Der portugiesische Romancier Antonio Lobo Antunes (Jg. 1942) schildert in seinem neuen Roman exemplarisch an einer Großgrundbesitzerfamilie den Niedergang der Alentejo, jener Region zwischen der Algarveküste und dem Tal des Flusses Tejo. Fast unbemerkt, aber doch mit aller Macht bricht hier die neue
Zeit herein. Die alte Dona Maria José Natércia liegt im Sterben. Einst wurden auf dem Landgut…mehrDer portugiesische Romancier Antonio Lobo Antunes (Jg. 1942) schildert in seinem neuen Roman exemplarisch an einer Großgrundbesitzerfamilie den Niedergang der Alentejo, jener Region zwischen der Algarveküste und dem Tal des Flusses Tejo. Fast unbemerkt, aber doch mit aller Macht bricht hier die neue Zeit herein. Die alte Dona Maria José Natércia liegt im Sterben. Einst wurden auf dem Landgut zwischen Steineichen die berühmten Stiere für die Arena gezüchtet. Aber ihr inzwischen verstorbener Mann hatte das Anwesen längst durch seine Spielsucht in den Ruin getrieben.
Was soll nach dem Tod der Mutter werden? Die Kinder haben überhaupt kein Interesse an der Stierzucht, sie haben vielmehr ihre eigenen Interessen. Da ist die Tochter Beatriz, die früh schwanger wurde und daher heiraten musste. Die andere Tochter Anna, früher ein aufgewecktes und intelligentes Mädchen, stiehlt heute, um ihre Drogensucht zu finanzieren.
Da ist der Sohn João, der Liebling der Mutter, der aber homosexuell ist und in Lissabon zweifelhafte Bekanntschaften hat. Und da ist noch Francisco, der seine Geschwister hasst und nach dem Tod der Mutter das Landgut verkaufen will. Weit weg am Meer will er sich eine einsame Hütte kaufen, um sich dort für den Rest seiner Tage zu verkriechen.
Lobo Antunes lässt alle verfeindeten Familienmitglieder zu Wort kommen - und das mit zahlreichen Rückblenden. Neben dem toten Vater auch die an einem Krebsleiden verstorbene Tochter Rita. Sie alle betrachten den Zerfall der Familie aus ihrem Blickwinkel und sie versuchen dabei ihr Handeln zu rechtfertigen.
Und so hat die Mutter auf ihrem Sterbelager die traurige Vision, das kein einziger Stier mehr die weiten Grasflächen bevölkern wird - unter dem Gras ihre Knochen, in denen sich ihre Seufzer immer wiederholen werden. Allein die inzwischen 80jährige Dienstmagd Mercília ist ein Lichtschein in dieser Familientragödie. Sie hat alle Kinder der Familie großgezogen, hat stets treue Dienste geleistet, doch nun verlässt sie auf zwei Krücken den Hof, um mit dem Bus wegzufahren, von dem allerdings niemand weiß, wohin er überhaupt fährt.
Wie schon seine Vorgänger zeichnet sich der neue Roman von Lobo Antunes durch eine intensive Sprachgewalt aus, die den Leser in den Bann zieht. Die Lektüre ist allerdings nicht einfach, denn der unkonventionelle Schreibstil, der typische Lobo-Antunes-Stil mit zahllosen Einschüben und Unterbrechungen der Handlungen, ist mitunter schwer zugänglich. Der Autor fängt jedoch meisterhaft die untergehende - oder schon untergegangene? - Welt des Alentejo ein.