Woher kommt der Weinachtsmann? Eine wissenschaftliche Detektivgeschichte
"Weihnachtmann", "Nikolaus", "Santa Claus" - um diese harmlosen Figuren gibt es oft Streit. Die einen glauben zu wissen, welcher der "Richtige" ist, andere kritisieren den Weihnachtskonsum als unchristlich. Alle reden vom Weihnachtsmann, aber nur eine kleine Minderheit glaubt an ihn - die Kinder. Schaut man jedoch die Rituale und Bilder der euroamerikanischen Weihnacht von außen an, überrascht die spektakuläre, für jeden schnell nachprüfbare Ähnlichkeit des Weihnachtsmannes zu verwandten Figuren in Asien wie der chinesische "Gott des langen Lebens" oder der mongolische "Weiße Alte". Der Religionsforscher Thomas Hauschild ist ihnen allen begegnet, hat sie gesammelt, vermessen und verglichen. Und er bringt uns bei, diese winterlichen ewigjungen Eremiten als Leitbilder eines weltweiten Klima- und Familienkultes der Zukunft zu begreifen.
"Weihnachtmann", "Nikolaus", "Santa Claus" - um diese harmlosen Figuren gibt es oft Streit. Die einen glauben zu wissen, welcher der "Richtige" ist, andere kritisieren den Weihnachtskonsum als unchristlich. Alle reden vom Weihnachtsmann, aber nur eine kleine Minderheit glaubt an ihn - die Kinder. Schaut man jedoch die Rituale und Bilder der euroamerikanischen Weihnacht von außen an, überrascht die spektakuläre, für jeden schnell nachprüfbare Ähnlichkeit des Weihnachtsmannes zu verwandten Figuren in Asien wie der chinesische "Gott des langen Lebens" oder der mongolische "Weiße Alte". Der Religionsforscher Thomas Hauschild ist ihnen allen begegnet, hat sie gesammelt, vermessen und verglichen. Und er bringt uns bei, diese winterlichen ewigjungen Eremiten als Leitbilder eines weltweiten Klima- und Familienkultes der Zukunft zu begreifen.
Migrationsgeschichte einer Legende: Das schönste Sachbuch des Jahres weiß alles über den heiligen Nikolaus und seine weltweiten Artverwandten.
Nein, er ist keine Erfindung von Coca-Cola. Die haben ihn nur 1931 erfolgreich für ihre Reklame abgezweigt. Und nein, er steht auch nicht in Gegensatz zum heiligen Nikolaus oder zum Christkind. Es ist also nicht unchristlich, wenn Sie Zweifel Ihrer Kinder an der Existenz des Weihnachtsmanns ausräumen, solange das eben geht. Gewiss, die könnten fragen, warum dem kleinen Jesus am 6. Januar die Geschenke von den Heiligen Drei Königen gebracht werden. Oder ob der Weihnachtsmann einer von diesen Königen ist und welcher. Oder danach, ob er und das Christkind die Chefs vom Nikolaus oder mit ihm verwandt sind. Alles sehr berechtigte Fragen, alle letztlich unbeantwortbar, denn in dem Maße, in dem die Legende lebt, ist sie nicht logisch, weshalb alle diese Fragen zum Glück nicht entscheidend sind, denn das Glück ist auch nicht logisch.
Was man über den Weihnachtsmann wissen kann und was an ihm entscheidend ist, das lässt sich jetzt in einem klugen, so nachdenklichen wie bezaubernden Buch nachlesen. Der in Halle lehrende Ethnologe Thomas Hauschild hat es pünktlich zur Adventszeit vorgelegt ("Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 384 S., geb., 19,99 [Euro]). Man möchte seinen Erzählungen endlos zuhören.
Hauschild kennt sich aus in Legenden, er hat fast zwanzig Jahre lang über und bei Bauern in der Basilicata - gewissermaßen am Fußknöchel Italiens - geforscht, in einer inzwischen untergegangenen Welt, in der Armut, harte Arbeit, Furcht, Magie und Heiligengeschichten den Lebenshorizont bestimmten. Sein letztes Buch handelte von Vogelmenschen und Schamanen. Eine gute Vorbereitung auf den Herrn im Rentierschlitten.
Dieser wird prominent im neunzehnten Jahrhundert, nachdem schon lange vorher in den Winterbräuchen Europas eine geschenkebringende, kinderermahnende Figur samt dunkler Begleitung (Knecht Ruprecht, Kohlenpitter, Pelzmunk, Krampus) aufgetreten war. Der "Herr Winter" wird mit Tannenbaum auf dem Rücken gezeichnet. In den Vereinigten Staaten setzt sich zur selben Zeit "Santa Claus" durch, dort eher eine Art Waldschrat im "one horse (oder: reindeer) open sleigh", wie seit 1857 zum Lob des Schlittenfahrens gesungen wird. Kurz darauf schreibt Theodor Storm "Von drauß' vom Walde komm ich her", meint aber Knecht Ruprecht, der auch schon 1848 in Robert Schumanns "Album für die Jugend" verzeichnet ist: Der Weihnachtsmann und die Seinen sind ein Fall praktischer Romantik. Den Anti-Nikolaus schlechthin hatte Charles Dickens fünf Jahre zuvor in seiner Weihnachtsgeschichte auftreten lassen: den geschenke- und bräucheverachtenden Scrooge.
Die Pointe des Buches von Hauschild liegt jedoch nicht in Herkunftsnachweisen, sondern darin, die unglaubliche Variationsbreite der Legende in Raum und Zeit zu zeigen. Das Christentum brauchte weder das Weihnachtsfest und die Adventszeit, die es drei Jahrhunderte lang gar nicht kannte, noch St. Nikolaus. Der byzantinische Bischof Nikolaus aus Myra wiederum - heute liegt dort das türkische Demre - ist im Mittelalter zu einer Art Klassenbesten aller Heiligen aufgestiegen. In der Anekdotensammlung der "Legenda aurea" steht er vor Petrus. Er verschenkt sein ererbtes Gold zugunsten dreier Jungfrauen in der Nachbarschaft, denen das Bordell droht und die nun, goldbeglückt, zwangsverheiratet werden konnten. Er kann fliegen, beschützt Hafenstädte, dringt in Häuser korrupter Obrigkeiten ein. Ein Superheld aus dem Comic, Kommissar Nikolaus, Samurai Nikolaus. Aber 1969 wird er aus der Liste des liturgischen Bestandes der Katholiken gestrichen, wegen fehlenden Existenznachweises.
Nun, Religion handelt ja ohnehin von Unsichtbarem. Hauschild leitet sie in einer ebenso kurzen wie meisterhaften Skizze aus dem Wünschen ab. Und so kam Nikolaus zum Winter, weil in dieser Jahreszeit Hilfe besonders nötig ist. Von Thanksgiving, Halloween und St. Martin im November bis zu Nikolaus und Weihnachten handelt es sich um Konservierungsfeste. Anfang Dezember wurde geschlachtet (Gänse, Schweine), weil kein Futter mehr nachwuchs, man die Fettreserven brauchte und das Fleisch nicht so schnell verdarb. Gestopfte Würste, verdichtete Brote ("Stollen"), Marzipan, Bratäpfel, Plumpudding und so weiter - noch immer steckt der Verstand einer agrarischen Gesellschaft in unseren Ritualen. Der Nikolaustag selbst war lange einer des erlaubten Bettelns. Im Zeichen des Bischofs wurde nichts gebracht, sondern etwas abgeholt. Der Prügel des Ruprecht galt nicht den Kindern, sondern Erwachsenen, von denen Almosen eingetrieben wurden.
Den zweiten Teil seines Buches widmet Hauschild asiatischen Göttern der Langlebigkeit, die mit dem Weihnachtsmann und Nikolaus verblüffend viele Eigenschaften teilen, von der Gelehrsamkeit und der Kinderfreundlichkeit bis zur Flugkunst und zu den Hirschen als Begleitern. Nur dass es Nikolaus anders als Shou Xing nie zu einem Stern gebracht hat. Der Autor erläutert uns die chinesische Astrologie und erzählt, erklärtermaßen nicht ganz jugendfrei, von den Gründen für die Ehelosigkeit des Weihnachtsmannes ("Lieber bin ich Weihnachtsmann als unglücklich", heißt es in "Und ewig lockt das Weib" von Roger Vadim). Er führt uns in die östlichen Winterkulte ein wie in die befremdlichen Nikolaus-Raufereien auf Borkum. Wir lernen, dass die Japaner das ihnen fremde Weihnachten als hohes Fest adaptiert haben und was es bedeute, dass der Weihnachtsmann samt Christkind zwischen Eltern und Kindern ins Mittel tritt: Es gehe ums Schenken, nicht ums Geschenk und nicht um die tatsächlich Schenkenden.
Hier vielleicht doch ein winziger Einspruch. Denn es ist schon wichtig, dass es bestimmte Geschenke sind. Vor einhundert Jahren hat Gilbert K. Chesterton darauf hingewiesen, dass der Weihnachtsmann weder Prinzipien noch Ideen bringt. Er bringt nicht Liebe, Wahrheit, Licht oder so etwas, sondern Dinge, die gut riechen und schmecken und schmücken. Darum sei auch "der einzige Test auf seine Existenz, ob er erkannt wird". Wie bei Wunscherfüllungen. Bei Hauschild, dessen Buch keinen Wunsch offenlässt, findet sich dazu ein Zitat aus einer amerikanischen Gebrauchsanweisung für Weihnachtsmänner. Man sage, heißt es dort, die Kinder schlügen die Augen nieder, wenn der Mann in der roten Kutte vor ihnen stehe: aus Scheu. Irrtum! Sie schauen auf seine Stiefel, um an ihnen herauszufinden, ob er echt ist.
JÜRGEN KAUBE
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Tolles, wildes Sachbuch, freut sich Johan Schloemann über Thomas Hauschilds synkretistischen Versuch einer Annäherung an den Weihnachtsmann. Nein, den hat nicht Coca Cola erfunden, lernt der Rezensent hier. Und auch, inwiefern Nikolaus und Weihnachtsmann einander ähneln, wie der alte Mann woanders auf der Welt ausschaut und was von all den Mythen zu halten ist, die um ihn herum gesponnen wurden. Ach so, als einen "Gott der Globalisierung", wie es der Autor mitunter macht, möchte Schloemann den Weihnachtsmann dann doch nicht bezeichnen. Besser gefällt ihm die im Band gleichfalls gepflegte Vorstellung von einem wohlwollenden Glanz, der von dem bärtigen Alten ausgeht und uns und den ganzen Konsumirrsinn verzaubert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die ultimative Studie über den Weihnachtsmann. [...] Frohe Wissenschaft! Jürgen Kaube Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20121230