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In Zeiten hitziger Diskussionen wagt Doris Byer, Historikerin und Kulturanthropologin, eine andere Perspektive auf Rassismus und zeigt auf, dass dieses erstaunlich beharrliche Phänomen keineswegs einer »unvollendeten Aufklärung«, einer allgemein menschlichen Disposition oder nur einer individuellen Bösartigkeit geschuldet ist. Vielmehr handelt es sich dabei um ein tragendes Element der europäischen Kulturgeschichte, das die Autorin in all seinen eigenwilligen Prämissen und opportunen Mutationen - nicht allein wegen ihrer kurzen, aber folgenreichen Ehe mit einem aus der Karibik stammenden…mehr

Produktbeschreibung
In Zeiten hitziger Diskussionen wagt Doris Byer, Historikerin und Kulturanthropologin, eine andere Perspektive auf Rassismus und zeigt auf, dass dieses erstaunlich beharrliche Phänomen keineswegs einer »unvollendeten Aufklärung«, einer allgemein menschlichen Disposition oder nur einer individuellen Bösartigkeit geschuldet ist. Vielmehr handelt es sich dabei um ein tragendes Element der europäischen Kulturgeschichte, das die Autorin in all seinen eigenwilligen Prämissen und opportunen Mutationen - nicht allein wegen ihrer kurzen, aber folgenreichen Ehe mit einem aus der Karibik stammenden Nuklearphysiker - ihr Leben lang begleitete. Auf eine über die akademischen Spielregeln von Klassifikation und Systematisierung hinausweisende, das Lebensgefühl einschließende Weise, voll abgrundtiefer Widersprüche und gelegentlicher Komik, zeichnet Byer das Bild von alten und neuen Eliten, die ungeachtet des fundamentalen Wandels der Welt die zivilisatorische Überlegenheit der »weißen« Haut zelebrieren zu können glauben - und damit das Gespenst des Rassismus lebendig erhalten als Grundlage für Europas Größe und Desaster.
Autorenporträt
Doris Byer, 1942 in Wien geboren, habilitiert für Historische Anthropologie, lebte und arbeitete in Jamaika, auf den Salomon-Inseln, in Marokko, Marseille, Mali und immer wieder Wien. Sie publizierte zahlreiche akademische und literarische Arbeiten zu den Themen Wissenschaftsgeschichte, Rassenideologien und Rassismus, zu Migration und dem Wandel postkolonialer Gesellschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2022

Ein Leben zwischen den Kulturen schärft den Blick
Wenn die Hautfarbe über gesellschaftliche Zugehörigkeiten entscheidet: Die Anthropologin und Historikerin Doris Byer blickt zurück auf ihr Leben und ihre Forschung

Durch seinen inflationären Gebrauch ist der Rassismus-Vorwurf heute zu einer stumpfen Waffe geworden. Wenn selbst Indianerspiele oder das Tragen afroamerikanischer Frisuren als "rassistische" Aneignung gebrandmarkt werden, verliert man leicht aus den Augen, was es tatsächlich heißt, aufgrund der Hautfarbe benachteiligt zu werden. Dies wieder einmal in Erinnerung zu rufen scheint angesichts der gegenwärtig ausufernden und in ihrem rigiden Moralismus oft bigotten Diskussion höchste Zeit.

Doris Byer gelingt das in ihrem autobiographischen Rückblick in überzeugender Weise. Für die abschätzige Behandlung von Menschen allein aufgrund ihrer körperlichen Merkmale entwickelte die aus einer alteingesessenen Wiener Familie stammende Österreicherin schon früh ein ausgeprägtes Sensorium. Sie verdankte es ihrem Vater, dem Ethnologen, Reisejournalisten und Fotographen Hugo A. Bernatzik, der zusammen mit seiner Frau Emmy seit Mitte der Zwanzigerjahre Forschungsreisen nach Afrika, Hinterindien und Ozeanien unternommen hatte und durch seine populären Reportagen und Bildbände zu einem der erfolgreichsten Sachbuchautoren der Vorkriegszeit geworden war. Anschaulich schildert sie die Atmosphäre in dem in einem Wiener Villenviertel gelegenen Haus ihrer Eltern. Sein Salon war mit den vom Vater gesammelten Ethnographica und Kunstwerken geradezu vollgestopft. In ihm empfing er Besucher aus aller Welt, nachdem er seine Reisetätigkeit wegen einer schweren Erkrankung hatte aufgeben müssen. Einige von ihnen beließen es nicht bei einem Kurzbesuch, sondern blieben gleich Monate. Und sie waren der Mutter auch weiterhin willkommen, als der Vater 1953 starb. Mit Unverständnis quittierte ihre Tochter damals schon den Rassismus, der den Gästen ihrer Eltern in Wien entgegengebracht wurde. Faktisch stand Doris Byer so bereits in ihrer Jugend zwischen den Kulturen. Je öfter sie erleben musste, wie herablassend und entwürdigend ihre Landsleute die Mitglieder fremder Kulturen behandelten, desto weniger fühlte sie sich ihrer eigenen Herkunftskultur zugehörig.

Vielleicht war es daher auch ein rebellischer Akt, als sie 1969 einen aus Jamaika stammenden Nuklearphysiker heiratete, der in der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergie-Organisation arbeitete. Wie wenig selbst ihr engeres soziales Umfeld gegen Vorurteile gefeit war, musste sie bei ihrer Hochzeit erfahren. Ihr Patenonkel und ehemaliger Vormund weigerte sich, sie zum Altar zu führen, weil er seine Nichte, wie er später seiner Schwester gegenüber eingestand, keinem "Bantu-Neger" zur Frau geben wollte.

Zwar hatte sie auch früher schon einige Wochen in Afrika verbracht, doch war es von nun an ihr Ehemann, der ihr das "Tor zur Welt" öffnete. Im Land seiner Eltern, die zur jamaikanischen Oberschicht gehörten, lernte sie ein Sozialsystem kennen, in dem die Klassenzugehörigkeit nicht allein vom Vermögen, sondern auch von den Abstufungen der Hautfarbe abhing. Ähnliche Klassen- und Rassenschranken konnte sie auch in Brasilien, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern beobachten, in die sie ihren Mann auf seinen späteren diplomatischen Missionen begleitete.

Nachdem sie sich von ihm getrennt hatte und mit ihrer Tochter wieder nach Wien gezogen war, merkte sie, welchen Diffamierungen durch Lehrer und Mitschüler ein sogenanntes "Mischlingskind" dort selbst noch in den Achtzigerjahren ausgesetzt war. Es war daher nur eine Konsequenz aus ihren bisherigen Lebenserfahrungen, dass sie sich im Alter von vierzig Jahren noch dazu entschloss, ein Studium der Geschichtswissenschaft, Ethnologie und Philosophie aufzunehmen, um sich unter unterschiedlichen Aspekten mit dem Phänomen des Rassismus auseinanderzusetzen. Ein längerer Exkurs in dessen Geschichte bildet auch den Kernteil des Buchs. Er beginnt mit den Klassifikationssystemen menschlicher Rassen bei Linné, Blumenbach und Kant und führt über Arthur Gobineau und Houston Stewart Chamberlain bis hin zu den pseudowissenschaftlichen Theorien eines Eugen Fischer und des "Rassenpapstes" Hans F. K. Günther, denen Hitler einige seiner abstrusesten Ideen verdankte.

Doris Byers damalige Entscheidung hatte allerdings noch einen weiteren Grund, nämlich die Auseinandersetzung mit dem zwiespältigen Erbe ihres Vaters. Obgleich er den Rassentheorien seiner Zeit skeptisch gegenüberstand, war er schon vor Österreichs Anschluss der NSDAP beigetreten und während des Kriegs wegen seiner Mitarbeit an einem Afrika-Handbuch vom Militärdienst freigestellt worden. In einer 1999 erschienenen Dokumentation suchte sie die Anschuldigungen zu entkräften, die deswegen nach dem Krieg von einigen seiner politisch weit stärker belasteten Fachkollegen gegen ihn vorgebracht worden waren. Identifikatorisch hatte sie sich auch schon in den Jahren zuvor auf den Spuren des Vaters bewegt, sein um-fangreiches Archiv gesichtet, Bildbände mit seinen ethnographischen Fotografien veröffentlicht und die Orte besucht, an denen er sie aufgenommen hatte.

Einer dieser Orte ist die im südlichen Pazifik gelegene Salomon-Insel Owa Raha, auf der sie von 1990 an selbst einen längeren Feldforschungsaufenthalt verbrachte. Sechzig Jahre zuvor hatte ihr Vater sein gleichnamiges Buch über die Insel veröffentlicht, das seinen damaligen Verkaufserfolg zweifellos auch den beigefügten Fotografien nackter junger Frauen verdankte. Als sie selbst die Insel besuchte, hatte sich die "traditionelle Kultur" ihrer Bewohner unter dem Einfluss evangelikaler Missionare freilich bereits so verändert, dass sie das Gebaren der reichen Touristen, die mit ihren Yachten in Buchten der Insel vor Anker gingen, um dort nackt zu baden, als ausgesprochen obszön empfinden. Ihre Schilderung dessen, was sie alles taten, um solche unerwünschten Gäste von der Insel fernzuhalten, ist nur eine der vielen mit ironischer Distanz beschriebenen und oft recht amüsanten Szenen des Buchs.

Ihr zentrales Anliegen aber bleiben die Diffamierungen von Menschen anderer Hautfarbe, über die sie sich umso mehr ärgert, seit sie mit der Formel einhergehen: "Ich bin ja nun kein Rassist, aber . . .". Allerdings schlägt die Sensibilität, die sie bei den meisten ihrer Beobachtungen und Analysen an den Tag legt, auf den letzten hundert Seiten des Buchs in eine regelrechte Besessenheit um. Auch wenn sie sich von den extremen Positionen einiger politischer Aktivisten distanziert, sieht auch sie selbst schließlich überall nur noch Rassismus am Werk. KARL-HEINZ KOHL

Doris Byer: "Weiße Haut, Schwarze Seele".

Matthes & Seitz Verlag, Berlin, 2022. 622 S., geb., 38,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Karl-Heinz Kohl empfiehlt dieses Buch der Historikerin und Anthropologin Doris Byer mit Nachdruck. Schon früh kommt die Österreicherin durch ihren Vater, den Vorkriegs-Ethnologen Hugo A. Bernatzik, mit fremden Kulturen, aber auch mit dem Rassismus der eigenen Landsleute in Kontakt, informiert der Kritiker. Byer selbst heiratete Ende der Sechziger einen aus Jamaika stammenden Nuklearphysiker, in Byers familiären Umfeld wurde dieser als "Bantu-Neger" verunglimpft, aber auch in dessen Familie, die zur jamaikanischen Oberschicht gehörte, lernte sie ein Klassensystem kennen, das nicht zuletzt von den Abstufungen der Hautfarbe abhing, fährt der Rezensent fort. In den Achtzigerjahren kehrte Byer mit der gemeinsamen Tochter nach Wien zurück, auch jetzt noch war das "Mischlingskind" Diffamierungen ausgesetzt. Neben der persönlichen Erfahrungen bringt die Autorin aber auch Exkurse zu Klassifikationssystemen menschlicher Rassen bei Linné, Blumenbach, Kant oder Chamberlain unter, staunt der Kritiker, der zudem lobt, dass sich Byer auch nicht vor der Auseinandersetzung mit dem "zwiespältigen Erbe" ihres Vaters, der früh der NSDAP beitrat, scheut. Ein lesenswertes Buch, das nur zum Ende hin, wenn Byer überall nur noch Rassismus sieht, ein wenig zu obsessiv scheint, schließt er.

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