Im Reich der Frauen, in der intimen Atmosphäre eines Dampfbads, unter den liebenswürdigen, aber auch neidischen Blicken hört ein junges Mädchen das Wort "Feind". Denn sobald sich das Gespräch der Frauen um den Ehemann dreht, ist von ihm, dem "Feind" die Rede. Seit Jahrhunderten wird dieses Wort überliefert, denn er ist verantwortlich für die Verzweiflung unter den Frauen. Es ist diese Verzweiflung, die auch der Erzählerin droht: 37 Jahre alt, verheiratet, Intellektuelle, wohnt in Algier und ist in Liebe zu einem viel jüngeren Berber entflammt. Schuldgefühle, unerlaubte Geständnisse und die Angst vor der Entdeckung lasten auf ihr. Nur schreibend kann sie sich von dieser Leidenschaft befreien.
"In dem kompositorisch ungemein komplex angelegten Roman "Weit ist mein Gefängnis" führt sie die wichtigsten Themen und Motive ihrer Romane zusammen. Die Identität der Frau in der islamischen Gesellschaft, die Suche nach anderen Traditionen in der arabischen Geschichte, das Hohelied weiblichen Aufbegehrens; die algerische Problematik einer Existenz zwischen den Sprachen - dem Hocharabischen, das zugleich die Sprache des Nationalismus ist, dem Französichen, das die einstigen Kolonialherren zurückgelassen haben, und dem Berberisch-Libyschen, jener nur mündlich tradierten Volkssprache, die Assia Djebar immer wieder beschwört,wenn sie an eine nordafrikanische Kultur vor dem Islam und vor der arabischen Eroberung erinnert. Was Djebar in der persönlichen wie der historischenGeschichtsschreibung leistet, das ist nichts anderes als die Umdrehung des Blicks; der Blick, mit dem die Welt gesehen wird, kommt aus jenem schmalen Sehschlitz, auf den der Schleier das Sehfeld der Frauen verengt hat." Karl-Markus Gauß, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998Der Feind in meinem Haus
Assia Djebars Algerien Von Karl-Markus Gauß
Man muß diese Szene gelesen haben, in der eine algerische Frau sich unter den hassenden und begehrenden Blicken der Männer in Trance tanzt, um den Sinn des Wortes "Bewegungsfreiheit" wieder ganz zu erfassen. Freiheit der Bewegung, das ist es, was Assia Djebar verlangt, Freiheit des Körpers, des Gedankens, der Rede, wie sie in der islamischen Welt Millionen Frauen vorenthalten wird. Die 1936 geborene Algerierin, die als die bedeutendste Autorin des Maghreb gilt und zuletzt mit ihrem Requiem auf die ermordeten Künstlerfreunde "Weißes Algerien" weltweites Aufsehen erregte, lebt in Paris und schreibt auf französisch.
Nach Paris ist sie schon vor zwanzig Jahren übersiedelt, als ihr feministisches Selbstbewußtsein noch nicht die fundamentalistischen Glaubenswächter, sondern die sozialistischen Dogmatiker im algerischen Kulturbetrieb verschreckte. Weil sie, anstatt das Lob der Kollektivierung zu singen, in den algerischen Dörfern nach den Spuren weiblicher Revolten suchte, wurde sie als Erzählerin und Regisseurin vielfach angefeindet und verleumdet. Für das Französische und gegen das Arabische als Sprache der Literatur wiederum hat sie sich entschieden, weil sie sprechen möchte und "die arabische Gesellschaft will, daß die Frauen schweigen".
In dem kompositorisch ungemein komplex angelegten Roman "Weit ist mein Gefängnis" führt sie die wichtigsten Themen und Motive ihrer Romane zusammen. Die Identität der Frau in der islamischen Gesellschaft, die Suche nach anderen Traditionen in der arabischen Geschichte, das Hohelied weiblichen Aufbegehrens; die algerische Problematik einer Existenz zwischen den Sprachen - dem Hocharabischen, das zugleich die Sprache des Nationalismus ist, dem Französischen, das die einstigen Kolonialherren zurückgelassen haben, und dem Berberisch-Libyschen, jener nur mündlich tradierten Volkssprache, die Assia Djebar immer wieder beschwört, wenn sie an eine nordafrikanische Kultur vor dem Islam und vor der arabischen Eroberung erinnert.
Der erste Teil des Romans spielt kurz vor der Gegenwart des alltäglichen Bürgerkriegs in Algerien. Eine verheiratete bürgerliche Frau in mittleren Jahren entbrennt in rätselhafter Leidenschaft zu einem jüngeren Mann. Wiewohl ihr Gatte durchaus westlichen Lebensstil pflegt, bringt ihn die Kränkung dazu, sich nach der Rückkehr strenger Sitten zu sehnen: "Wären wir an einem anderen Ort und nicht hier, in dieser verderbten Stadt, du hättest es verdient, gesteinigt zu werden."
Man sollte diese Geschichte eines Ehebruchs aber nicht mit westlichem Dünkel des Mitleids lesen: Was die aufbegehrende Frau leben möchte, die sexuelle Selbstbestimmung über alle gesellschaftlichen Schranken hinweg, würde nämlich durchaus auch in Mitteleuropa als skandalös empfunden werden. Am Ende ist ihre Liebe zum jungen Mann erloschen, aber in das "Gefängnis" der Ehe wird sie dennoch nicht mehr zurückkehren; seit uralten Zeiten wird der Ehemann im vertraulichen Gespräch arabischer Frauen untereinander als "der Feind" bezeichnet, und die Macht dieses einen Feindes ist für immer gebrochen.
Nach gut hundertzwanzig Seiten könnte das Buch als dramatisches Sittenbild, als spannender Eheroman enden. Aber Assia Djebar versucht anderes. In kühnem Sprung taucht sie in den folgenden dreihundert Seiten tief in die nordafrikanische Geschichte hinab, um ihrer einsam nach Selbstbestimmung ringenden Frau die Kämpfe ungezählter Vorgängerinnen zuzugesellen. Dabei spürt sie sowohl den Spuren der eigenen Familie nach als auch jener nur mehr in Legenden präsenten Historie des Maghreb, in der es noch stolze Königinnen, liebesfrohe Städterinnen, selbstsichere Frauen auf dem Lande gegeben hat. In der autobiographischen Geschichte gelangt sie bis nach Andalusien, wo einst glanzvoll die arabische Kultur in Europa blühte und sie die Wurzeln ihrer Familie vermutet; und in der historischen Recherche kehrt sie zurück zu all den mythenumwobenen starken Frauen Nordafrikas, bis hin zu jener vielbesungenen "Berberkönigin Kahina, die der arabischen Eroberung Widerstand leistete". Was Djebar in der persönlichen wie der historischen Geschichtsschreibung leistet, das ist nichts anderes als die Umdrehung des Blicks; der Blick, mit dem die Welt gesehen wird, kommt aus jenem schmalen Sehschlitz, auf den der Schleier das Sehfeld der Frauen verengt hat.
Assia Djebar: "Weit ist mein Gefängnis". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Hans Thill. Unionsverlag, Zürich 1997. 379 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Assia Djebars Algerien Von Karl-Markus Gauß
Man muß diese Szene gelesen haben, in der eine algerische Frau sich unter den hassenden und begehrenden Blicken der Männer in Trance tanzt, um den Sinn des Wortes "Bewegungsfreiheit" wieder ganz zu erfassen. Freiheit der Bewegung, das ist es, was Assia Djebar verlangt, Freiheit des Körpers, des Gedankens, der Rede, wie sie in der islamischen Welt Millionen Frauen vorenthalten wird. Die 1936 geborene Algerierin, die als die bedeutendste Autorin des Maghreb gilt und zuletzt mit ihrem Requiem auf die ermordeten Künstlerfreunde "Weißes Algerien" weltweites Aufsehen erregte, lebt in Paris und schreibt auf französisch.
Nach Paris ist sie schon vor zwanzig Jahren übersiedelt, als ihr feministisches Selbstbewußtsein noch nicht die fundamentalistischen Glaubenswächter, sondern die sozialistischen Dogmatiker im algerischen Kulturbetrieb verschreckte. Weil sie, anstatt das Lob der Kollektivierung zu singen, in den algerischen Dörfern nach den Spuren weiblicher Revolten suchte, wurde sie als Erzählerin und Regisseurin vielfach angefeindet und verleumdet. Für das Französische und gegen das Arabische als Sprache der Literatur wiederum hat sie sich entschieden, weil sie sprechen möchte und "die arabische Gesellschaft will, daß die Frauen schweigen".
In dem kompositorisch ungemein komplex angelegten Roman "Weit ist mein Gefängnis" führt sie die wichtigsten Themen und Motive ihrer Romane zusammen. Die Identität der Frau in der islamischen Gesellschaft, die Suche nach anderen Traditionen in der arabischen Geschichte, das Hohelied weiblichen Aufbegehrens; die algerische Problematik einer Existenz zwischen den Sprachen - dem Hocharabischen, das zugleich die Sprache des Nationalismus ist, dem Französischen, das die einstigen Kolonialherren zurückgelassen haben, und dem Berberisch-Libyschen, jener nur mündlich tradierten Volkssprache, die Assia Djebar immer wieder beschwört, wenn sie an eine nordafrikanische Kultur vor dem Islam und vor der arabischen Eroberung erinnert.
Der erste Teil des Romans spielt kurz vor der Gegenwart des alltäglichen Bürgerkriegs in Algerien. Eine verheiratete bürgerliche Frau in mittleren Jahren entbrennt in rätselhafter Leidenschaft zu einem jüngeren Mann. Wiewohl ihr Gatte durchaus westlichen Lebensstil pflegt, bringt ihn die Kränkung dazu, sich nach der Rückkehr strenger Sitten zu sehnen: "Wären wir an einem anderen Ort und nicht hier, in dieser verderbten Stadt, du hättest es verdient, gesteinigt zu werden."
Man sollte diese Geschichte eines Ehebruchs aber nicht mit westlichem Dünkel des Mitleids lesen: Was die aufbegehrende Frau leben möchte, die sexuelle Selbstbestimmung über alle gesellschaftlichen Schranken hinweg, würde nämlich durchaus auch in Mitteleuropa als skandalös empfunden werden. Am Ende ist ihre Liebe zum jungen Mann erloschen, aber in das "Gefängnis" der Ehe wird sie dennoch nicht mehr zurückkehren; seit uralten Zeiten wird der Ehemann im vertraulichen Gespräch arabischer Frauen untereinander als "der Feind" bezeichnet, und die Macht dieses einen Feindes ist für immer gebrochen.
Nach gut hundertzwanzig Seiten könnte das Buch als dramatisches Sittenbild, als spannender Eheroman enden. Aber Assia Djebar versucht anderes. In kühnem Sprung taucht sie in den folgenden dreihundert Seiten tief in die nordafrikanische Geschichte hinab, um ihrer einsam nach Selbstbestimmung ringenden Frau die Kämpfe ungezählter Vorgängerinnen zuzugesellen. Dabei spürt sie sowohl den Spuren der eigenen Familie nach als auch jener nur mehr in Legenden präsenten Historie des Maghreb, in der es noch stolze Königinnen, liebesfrohe Städterinnen, selbstsichere Frauen auf dem Lande gegeben hat. In der autobiographischen Geschichte gelangt sie bis nach Andalusien, wo einst glanzvoll die arabische Kultur in Europa blühte und sie die Wurzeln ihrer Familie vermutet; und in der historischen Recherche kehrt sie zurück zu all den mythenumwobenen starken Frauen Nordafrikas, bis hin zu jener vielbesungenen "Berberkönigin Kahina, die der arabischen Eroberung Widerstand leistete". Was Djebar in der persönlichen wie der historischen Geschichtsschreibung leistet, das ist nichts anderes als die Umdrehung des Blicks; der Blick, mit dem die Welt gesehen wird, kommt aus jenem schmalen Sehschlitz, auf den der Schleier das Sehfeld der Frauen verengt hat.
Assia Djebar: "Weit ist mein Gefängnis". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Hans Thill. Unionsverlag, Zürich 1997. 379 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Was Djebar in der persönlichen wie der historischen Geschichtsschreibung leistet, das ist nichts anderes als die Umdrehung des Blicks; der Blick, mit dem die Welt gesehen wird, kommt aus jenem schmalen Sehschlitz, auf den der Schleier das Sehfeld der Frauen verengt hat.« Karl-Markus Gauß Frankfurter Allgemeine Zeitung