29,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 6-10 Tagen
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Entwicklungskooperation lebt vom Mitteltransfer aus den reichen Ländern des Nordens in die armen Länder des Südens. Richard Rottenburg seziert die Anatomie dieses Transfers auf der Grundlage umfangreichen ethnographischen Materials. Er konfrontiert uns mit der zentralen Aporie des offiziellen Entwicklungsdiskurses, die mit großem Aufwand unsichtbar gehalten wird: Um den Erfolg der Förderung berechenbar kontrollieren zu können, werden zusammen mit den Mitteln unvermeidbar Zwecke, Verfahren und Modelle transferiert, die in einen unauflösbaren Widerspruch zum politischen Ziel…mehr

Produktbeschreibung
Entwicklungskooperation lebt vom Mitteltransfer aus den reichen Ländern des Nordens in die armen Länder des Südens. Richard Rottenburg seziert die Anatomie dieses Transfers auf der Grundlage umfangreichen ethnographischen Materials. Er konfrontiert uns mit der zentralen Aporie des offiziellen Entwicklungsdiskurses, die mit großem Aufwand unsichtbar gehalten wird: Um den Erfolg der Förderung berechenbar kontrollieren zu können, werden zusammen mit den Mitteln unvermeidbar Zwecke, Verfahren und Modelle transferiert, die in einen unauflösbaren Widerspruch zum politischen Ziel eigenverantwortlicher Entwicklung geraten. Beide Seiten der Kooperation suchen kommunikative Übereinstimmung auf der Ebene objektivierungsfähiger technischer und organisatorischer Lösungen, die überall gelten sollen. Jenseits dieser ¿weit hergeholten Fakten¿ versuchen sie ihre kulturelle Heterogenität als politisch heikles Thema auszuklammern. Rottenburgs Studie zeigt, daß dieses Lösungsmuster zu einer selbstgeschaffenen Falle wird. Was gemeinhin als kleinster gemeinsamer Nenner einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit gilt, entpuppt sich als Hauptursache ihres Scheiterns.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Es muß umgekrempelt sein
Die Entwicklungshilfe wird entwickelt / Von Andreas Rosenfelder

Ein altes Berufsklischee verbietet Ethnologen das Fotografieren. Angeblich fürchten die Eingeborenen um den Verlust ihrer Seele - also um den unsichtbaren Gegenstand all jener Geistergeschichten, welche die Forscher in ihren Feldtagebüchern für die Ewigkeit retten wollen. Ganz ähnlich verfügte einst Brecht, ein Foto der Kruppwerke oder der AEG sage nichts über diese Einrichtungen aus: Den Geist des Kapitalismus, welcher die Fabriken beseelt, kann man nicht knipsen.

Nun sind auch die Fotos eines Maßnahmenkatalogs, eines Tätigkeitsplans oder eines Rechenschaftsberichts keine sprechenden Bilder. Auf einem Holztisch liegen Blätter mit Tabellen, mit bloßem Auge kaum entzifferbar. Selbst wenn der Leser zur Lupe greift, fügen sich die mit Geschäftsvokabeln und Kommazahlen gefüllten Kästchen nicht zu den Grundbausteinen einer Erzählung. Und auch Mobiltelefone, Füller und Taschenrechner am Bildrand machen die abgelichteten Dokumente nicht zum Schauplatz einer Handlung.

Dennoch sind die Fotografien, welche der Ethnologe Richard Rottenburg in seinen epistemologischen Thriller über die Entwicklungshilfe aufnahm, mehr als lediglich Realspuren aus einem Feld der Unglaublichkeiten. Gerade die Schwarzweißbilder nichtssagender Listen, die doch nach Hintergrund und Geschichte geradezu schreien, bannen das ungreifbare Ziel von Rottenburgs Expedition wie Kultgegenstände. Denn daß immer nur die Aktenlage und niemals die Faktenlage auf den Schreibtisch unseres Wissens paßt, eben davon handelt diese außergewöhnliche Arbeit.

Rottenburg, als Feldforscher viele Jahre in Afrika und um die Wendezeit auch in ostdeutschen Betrieben unterwegs, erkundete für seine "Parabel der Entwicklungshilfe" die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit - ein Wagnis für eine Disziplin, die seit ihren Ursprüngen an den Lippen von Erzählern festhängt. Denn eine Entwicklungsbank bringt lediglich die ungenießbare Prosa der Projektanträge hervor, und die Blackbox formaler Organisation ist alles andere als ein Nähkästchen.

Doch anstatt verstummt aus dem Felde der Institutionskürzel zurückzukehren, das der Ethnologe mit seinem Diktiergerät wie mit einer Wünschelrute durchforschte, verwandelt Rottenburg die Sprache der Systeme in Poesie. Schon die Einführung der Phantasieländer Normland und Ruritanien und die Verschleierung der Namen weist alle Beteiligten als Gefangene ihrer Fiktionswelten aus. Selbst der normesische Ethnologe Dortleff, den Rottenburg als Statthalter des Autors in die Parabel einbaut, gerät so zur Figur im unübersichtlichen Gesellschaftsspiel "Entwicklungshilfe" - und aus diesem Spiel gibt es für keinen Mitspieler ein Entkommen. Denn in der Entwicklungszusammenarbeit, so Rottenburgs These, zeigt der Zeitpfeil des Fortschritts geradewegs in einen unendlichen Regreß.

Nur wenige Bücher halten die atemberaubende Logik des Teufelskreises aus. Luhmanns Schriften dürfen wohl deshalb als große Gesellschaftsromane gelten, weil alle Zirkelschlüsse des Eigensinns darin nebeneinander Raum finden. Auch Rottenburg, dessen Gewährsleute den Leser in die bizarre Binnenwelt ihrer Durchführbarkeitsstudien und Folgeanträge entführen, ruft ein Luhmannsches Staunen hervor. Mit Faszination lauscht man den Tonfällen der Funktionssysteme, wo Banken grünes Licht bekommen, Ministerien mit den Zähnen knirschen oder Wasserbauingenieure Kröten schlucken. Das Einlassen auf die Horizonte der Kreditgeber, Unternehmensberater oder Computerspezialisten zieht aber keineswegs den billigen Vorwurf der Betriebsblindheit nach sich - vielmehr füllt fast jeder Sprecher, den der Erzähler auftreten läßt, seine Rolle mit hoher Intelligenz und oft sogar mit Selbstironie aus.

Doch anders als bei Luhmann wird die kühle Beobachtung bei Rottenburg von einer kalten Wut angetrieben, die nicht nur im Vorwort durchscheint. Als Dortleff mit einer von der Entwicklungsbank beauftragten Beraterfirma nach Ruritanien fliegt, ziehen unten die vom Völkermord heimgesuchten Hochebenen Südkordofans vorbei. Die Unterscheidung zwischen dem Expertenwissen in der Businessclass und den Erfahrungen der Katastrophe am Boden löst sich nicht nur in dieser kurzen Einstellung in Luft auf. Zwar bietet Rottenburgs dichte Beschreibungsarbeit keiner Schuldfrage Raum. Dennoch treibt der Export von Paradoxien, Wesenskern aller Entwicklungshilfe, hier auch die verhängnisvollen Zeitschleifen an, in denen die Länder unterhalb der Sahara seit Jahren festhängen.

Wie die durchgerosteten Schiffe im Hafenbecken und die Lastwagenwracks am Straßenrand übersäen die Überreste verendeter Projekte den afrikanischen Kontinent. Doch im zutiefst widersprüchlichen Grundgedanken der Entwicklungshilfe, die unvermeidlich sowohl auf die Selbständigkeit des Empfängers als auch auf die Vorbildhaftigkeit des Gebers abstellt, sucht niemand den Fehler. Da Macht im Zeitalter des Postkolonialismus als Argument ausscheidet, beruft sich die Entwicklungszusammenarbeit auf die Fakten. Deren Fehlen stellt aber, wie Rottenburg im Mikrokosmos eines Infrastrukturprojekts mit bestechender Genauigkeit nachweist, das unüberwindliche Anfangsproblem dar - besonders im Zeitalter der Nachhaltigkeit, das nicht mehr aufs hemdsärmelige Verfrachten schwerer Pumpen setzt, sondern auf die Verpflanzung weicher Strukturen.

Wie den staatseigenen Wasserwerken von Ruritanien, bei Rottenburg durchaus als Allegorie angelegt, die Kundendaten als Grundstock jeder Privatisierung fehlen, so bekommen die normesischen Kreditgeber trotz oder gerade wegen des Einsatzes teurer Experten niemals ein objektives Bild ihrer eigenen Überseeprojekte. Denn um die Berichte eines Expertenteams zu überprüfen, kann man lediglich ein weiteres Team losschicken und ein neues Gutachten einholen - so daß die von Heraklit und Goethe ableitbare Unmöglichkeit, zweimal in dasselbe Wasserprojekt zu investieren, für die Wiederholungstäter der Entwicklungshilfe kein Hindernis darstellt.

Ein Know-how der Entwicklungshilfe, die wie keine andere Branche mit Anwendungswissen hausiert, kann nach Rottenburg gar nicht existieren - vielmehr besteht die Kunst auf allen Seiten darin, das unaussprechliche Doppelspiel aus Abrechnungsgründen in Ergebnisse umzumünzen und Mannmonate oder Zählerstände aufzulisten. Erst die melancholische Zwischenwelt der Projektmenschen in ihren brandneuen Toyotas und kühlen Hotelbars, bei Rottenburg ein echtes Stück Literatur, läßt den ganzen Aberwitz spüren. Je näher die Experten den vermeintlichen Tatsachen auf den Leib rücken, desto spurloser verschwinden diese hinter Bürotüren, kaputten Zähluhren oder höflichem Schweigen.

Tatsächlich aber scheitern die zahlreichen Einzelprojekte nach Rottenburg nicht etwa an einer hoffnungslosen Zurückgebliebenheit jener Länder, denen die aufklärerische Idee der Entwicklung in den Namen geschrieben steht. Vielmehr finden die Entwicklungshelfer vor Ort bloß die Erkenntnisprobleme ihrer eigenen Vernunft wieder, die spätestens seit den Papierherrschaften der frühen Neuzeit in dem Traum wurzelt, die weite Welt von einem Schreibtisch aus zu beobachten. Dies setzt die Transportfähigkeit von Daten und damit auch ihre flächendeckende Ablösung von den Gegenständen voraus. Das Großprojekt der Moderne braucht eben keinen festen Boden unter den Füßen - und gerät folglich ins Rutschen, sobald es die Tatsachen zur Geschäftsgrundlage erklärt.

Ob der Skeptiker Rottenburg, durchaus kein Vertreter eines Relativismus, Afrika vor dem aufklärerischen Glauben an die Zugänglichkeit der Welt in Schutz nehmen und von den doppelbindenden Angeboten der Entwicklungshilfe ausnehmen möchte, bleibt offen. Die Bewohner der Zielländer jedenfalls, trotz aller Hilfe zur Selbsthilfe von einem Bürgerkrieg in den nächsten gerissen, sind wohl schon jetzt um eine Illusion ärmer als die westlichen Steuerzahler mit dem guten Gewissen: Sie werden nie modern gewesen sein.

Richard Rottenburg: "Weit hergeholte Fakten". Eine Parabel der Entwicklungshilfe. Lucius & Lucius Verlag, Stuttgart 2002. V, 271 S., br., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Andreas Rosenfelder hat der Ethnologe Richard Rottenburg einen "epistemologischen Thriller" über den Zustand der gegenwärtige Entwicklungshilfe vorgelegt. Der Blick auf die Aktenwelt der Entwicklungshilfe habe des Autors Sicht auf die Wirklichkeit nicht verstellt. Rosenfelder würdigt, dass sich Rottenbergs Sprache nicht der "ungenießbaren Prosa der Projektanträge" angepasst habe, vielmehr verwandle er "die Sprache der Systeme in die Poesie". So führe dieses "von kalter Wut angetriebene", aber auch mit viel "Selbstironie" ausgestattete Buch durch alle an der Entwicklungshilfe beteiligten Instanzen und Personenkreise. Gefallen hat Rosenfelder, daß sich die gleichermaßen phantasievollen wie realen Beschreibungen bei keiner Schuldfrage aufhalten. Gleichwohl aber lege der Autor mit "bestechender Genauigkeit" dar, daß in der Entwicklungsarbeit bis hin zum konkreten Helfer zu wenig Wirklichkeitssinn herrsche.

© Perlentaucher Medien GmbH