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Man habe »das moralische Recht«, dieses Volk »umzubringen«, sagte Heinrich Himmler im Oktober 1943 über den millionenfachen Mord an den Juden. »Wir haben aber nicht das Recht«, fuhr er fort, »uns auch nur mit einem Pelz, einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder sonst etwas zu bereichern.« Tatsächlich hatte Himmler 1939 eine SS-Gerichtsbarkeit geschaffen, die über die »Moral« und die Einhaltung des »Ehrenkodex« der Organisation wachen sollte.
Ein solcher SS-Richter war Konrad Morgen (1909-1982). Morgen ermittelte gegen hochrangige Nationalsozialisten, u. a. gegen Karl Otto
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Produktbeschreibung
Man habe »das moralische Recht«, dieses Volk »umzubringen«, sagte Heinrich Himmler im Oktober 1943 über den millionenfachen Mord an den Juden. »Wir haben aber nicht das Recht«, fuhr er fort, »uns auch nur mit einem Pelz, einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder sonst etwas zu bereichern.« Tatsächlich hatte Himmler 1939 eine SS-Gerichtsbarkeit geschaffen, die über die »Moral« und die Einhaltung des »Ehrenkodex« der Organisation wachen sollte.

Ein solcher SS-Richter war Konrad Morgen (1909-1982). Morgen ermittelte gegen hochrangige Nationalsozialisten, u. a. gegen Karl Otto Koch, den ehemaligen Kommandanten des Lagers Buchenwald, und gegen Adolf Eichmann, dem er vorwarf, Juwelen unterschlagen zu haben. Sich selbst bezeichnete Morgen als »Gerechtigkeitsfanatiker«.

Gestützt auf seine Berichte und Briefe aus der Kriegszeit sowie auf seine Aussagen in Nürnberg und beim Frankfurter Auschwitz-Prozess, zeichnen Herlinde Pauer-Studer und J. David Velleman die wichtigsten Stationen in der Karriere des SS-Richters Konrad Morgen nach. Die Biografie dieses ambivalenten Charakters ist zugleich eine Studie in moralischer Komplexität und verdeutlicht die strukturelle Pervertierung von Recht und Moral im »Dritten Reich«.
Autorenporträt
Herlinde Pauer-Studer, geboren 1953, ist Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Wien und Leiterin des Projekts des Europäischen Forschungsrats »Verzerrungen des Normativen«. Im Suhrkamp Verlag hat sie Autonom leben (stw 1496) veröffentlicht und David Humes Über Moral (stb 6) kommentiert. Zuletzt gab sie (zusammen mit Julian Fink) den Band Rechtfertigungen des Unrechts. Das Rechtsdenken im Nationalsozialismus in Originaltexten (stw 2043) heraus. J. David Velleman, geboren 1952, ist Professor für Philosophie an der New York University.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2017

Himmlers Gerechtigkeitsfanatiker?
SS-Richter Konrad Morgen klagte SS-Personal von Konzentrationslagern an

"Auschwitz war eine kleine Stadt mit einem sehr großen Durchgangs- und Verschiebebahnhof, etwa wie Bebra", gab im Jahr 1964 ein Mann zu Protokoll, dessen Biographie den nationalsozialistischen Terror von einer kaum bekannten, ungeheuerlichen, geradezu grotesken Seite beleuchtet. Der Mann, der im Frankfurter Auschwitz-Prozess als Zeuge gehört wurde, war der Jurist Konrad Morgen (1909 bis 1982). Seit dem Herbst 1940 war Morgen, selbst NSDAP- und SS-Mitglied, ein "SS-Richter", das heißt, er war tätig in jener gesonderten, von Heinrich Himmler 1939 geschaffenen NS-Gerichtsbarkeit, die Vergehen der SS und der Polizei im "besonderen Einsatz", in den besetzten Gebieten hinter der Front verfolgte.

In dieser Funktion war er mit Ermittlungen gegen hohe SS-Offiziere, in erster Linie wegen Korruption, betraut. Seine Untersuchungen führten ihn 1943 auch nach Auschwitz. Er erklärte nach dem Krieg, er habe damals erkannt, dass das Lager ein "Vernichtungslager" gewesen sei, in dem der Massenmord an den europäischen Juden mit industrieller Arbeitsorganisation ins Werk gesetzt worden sei. Als Morgen nach dem Krieg verhört wurde, gab er an, schockiert gewesen zu sein und nach Wegen gesucht zu haben, das Morden juristisch zu ahnden. Da er sich aber im Klaren war, dass das "Staatsoberhaupt" den Massenmord befohlen hatte und er Hitler ja nicht anklagen konnte, wählte er den Weg, den er für den einzig gangbaren hielt: Er erhob Anklage wegen einzelner krimineller Taten. So brachte er bis 1945 eine Reihe von Lageraufsehern und andere Funktionäre des NS-Systems vor Gericht, die abgeurteilt und zum Teil auch hingerichtet wurden.

Man steht mithin vor dem aberwitzigen Fall eines SS-Richters, der zwischen 1943 und 1945 gegen SS-Leute wegen Korruption und "gesetzwidrigen" Tötungsdelikten Prozesse führte, weil er das große Ausrotten in dem "fabrikmäßigen Schlachthausbetrieb" - wie er sich später ausdrückte - nicht anklagen konnte und wollte, und der sich selbst einen "Gerechtigkeitsfanatiker" nannte. Wie lässt sich so eine Lebensgeschichte erzählen? Wie kann man sine ira et studio ein solches Berufsethos rekonstruieren? Das österreichisch-amerikanische Autorenpaar Herlinde Pauer-Studer und J. David Velleman versucht es vorsichtig abwägend, stets in dem Bewusstsein, dass alle rückblickenden Erklärungen und Deutungen von Beteiligten notwendig unter Apologieverdacht stehen. Die Untersuchung ist als "normative Fallstudie" angelegt. Sie arbeitet einerseits, vornehmlich anhand der Prozessakten, geschichtswissenschaftlich; sie unternimmt es andererseits von einem rechtsphilosophischen Standpunkt aus, Konrad Morgens politische Anschauungen und juristische Entscheidungen in den Horizont der großen Frage nach dem Verhältnis von überzeitlicher Gerechtigkeit, positivem Recht und historisch-zeitabhängigen Rechtsauffassungen einzuordnen. Die Studie entwirft Morgens "moralische Biographie", nicht in dem Sinne, dass sie zeigen will, dass dieser trotz allem ein anständiger Kerl geblieben war, sondern indem sie seine handlungsleitenden Vorstellungen von Recht und Ordnung unter den Bedingungen eines Unrechtsstaates skizziert, dem er selbst als Amtsträger diente.

Als solcher war Morgen ein überzeugter Vertreter des nationalsozialistischen Willensstrafrechts, das den verbrecherischen Vorsatz des Täters aus dessen verdorbener Persönlichkeit herleitete. Die liberale Unterscheidung von Recht und Sittlichkeit teilte er nicht. Auch scheint er die drakonische Härte der NS-Strafpraxis nicht in Frage gestellt zu haben. Sie schien ihm im Gegenteil dort besonders geboten, wo er durch moralisch-verbrecherische Korruption Einzelner das Wohl der Gemeinschaft bedroht sah, sei es der deutschen "Volksgemeinschaft", sei es der idealisierten Kampfgemeinschaft der SS. Auf diese Motivlage gehen Pauer-Studer und Velleman ein - mit einem bisweilen schon fast irritierenden Bemühen um Fairness und Differenzierung.

Sie machen deutlich, dass Morgens Anliegen nur mittelbar die Ahndung des Massenmordens als solchem war; unmittelbar ging es ihm vielmehr um die Bestrafung von Taten, von denen er annahm, sie seien sowohl Grund als auch Folge moralischer Verrohung und folglich eine Schädigung des Gemeinwohls. Ihn erschütterte die Inhumanität der Konzentrationslager, die er im Zuge seiner Untersuchungen erlebte; aber mehr noch erschütterte ihn die Überzeugung, dass hier die Ordnung dessen, was er für solides Recht hielt, verletzt wurde. In diesem Geist leitete er die Ermittlungen gegen den Lagerkommandanten von Buchenwald, Karl Otto Koch, und dessen Frau; er ermittelte gegen Maximilian Grabner, den Leiter der Gestapo in Auschwitz; er versuchte, Rudolf Höß, den Kommandanten von Auschwitz-Birkenau, und andere vor Gericht zu bringen. Da das nicht ohne Risiko für ihn persönlich war, trug ihm sein Verhalten nach 1945 durchaus auch Anerkennung ein. Die abgründige Ambivalenz dieses deutschen Juristenlebens macht die Studie überzeugend plausibel.

CHRISTIANE LIERMANN

Herlinde Pauer-Studer/J. David Velleman: "Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin". Der Fall des SS-Richters Konrad Morgen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 348 S., 26,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Milos Vec erahnt die Schwierigkeit, eine Lebensgeschichte wie die des SS-Richters Konrad Morgan zu erzählen. Herlinde Pauer-Studer und J. David Velleman machen ihre Arbeit gut, findet er, indem sie Morgans Vita auf lesbare Weise mit elementaren Fragen der Philosophie, des Rechts und der Geschichte in Beziehung setzen. Faszinierend scheint ihm die Verwebung verschiedener Erzählebenen, der Entwicklung des NS-Staates mit Morgans Ermittlerarbeit sowie rechtstheoretischen Fragen. Die ambivalente Haltung Morgans zum NS-Staat und seine eigenwillige moralische Überzeugung werden für Vec deutlich. Bemerkenswert findet Vec die Umsicht der Autoren bei der Behandlung komplexer Fragestellungen zum Recht in einem Unrechtsregime. Den ein oder anderen jüngeren Methodenansatz vermisst Vec zwar, vom Gedankenreichtum des Bandes aber profitiert er.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Wiener Philosophin und ihr New Yorker Kollege bezeichnen ihr faszinierendes Buch als 'normative Fallstudie'. Sie verweben in zumeist sehr verständlicher Erzählweise verschiedene Ebenen: den raschen Weg des NS-Staates in die totale Unrechtsdiktatur [und] Konrad Morgens ... theoretische Fragen der Rechts- und Staatsphilosophie, die kaum komplexer sein könnten.« Milos Vec Neue Zürcher Zeitung 20170916