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Wie lässt sich von Krieg und Gewalt erzählen? Warum lässt Gewalt die Betroffenen oft verstummen? Was bedeutet das für uns, die Verschonten? Carolin Emcke bereist seit Jahren von Krieg und Gewalt versehrte Länder. Immer wieder wird sie gebeten, die schrecklichen Erlebnisse der Menschen aufzuschreiben. Gibt es dabei Grenzen des Verstehens? Schwellen des Sagbaren? Welche Bedingungen muss eine Gesellschaft schaffen, damit die Opfer von Gewalt über das Erlittene sprechen können? Diesen Fragen stellt sich Carolin Emcke mit ihren Essays in der Überzeugung, dass es nicht nur möglich, sondern nötig…mehr

Produktbeschreibung
Wie lässt sich von Krieg und Gewalt erzählen? Warum lässt Gewalt die Betroffenen oft verstummen? Was bedeutet das für uns, die Verschonten?
Carolin Emcke bereist seit Jahren von Krieg und Gewalt versehrte Länder. Immer wieder wird sie gebeten, die schrecklichen Erlebnisse der Menschen aufzuschreiben.
Gibt es dabei Grenzen des Verstehens? Schwellen des Sagbaren? Welche Bedingungen muss eine Gesellschaft schaffen, damit die Opfer von Gewalt über das Erlittene sprechen können?
Diesen Fragen stellt sich Carolin Emcke mit ihren Essays in der Überzeugung, dass es nicht nur möglich, sondern nötig ist, vom Leid anderer zu erzählen -- für die Opfer von Gewalt ebenso wie für die Gemeinschaft, in der wir leben wollen. Sie argumentiert gegen das "Unbeschreibliche" und für das Ethos der Empathie und des Erzählens.

»Carolin Emcke (...) arbeitet mit einer gedanklichen und sprachlichen Präzision, die ihresgleichen sucht, und einem intellektuellen Mut, der bewundernswert ist.« Heribert Prantl

Der Band enthält außer dem eigens für diesen Band verfassten Essay "Weil es sagbar ist: Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit" auch folgende schon einmal veröffentlichten Texte:

"Anatomie der Folter", erschienen in: Le Monde Diplomatique 12. August 2005
"Das Leid der Anderen", erschienen in: DIE ZEIT, 17. Dezember 2008
"Liberaler Rassismus", erschienen in: DIE ZEIT, 25. Februar 2010
"Der verdoppelte Hass der modernen Islamfeindlichkeit", erschienen in: "Deutsche Zustände - Bd.9", hrsg. von Wilhelm Heitmeyer, Berlin 2011
"Heimat - das Heimatland der Phantasie", Vortrag auf einer Tagung von Bündnis 90/Die Grünen am 22. Juni 2009
"Über das Reisen 1 - 3", drei Essays für das Nachtstudio des Bayerischen Rundfunk
Autorenporträt
Carolin Emcke, geboren 1967, studierte Philosophie in London, Frankfurt/Main und Harvard. Sie promovierte über den Begriff »kollektiver Identitäten«. Von 1998 bis 2013 bereiste Carolin Emcke weltweit Krisenregionen und berichtete darüber. 2003/2004 war sie als Visiting Lecturer für Politische Theorie an der Yale University. Sie ist freie Publizistin und engagiert sich immer wieder mit künstlerischen Projekten und Interventionen, u.a. die Thementage »Krieg erzählen« am Haus der Kulturen der Welt. Seit über zehn Jahren organisiert und moderiert Carolin Emcke die monatliche Diskussionsreihe »Streitraum« an der Schaubühne Berlin. Für ihr Schaffen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Wolff-Preis, dem Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus, dem Lessing-Preis des Freistaates Sachsen und dem Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2016 erhält sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Bei S. Fischer erschienen >Von den Kriegen. Briefe an Freunde<, >Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF<, >Wie wir begehren< und >Weil es sagbar ist: Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit<. Im Oktober 2016 erscheint ihr neues Buch >Gegen den Hass<. Literaturpreise: »Das Politische Buch« der Friedrich-Ebert-Stiftung (2005) Förderpreis des Ernst-Bloch-Preises (2006) Theodor-Wolff-Preis in der Kategorie Essay für den Beitrag »Stumme Gewalt«, erschienen im »ZEITmagazin« vom 06.09.2007 (2008) Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus 2010 Deutscher Reporterpreis 2010 für die beste Reportage Journalistin des Jahres 2010 (ausgezeichnet vom >medium magazin<) Journalistenpreis für Kinderrechte der Ulrich-Wickert-Stiftung 2012 Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Dichtung und Sprache (2014) Lessing-Preis des Freistaats Sachsen (2015) Preis der Lichtenberg Poetik-Dozentur (2015) Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2016)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Caroline Emcke verhandelt in ihrem Essay "Weil es sagbar ist" die Möglichkeit eines angemessenen Kriegs- und Krisenjournalismus auf so eindringliche und reflektierte Art und Weise, dass er zur Pflichtlektüre für Kollegen werden sollte, meint Oliver Pfohlmann. Emcke geht der Frage nach, warum es für die Opfer von Gewalt oft so schwierig ist, vom eigenen Leid zu berichten; warum es für die Gesellschaft trotzdem wichtig ist, dass von diesem Leid erzählt wird; und wie es möglich sein könnte, die voreilige Berufung auf die Unsagbarkeit zu vermeiden, erklärt der Rezensent. Auch die anderen Essays des Bandes sind größtenteils sehr lesenswert, findet Pfohlmann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013

An der Schwelle des Erzählbaren

Noch von der schlimmsten Erfahrung gilt, dass sie sich beschreiben lässt: Gegen den Jargon der Heiler entwickelt Carolin Emcke eine philosophische Traumatheorie.

Von Christian Geyer

Das ist eine Ermutigung zum Erzählen, zum Aufschreiben, zum Hinausschreien auch. Carolin Emcke nimmt hier noch einmal den roten Faden auf, der auch schon ihre Bücher "Von den Kriegen. Briefe an Freunde" und "Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF" durchzieht: Es geht um die Frage, wie man sich als Opfer von Gewalt und Entrechtung wieder in ein Verhältnis zu sich selbst und zur Welt bringen kann.

Eine philosophische Traumatheorie, wenn man so will, die sich ebenso gut als Versuch über persönliche Identität lesen lässt, in jedem Fall aber als Test für Emckes Sprachvermögen. Wie weit kommt ihre Sprache, wenn es um eine Materie an der Grenze des Sagbaren geht? Um es vorweg zu sagen: Sie, ihre Sprache, kommt hier sehr weit bei dem Versuch, vorsichtig tastend und dann doch entschieden sich hervorwagend, so genau wie möglich das verborgene Leid zum Sprechen zu bringen. Jetzt erst, im Kontrast zu dieser nach vielen Richtungen auslotenden Sprache, wie sie Emckes Essay "Weil es sagbar ist" bestimmt, wird bewusst, wie wenig der gängige Jargon der Heiler, welcher ja auch die Traumaforschung regiert, von seinem Gegenstand zu fassen bekommt.

Indem das erlittene Unrecht ausformuliert, in Geschichten erzählt wird, lässt es sich als Unrecht namhaft machen, gegenüberstellen. Nicht mehr und nicht weniger. Emcke ruft Zeugenberichte des Holocaust auf (Primo Levi und andere), von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch, vom Flüchtlingselend im Irak und von Entführungsfällen wie dem Jan Philipp Reemtsmas. Ihr Plädoyer für die Sagbarkeit und gegen die Tabuisierung des Leides will nicht erlösen, noch nicht einmal heilen. Die schlimme Erfahrung - daran lässt die Autorin keinen Zweifel - lässt sich nicht aufheben, indem man über sie spricht. Aber es lässt sich doch der Versuch machen, eine Gerechtigkeit herzustellen, insofern die böse Tat und mit ihr der Täter ins Licht gestellt werden; deshalb die programmatische Verknüpfung von Zeugenschaft und Gerechtigkeit im Untertitel.

Doch soll etwa nicht schweigen dürfen, wer nach der Gewalterfahrung die Stille sucht, wer sich als Überlebender scheut, die schmerzhaften Erinnerungen wieder hervorzuholen? Emcke selbst wirft die Frage auf, antwortet klar und knapp: "Nach den Gründen für das Schweigen zu fragen heißt nicht, es nicht zu akzeptieren." Aber an dieser Stelle hätte man doch gerne mehr erfahren, zumal das Schweigen als Strategie des Überlebens im weiteren Gang des Essays nicht näher behandelt wird.

Später holt Emcke dann weiter aus, um naheliegenden Missverständnissen zu begegnen, die sich mit dem "Sprich' drüber!" verbinden, zumal wenn die erwünschte Narration bewusst mit derart anspruchsvollen Vokabeln wie Rehumanisierung in Zusammenhang gebracht wird: "Über das Sagbare und die Möglichkeit des Erzählens trotz allem nachzudenken bedeutet demnach nicht, die Tiefe der Verstörung durch Gewalt und Entrechtung zu relativieren, es bedeutet nicht, die Schwellen des Erzählbaren oder mögliche Motive für das Schweigen zu banalisieren.

Über die Bedingungen der ,Re-Humanisierung' durch Zeugenschaft nachzudenken bedeutet nicht, die Unterschiede zwischen Tätern und Opfern, Untergegangenen und Geretteten, Geprügelten und Ungeprügelten zu verwischen. Dem Versuch, Kritik am Dogma des ,Unbeschreiblichen' zu formulieren, wohnt kein profanes Versprechen auf Heilung oder gar Versöhnung inne. Diese Erfahrungen lassen sich nicht aufheben. Aber sie dürfen auch nicht einfach von einer Gesellschaft als ,unbeschreiblich' deklariert und ad acta gelegt werden."

Dem Essay über die Sagbarkeit sind in diesem Buch verschiedene Artikel und Reden Emckes beigefügt, so etwa ihre Texte zur "Anatomie der Folter", zum "Leid der Anderen", zum "Liberalen Rassimus". Das Ethos der Zeugenschaft - des für andere Redenwollens, die anders nicht reden können - trägt diese Texte allesamt und wird doch erst hier als Erzählhaltung analysiert. So erhellt sich das berufliche Selbstverständnis der weltweit Krisengebiete bereisenden Reporterin Emcke, deren Texte unter diesem Gesichtspunkt, dem Ethos der Zeugenschaft, wie aus einem Guss erscheinen.

Warum aber Emckes unduldsame Verurteilung der Formel als Redefigur des Leides, der eingeschliffenen Sprachregelung, wenn es um Gewalt und Unrecht geht? Natürlich wird beispielsweise mit dem Begriff "Missbrauch" nicht alles erzählt. Aber für wie viele Opfer ist es schon hilfreich, für das Unsagbare wenigstens ein Etikett zur Hand zu haben, welches die erlittene Tat unmissverständlich als Verbrechen kennzeichnet. Auch Emckes Kritik an einer Kurzmitteilung von Martin Schulz, dem EU-Parlamentspräsidenten, verfängt nicht recht.

Schulz hatte anlässlich seines Besuchs in Auschwitz am 20. April 2013 getwittert: "Visit to Auschwitz changes you. No words to describe the enormity of this crime. We must never forget." Gewiss drückt sich hier ein Sprachritual aus. Aber die ritualisierte Darstellung des Grauens weist das Ungenügen der Sprache offen und vorsätzlich aus, widerrät damit einer Illusion des Verstehens, ohne einer weiteren Ausformulierung des Gemeinten im Wege zu stehen. Insofern bleibt die Formel doch eine gültige Strategie des Sagens, gerade wenn es um Unrecht geht, das als solches markiert werden soll.

Andererseits wird man Emcke kaum widersprechen wollen, wenn sie die "unbeabsichtigte Tabuisierung" als das Risiko der Sprachformel beschreibt: "In der zunehmend ritualisierten Form des kollektiven Gedenkens, das nur noch die Formel des ,Unbeschreiblichen' wiederholt, geht das Erinnern an das, was so verwerflich war, dass es erinnert (und beschrieben) werden soll, verloren. Das Unbehagen und die Abwehr der jüngeren Generation heftet sich genau an diese Art des unbeholfen Tabuisierten." Weil man doch ahnt, dass es sagbar wäre.

Carolin Emcke: "Weil es sagbar ist". Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit.

S. Fischer Velag, Frankfurt am Main 2013. 224 S., geb., 19,99 [Euro].

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ein scharfsinniges und eindrucksvolles Plädoyer für die Kraft des Erzählens Gehirn & Geist 201404