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Die Künstler der "Brücke" im Ersten Weltkrieg
2014 jährt sich der Beginn des 1. Weltkrieges - der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts - zum 100. Mal. Diesen Jahrestag nimmt das Berliner Brücke-Museum zum Anlass für eine Ausstellung, die den Lebensläufen der ehemaligen "Brücke"-Mitglieder während des Krieges nachgeht und erstmals die Position der Künstler zum Krieg in den Mittelpunkt stellt.
Die Künstlergemeinschaft hatte sich bereits im Jahr zuvor (im Mai 1913) offiziell aufgelöst und ihre ehemaligen Mitglieder Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Max Pechstein und Karl
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Produktbeschreibung
Die Künstler der "Brücke" im Ersten Weltkrieg

2014 jährt sich der Beginn des 1. Weltkrieges - der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts - zum 100. Mal. Diesen Jahrestag nimmt das Berliner Brücke-Museum zum Anlass für eine Ausstellung, die den Lebensläufen der ehemaligen "Brücke"-Mitglieder während des Krieges nachgeht und erstmals die Position der Künstler zum Krieg in den Mittelpunkt stellt.

Die Künstlergemeinschaft hatte sich bereits im Jahr zuvor (im Mai 1913) offiziell aufgelöst und ihre ehemaligen Mitglieder Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff erlebten die Zeit des Krieges in ganz unterschiedlichen Situationen und an gänzlich verschiedenen Orten: als Sanitäter in Flandern, Patient im Sanatorium, im Fronteinsatz, als "feindlicher Ausländer" während eines Südsee-Aufenthaltes oder als Soldat in Litauen und Russland.

Anhand dieser fünf Fallstudien untersucht die vorliegende Publikation die Wechselbeziehung zwischen Kunst undKrieg: Wie beeinflusst das politische Geschehen die künstlerische Tätigkeit, wie findet die Auseinandersetzung mit dem "Weltenbruch" ihren Ausdruck im Werk der Expressionisten der ersten Stunde? Anhand von teilweise unveröffentlichtem Foto- und Dokumentationsmaterial skizziert der aufwendig gestaltete und bibliophile Band die unterschiedlichen künstlerischen Reaktionen im Spannungsfeld zwischen Ausnahmezustand und Arbeitsalltag.
Autorenporträt
Magdalena Möller studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Ostasiatische Kunstgeschichte in Köln und Bonn und promovierte über den "Sonderbund Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler". Sie ist Direktorin des Brücke-Museums in Berlin.

Dr. Aya Soika studierte Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, promovierte zur Künstlergemeinschaft "Brücke" in Cambridge und lehrt zur Zeit am European College of Liberal Arts in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2014

Gegenpol zum Grausigen
Was haben die „Brücke“-Maler im Ersten Weltkrieg gemacht? Der Band „Weltenbruch“ versammelt
sechs Geschichten vom Zwiespalt zwischen soldatischem Alltag und neuem Kunstverständnis
VON RENATE MEINHOF
Sommer 1914. Der Krieg bricht aus, und mit ihm im ganzen deutschen Kaiserreich ein Jubeltaumel, ahnungslos noch, und ungebrochen.
  Und wo sind die Künstler der ehemaligen „Brücke“?
  Einige jedenfalls sind in der Ferne, nicht da, wo man einfach eine Tageszeitung kaufen kann. Am weitesten vom Vaterland entfernt hält sich Max Pechstein auf, mit seiner Frau Lotte, auf den Palau-Inseln im Pazifik nämlich, da, wo der Künstler glaubt, sein malerisches Paradies gefunden zu haben. Zwei Jahre wollen die Pechsteins dort bleiben. Als eine Art „deutscher Gauguin“, das ist seine Hoffnung, will er in die Kunstgeschichte eingehen. Doch die Tage in der „deutschen Südsee“ sind nun gezählt.
  Das Ehepaar Nolde befindet sich auf der Rückreise von Neuguinea, als der Krieg ausbricht, bald sitzen sie im Suezkanal fest und versuchen verzweifelt, die Weiterfahrt nach Deutschland zu organisieren.
  Ernst Ludwig Kirchner, der auf Fehmarn sein Paradies gefunden hat, muss mit seiner Freundin die Insel in der Ostsee Anfang August 1914 verlassen. Sie ist zum Seekriegsgebiet erklärt worden. Auf der Rückreise nach Berlin, so schreibt er in einem Brief, sei er „natürlich ein paar Mal als verdächtiger Russe verhaftet“ worden. Später, nach seiner gescheiterten Ausbildungszeit als Artillerist Ende des Jahres 1915, steigerte sich seine Angst vor Männern in Uniform in eine Paranoia.
  Erich Heckel ist bei Kriegsausbruch ebenfalls an der Ostsee, Karl Schmidt-Rottluff bereist Bayern. Anfang August ahnt keiner von ihnen, wie lange und wie grausam dieser Krieg werden wird. Patrioten sind sie, natürlich, und wie so viele erwarten sie den schnellen Sieg, woraus sich vielleicht erklärt, dass sie alle sofort bereit sind, das Ihre zur Verteidigung des Vaterlandes zu leisten, obwohl keiner von ihnen je eine militärische Grundausbildung absolviert hat.
  Pechstein zum Beispiel, immer noch auf der Rückreise aus der Südsee und gestrandet in New York, schreibt drängend im Dezember 1914 an Wolfgang Gurlitt, seinen Kunsthändler: „Mit Dreinschlagen möcht’ ich . . .“ Emil Nolde, mit Ende vierzig zu alt für die Einberufung, beteiligt sich am Kauf von Kriegsanleihen, und Ada, seine Frau schreibt: „Alles durfte mitwirken, nur wir nicht.“
  Was haben die Künstler der „Brücke“ im Ersten Weltkrieg gemacht? Welche Haltung nahmen sie ein? Gab es Brüche? Und wenn ja, auf welche Weise schlugen sie sich in ihren Werken nieder?
  Das Buch „Weltenbruch. Die Künstler der Brücke im Ersten Weltkrieg“ von Aya Soika ist die bisher umfassendste Untersuchung zu diesem Thema. Eine der Leistungen dieser, auch unter bibliophilen Gesichtspunkten, großartigen Arbeit ist es, dass man nicht unbedingt Kunsthistoriker sein muss, um Gewinn aus diesem Buch zu ziehen. Denn Aya Soika, Expertin für den deutschen Expressionismus und besonders für „Die Brücke“, hat sich hier sechs hochinteressante Einzelschicksale vorgenommen.
  Es sind sechs Geschichten aus dem Weltkrieg, vom täglichen Ringen um das Dasein als Künstler, das sie alle nicht aufgeben wollen, auch wenn ringsum in Menschen- und Materialschlachten gestorben wird. Alle erhoffen sich starke künstlerische Eindrücke, suchen neue Motive, ein neues Kunstverständnis.
  Krieg führen zum Zwecke der geistigen Erneuerung, also einer reinigenden Wirkung des ganzen Volkes – dieser Gedanke ist nicht nur bei Ernst Ludwig Kirchner zu finden.
  Es war genau dieses geistige Gerüst, das die Männer auch über die Trennung hinaus verband. Denn im Mai 1913 hatte die Künstlergruppe sich aufgelöst. Im Verlauf dieses Jahres waren alle sechs im Berliner Kunstbetrieb angekommen, hatten ihre Durchbrüche gehabt und Geld verdient, Nolde am allermeisten.
  Das Erstaunliche ist, dass es den Künstlern auch während des Krieges gelang, sich durch Publikationen und Ausstellungen weiter zu etablieren. Auf den „Weltenbruch“ reagierten sie gerade mit Kontinuität. Besonders die eingezogenen Künstler – Heckel, Schmidt-Rottluff, Kirchner, Pechstein und Otto Mueller – versuchten weiter, Kunst zu schaffen, um sich ihrer eigenen Identität zu versichern.
  Aber wie geht das, Künstler sein und Soldat sein? Nolde, dessen Alltag sich durch den Krieg kaum verändert hatte, verstand die Kunst als „Gegenpol“ des „Grausigen“.
  Was sie auch an Schrecklichem erlebten – ihren Kunstbegriff hinterfragten die ehemaligen Mitglieder der „Brücke“ nicht, ganz anders als die Dadaisten, die Surrealisten, die mit dem „Weltenbruch“ den Tod der Kunst proklamierten.
  Das Grauen, das die „Brücke“-Maler erlebten, lässt sich in ihren Werken immer nur indirekt erahnen. Bei Pechstein zum Beispiel sind es die Briefköpfe, die schnellen, aber so eindrücklichen Zeichnungen von Verwundeten mit durchgesickerten Verbänden, die vom Sterben in den Schützengräben an der Somme erzählen.
  Dafür schlägt das Grauen sich in vielen schriftlichen Zeugnissen nieder. Die Autorin hat bis jetzt unbekannte Briefe ausgegraben und ausgewertet, sodass zum ersten Mal auch die Gefühlswelten, die politischen und kunstpolitischen Ansichten der Maler in dieser Zeit sehr plastisch gezeichnet werden können.
  Von Karl Schmidt-Rottluffs ausgeprägtem Antisemitismus zum Beispiel war bisher nichts bekannt. Natürlich galt auch ihm England als der Hauptfeind. Das Königreich, das einen Materialismus verkörperte, dem der Künstler das geistige Potenzial entgegensetzte, das seiner Ansicht nach im deutschen Volk noch schlummerte. Zu seiner antienglischen Haltung aber kam die antisemitische. So schreibt er in einem Brief an den Hamburger Sammler Wilhelm Niemeyer im Frühjahr 1915 : „Nur eines, eines möchte das Ergebnis des Kampfes sein, die Erledigung Englands. Dies Volk, das vollkommen durch die Juden verseucht ist, muss merken, dass man Kriege nicht um Geld führt . . . Meine Furcht vor dem Judentum war nur allzu begründet: hier in BERLIN ist sie bereits greifbar geworden. Diese Juden hier tragen die große Überzeugung schon öffentlich mit sich herum, dass sie nach dem Kriege auch politisch herrschen. Doch ich denke, der deutsche Gott wird uns davor bewahren und es ihnen gründlich in die Bude schneien lassen.“
  Das Judentum als Finanzmacht und die Sozialdemokratie als Agitationsmacht sah er als die „neue Gefahr im Lande“ an. Ausgerechnet Schmidt-Rottluff verschlug es im Spätsommer 1916 an die Ostfront, ins russische Kowno, heute Kaunas in Litauen. Er war dort auch von vielen jüdischen Kollegen umgeben, die mit großer Aufgeschlossenheit der Kultur des Ostjudentums begegneten, die auch ihnen bis dahin unbekannt war. Ob sich Schmidt-Rottluffs Ansichten in Kowno noch einmal wandelten, ist nicht überliefert, aber einige seiner markantesten Holzschnitte entstanden hier im letzten Kriegsjahr.
  Besonders eindrücklich ist Erich Heckels Weg durch die vier Jahre des Krieges. Als Sanitäter war er zuerst in Berlin, dann in Flandern. Er skizzierte Verwundete, Tote, aber nie in verstörender Weise. Schnelle Tuschfederzeichnungen entstehen, und Holzschnitte seiner Sanitätskollegen. Das eindrücklichste Werk aber ist die „Madonna von Ostende“, die als Zeltplanen-Madonna in die Kunstgeschichte einging. Heckel hatte in Brügge den Schrein der Heiligen Ursula gesehen und bewundert, ein Werk Hans Memlings von 1489.
  Der Schrein war ihm, wie Soika nachweist, Vorbild für eine fast drei Meter hohe Marienfigur, ein christliches Hoffnungsbild, das er mit Leimfarbe auf einer zusammengenähten, braunen Militärzeltplane malte. Maria mit dem Jesuskind, Maria mit blondem langen Haar. Erich Heckel betont ihre Wimpern stark, ihre Hüften, so dass diese Maria fast etwas Pin-up-haftes bekommt.
  Diese Muttergottes ist so sehr auch Frau, dass alle Soldatenphantasien auf die Zeltplane projiziert werden können.
  Am 24. Dezember 1915 wurde das Bild denn auch bei einer Weihnachtsfeier im Bahnhof von Ostende begeistert aufgenommen. Es war geschmückt mit Tannengrün und Kerzen. Heckel schreibt über diesen Abend: „Die Kerle haben alle wie wild getanzt und gefeiert.“ Für den Künstler wurde die Madonna zu einem Schlüsselwerk des Krieges.
  Begleitend zu Aya Soikas Buch „Weltenbruch“ zeigt das Berliner Brücke-Museum vom 1. August an eine Ausstellung mit gleichem Titel. Das Buch könnte aber, weit über die Dauer der Ausstellung hinaus, zu einem Standardwerk werden.
Aya Soika: Weltenbruch. Die Künstler der Brücke im Ersten Weltkrieg. 1914-1918. Hrsg. von Magdalena M. Moeller. Prestel Verlag, München 2014. 240 Seiten, 49,95 Euro.
Ernst Nolde schreibt an
seine Frau: „Alles durfte
mitwirken, nur wir nicht.“
Heckels „Madonna von Ostende“
ging als Zeltplanen-Madonna
in die Kunstgeschichte ein
Heiligabend 1915:
„Die Kerle haben alle wie wild
getanzt und gefeiert.“
Erich Heckel malte dieses Seebild während seiner Stationierung als Sanitäter an der Krankensammelstelle in Ostende: Nordsee, 1918.
Foto: Brücke-Museum, Berlin
Ernst Ludwig Kirchner: Selbstporträt als Soldat in seinem Atelier in Berlin-Friedenau, Sommer 1915.
Foto: Kirchner Museum, Davos
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