Was ist stärker - die Liebe oder die Vergangenheit?
Sie wusste noch zu wenig von ihm, aber in einem war sie sich sicher: Er liebte sie. Er hatte sie nicht verraten, aber den Verrat eines anderen an ihr ertrug er nicht. Die eigene Vergangenheit holte ihn wieder ein. Ein atemloser Text aus dem Leben und dennoch reine Kunst.
Es hätte die ganz große Liebe werden können. Sie hatten scheinbar viel gemeinsam. Sie teilten eine Vergangenheit in einem untergegangenen Land. Doch Ludwig wandte sich ab, nachdem Clara ihn immer stärker teilnehmen ließ an ihrem Leben, das ein aufwendiges, ein aufregendes, ein schnelles Leben gewesen war und noch schneller wurde, nachdem sie ihr Land verlassen hatte. Dass sie damals verraten worden war, hatte sie später in ihren Akten gelesen. Wer sie verraten hatte - das warf sie um. Als sie nun all dies Ludwig berichtete, da verschwand er.
Sie wusste noch zu wenig von ihm, aber in einem war sie sich sicher: Er liebte sie. Er hatte sie nicht verraten, aber den Verrat eines anderen an ihr ertrug er nicht. Die eigene Vergangenheit holte ihn wieder ein. Ein atemloser Text aus dem Leben und dennoch reine Kunst.
Es hätte die ganz große Liebe werden können. Sie hatten scheinbar viel gemeinsam. Sie teilten eine Vergangenheit in einem untergegangenen Land. Doch Ludwig wandte sich ab, nachdem Clara ihn immer stärker teilnehmen ließ an ihrem Leben, das ein aufwendiges, ein aufregendes, ein schnelles Leben gewesen war und noch schneller wurde, nachdem sie ihr Land verlassen hatte. Dass sie damals verraten worden war, hatte sie später in ihren Akten gelesen. Wer sie verraten hatte - das warf sie um. Als sie nun all dies Ludwig berichtete, da verschwand er.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2008Leiden an Ludwig
Roman einer Malerin: "Weit fort" von Cornelia Schleime
Cornelia Schleime ist eine eigenwillige Künstlerin, eine Malerin, eine Zeichnerin und Performerin. Jetzt hat sie ihren Roman geschrieben, und er ist ein halsbrecherisches kleines Buch. Unentschieden, wem da das Genick beinah gebrochen wird. Am Anfang steht eine scheinbare Unverhältnismäßigkeit. Clara, die Künstlerin, meldet sich aus einer Laune heraus in einer Partnerbörse im Internet an, doch der harmlose Akt gerät zum Menetekel: "Es wird zu einer Begegnung kommen, die sie so nie gewollt hat. Sie wird erkennen, dass es eine Begegnung im Jetzt und in der Vergangenheit ist. Sie weiß davon noch nichts." Es wird die Begegnung mit Ludwig sein; er gibt "Seelische Verletzungen" unter der Rubrik "Allergie" ein. Wer verletzt wen?
Ludwig ist ein Gespaltener und ein Doppelgänger, wer kann es entscheiden? Jedenfalls ist er ein Mann, der sehr weit mit dem Auto fährt, um Clara kennenzulernen. Der nach einer heißen Anbahnungsphase verschwindet, ohne Clara einen Abschied zu ermöglichen. Der sich als Fernsehjournalist mit den Bewegungen der Wolken befasst. Clara, die Hauptperson, trägt unkaschiert autobiographische Züge Cornelia Schleimes, und dafür genießt sie, ihre Erzählerin, unbeschränkte Introspektion in ihre Figur. Für Clara wird Ludwig immer mehr der Mann in ihrem Kopf. Er wird ihr Projektionsfläche eines Schmerzes, der mehr ist als bloß die Trauer über einen, der sich unerklärt zurückzieht. Er löst in der Künstlerin eine paranoische Verfassung aus, die sie an ihre wunden Punkte, an die Wurzeln ihres Alleinseins zurückführt, womöglich am Ende an die Quelle ihrer Schaffenskraft, ihrer Existenz als Malerin.
Manchmal scheint es, als werde ein Exempel statuiert, als laute die unversöhnliche Alternative: die Kunst oder der Mann. Vor allem aber geht es um den Zugriff der Vergangenheit auf die Gegenwart, um Leben oder tötende Erinnerung. Das Buch ist - vorsätzlich - das Zeugnis dieser Paranoia. Es gönnt sich jenen halbwegs plausiblen Einstieg nur, um dann im zweiten und dritten Teil ins Delirieren zu gleiten, was Cornelia Schleime allererst die Möglichkeit gibt abzuarbeiten, was für sie zu bearbeiten ist: An diesem Punkt, als sie "Weit fort" schrieb, konnte sie das wohl nicht mehr malend und zeichnend tun.
Ihr Buch würgt buchstäblich am Trauma ihrer Bespitzelung durch jenen Sascha Anderson (dessen Namen es kein einziges Mal erwähnt), den übelsten Patron des Prenzlauer Bergs, der mit seinen Denunziationen unter den renitenten Künstlern der DDR wütete. Zu diesen gehörte Cornelia Schleime; Anderson hat sie schrecklich beschädigt, die Umrisse dieser Beschädigung sind noch nicht vermessen, vielleicht niemals messbar. Doch sie treiben Clara, ihr Alter Ego, in die Klauen des "Psychovampirismus", sie muss in sich selbst die am schlimmsten deformierende Methode des anderen niederringen.
Cornelia Schleime hat ein gewissermaßen fotografisches Gedächtnis - nach diesem funktionieren auch ihre Bilder, Aquarelle und Zeichnungen. Dieses Gedächtnis hat aber nicht so sehr mit der Oberfläche der Wirklichkeit zu tun, dafür um so mehr mit der Wahrnehmung unter der Haut. Wie die Figuren, vor allem die Frauen, in ihren Gemälden und Zeichnungen gerät auch dieser Text gelegentlich aus dem Ruder - jedoch nicht so weit, dass er seine Form und Fassung gänzlich verlöre. Cornelia Schleime schnürt dann ihre Wörter immer wieder in ein Korsett ein, auch darin ihrer Malerei verwandt, das beide stützen mag - die Sätze und ihre Verfasserin. Gewiss ist sie dabei die bessere Malerin als Schreiberin. Aber dieses Debüt hat durchaus Kraft, es fordert, zu Ende gelesen zu werden, und es lässt kein Entrinnen zu.
Am Ende ist Clara das Genick nicht gebrochen, wahrscheinlich jedenfalls nicht. Sie richtet sich auf und die ganze Macht ihres Begehrens auf sich selbst: als Künstlerin. Der letzte Satz dieses Romans, der eigentlich eine Erzählung ist, gilt Ludwig, dem Mann. Das ist der Fluch der Malerin.
ROSE-MARIA GROPP
Cornelia Schleime: "Weit fort". Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008. 110 S., geb., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roman einer Malerin: "Weit fort" von Cornelia Schleime
Cornelia Schleime ist eine eigenwillige Künstlerin, eine Malerin, eine Zeichnerin und Performerin. Jetzt hat sie ihren Roman geschrieben, und er ist ein halsbrecherisches kleines Buch. Unentschieden, wem da das Genick beinah gebrochen wird. Am Anfang steht eine scheinbare Unverhältnismäßigkeit. Clara, die Künstlerin, meldet sich aus einer Laune heraus in einer Partnerbörse im Internet an, doch der harmlose Akt gerät zum Menetekel: "Es wird zu einer Begegnung kommen, die sie so nie gewollt hat. Sie wird erkennen, dass es eine Begegnung im Jetzt und in der Vergangenheit ist. Sie weiß davon noch nichts." Es wird die Begegnung mit Ludwig sein; er gibt "Seelische Verletzungen" unter der Rubrik "Allergie" ein. Wer verletzt wen?
Ludwig ist ein Gespaltener und ein Doppelgänger, wer kann es entscheiden? Jedenfalls ist er ein Mann, der sehr weit mit dem Auto fährt, um Clara kennenzulernen. Der nach einer heißen Anbahnungsphase verschwindet, ohne Clara einen Abschied zu ermöglichen. Der sich als Fernsehjournalist mit den Bewegungen der Wolken befasst. Clara, die Hauptperson, trägt unkaschiert autobiographische Züge Cornelia Schleimes, und dafür genießt sie, ihre Erzählerin, unbeschränkte Introspektion in ihre Figur. Für Clara wird Ludwig immer mehr der Mann in ihrem Kopf. Er wird ihr Projektionsfläche eines Schmerzes, der mehr ist als bloß die Trauer über einen, der sich unerklärt zurückzieht. Er löst in der Künstlerin eine paranoische Verfassung aus, die sie an ihre wunden Punkte, an die Wurzeln ihres Alleinseins zurückführt, womöglich am Ende an die Quelle ihrer Schaffenskraft, ihrer Existenz als Malerin.
Manchmal scheint es, als werde ein Exempel statuiert, als laute die unversöhnliche Alternative: die Kunst oder der Mann. Vor allem aber geht es um den Zugriff der Vergangenheit auf die Gegenwart, um Leben oder tötende Erinnerung. Das Buch ist - vorsätzlich - das Zeugnis dieser Paranoia. Es gönnt sich jenen halbwegs plausiblen Einstieg nur, um dann im zweiten und dritten Teil ins Delirieren zu gleiten, was Cornelia Schleime allererst die Möglichkeit gibt abzuarbeiten, was für sie zu bearbeiten ist: An diesem Punkt, als sie "Weit fort" schrieb, konnte sie das wohl nicht mehr malend und zeichnend tun.
Ihr Buch würgt buchstäblich am Trauma ihrer Bespitzelung durch jenen Sascha Anderson (dessen Namen es kein einziges Mal erwähnt), den übelsten Patron des Prenzlauer Bergs, der mit seinen Denunziationen unter den renitenten Künstlern der DDR wütete. Zu diesen gehörte Cornelia Schleime; Anderson hat sie schrecklich beschädigt, die Umrisse dieser Beschädigung sind noch nicht vermessen, vielleicht niemals messbar. Doch sie treiben Clara, ihr Alter Ego, in die Klauen des "Psychovampirismus", sie muss in sich selbst die am schlimmsten deformierende Methode des anderen niederringen.
Cornelia Schleime hat ein gewissermaßen fotografisches Gedächtnis - nach diesem funktionieren auch ihre Bilder, Aquarelle und Zeichnungen. Dieses Gedächtnis hat aber nicht so sehr mit der Oberfläche der Wirklichkeit zu tun, dafür um so mehr mit der Wahrnehmung unter der Haut. Wie die Figuren, vor allem die Frauen, in ihren Gemälden und Zeichnungen gerät auch dieser Text gelegentlich aus dem Ruder - jedoch nicht so weit, dass er seine Form und Fassung gänzlich verlöre. Cornelia Schleime schnürt dann ihre Wörter immer wieder in ein Korsett ein, auch darin ihrer Malerei verwandt, das beide stützen mag - die Sätze und ihre Verfasserin. Gewiss ist sie dabei die bessere Malerin als Schreiberin. Aber dieses Debüt hat durchaus Kraft, es fordert, zu Ende gelesen zu werden, und es lässt kein Entrinnen zu.
Am Ende ist Clara das Genick nicht gebrochen, wahrscheinlich jedenfalls nicht. Sie richtet sich auf und die ganze Macht ihres Begehrens auf sich selbst: als Künstlerin. Der letzte Satz dieses Romans, der eigentlich eine Erzählung ist, gilt Ludwig, dem Mann. Das ist der Fluch der Malerin.
ROSE-MARIA GROPP
Cornelia Schleime: "Weit fort". Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008. 110 S., geb., 14,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als Malerin schätzt Ijoma Mangold Cornelia Schleime ohnehin, nun preist er ihren ersten - und wie er glaubt, auch letzten - Roman an. Darin verarbeite die Künstlerin ihr eigenes Schicksal als Stasi-Opfer, die jahrelang von ihrem besten Freund, Sascha Anderson, bespitzelt wurde, erklärt der Rezensent, der über die geradezu "gespenstische" Geschichte nur schaudern kann. Im Roman lernt die Malerin Clara über das Internet einen Mann aus Bayern kennen, es entfaltet sich eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die abrupt abbricht, als Clara ihm einen Dokumentarfilm über ihre Geschichte zeigt, fasst Mangold zusammen. Der Rezensent glaubt, dass die Durchdringung der DDR-Gesellschaft mit Stasi-Spitzeln in bewährter Verdrängungsmanier bisher in der Literatur kaum aufgegriffen worden ist, weshalb er das Buch so verdienstvoll und beeindruckend findet. Und deshalb sieht er auch wohlwollend über die stilistischen Mängel des Romans hinweg, dessen "undisziplinierter Expressionismus" zwar nicht besonders ausgereift wirke, dafür aber das Leiden an der Vergangenheit um so eindrücklicher abbilde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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