Was Peter Scholl-Latour mit der ihm eigenen visionären Kraft vorausgesehen hat, ist eingetroffen: Nicht nur im Irak, im gesamten Nahen und Mittleren Osten entfaltet sich ein historisches Drama, das der Weltmacht USA schneller als erwartet ihre Grenzenaufzeigt. Aufgrund jüngster Eindrücke in der Konfliktregion und jahrzehntelanger Kenntnis der dort wirkenden politischen und religiösen Kräfte gelingt Scholl-Latour eine überzeugende Analyse dieses notorischen Brennpunkts der Weltpolitik.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2004Reisen auf dem Krisenbogen
Den Journalisten Peter Scholl-Latour hält es nicht zu Hause
Peter Scholl-Latour: Weltmacht im Treibsand. Bush gegen die Ayatollahs. Propyläen Verlag, München 2004. 344 Seiten, 24,- [Euro].
Achtzig Jahre ist er nun alt, ein bißchen schwerhörig und geplagt von mancherlei Erinnerung an seine mehr als fünfzig Arbeitsjahre als schreibund meinungsfreudiger Journalist im Dienste vieler Medien. Aber keine Rede von Ruhestand. Im Sommer und Herbst 2003 hat Peter Scholl-Latour wieder einmal Afghanistan, Iran, den Irak und Libanon bereist, um über die innere Entwicklung in diesen Ländern zu berichten, vor allem darüber, ob die westlichen, speziell die Vorstellungen der amerikanischen Regierung über die Zukunft dieser Länder realistisch sind. Wie in früheren Jahren begreift der alte Herr seine Reisen als Erkundungsmissionen eines "Stoßtrupps". Allein schon die damit verbundenen physischen Leistungen verdienen allen Respekt. Hinzu kommen drei wichtige Fähigkeiten: ein erfahrungsgesättigter, durch etwas Altersstarrsinn kaum getrübter politischer Scharfsinn, das große Geschick, zu den "richtigen" Interviewpartnern vorzustoßen und diesen auch noch aufschlußreiche Äußerungen zu entlocken. Wegen der Kombination dieser Eigenschaften ist er zu einem Star unter den deutschen Fernsehreportern geworden. Das hat ihm im übrigen auch viel Neid eingebracht. Über die Jahre hat er außerdem liebevoll eine gewisse Wurstigkeit in Fragen der politischen Korrektheit gepflegt.
Man merkt "Weltmacht im Treibsand" an, daß es zwar in großer Eile, aber auch recht konzentriert geschrieben worden ist. Der Titel faßt seine Hauptthese knapp zusammen - die amerikanische Politik und die der anderen Länder, die sich ihr angeschlossen haben, gegenüber den islamischen Gesellschaften im berüchtigten "Krisenbogen" von Pakistan bis Nordafrika ist grundfalsch und wird den früheren Fehlschlägen neue hinzufügen. Insbesondere die Militärintervention in Afghanistan und die Folgeentscheidungen für den Aufbau und die Unterstützung des "Quisling Regimes Hamed Karzais" hält Scholl-Latour für kurzatmige amerikanische Interessenpolitik, die zum Scheitern verurteilt ist. Da sich die Bundesregierung demonstrativ an dieser Politik beteiligt, wird auch sie Zielscheibe heftiger Vorwürfe. Was Iran betrifft, so bleibt er voller Skepsis gegenüber raschen Hoffnungen auf eine Verflüchtigung des religiösen Einflusses auf die Politik des Landes. Am intensivsten beschäftigt er sich mit dem politischen Schicksal des Iraks. Seine Prognose fällt eindeutig aus: Entweder beharren die Vereinigten Staaten auf ihrer neokonservativen Vision einer Verwestlichung des Iraks, dann werden sie weiter auf brutale Gegenwehr stoßen, insbesondere von seiten der irakischen Schiiten. Oder sie lassen in einem Akt echter Demokratie die Machtübernahme der Schiiten zu, müssen aber dann zugestehen, daß sich in Bagdad ein islamistischer Staat etabliert, der die Uhren der Säkularisierung wieder zurückstellt oder sie ganz zerschlägt. Den Optimismus der Amerikaner, über den Krieg gegen Saddam Hussein mittelfristig eine Modernisierung des politischen Regimes in Saudi-Arabien, eine Demokratisierung Syriens, eine Re-Säkularisierung im Sinne eines Auseinanderrückens von Religion und Politik in Iran, die Zerschlagung der Al-Quaida-Terrornetze und schließlich sogar noch eine Verständigung zwischen Israel und den Palästinensern ins Werk setzen zu können, hält Scholl-Latour für schrecklich naiv und für einen Ausdruck politischer Fahrlässigkeit. Aus seinen Beobachtungen und Interviews im Irak entsteht das Monumentalgemälde eines politischen Desasters, das Präsident Bush und seine Berater zielgerichtet bereits vor dem 11. September 2001 und gegen den Widerstand in den Vereinten Nationen ansteuerten, blind gegenüber politischen Einwänden, getrieben aus einer Mischung von neokonservativer Weltverbesserungssucht und der Erwartung wirtschaftlicher Vorteile.
Solche Kritik wird - obwohl Scholl-Latour seinen Ruf als Sturmkrähe und Unkenkönig auch genießt - nicht als schrilles Lamento vorgetragen. Sie erwächst aus einer Vielzahl von Gesprächsfetzen, Erinnerungen an frühere Reisen und Schilderungen zahlloser Details. Auf solche sehr unpolitologische Weise kommen scharfe, an den Rändern zuweilen allerdings etwas zerfransende politische Analysen zustande, die sich so spannend wie ein Abenteuerbericht lesen. Störend macht sich dabei nur, vor allem im langen Einleitungskapitel, Scholl-Latours Hang zur Selbststilisierung als verfolgter Amerika-Kritiker und zur Überpointierung bemerkbar. So ist es nun wirklich nicht berechtigt, den deutschen Politikern und Journalisten pauschal vorzuwerfen, sie hätten angesichts des Irak-Krieges der Vereinigten Staaten diesen gegenüber eine unterwürfige Haltung eingenommen. Darüber und über mancherlei Urteile über dies und das, was nicht zum Thema gehört, muß man hinweglesen. Ansonsten ist das Buch spannend und anregend.
WILFRIED VON BREDOW
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Den Journalisten Peter Scholl-Latour hält es nicht zu Hause
Peter Scholl-Latour: Weltmacht im Treibsand. Bush gegen die Ayatollahs. Propyläen Verlag, München 2004. 344 Seiten, 24,- [Euro].
Achtzig Jahre ist er nun alt, ein bißchen schwerhörig und geplagt von mancherlei Erinnerung an seine mehr als fünfzig Arbeitsjahre als schreibund meinungsfreudiger Journalist im Dienste vieler Medien. Aber keine Rede von Ruhestand. Im Sommer und Herbst 2003 hat Peter Scholl-Latour wieder einmal Afghanistan, Iran, den Irak und Libanon bereist, um über die innere Entwicklung in diesen Ländern zu berichten, vor allem darüber, ob die westlichen, speziell die Vorstellungen der amerikanischen Regierung über die Zukunft dieser Länder realistisch sind. Wie in früheren Jahren begreift der alte Herr seine Reisen als Erkundungsmissionen eines "Stoßtrupps". Allein schon die damit verbundenen physischen Leistungen verdienen allen Respekt. Hinzu kommen drei wichtige Fähigkeiten: ein erfahrungsgesättigter, durch etwas Altersstarrsinn kaum getrübter politischer Scharfsinn, das große Geschick, zu den "richtigen" Interviewpartnern vorzustoßen und diesen auch noch aufschlußreiche Äußerungen zu entlocken. Wegen der Kombination dieser Eigenschaften ist er zu einem Star unter den deutschen Fernsehreportern geworden. Das hat ihm im übrigen auch viel Neid eingebracht. Über die Jahre hat er außerdem liebevoll eine gewisse Wurstigkeit in Fragen der politischen Korrektheit gepflegt.
Man merkt "Weltmacht im Treibsand" an, daß es zwar in großer Eile, aber auch recht konzentriert geschrieben worden ist. Der Titel faßt seine Hauptthese knapp zusammen - die amerikanische Politik und die der anderen Länder, die sich ihr angeschlossen haben, gegenüber den islamischen Gesellschaften im berüchtigten "Krisenbogen" von Pakistan bis Nordafrika ist grundfalsch und wird den früheren Fehlschlägen neue hinzufügen. Insbesondere die Militärintervention in Afghanistan und die Folgeentscheidungen für den Aufbau und die Unterstützung des "Quisling Regimes Hamed Karzais" hält Scholl-Latour für kurzatmige amerikanische Interessenpolitik, die zum Scheitern verurteilt ist. Da sich die Bundesregierung demonstrativ an dieser Politik beteiligt, wird auch sie Zielscheibe heftiger Vorwürfe. Was Iran betrifft, so bleibt er voller Skepsis gegenüber raschen Hoffnungen auf eine Verflüchtigung des religiösen Einflusses auf die Politik des Landes. Am intensivsten beschäftigt er sich mit dem politischen Schicksal des Iraks. Seine Prognose fällt eindeutig aus: Entweder beharren die Vereinigten Staaten auf ihrer neokonservativen Vision einer Verwestlichung des Iraks, dann werden sie weiter auf brutale Gegenwehr stoßen, insbesondere von seiten der irakischen Schiiten. Oder sie lassen in einem Akt echter Demokratie die Machtübernahme der Schiiten zu, müssen aber dann zugestehen, daß sich in Bagdad ein islamistischer Staat etabliert, der die Uhren der Säkularisierung wieder zurückstellt oder sie ganz zerschlägt. Den Optimismus der Amerikaner, über den Krieg gegen Saddam Hussein mittelfristig eine Modernisierung des politischen Regimes in Saudi-Arabien, eine Demokratisierung Syriens, eine Re-Säkularisierung im Sinne eines Auseinanderrückens von Religion und Politik in Iran, die Zerschlagung der Al-Quaida-Terrornetze und schließlich sogar noch eine Verständigung zwischen Israel und den Palästinensern ins Werk setzen zu können, hält Scholl-Latour für schrecklich naiv und für einen Ausdruck politischer Fahrlässigkeit. Aus seinen Beobachtungen und Interviews im Irak entsteht das Monumentalgemälde eines politischen Desasters, das Präsident Bush und seine Berater zielgerichtet bereits vor dem 11. September 2001 und gegen den Widerstand in den Vereinten Nationen ansteuerten, blind gegenüber politischen Einwänden, getrieben aus einer Mischung von neokonservativer Weltverbesserungssucht und der Erwartung wirtschaftlicher Vorteile.
Solche Kritik wird - obwohl Scholl-Latour seinen Ruf als Sturmkrähe und Unkenkönig auch genießt - nicht als schrilles Lamento vorgetragen. Sie erwächst aus einer Vielzahl von Gesprächsfetzen, Erinnerungen an frühere Reisen und Schilderungen zahlloser Details. Auf solche sehr unpolitologische Weise kommen scharfe, an den Rändern zuweilen allerdings etwas zerfransende politische Analysen zustande, die sich so spannend wie ein Abenteuerbericht lesen. Störend macht sich dabei nur, vor allem im langen Einleitungskapitel, Scholl-Latours Hang zur Selbststilisierung als verfolgter Amerika-Kritiker und zur Überpointierung bemerkbar. So ist es nun wirklich nicht berechtigt, den deutschen Politikern und Journalisten pauschal vorzuwerfen, sie hätten angesichts des Irak-Krieges der Vereinigten Staaten diesen gegenüber eine unterwürfige Haltung eingenommen. Darüber und über mancherlei Urteile über dies und das, was nicht zum Thema gehört, muß man hinweglesen. Ansonsten ist das Buch spannend und anregend.
WILFRIED VON BREDOW
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Monumentalgemälde eines politischen Desasters - spannend wie ein Abenteuerbericht" Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Ein beeindruckendes geopolitisches Bild der Region" Handelsblatt
"Ein beeindruckendes geopolitisches Bild der Region" Handelsblatt