Was für Zeiten, was für eine Ironie, als man die Frau oder Witwe eines Generals 'Die Generalin' nannte. 'Wellen' ist eine Sommergeschichte, eine einzige Liebeserklärung an die Ostsee. Schauplatz ist ein Badeort, wo eine adlige Großfamilie die Ferien verbringt. Irritation und zugleich Faszination übt auf alle ein ungewöhnliches Paar aus: die wunderschöne Doralice, die ihren Mann, einen Diplomaten, verlassen hat, um hier mit ihrem Geliebten, einem Maler, zusammenzuleben. Empörung bei den Damen der Gesellschaft, Neugier bei ihren Ehemännern. Es sind die Kinder, die das Schema, das die Sünder von den Gerechten trennt, durcheinanderbringen. Schließlich besiegt der Charme dieser verbotenen Liebe auch die verhärtetsten Herzen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.01.2004Pikee im Wind
Eduard von Keyserlings „Wellen”
Ist die Ostsee ein richtiges Meer? O ja, ein Meer mit sehr eigenen Nixen und Tiefen, sagte Eduard von Keyserling (1855 -1918) und stellte seinem Roman „Wellen” (1911) Verse von Baudelaire voran, in denen das Meer seine intimen Reichtümer und Geheimnisse eifersüchtig bewacht. Am Strand weht das weiße Pikeekleid der Generalin Palikow im Wind. Ihre Gesellschafterin heißt Malwine, das junge Mädchen, das eines Nachts ins Meer gehen will, heißt Lolo, die schöne Heldin heißt Doralice. Nur der Maler, dessentwegen sie ihren Mann verlassen hat, heißt sehr prosaisch Hans. Das Ganze kommt maßvoll daher wie Ebbe und Flut an der Ostsee, hat aber – etwa im Blick auf den Friedhof, dem das Meer die Toten entführt – kühne Steilküsten und ist immer wieder gut zu lesen, also auch 2004 als Neuausgabe willkommen.
lmue
EDUARD VON KEYSERLING: Wellen. Roman. Mit einem Nachwort von Marcel Reich-Ranicki. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2004. 180 Seiten, 8 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Eduard von Keyserlings „Wellen”
Ist die Ostsee ein richtiges Meer? O ja, ein Meer mit sehr eigenen Nixen und Tiefen, sagte Eduard von Keyserling (1855 -1918) und stellte seinem Roman „Wellen” (1911) Verse von Baudelaire voran, in denen das Meer seine intimen Reichtümer und Geheimnisse eifersüchtig bewacht. Am Strand weht das weiße Pikeekleid der Generalin Palikow im Wind. Ihre Gesellschafterin heißt Malwine, das junge Mädchen, das eines Nachts ins Meer gehen will, heißt Lolo, die schöne Heldin heißt Doralice. Nur der Maler, dessentwegen sie ihren Mann verlassen hat, heißt sehr prosaisch Hans. Das Ganze kommt maßvoll daher wie Ebbe und Flut an der Ostsee, hat aber – etwa im Blick auf den Friedhof, dem das Meer die Toten entführt – kühne Steilküsten und ist immer wieder gut zu lesen, also auch 2004 als Neuausgabe willkommen.
lmue
EDUARD VON KEYSERLING: Wellen. Roman. Mit einem Nachwort von Marcel Reich-Ranicki. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2004. 180 Seiten, 8 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.19951911
Eduard von Keyserling "Wellen"
Als der große dänische Erzähler Hermann Bang dieses Buch gelesen hatte, kurz vor seinem Tod, fragte er in der "Neuen Rundschau" an, ob er etwas über Keyserling schreiben dürfe. Er durfte; und er schrieb, indem er Keyserling mit Turgenjew verglich, den er über alles liebte: "Beider Stil hat dieselbe Farbe . . . ihre Sprache hat denselben Rhythmus, das gleitende leise Singen eines Flusses, wenn es dämmert . . ." Ein ruhiges, schönes, unübertriebenes Bild, alle drei waren ziemliche Meister im Erfinden solcher Bilder. Eine junge Frau ist mit einem Maler weggelaufen, im Sommer landen sie an der Ostsee, in der Nähe der adligen Familien, aus denen die junge Frau stammt; ein junger Mann aus ihren alten Kreisen verliebt sich in sie, seine Welt, die alte, sei leer ohne sie, sagt er, und das stimmt. Der Maler, aus einer ganz anderen Welt (wenn er empfindet, rast oder malt er; die beiden Liebenden, oder was sie nun sind, rauchen eine Zigarette zusammen), fährt nachts bei Sturm auf die See und kommt nicht wieder. Das schließt alle Geschichten; ein alter Geheimrat, Zigarrenraucher, bleibt bei der jungen Frau am Strand, auch als die andern wieder abziehen auf ihre Güter, in ihre "Abendlichen Häuser" (ein anderes dieser kleinen Wunderwerke Keyserlings). So leben dann diese immer noch schönen und von fern so romantischen Frauen in Häusern an Stränden allein - Maupassant und der junge Proust haben sie da dann gefunden und mit Geschichten umsponnen, aber Keyserling wußte, wer sie wirklich einmal gewesen waren. Er stammte, 1855 geboren, aus dem kurländischen Adel, ist aber mit dem reisenden Philosophen Hermann weder identisch noch nennenswert verwandt. Seine ersten Romane schrieb er in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren, nach der Jahrhundertwende dann jene, die Bang liebte. 1908 wurde er blind; er starb 1918. (Eduard von Keyserling: "Wellen". Mit einem Nachwort von Peter Härtling. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1982. 136 S., br., 7,80 DM.) R.V.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eduard von Keyserling "Wellen"
Als der große dänische Erzähler Hermann Bang dieses Buch gelesen hatte, kurz vor seinem Tod, fragte er in der "Neuen Rundschau" an, ob er etwas über Keyserling schreiben dürfe. Er durfte; und er schrieb, indem er Keyserling mit Turgenjew verglich, den er über alles liebte: "Beider Stil hat dieselbe Farbe . . . ihre Sprache hat denselben Rhythmus, das gleitende leise Singen eines Flusses, wenn es dämmert . . ." Ein ruhiges, schönes, unübertriebenes Bild, alle drei waren ziemliche Meister im Erfinden solcher Bilder. Eine junge Frau ist mit einem Maler weggelaufen, im Sommer landen sie an der Ostsee, in der Nähe der adligen Familien, aus denen die junge Frau stammt; ein junger Mann aus ihren alten Kreisen verliebt sich in sie, seine Welt, die alte, sei leer ohne sie, sagt er, und das stimmt. Der Maler, aus einer ganz anderen Welt (wenn er empfindet, rast oder malt er; die beiden Liebenden, oder was sie nun sind, rauchen eine Zigarette zusammen), fährt nachts bei Sturm auf die See und kommt nicht wieder. Das schließt alle Geschichten; ein alter Geheimrat, Zigarrenraucher, bleibt bei der jungen Frau am Strand, auch als die andern wieder abziehen auf ihre Güter, in ihre "Abendlichen Häuser" (ein anderes dieser kleinen Wunderwerke Keyserlings). So leben dann diese immer noch schönen und von fern so romantischen Frauen in Häusern an Stränden allein - Maupassant und der junge Proust haben sie da dann gefunden und mit Geschichten umsponnen, aber Keyserling wußte, wer sie wirklich einmal gewesen waren. Er stammte, 1855 geboren, aus dem kurländischen Adel, ist aber mit dem reisenden Philosophen Hermann weder identisch noch nennenswert verwandt. Seine ersten Romane schrieb er in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren, nach der Jahrhundertwende dann jene, die Bang liebte. 1908 wurde er blind; er starb 1918. (Eduard von Keyserling: "Wellen". Mit einem Nachwort von Peter Härtling. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1982. 136 S., br., 7,80 DM.) R.V.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Große Erwartungen hatte Rezensent Michael Maar nicht an diesen 1911 erschienenen Roman. Keyserling - ist das nicht so eine Art parfümierter Thomas Mann? Die Lektüre der "Wellen" belehrt ihn dann aber eines besseren, wie wir aus seiner mit vielen Ausrufezeichen garnierten Kritik erfahren. Keyserling erzählt die Geschichte einer verheirateten Adeligen, die mit einem Maler durchgebrannt ist und jetzt unter den Augen einer gehässigen Dienerin und der naserümpfenden feinen Gesellschaft mit diesem in einer Fischerhütte an der Ostsee lebt. Der Alltag der beiden scheint sich recht prosaisch zu gestalten. Maar ist hin und weg von der Einfühlungs- und Beschreibungskunst Keyserlings, der ihm hier eine ganze Welt eröffnet: von der guten Gesellschaft bis zu den einfachen Fischern. "Kapitaler Wurf!" und "besser als Fontane!" ruft er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Was für ein kapitaler Wurf, was für ein Meisterwerk! Der Bursche ist ja besser als Fontane!" Michael Maar, DIE ZEIT
»Unter der Kultiviertheit, in der Keyserlings Figuren miteinander verkehren, lauern oft Elend und Barbarei. Dass man dies bemerkt und trotzdem die eleganten Perioden ihrer ambivalenten Sätze geniest, dies macht den Zauber dieser Geschichte aus.« Die Rheinpfalz 31.05.2008