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Selten hat ein Bundespräsident das höchste Amt im Staat in so kurzer Zeit geprägt wie Johannes Rau. Seine Beiträge zur Debatte um Gentechnik, um Zuwanderung, Pressefreiheit oder die Zukunft der Bildung wurden viel diskutiert, haben Maßstäbe gesetzt und ihn nicht nur zum beliebtesten deutschen Politiker werden lassen, sondern auch als moralische Instanz etabliert. Die Einwände dieses Bürgerpräsidenten werden allerorten beachtet, sein Urteil zählt. Johannes Rau entspricht keineswegs dem Bild des salbungsvollen Patriarchen, das sich über die Jahre hartnäckig hielt: "Bruder Johannes" ist ein…mehr

Produktbeschreibung
Selten hat ein Bundespräsident das höchste Amt im Staat in so kurzer Zeit geprägt wie Johannes Rau. Seine Beiträge zur Debatte um Gentechnik, um Zuwanderung, Pressefreiheit oder die Zukunft der Bildung wurden viel diskutiert, haben Maßstäbe gesetzt und ihn nicht nur zum beliebtesten deutschen Politiker werden lassen, sondern auch als moralische Instanz etabliert. Die Einwände dieses Bürgerpräsidenten werden allerorten beachtet, sein Urteil zählt. Johannes Rau entspricht keineswegs dem Bild des salbungsvollen Patriarchen, das sich über die Jahre hartnäckig hielt: "Bruder Johannes" ist ein politischer Präsident geworden. Evelyn Roll hat die Karriere von Johannes Rau jahrelang kritisch begleitet. In diesem Gespräch trifft sie auf einen Präsidenten, der provokant und leidenschaftlich für seine Überzeugungen eintritt. Johannes Rau erzählt von Begegnungen und Erfahrungen, die ihn geprägt haben. Er nimmt zu aktuellen politischen Themen Stellung und macht sich Gedanken über künftige Herausforderungen. So entsteht ein Dialog über die Rolle Deutschlands in der Welt, über christliche Werte in der Politik, über Solidarität und Gerechtigkeit in der modernen Demokratie, aber auch über die Droge Macht und die Wandlungen des Menschen im politischen Geschäft.
Autorenporträt
Johannes Rau, geboren 1931 - gelernter Verlagsbuchhändler - war seit 1957 Mitglied der SPD und u. a. Landtagsabgeordneter, Oberbürgermeister von Wuppertal und Minister für Wissenschaft und Forschung in der Landeshauptstadt Düsseldorf. 1978-1998 Ministerpräsident des bevölkerungsstärksten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Stellvertreter von Parteichef Willy Brandt und 1987 Kanzlerkandidat der SPD. 1993 kurzzeitig Parteichef, nach zweiten Nominierung 1999 gewählt durch die Bundesversammlung zum achten Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland; er hatte das Amt inne bis 2004. Johannes Rau war Schirmherr des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten der Körber-Stiftung. Seit 2004 Unterstützung des EUSTORY-Netzwerks im Rahmen des "Board of Patrons" als einer von vier prominenten Schirmherren. Johannes Rau verstarb im Januar 2006.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2004

Ende der Amtszeit
Von SZ-Autoren: Evelyn Roll befragt Johannes Rau
Warum ist er als Bundespräsident erst so langsam, dann aber richtig zur Hochform aufgelaufen? Soll die Türkei zu Europa gehören? Was ist von den fundamentalistischen Christen in Amerika zu erwarten? Wird es einen Krieg der Generationen geben? Kann man Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt organisieren? Wie geht es der SPD? Und wie funktioniert der Abschied von der Macht?
Zum Ende seiner Amtszeit zieht Johannes Rau in den Gesprächen mit Evelyn Roll eine engagierte Bilanz eines fünfzigjährigen Politikerlebens. Er berichtet von seinen Erlebnissen und Erfahrungen als Bundespräsident und erzählt von Vorbildern und Weggefährten wie Gustav Heinemann, Rut und Willy Brandt, Helmut Schmidt und Oskar Lafontaine.
So ist ein politisches Buch entstanden, das auch ein sehr persönliches Buch geworden ist, weil Rau überraschend offen von seiner Kindheit im Krieg, vom komplizierten Leben einer „ganz normalen” Präsidenten-Familie und von seinen Plänen für die Zukunft berichtet. Sogar den etwas heikleren Fragen ist er nicht ausgewichen: Beten, wie geht das eigentlich? Wieso hat er einmal sein Testament gemacht, ohne sich später daran erinnern zu können? Und wie kam Johannes Rau zu einer Liebesaffäre aus den Stasi-Akten?
SZ
EVELYN ROLL: Weil der Mensch ein Mensch ist. Johannes Rau im Gespräch mit Evelyn Roll. Rowohlt-Berlin Verlag, Berlin 2004. 188 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2004

Gesunder Blutdruck
Der Bundespräsident spricht (wieder) über seine Partei

Johannes Rau, im Gespräch mit Evelyn Roll, Weil der Mensch ein Mensch ist. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2004, 192 Seiten, 16,90 [Euro].

"Natürlich bedarf es einer programmatischen Erneuerung der SPD, die hinausgeht über die jeweils gerade aktuellen Fragen", hat Bundespräsident Rau jetzt gesagt. Rau fügte aber eine - wie eine von ihm aufgestellte Bedingung klingende - Bemerkung an: "Das geht aber nur mit einer Partei, die einen gesunden Blutdruck hat, die vital und lebendig ist." Viel spricht dafür, daß er Zweifel hat, daß dem so sei. Als Bundespräsident hat er die Mitgliedschaft in der SPD ruhen zu lassen, und zum Brauch gehört es auch, sich als Staatsoberhaupt zurückzuhalten. Doch hat sich Rau nun, gegen Ende seiner Amtszeit, ermahnend geäußert. Er macht sich, das ist soweit bekannt, Sorgen um die Stabilität des Parteiensystems in Deutschland. Und weil er aus der SPD kommt, gilt sein Augenmerk der Sozialdemokratie stärker als den anderen Parteien.

Zwar vermeidet der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident und stellvertretende SPD-Vorsitzende - wie er es auch früher tat - offene Kritik. Doch was Rau in einem nun in Buchform veröffentlichten Interview mit der Journalistin Evelyn Roll gesagt hat, klingt, als habe er einen Gesprächsbedarf, der sich nicht im Loben und Schönreden seiner politischen Heimat erschöpfen will. Es sind die Zwischentöne und die Konditionen, die die Haltung Raus charakterisieren. Er sagt: "Unternehmen erwarten von der Politik zu Recht, daß sie ihnen Planungssicherheit gibt." Doch sagt er auch: "Weniger Sicherheit als den Unternehmen darf man aber auch den Menschen nicht zumuten." Er sagt: "Ganz gewiß brauchen wir Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen." Doch fügt er an: "Wir müssen über Bismarck hinaus, aber nicht hinter Bismarck zurück." Glaubt er, daß die gegenwärtige Regierung das wolle oder tue? Er sagt es nicht. Aber Befürchtungen schwingen mit.

Franz Müntefering, der am Sonntag zum SPD-Vorsitzenden gewählt wird, hat an Rau zu schätzen gelernt, Geschichten zu erzählen. Rau tut das - jedenfalls in der Regel - nicht um des Erzählens willen. Er erzählt von Willy Brandt, als wolle er dessen Nachfolgern eine Mahnung übermitteln. Brandt habe es also, wenn Wichtiges zur Lösung anstand, so gehalten: "Wann immer er ein Problem vor sich sah, hat er die Bezirksvorsitzenden zu sich gebeten. Die waren damals allerdings noch viel wichtiger und mächtiger. Und dann hat er dagesessen, tief deprimiert gewirkt und gesagt: Ich habe da ein großes Problem. Dann hat er das Problem geschildert und gefragt: Könnt ihr mir da irgendwie helfen? Was meinst du denn?" Rau erzählt das auf Fragen, ob der "Agenda 2010"-Prozeß in den früheren Zeiten innerparteilich anders als heute, zu Schröders Zeit, vorbereitet worden wäre. Brandt habe einem engeren Kreis von Funktionären stets das Gefühl gegeben: "Ich brauche euch." Ob dieser kleine Kreis dann für den Vorsitzenden gekämpft habe? "Ja, die sind dann immer losmarschiert." Bei den Sitzungen heute aber ließen sich die Bezirksvorsitzenden häufig vertreten.

Rau erzählte auch eine andere Geschichte, die von einem früheren stellvertretenden Parteisprecher (Fritz Stallberg), der länger als 45 Jahre in der Partei und in deren Gremien stets dabeigewesen sei. Der habe zu seinem 70. Geburtstag einen "anonymen Form-Geburtstagsbrief von seiner Partei" erhalten mit dem Satz: ". . . sprechen wir Ihnen zum 70. Geburtstag unseren herzlichen Glückwunsch aus." Nichts sonst habe in dem Brief gestanden, und Stallberg habe ihm gesagt: "Nie mehr, nie, nie mehr will ich mit denen was zu tun haben."

Der bald ausscheidende Bundespräsident hält das für ein "Strukturproblem" aller Parteien. Er verwies darauf, Schröder sei Kanzler und Parteivorsitzender, und er kenne diese Doppelbelastung. "Im eigenen Land die heißesten Reformdebatten. Aber samstags Chirac in Berlin. Sonntags in den Vorderen Orient. Und dann denkt man, Montag wird er wieder in Berlin sein können, da ist er dann aber plötzlich in Jekatarinburg und trifft Putin. Anschließend reist er wer weiß wohin." Das Interview wurde im vergangenen Herbst geführt, und da sagte Rau, er sei "immer dagegen" gewesen, die Ämter des Parteivorsitzenden und des Bundeskanzlers zu trennen. "In Nordrhein-Westfalen hätte ich das Amt des Ministerpräsidenten aufgegeben, wenn ich den Landesvorsitz nicht mehr gehabt hätte." Im Februar sah Rau freilich Anlaß, nachträglich eine Bemerkung einzufügen: "Aber das muß immer jeder für sich entscheiden."

Rau beschrieb sein Verhältnis zu Schröder. Die Vorkommnisse aus dem Jahr 1986, als er selbst Bundeskanzler und Schröder in Niedersachsen Ministerpräsident werden wollte, hat er nicht vergessen. Aus Rücksicht auf Raus Wahlkampagne durfte Schröder damals nicht für "Rot-Grün" werben. Nun sagte Rau: "Er hat dafür dann auch ein außerordentlich hilfreiches Interview während meiner Kanzlerkandidatur gegeben: Ich wäre der falsche Kandidat." Das aber sei lange her, und sie beide hätten das "wirklich gründlich ausgeräumt". Auch habe es einen harmonischen Tag der beiden Familien auf Spiekeroog gegeben. Doch sagte Rau über Schröder: "Ich finde, daß er ausgesprochen starke Phasen hat. Und es gibt Phasen, in denen ich ihn weniger verstehe." Rau wollte zwar nicht im Detail Zensuren erteilen. Als Bundespräsident habe er dem SPD-Vorsitzenden keine "spezifischen Ratschläge zu geben, wie er die Partei führen solle". Ab und zu versuche er aber einen Hinweis zu geben. Seine Eindrücke davon umschrieb Rau so: "Eine Partei, nicht nur die SPD, überzeugt man nicht nur durch Konzepte und Argumente. Eine Partei braucht Wärme. Und in manchen Phasen ist das besonders wichtig."

In dem Gespräch reiht sich Rau nicht in die Linie der führenden Sozialdemokraten ein, die von Oskar Lafontaine nichts mehr hören und sehen wollen. Zum Teil hat das mit dem Attentat auf Lafontaine 1990 in Köln zu tun, bei welchem Rau anwesend gewesen war und welches - nach Aussage der Attentäterin - eigentlich ihm gegolten hatte. Doch beschränkte er sich nicht auf jene Erfahrung. Er sagte über Lafontaine: "Ich halte ihn für eine politische Naturbegabung, in vielen Grundfragen stimmen wir überein, aber er ist gelegentlich zuwenig korrekturfähig." Eine Woche vor Lafontaines Rücktritt - da war Rau noch nicht Bundespräsident - sei Lafontaine bei ihm gewesen. "Da hat er mir das alles erzählt von den Konflikten, die er mit Schröder hatte. Und er sagte: Das geht so nicht mehr!" Rau fügte an, vieles habe er hernach "nicht verstehen" können. Er sagte aber auch: "Ich habe immer verstanden, daß es schwierig für ihn war." Zu seinem 60. Geburtstag habe er Lafontaine im vergangenen Oktober einen Brief geschrieben. "Da steht drin, daß ich froh darüber bin, daß viele unsere Freundschaft, seine Freundschaft zu mir und meine zu ihm, nicht nur hinnehmen, sondern auch annehmen." Nicht nur durch das Attentat sei er mit Lafontaine auf eine Weise verbunden, "die dazu führt, daß ich nicht einfach so tun kann, als sei er mit seinem Weggang erledigt". Rau sagte: "Das sehen inzwischen die meisten ein." Schröder freilich tut das nicht und Müntefering ebensowenig.

GÜNTER BANNAS

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