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Wir sind umstellt von Bildern: der blaue Planet, die steil nach oben weisende Kurve der Bevölkerungsexplosion, der ölverschmierte Kormoran, Autos im Stau, die riesenhaft vergrößerte Milbe. Wir haben uns angewöhnt, mit Bildern zu argumentieren. Die Sprache scheint auf dem Rückzug. Eine Bildsimulation sagt mehr als tausend Worte. Was bedeutet das für unser Denken, unser Handeln, unser Wirklichkeitsempfinden? Uwe Pörksen denkt nach über die visuellen Zeichen, über die Kultur der Info-Graphik und die Logik der Vereinfachung. Er zeichnet den Siegeszug des DNS-Spiralmodells nach, neben dem…mehr

Produktbeschreibung
Wir sind umstellt von Bildern: der blaue Planet, die steil nach oben weisende Kurve der Bevölkerungsexplosion, der ölverschmierte Kormoran, Autos im Stau, die riesenhaft vergrößerte Milbe. Wir haben uns angewöhnt, mit Bildern zu argumentieren. Die Sprache scheint auf dem Rückzug. Eine Bildsimulation sagt mehr als tausend Worte. Was bedeutet das für unser Denken, unser Handeln, unser Wirklichkeitsempfinden?
Uwe Pörksen denkt nach über die visuellen Zeichen, über die Kultur der Info-Graphik und die Logik der Vereinfachung. Er zeichnet den Siegeszug des DNS-Spiralmodells nach, neben dem Atommodell die Wissenschaftsikone unserer Zeit. Er analysiert, wie Medizinkongresse, Philosophieseminare und politische Normalverbraucher beeinflußt werden durch das suggestive Design einleuchtender Bilderketten.
Autorenporträt
Uwe Pörksen, geboren 1935 in Breklum bei Husum, lebt seit 1968 in Freiburg, wo er von 1976 bis 2000 als Universitätsprofessor für Deutsche Sprache und Ältere deutsche Literatur gearbeitet hat. In den frühen siebziger Jahren begannen literarische und essayistische Veröffentlichungen. 1979 erschien sein erster Roman, In den achtziger Jahren erschienen Erzählungen.
Uwe Pörksen ist Mitglied der Darmstädter und der Mainzer Akademie, des PEN Club und der Nationalakademie Leopoldina.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.1997

Das Piktogramma macht ihm Pein
Uwe Pörksen fürchtet für die Sprache

Im Herbst 1992 verhandelte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung das Thema "Die tägliche Sprachschändung". Für Aufsehen und auch Widerspruch sorgte der Vortrag des Sprachwissenschaftlers und Schriftstellers Uwe Pörksen. Der Autor des vier Jahre zuvor erschienenen Buches "Plastikwörter" hielt sich erst gar nicht lange bei sprachlichen Unarten auf. Seine Kritik geriet zur polemischen Metakritik: Die Sprache selbst, die geschriebene insbesondere, sei in Gefahr. Sie werde zurückgedrängt von Diagrammen, Piktogrammen, von Schautafeln aller Art, von "Tabellenhäppchen", kurz: von graphischen Veranschaulichungen, die "den sklavischen Trott durch die Zeilen" erübrigten.

Pörksens neues Werk spitzt seine Thesen zu. Er gibt ihnen nun eine regelrecht philosophische Dimension. Er hat nichts weniger im Blick als eine machtvoll sich anbahnende neue Weise des Weltverständnisses. So nennt er sein Buch im Untertitel auch mit Fug und Recht "Eine Philosophie der Visiotype". "Visiotype": Dies ist eine Wortschöpfung Pörksens, die er den "Stereotypen" anbeigesellt. Er versteht darunter einen "allgemein zu beobachtenden, durch die Entwicklung der Informationstechnik begünstigten Typus sich rasch standardisierender Visualisierung".

Visiotype prägen nach Pörksen buchstäblich das Weltbild des Menschen. Sie spiegeln eine Eindeutigkeit vor, die es in Wahrheit nicht gibt, und ersticken jeden Widerspruch. Die in die Zukunft projizierte Weltbevölkerungskurve, Schaubilder, die eine auf das umzingelte Deutschland hereinbrechende "Asylantenflut" symbolisieren, argumentieren nicht mehr, sondern drohen einfach nur. Dadurch schaffen Visiotype eine politische Stimmung, gegen die sprachlich-argumentativ nur noch schwer anzukommen ist. Solche Verbildlichungen der Wirklichkeit müssen von aller Komplexität abstrahieren, um anschaulich zu sein. Zu Recht bemerkt Pörksen, daß Anschaulichkeit und Abstraktion einander keineswegs widersprechen.

Die Visiotype bilden aber auch die Brücke zwischen Wissenschaft und Laientum. Pörksen zeichnet minutiös nach, mit welchen Skrupeln ernste Grundlagenforscher ihre Theorien anfangs nur für den innerwissenschaftlichen Hausgebrauch visualisierten: Sei es Freud, der in einer bescheidenen Zeichnung die Interaktion zwischen "Ich", "Über-Ich" und "Es" darstellte, diese Darstellung aber selbst gleich einer sprachlichen Kritik unterzog; sei es Darwin, der in seinem Tagebuch mit einem zweifelnden "I think" eine hypothetische Skizze der Evolution anfertigte, die fast von Kinderhand stammen könnte; oder seien es Crick und Watson, die allerdings schon selber ihre anfänglich vorsichtig tastende und noch fast unübersichtliche Darstellung der DNS-Doppelhelix durch immer eindeutigere Vereinfachungen popularisierten. Wissenschaftliche Visualisierungen, ursprünglich nur als Gedankenkrücken gemeint, streben unausweichlich zur weltbildenden Popularität. Pörksen formuliert es paradox: "Je sicherer die öffentliche Tatsache, um so entfernter der ursprüngliche wissenschaftliche Gehalt".

Der Kampf des Autors für die Bewahrung der Sprache und gegen die Flut nonverbaler Visualisierungen richtet sich gegen die "Verzifferung" der Wirklichkeit - hier beruft sich Pörksen ausdrücklich auf Ernst Jüngers Kulturkritik. Denn tatsächlich beruhen ja viele Visiotype auf Zahlenverhältnissen: Bevölkerungskurven, exponentielle Aids-Kurven, die verschiedenenfarbigen Türme der Meinungsumfragen gefährden nach Pörksen die Souveränität des politischen Gesprächs.

Nun könnte man gegen Pörksens Kritik einwenden, bereits die Schrift sei eine Art der Visiotype, zumal ja schon Platon die Schriftlichkeit als Dekadenz verstand, schwäche sie doch das menschliche Gedächtnis. Die Schrift als die Visualisierung der gesprochenen Sprache? Der Autor will hier aber eine scharfe Unterscheidung gesetzt sehen: Visiotype beruhten auf der Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Figur und Bedeutung, seien international verstehbar und riefen "eine sozial verankerte Sehnorm" hervor.

Anders sei es mit sprachlichen Zeichen, die für eine Lautform stünden. Die Lautform sei wiederum nur "ein symbolischer Stellvertreter der Vorstellung", sei erst einmal nur in einer Sprachgemeinschaft verstehbar. Anders als in der Welt der Visiotype, wo zwischen gemeinter Sache und Figur ein fixiertes Verhältnis herrsche, bestehe zwischen Lautform und Vorstellung keine notwendige Beziehung.

Doch lassen sich andere Einwände gegen Pörksens Buch geltend machen. Einerseits wird der Autor nicht müde, Dignität, Reichtum und Sinnhaftigkeit der Wortsprache gegen die gedankliche Reduziertheit der Visiotype hervorzuheben. Andererseits reduziert er die Sprache an einigen Stellen ungebührlich technisch auf ein "Instrument", womit er sie dem Instrument der Visiotype doch wieder gleichstellt. Irritierend wirkt Pörksens Umgang mit dem Begriff des Mythos beziehungsweise der "Mythe". Unbeeindruckt von Forschungen über den Mythos und seine Beziehung zu Wahrheit und Sprache, verwendet er den Begriff im populären Sinne des falschen Scheins. Und gelegentlich stößt der Leser auf Passagen, die arg mündlich und sprachlich wenig ausgearbeitet wirken. Gleichwohl schrieb Pörksen ein notwendiges Buch. Und Besseres kann über ein Buch kaum gesagt werden. MARTIN THOEMMES

Uwe Pörksen: "Weltmarkt der Bilder". Eine Philosophie der Visiotype. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1997. 329 S., 67 Abb., geb., 38,- DM.

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