Millers "Christmas Against Materialism in Trinidad" (1993) - sucht man vergeblich; auch der berühmte Essay über die Hinrichtung des Weihnachtsmanns in Dijon von Claude Lévi-Strauss (1951) taucht nur im Literaturverzeichnis auf.
Das beginnt mit den Geburtsberichten in den Evangelien von Lukas und Matthäus. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Evangelien sind so markant, dass sie viele Generationen von Interpreten beschäftigt und die möglichst exakte Datierung des Geburtsdatums Jesu erheblich erschwert haben. Stern, die drei Könige, die Kindermorde des Herodes, so lesen wir es bei Matthäus; Volkszählung, Stall, Krippe und Hirten, so steht es bei Lukas. Die Anhaltspunkte für ein Datum sind widersprüchlich: Herodes der Große ist schon im Jahr 4 vor Christus gestorben, und der erste römische Zensus, eine Volkszählung für die Steuereintreibung, ist in Palästina frühestens in den Jahren 6 und 7 nach Christus durchgeführt worden, und zwar unter Quirinius, der in diesen Jahren Statthalter von Syrien war. Somit bleibt nur der Stern, der die Astronomen aus Chaldäa auf den Weg geschickt haben soll. Noch Johannes Kepler bemühte sich um eine astronomisch korrekte Datierung: Eine mehrfache Konjunktion von Saturn und Jupiter - Zeichen für den König der Juden? - schien auf das Jahr 7 vor Christus zu verweisen.
Kurzum, die Geburtsberichte in den Evangelien wurden, so konstatiert Göttert, schön erfunden. Und erfunden wurde auch das Weihnachtsfest, erst gegen Ende des vierten Jahrhunderts; mit dieser zweiten Erfindung beschäftigt sich das anschließende Kapitel. Ursprünglich standen ja Kreuzigung und Auferstehung im Zentrum der jungen christlichen Religion; noch Origenes kritisierte daher die heidnischen Geburtstagsfeste und erinnerte auch daran, dass der wahre Geburtstag eines Heiligen oder Märtyrers ohnehin sein Todestag sei. Doch wenn schon ein Geburtsfest Jesu eingeführt werden sollte, so musste zumindest die Frage des wiederkehrenden Tagesdatums geklärt werden: Wieso ausgerechnet der 25. Dezember, Tag der Wintersonnenwende im alten Rom, zugleich seit Kaiser Aurelian der Geburtstag des Sonnengotts Sol Invictus? Göttert erklärt zwar die sogenannte "Umbesetzungshypothese" für widerlegt, nach welcher das Weihnachtsfest im Zuge der konstantinischen Wende an die Stelle der Sol-Invictus-Feiern getreten sei; doch argumentiert er bloß mit unzuverlässiger Quellenlage. Warum hat dann Papst Leo der Große in seinen Weihnachtspredigten die Christen ermahnt, dass es nicht angebracht sei, beim Gang zur Mette, die damals in der Morgendämmerung abgehalten wurde, sich vor der aufgehenden Sonne zu verneigen?
In den folgenden Kapiteln befasst sich Göttert zunächst mit der Ausgestaltung des Kirchenjahrs und Weihnachtsfestkreises im Mittelalter, aber auch mit der Entwicklung lokaler Bräuche und Praktiken, etwa der Weihnachtsspiele, der Nikolausumzüge und der Krippenverehrung; lediglich das skandinavische Luciafest am 13. Dezember wird bloß in zwei Zeilen erwähnt, vielleicht wegen der neuerlichen Assoziation mit dem Wintersonnwendfest (vor Einführung des Gregorianischen Kalenders in Schweden). Geschildert wird danach der Wandel des Weihnachtsfestes zum bürgerlichen Familien- und Schenkfest im neunzehnten Jahrhundert; manche Festelemente, beispielsweise der mit Kerzen und Kugeln geschmückte Tannenbaum oder die Weihnachtsmärkte, kamen damals erst in Mode. Je mehr wir uns indes der Gegenwart nähern, umso knapper gerät die Darstellung. Santa Claus - skurriler "Gewinner" der puritanischen Weihnachtskritik - wird immerhin gewürdigt; doch schon die politische Aneignung des Weihnachtsfestes, der Richard Faber und Esther Gajek bereits 1997 einen instruktiven Sammelband gewidmet hatten, wird so wie die Weihnachtsliteratur nur gestreift. Von Weihnachtsfilmen oder den vielfältigen popkulturellen Anverwandlungen des Weihnachten erfährt man kaum ein Detail. Bei Göttert läuft es eben auf eine christlich-deutsche Geschichte hinaus, keine allgemeine Kulturgeschichte. Gegen Thomas Hauschilds These von den zentralasiatischen Wurzeln der Gestalt des Weihnachtsmanns wendet er daher im Epilog ein, es sei ihm - gegen alle Vorwürfe des Eurozentrismus - darauf angekommen, die spezifische Form zu untersuchen, die das Weihnachtsbrauchtum der eigenen Kultur verliehen habe.
THOMAS MACHO
Karl-Heinz Göttert: "Weihnachten". Biographie eines Festes.
Reclam Verlag, Ditzingen 2020. 252 S., geb., 25,- [Euro].
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