Der Sizilienaufenthalt eines deutschen Paares nimmt eine bizarre Wendung, als die Frau bei einem Tagesausflug in einem verlassenen Haus spurlos verschwindet. Der Mann reagiert seltsam: Anstatt ihrem Verbleib nachzugehen, fährt er in die gemeinsame Wohnung zurück, hängt seinen Gefühlen und Erinnerungen nach, lauscht den Geräuschen der Stadt und kommt das erste Mal seit Monaten mit der Arbeit an seinem Roman voran. Seine liebste Arbeitszeit ist die Weiße Stunde , wenn alles menschenleer und still in der Mittagshitze liegt. Je länger er jedoch untätig bleibt, ihr Verschwinden aufzuklären, desto mehr verstrickt er sich in ein Geflecht aus Lügen und Selbstbetrug und gerät schließlich unter Mordverdacht.
Präzise und atmosphärisch schildert Florian Scheibe eine Mechanik des Sich-schuldig-Machens und führt seinen Protagonisten an die gefährlichen Grenzen zwischen Selbstüberschätzung und Selbstzerstörung, bewusster Auslieferung und unkontrollierbarem Ausgeliefertsein heran.
Präzise und atmosphärisch schildert Florian Scheibe eine Mechanik des Sich-schuldig-Machens und führt seinen Protagonisten an die gefährlichen Grenzen zwischen Selbstüberschätzung und Selbstzerstörung, bewusster Auslieferung und unkontrollierbarem Ausgeliefertsein heran.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2012Sprechen wir von Mord
Florian Scheibe schreibt über den Fluch des Schreibens
Für gewöhnlich folgen auf ein Verbrechen die Versuche des Täters, die Spuren unsichtbar werden zu lassen. Ob allerdings am Anfang von Florian Scheibes "Weiße Stunde" überhaupt ein Verbrechen steht, darüber bleibt der Leser lange im Unklaren. Dem Ich-Erzähler dieses Romandebüts ist kaum über den Weg zu trauen, zu unmittelbar ist er ins Geschehen verstrickt, das er zu rekonstruieren vorgibt. Allzu deutlich aber eben ist, wie dieser Erzähler mehr und mehr Spuren legt, die nicht nur auf ein Verbrechen, sondern auch auf ihn selbst als Täter verweisen. Warum er diese Spuren legt, bleibt rätselhaft.
Svenja, die Freundin des Ich-Erzählers, verschwindet während eines gemeinsamen Sizilien-Aufenthaltes. Eine kurze, unwesentliche Auseinandersetzung gab es, daraufhin blieb Svenja allein in einem alten leerstehenden Haus zurück, das das Paar neugierig auskundschaften wollte. Der Erzähler - das behauptet er zumindest - will im parkenden Auto vor dem Haus auf die Freundin warten. Er wartet lange, sucht sie schließlich in und hinter dem Haus, und plötzlich weiß er: Sie ist verschwunden. Das Eigenartige, fast Unheimliche ist, mit welcher Ruhe der junge Mann das Verschwinden seiner Freundin zur Kenntnis nimmt. Irritierend ist zudem, dass er niemandem von dem Vorfall berichtet. Nur einen halbherzigen Versuch, die Carabinieri einzuschalten, macht er, den er aber abbricht, weil die Beamten gerade Mittagspause haben.
Florian Scheibe, geboren 1971, hat an der Film- und Fernsehakademie Berlin studiert und als Aufnahmeleiter und Regieassistent gearbeitet. Es mag daher kein Zufall sein, dass die ersten Seiten von "Weiße Stunde" sich unmittelbar als Anfangssequenzen eines Films denken lassen, in dessen Bildern einer flimmernden Sommerhitze, in der alles ein wenig verlangsamt und unwirklich erscheint, das Unheilvolle immerzu bedrohlich mitschwingt.
Je weiter der Roman nun voranschreitet, desto undurchschaubarer wird das, was wirklich geschehen ist und was der Erzähler hinzudichtet oder falsch erinnert. Dass der junge Mann kurz nach dem Verschwinden seiner Freundin in ein Fieberdelirium fällt, verstärkt den Verdacht, dass sich beim Erzähler zumindest für eine Weile Realität und Einbildung miteinander vermischt haben könnten. Warum sollte das nicht auch schon an jenem heißen Mittag so gewesen sein, als er angeblich im Auto gewartet und nichts von dem Verschwinden seiner Freundin bemerkt hat?
Trotz all der Unsicherheit über das genaue Geschehen scheinen die Indizien dafür, dass und warum hier ein Mord geschehen sein könnte, immer eindeutiger zu werden. Die Beziehung von Svenja und dem Erzähler, das enthüllt Florian Scheibe nach und nach, war alles andere als unproblematisch. Sie war die attraktive, erfolgreiche Doktorandin, er der erfolglose Autor.
Und so passt es ins Bild, wie der Erzähler mit Svenjas Verschwinden umgeht. Ihm geht es gut. So gut wie schon lange nicht mehr, er scheint erleichtert, befreit, kann sich endlich an seinen Computer setzen und schreiben. Er schreibt wie im Rausch, weil das, was ihn gelähmt hat, verschwunden ist.
Florian Scheibes Roman mag Anteile eines Krimis haben. Viel mehr als das aber ist er ein Roman übers Schreiben und über das, was dieses Schreiben mit und aus einem Menschen machen kann. Und das in doppelter Hinsicht: Das Schreibenwollen ist der Motor für das Verhalten des Erzählers, und zugleich ist das Aufschreiben der Geschichte ein permanentes Erzeugen von Indizien. Das Schreiben macht den Erzähler zum Mörder. Oder hat es nur den Anschein, als würde es das tun?
Einem Roman, der das Schreiben selbst verhandelt, ist naturgemäß etwas Heikles zu eigen. Die Fallhöhe ist beträchtlich und auch die Gefahr, an den selbstformulierten Ansprüchen gemessen und für zu klein befunden zu werden. Man kann Florian Scheibe sicher vorwerfen, dass seine Geschichte konstruiert ist. Dass Scheibes Sprache hin und wieder angestrengt ist, nicht immer den richtigen Ton trifft, mag diesen Eindruck noch verstärken. Wie es ihm aber gelingt, über gut zweihundert Seiten, die man fast durchweg allein mit seinem solipsistischen Erzähler verbringt, eine beunruhigende Spannung aufrechtzuerhalten, das ist die starke Seite dieses Debüts.
WIEBKE POROMBKA
Florian Scheibe: "Weiße Stunde". Roman.
Luftschacht Verlag, Wien 2012. 205 S., geb., 20,40 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Florian Scheibe schreibt über den Fluch des Schreibens
Für gewöhnlich folgen auf ein Verbrechen die Versuche des Täters, die Spuren unsichtbar werden zu lassen. Ob allerdings am Anfang von Florian Scheibes "Weiße Stunde" überhaupt ein Verbrechen steht, darüber bleibt der Leser lange im Unklaren. Dem Ich-Erzähler dieses Romandebüts ist kaum über den Weg zu trauen, zu unmittelbar ist er ins Geschehen verstrickt, das er zu rekonstruieren vorgibt. Allzu deutlich aber eben ist, wie dieser Erzähler mehr und mehr Spuren legt, die nicht nur auf ein Verbrechen, sondern auch auf ihn selbst als Täter verweisen. Warum er diese Spuren legt, bleibt rätselhaft.
Svenja, die Freundin des Ich-Erzählers, verschwindet während eines gemeinsamen Sizilien-Aufenthaltes. Eine kurze, unwesentliche Auseinandersetzung gab es, daraufhin blieb Svenja allein in einem alten leerstehenden Haus zurück, das das Paar neugierig auskundschaften wollte. Der Erzähler - das behauptet er zumindest - will im parkenden Auto vor dem Haus auf die Freundin warten. Er wartet lange, sucht sie schließlich in und hinter dem Haus, und plötzlich weiß er: Sie ist verschwunden. Das Eigenartige, fast Unheimliche ist, mit welcher Ruhe der junge Mann das Verschwinden seiner Freundin zur Kenntnis nimmt. Irritierend ist zudem, dass er niemandem von dem Vorfall berichtet. Nur einen halbherzigen Versuch, die Carabinieri einzuschalten, macht er, den er aber abbricht, weil die Beamten gerade Mittagspause haben.
Florian Scheibe, geboren 1971, hat an der Film- und Fernsehakademie Berlin studiert und als Aufnahmeleiter und Regieassistent gearbeitet. Es mag daher kein Zufall sein, dass die ersten Seiten von "Weiße Stunde" sich unmittelbar als Anfangssequenzen eines Films denken lassen, in dessen Bildern einer flimmernden Sommerhitze, in der alles ein wenig verlangsamt und unwirklich erscheint, das Unheilvolle immerzu bedrohlich mitschwingt.
Je weiter der Roman nun voranschreitet, desto undurchschaubarer wird das, was wirklich geschehen ist und was der Erzähler hinzudichtet oder falsch erinnert. Dass der junge Mann kurz nach dem Verschwinden seiner Freundin in ein Fieberdelirium fällt, verstärkt den Verdacht, dass sich beim Erzähler zumindest für eine Weile Realität und Einbildung miteinander vermischt haben könnten. Warum sollte das nicht auch schon an jenem heißen Mittag so gewesen sein, als er angeblich im Auto gewartet und nichts von dem Verschwinden seiner Freundin bemerkt hat?
Trotz all der Unsicherheit über das genaue Geschehen scheinen die Indizien dafür, dass und warum hier ein Mord geschehen sein könnte, immer eindeutiger zu werden. Die Beziehung von Svenja und dem Erzähler, das enthüllt Florian Scheibe nach und nach, war alles andere als unproblematisch. Sie war die attraktive, erfolgreiche Doktorandin, er der erfolglose Autor.
Und so passt es ins Bild, wie der Erzähler mit Svenjas Verschwinden umgeht. Ihm geht es gut. So gut wie schon lange nicht mehr, er scheint erleichtert, befreit, kann sich endlich an seinen Computer setzen und schreiben. Er schreibt wie im Rausch, weil das, was ihn gelähmt hat, verschwunden ist.
Florian Scheibes Roman mag Anteile eines Krimis haben. Viel mehr als das aber ist er ein Roman übers Schreiben und über das, was dieses Schreiben mit und aus einem Menschen machen kann. Und das in doppelter Hinsicht: Das Schreibenwollen ist der Motor für das Verhalten des Erzählers, und zugleich ist das Aufschreiben der Geschichte ein permanentes Erzeugen von Indizien. Das Schreiben macht den Erzähler zum Mörder. Oder hat es nur den Anschein, als würde es das tun?
Einem Roman, der das Schreiben selbst verhandelt, ist naturgemäß etwas Heikles zu eigen. Die Fallhöhe ist beträchtlich und auch die Gefahr, an den selbstformulierten Ansprüchen gemessen und für zu klein befunden zu werden. Man kann Florian Scheibe sicher vorwerfen, dass seine Geschichte konstruiert ist. Dass Scheibes Sprache hin und wieder angestrengt ist, nicht immer den richtigen Ton trifft, mag diesen Eindruck noch verstärken. Wie es ihm aber gelingt, über gut zweihundert Seiten, die man fast durchweg allein mit seinem solipsistischen Erzähler verbringt, eine beunruhigende Spannung aufrechtzuerhalten, das ist die starke Seite dieses Debüts.
WIEBKE POROMBKA
Florian Scheibe: "Weiße Stunde". Roman.
Luftschacht Verlag, Wien 2012. 205 S., geb., 20,40 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Stark an diesem Debüt findet Wiebke Porombka, wie der Autor seinem Text über 200 Seiten eine Spannung angedeihen lässt, die die Rezensentin atemlos hält, umso mehr, als Florian Scheibe seinem "solipsistischen Ich-Erzähler" (Porompka) eine ganze Menge zutraut - möglicherweise sogar einen Mord. Letzteres weiß die Rezensentin nicht so genau. Wie so vieles in diesem Roman, bleibt es im Ungefähren, ob hier etwas Böses unter der Sonne geschehen ist. Die Freundin des Erzählers ist jedenfalls verschwunden aus dem Sommerhaus. Die Coolness, mit der das Ich die Vorgänge konstatiert, macht die Rezensentin misstrauisch. Formal fühlt sie sich mitunter im TV-Krimi, in einem manchmal konstruiert wirkenden zwar, doch einem schön rätselhaften auch.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH