Er beobachtet, entdeckt die Poesien der Gegenwart. Alles kann Gedicht sein. Er leidet an der Welt, aber er findet sich mit ihr nicht ab, denn er ist ein Dichter. Er schreibt funkelnde Gedichte synästhetisch verbindend, aber präzise: die Welt im Fingerhut. Kein Mäandern, ohne Ornament, Verknappung aufs Äußerste. Die Gedichte von Matthias Buth suchen und laden so den Leser zum Dialog ein, der sich mit seinen Erfahrungen in die Bildwelten des Textes einbringen kann.Buth ist ein Sprach- und Lebensexeget wie wenige in der deutschsprachen Lyrik der Gegenwart. Walter Hinck brachte es auf den Punkt mit der Feststellung: "Selten habe ich in der Gegenwartslyrik für unendliche Verlassenheit poetische Bilder von solch tragischer Ironie gefunden.- Ich bewundere, wie Beobachtungen, Reflexionen oder Erfahrungen unmittelbar in Poesie umgesetzt werden: Keine Krücken der Vermittlung."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2020Elfenbein im Traum
Abhanden: Matthias Buths neue Gedichte
Dieses Buch hat einen weiten Atem. "Das mystische Leoparden- oder Pantherfell aus dem alten Ägypten, ein Umhang, der schützt und mit dem Außerirdischen verbindet" - so erläutert Matthias Buth den Titel seines letzten, bislang gewichtigsten Lyrikbandes und fügt hinzu: "Der Himmel ist Projektionsfläche für die Welt im Innern, für Bilder, die weiterziehen und zurücklassen." Und "der Himmel ist ein weißes Blatt", heißt es bei Buth in seinem Gedicht "Kommen". Ihn gilt es zu beschriften.
"Abhanden" lautet der Titel des großen Odessa-Gedichts, das den Band einleitet und so dessen Grundton präludiert: den des Verlusts. Gemeint ist das alte Odessa, das 1926 rund 80 000 jüdische Einwohner hatte, unter ihnen auch Isaak Babel, der 1939 im Zuge der Stalin'schen "Säuberungen" verhaftet wurde und 1941 im Lager starb. In seinen "Geschichten aus Odessa" spricht Babel auch von "deutschen Kolonien", gegründet im neunzehnten Jahrhundert von deutschen lutherischen Bauern. Mit so schönen Namen wie Liebenthal oder Glücksthal. Ungenannt bei Babel bleiben Freudenthal und Hoffnungsthal und weitere, die dazugehörten. Sie kamen gleichfalls "abhanden".
Gerettet davon blieb nur ein Name - nun aber um viele Kilometer und um Epochen versetzt: Hoffnungsthal, der Ortsteil von Rösrath, in dem Matthias Buth wohnt. Daraus ergibt sich das Spannungsfeld - historisch, geographisch und psychisch -, aus dem viele seiner Gedichte ihre Energie beziehen. Aus beruflichen Gründen lernte der promovierte Jurist Buth die südöstlichen Kulturen des alten Europas kennen und lieben. Immer ist diese Liebe durchzogen von Musik: Die Doina ertönt, der traditionelle rumänische Gesang, der klagen, aber auch jauchzen kann. Hier besingt er eine hitzedurchglühte Natur, der Sonne wie aus dem Gesicht geschnitten, "rupta din soare", wie der rumänische Ausdruck lautet.
Verlust, ein Abhandenkommen, ist auch Thema bei Buths Exkursionen ins südliche Afrika, nach Botswana und zum Delta des Okavangos. Er mündet in kein Meer, sondern versickert im Sand. Bleibt der Regen aus, verdurstet die Tierwelt, ohnehin bedroht vom Menschen und seiner Gier: "Jede Nacht tragen sie zärtlich / Elfenbein durch die Träume / Ihren vorweggenommenen Tod". "Trauernde mit grauem Blick" nennt Buth die Elefanten, und man spürt seine Liebe zur Kreatur, die - wie jede Kreatur - auch von Gott ist. Dieses Grundvertrauen klingt immer wieder an. So wird das Leopardenfell auch zum Schutzmantel, wie ihn die abendländische Ikonographie kennt: "Wenn ich einmal sollt sterben / Dann werd ich nicht verderben / In Deiner Wolkenhand / Sie ist ein leises Land."
Überhaupt betritt Buth den Raum des Sterbens mit bewegender Innigkeit. So im Gedicht zum Gedenken an einen Freund, der auf dem Sterbebett das Notsignal nicht mehr drückt, denn "Wenn keiner kommt / Bleibt das Sterben sein Königreich / Dort will er umhergehen / Blütenleicht wie Bienen". Das Gedicht wird zum Raum, in dem das Verlorene seine Schattenexistenz findet - am erschütterndsten im Gedenken an jenen französischen Gendarm, Arnaud Beltrame, der sich im März 2018 im Austausch gegen eine festgehaltene Frau in die Hände des dschihadistischen Geiselnehmers begab, der ihm sogleich in den Hals schoss: "Das Blut kam im versiegenden Rhythmus des Herzens."
Wo Buth die Moll-Tonart verlässt kann er bezaubern, auch durch seinen Humor, und der Leser folgt ihm, etwa zum Zebrastreifen, der "wusste / Eines Tages werde er Klavier sein", denn es ist jener über die (ungenannte) Abbey Road, auf dem die (ebenfalls ungenannten) Beatles gingen: "Jeder Schritt eine chromatische Reihe / Die sich erst auflöste / am anderen Bordstein".
Warum sollte man diese Lyrik lesen? Weil sie noch einmal Menschen- und Tierwelten beschwört, die dem heutigen Bewusstsein zu entgleiten drohen, auch sie "abhanden". Weil sie mit ihrer Sprachmagie und unverbrauchten Metaphorik Augen und Ohren öffnet. Weil sie in der Gleichberechtigung allen Lebens auch der Schnecke ihr "Königreich" gönnt, das sie "im Seitenspiegel links oben" begründet hat. Hier kann sie, je nach Fahrtwind, ihre feuchten Minarette einziehen oder wieder aufrichten. Ist das nun existentielle Lyrik? Ist es Naturlyrik? Es ist beides, in hohem Maße.
AXEL VIEREGG
Matthias Buth: "Weiß ist das Leopardenfell des Himmels". Neue Gedichte.
PalmArtPress, Berlin 2019. 150 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Abhanden: Matthias Buths neue Gedichte
Dieses Buch hat einen weiten Atem. "Das mystische Leoparden- oder Pantherfell aus dem alten Ägypten, ein Umhang, der schützt und mit dem Außerirdischen verbindet" - so erläutert Matthias Buth den Titel seines letzten, bislang gewichtigsten Lyrikbandes und fügt hinzu: "Der Himmel ist Projektionsfläche für die Welt im Innern, für Bilder, die weiterziehen und zurücklassen." Und "der Himmel ist ein weißes Blatt", heißt es bei Buth in seinem Gedicht "Kommen". Ihn gilt es zu beschriften.
"Abhanden" lautet der Titel des großen Odessa-Gedichts, das den Band einleitet und so dessen Grundton präludiert: den des Verlusts. Gemeint ist das alte Odessa, das 1926 rund 80 000 jüdische Einwohner hatte, unter ihnen auch Isaak Babel, der 1939 im Zuge der Stalin'schen "Säuberungen" verhaftet wurde und 1941 im Lager starb. In seinen "Geschichten aus Odessa" spricht Babel auch von "deutschen Kolonien", gegründet im neunzehnten Jahrhundert von deutschen lutherischen Bauern. Mit so schönen Namen wie Liebenthal oder Glücksthal. Ungenannt bei Babel bleiben Freudenthal und Hoffnungsthal und weitere, die dazugehörten. Sie kamen gleichfalls "abhanden".
Gerettet davon blieb nur ein Name - nun aber um viele Kilometer und um Epochen versetzt: Hoffnungsthal, der Ortsteil von Rösrath, in dem Matthias Buth wohnt. Daraus ergibt sich das Spannungsfeld - historisch, geographisch und psychisch -, aus dem viele seiner Gedichte ihre Energie beziehen. Aus beruflichen Gründen lernte der promovierte Jurist Buth die südöstlichen Kulturen des alten Europas kennen und lieben. Immer ist diese Liebe durchzogen von Musik: Die Doina ertönt, der traditionelle rumänische Gesang, der klagen, aber auch jauchzen kann. Hier besingt er eine hitzedurchglühte Natur, der Sonne wie aus dem Gesicht geschnitten, "rupta din soare", wie der rumänische Ausdruck lautet.
Verlust, ein Abhandenkommen, ist auch Thema bei Buths Exkursionen ins südliche Afrika, nach Botswana und zum Delta des Okavangos. Er mündet in kein Meer, sondern versickert im Sand. Bleibt der Regen aus, verdurstet die Tierwelt, ohnehin bedroht vom Menschen und seiner Gier: "Jede Nacht tragen sie zärtlich / Elfenbein durch die Träume / Ihren vorweggenommenen Tod". "Trauernde mit grauem Blick" nennt Buth die Elefanten, und man spürt seine Liebe zur Kreatur, die - wie jede Kreatur - auch von Gott ist. Dieses Grundvertrauen klingt immer wieder an. So wird das Leopardenfell auch zum Schutzmantel, wie ihn die abendländische Ikonographie kennt: "Wenn ich einmal sollt sterben / Dann werd ich nicht verderben / In Deiner Wolkenhand / Sie ist ein leises Land."
Überhaupt betritt Buth den Raum des Sterbens mit bewegender Innigkeit. So im Gedicht zum Gedenken an einen Freund, der auf dem Sterbebett das Notsignal nicht mehr drückt, denn "Wenn keiner kommt / Bleibt das Sterben sein Königreich / Dort will er umhergehen / Blütenleicht wie Bienen". Das Gedicht wird zum Raum, in dem das Verlorene seine Schattenexistenz findet - am erschütterndsten im Gedenken an jenen französischen Gendarm, Arnaud Beltrame, der sich im März 2018 im Austausch gegen eine festgehaltene Frau in die Hände des dschihadistischen Geiselnehmers begab, der ihm sogleich in den Hals schoss: "Das Blut kam im versiegenden Rhythmus des Herzens."
Wo Buth die Moll-Tonart verlässt kann er bezaubern, auch durch seinen Humor, und der Leser folgt ihm, etwa zum Zebrastreifen, der "wusste / Eines Tages werde er Klavier sein", denn es ist jener über die (ungenannte) Abbey Road, auf dem die (ebenfalls ungenannten) Beatles gingen: "Jeder Schritt eine chromatische Reihe / Die sich erst auflöste / am anderen Bordstein".
Warum sollte man diese Lyrik lesen? Weil sie noch einmal Menschen- und Tierwelten beschwört, die dem heutigen Bewusstsein zu entgleiten drohen, auch sie "abhanden". Weil sie mit ihrer Sprachmagie und unverbrauchten Metaphorik Augen und Ohren öffnet. Weil sie in der Gleichberechtigung allen Lebens auch der Schnecke ihr "Königreich" gönnt, das sie "im Seitenspiegel links oben" begründet hat. Hier kann sie, je nach Fahrtwind, ihre feuchten Minarette einziehen oder wieder aufrichten. Ist das nun existentielle Lyrik? Ist es Naturlyrik? Es ist beides, in hohem Maße.
AXEL VIEREGG
Matthias Buth: "Weiß ist das Leopardenfell des Himmels". Neue Gedichte.
PalmArtPress, Berlin 2019. 150 S., geb., 22,- [Euro].
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