Als ich vor einigen Jahren die Reichenau besuchte, war ich überrascht, wenn nicht gar enttäuscht, wie wenig von dem einstmals bedeutenden Kloster heute noch zu sehen ist. Anlässlich des 1300. Jubiläums zum angeblichen Gründungsjahr ist Kloster Reichenau jetzt Hauptthema der Landesausstellung
Baden-Württemberg, zu der dieser exzellent ausgestattete Begleitband erscheint.
Auch wenn die…mehrAls ich vor einigen Jahren die Reichenau besuchte, war ich überrascht, wenn nicht gar enttäuscht, wie wenig von dem einstmals bedeutenden Kloster heute noch zu sehen ist. Anlässlich des 1300. Jubiläums zum angeblichen Gründungsjahr ist Kloster Reichenau jetzt Hauptthema der Landesausstellung Baden-Württemberg, zu der dieser exzellent ausgestattete Begleitband erscheint.
Auch wenn die materiellen Hinterlassenschaften des Klosters eher dürftig sind, sieht man von den weltberühmten Handschriften und einigen Kunstwerken einmal ab, so ergibt sich in der Rückschau doch ein ziemlich klares Bild, das durch die vielschichtigen Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird. Zunächst widmen sich die Autoren der Gründungsgeschichte, die fiktiv ist und bis heute nicht völlig aufgeklärt werden konnte. Kloster Reichenau betrieb im Mittelalter eine florierende Fälscherwerkstatt für kaiserliche Urkunden und fälschte nicht nur die eigene Gründungsurkunde, sondern auch Dokumente im Auftrag anderer. Relativ gut belegt ist dagegen der kulturelle Austausch mit anderen, teilweise weit entfernten Klostergemeinschaften, sowie der stark geregelte klösterliche Alltag. Die Autoren beschreiben detailliert und sehr anschaulich, wie sich Reichenau fest in einen europäischen Kontext eingliedert und über monastischen Austausch zu einem bedeutenden Zentrum der Gelehrsamkeit wird. Die isolierte Lage im Bodensee war im Mittelalter zwar ein wirksamer Schutz vor Überfällen und Zerstörung, in späteren Zeiten dann aber ein Hindernis, was bereits im 16. Jahrhundert zur Aufhebung des Klosters führte.
Geblieben sind vor allem die Kunstschätze, die meist eine neue kirchliche oder weltliche Heimat fanden, darunter auch einige der berühmtesten Handschriften der Welt. Dem klösterlichen Skriptorium ist folgerichtig ein ganzer Abschnitt gewidmet.
Überrascht war ich, wie vergleichsweise wenig bisher archäologisch auf der Insel gearbeitet wurde. Viele Erkenntnisse zum Klosteralltag werden daher auch mit Parallelen, z. B. zum ungleich besser untersuchten Schwesterkloster St. Gallen in der benachbarten Schweiz begründet.
Die Beiträge sind sehr anschaulich geschrieben und richten sich an ein interessiertes Laienpublikum, indem sie auf Fachsprache weitgehend verzichten und den Text mit umfangreichem Bildmaterial illustrieren. Die Klosterinsel mag heute wenig sichtbare Spuren aufweisen, aber der Katalog bringt das monastische Leben und vor allem die europäischen „Netzwerke des Glaubens“ wieder zum Vorschein.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)