Berichte eines sexologischen Weltenbummlers Vieles an diesem Buch ist ungewöhnlich. Es beginnt damit, dass Magnus Hirschfeld bei der Abfahrt "eine Reise um die Welt weder beabsichtigt noch geplant hatte". Auch war er kein bummelnder Tourist, sondern ein Mann mit einer Mission: Er hält auf seiner Reise - häufig zum milden Erstaunen der in der Tropensonne träge gewordenen Kolonialeuropäer - in 500 Tagen 176 Vorträge. Sein Thema ist immer das gleiche: Sexologie. Denn noch spannender als Canyons, Tempel und Grandhotels sind für ihn die sexuellen Gepflogenheiten der Landesbewohner. So steht auf Hirschfelds Besuchsprogramm ganz selbstverständlich neben dem Kirschblütenfest in Japan das Bordellviertel in Yokohama, eine Begegnung mit japanischen Frauendarstellern, die Suche nach Phallussteinen und die Beantwortung der Frage, ob es das gefürchtete "Verschwinden des Penis" tatsächlich gibt. Bestechend ist dabei die Energie und auch die Vorurteilslosigkeit, mit der der Forscher zu Werke ging - denn neben seiner auch heute noch verblüffenden Begeisterung für die Sexualfreundlichkeit des Islam stellt er immer wieder fest, wie ungewöhnlich lebenstüchtig die Sprösslinge von Mischlingsehen sind. Kein Wunder, dass Hirschfeld bei seiner Rückkehr in Berlin wenig beliebt war und die Erstausgabe seiner Weltreise 1933 nicht dort, sondern in Zürich herauskam.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2006Befreiter Sex, sauber gedacht
Liebe und treibe es, wie du willst: Magnus Hirschfelds Weltreise
"Nur Mensch sein, dieser scheinbare Rückschritt wäre der größte Fortschritt. Die vorhandenen Gegensätze von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk, von Land zu Land zu überwinden, vermag aber nur eine Brücke: Menschenliebe." Mit diesem Bekenntnis endet Magnus Hirschfelds "Weltreise eines Sexualforschers im Jahre 1931/32". Als das Buch 1933 in der Schweiz erschien, galten panhumanistische Hoffnungen auf ein kommendes goldenes Zeitalter als undeutsch und zersetzend. Hirschfeld zog es vor, schon vor der "Machtergreifung" nicht mehr in "die Heimat" zurückzukehren. Sein Institut für Sexualwissenschaft in Berlin wurde im Mai 1933 geschlossen.
Hirschfelds Reisebericht ist der Bericht eines deutschen Patrioten und Weltbürgers. Mit seinen Vorträgen zuvor in den Vereinigten Staaten und dann in Asien, Ägypten und Palästina möchte er überall in menschenfreundlicher Absicht aufklären und damit zugleich für den Humanismus deutscher Wissenschaft werben. Immer wieder stellt er zufrieden fest, als Vertreter spezifisch deutschen Geistes und ihm gemäßer Wissenschaftlichkeit anerkannt, ja bewundert zu werden. Nicht zuletzt die überall in Asien gegenwärtigen Deutschen betrachten seine Erfolge als vaterländische. Er findet unter ihnen "herzlich landsmännische Aufnahme" und zusammen mit ihnen, den zerstreuten "Weltwanderern" im Sinne des späten Goethe, wird oft genug des deutschen Vaterlandes gedacht.
Hirschfeld erzählt nicht, was die "Auslandsdeutschen" beschäftigt, wenn sie mit ihm über "die Heimat" reden. Ihn befriedigt es vor allem, daß sie in China, in Java oder wo auch immer sehr gut angesehen sind und gebraucht werden. Nicht zuletzt, weil sie sich nicht von den "Eingeborenen" herrenmäßig absondern, wie er es Briten oder Holländern vorwirft, sondern sie in ihrem Kampf um Freiheit unterstützen. Chinesen, Inder, Indonesier schätzen in den besiegten Deutschen, wie Hirschfeld erfreut beobachtet, einen Bundesgenossen. Deshalb suchten die Deutschen - nicht nur in weltbürgerlicher Absicht - enge Beziehungen zu den nach Unabhängigkeit verlangenden Kolonialvölkern. Es ist erstaunlich, wie viele Deutsche sich in Asien aufhalten, welchen Einfluß sie haben, wie ihr Rat gesucht wird.
Der Verlag verzichtete auf einen Kommentar. So bleiben die vielen Namen für die allermeisten Leser nur Schall und Rauch, lästiges "namedropping" eines Außenseiters, der nach gesellschaftlicher Anerkennung lechzt. Immerhin schmückt sich Hirschfeld mit für damalige Deutschen vertrauten "Prominenten" oder will bewußt auf Freunde die Aufmerksamkeit lenken, die wegen ihrer erotischer Neigungen im deutschen akademischen Milieu erhebliche Schwierigkeiten hatten. Sein Reisebericht weckt den Wunsch nach einer umfassenden Untersuchung deutscher Kulturpolitik in Asien vor allem nach 1918.
Magnus Hirschfeld wirkt weder als Person noch als Schriftsteller besonders anziehend. Er ist unbeholfen, ein unselbständiger Kleingeist, der gleichwohl für Großmut und Unabhängigkeit schwärmt. Sein rührender Patriotismus mischt sich mit deutsch-gemütlichen Erwartungen, daß befreite Sexualität und befreite Völker geistige und allgemeine Freiheit unter den Menschen stiften würden. Sind erst einmal die Vorurteile verschwunden, dann können endlich alle in brüderlicher Gesinnung jubeln: Seid umschlungen ihr Millionen / Diesen Kuß der ganzen Welt. Doch was ein Vorurteil ist, das bestimmt der deutsche Professor, der gewissenhafte Forscher Hirschfeld als Erzieher zu allgemeiner Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit.
Der Sexualwissenschaftler schwärmt für die Vielfalt der Sitten, der Gebräuche und der erotischen Stilisierungen. Aber nur soweit sie nicht dem Humanismus und der Menschenwürde der Moderne widersprechen. Wo das der Fall ist, müssen die anderen eben umerzogen und entwickelt werden gemäß der menschlichen Devise: "im Kinde, da steckt alles drin,/ ziehen tut die Lehrerin" oder der Doktor Magnus Hirschfeld, der die Liebe allen Menschen auf wissenschaftlicher Grundlage verständlich machen, also "verdeutschen" will. Wissenschaftlichkeit ist nun einmal etwas eminent Deutsches. Darauf ist Hirschberg stolz. Gerade Deutsche können alles verwissenschaftlichen, objektivieren und damit humanisieren. Sie denken sauber und können deshalb, wie Hirschfeld folgert, auch Sauberkeit in die Liebe bringen, sie von allem Schmutz befreien, von Lust und anderen unbürgerlichen Begleiterscheinungen.
Als Weltsaubermann reiste er um die Welt, darauf achtend, daß möglichst die gesamte Welt, um zueinanderzufinden, sich auf das phlegmatische Temperament der Hinterpommern verständigt. Der Pommer Hirschfeld blieb auch als globaler Sexologe ein biederer Pedant. Ängstigen sich Asiaten um ihre guten Sitten unter dem Eindruck amerikanischer Tänze, versichert er ihnen, daß sie nichts zu fürchten brauchen. Sich beim Tanz allzu erotisierend zu bewegen gilt in Deutschland als unschicklich und ist mit Recht verpönt. Nicht neue Rhythmen gefährden den Anstand. Nur Übertreibungen, Diätfehler in der Erotik wie beim Essen oder Trinken.
Nehmen wir uns alle zur weiteren Humanisierung ein Beispiel am munteren Kaffee, der südländisch-feurig sich dennoch gesittet mit Fräulein Milch vermählt oder ein Liebesbündnis mit der reifen Frau Sahne eingeht. Alles in Züchten. Werden wir nur nicht übermütig. Ach Du mein Hinterpommern, können da Altösterreicher aufseufzen, denen vor Milch und Sahne schaudert. Aber auch sie werden sich nicht panhumanistischer Kaffeehäuslerei verweigern. Ebnet sie doch diskret und elegant pansexueller Humanität den Weg, der Vermählung von Spießertum und Aufklärung.
EBERHARD STRAUB
Magnus Hirschfeld: "Weltreise eines Sexualforschers im Jahre 1931/32". Vorgestellt und mit einem Vorwort versehen von Hans Christian Buch. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006. 445 S., geb., 29,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liebe und treibe es, wie du willst: Magnus Hirschfelds Weltreise
"Nur Mensch sein, dieser scheinbare Rückschritt wäre der größte Fortschritt. Die vorhandenen Gegensätze von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk, von Land zu Land zu überwinden, vermag aber nur eine Brücke: Menschenliebe." Mit diesem Bekenntnis endet Magnus Hirschfelds "Weltreise eines Sexualforschers im Jahre 1931/32". Als das Buch 1933 in der Schweiz erschien, galten panhumanistische Hoffnungen auf ein kommendes goldenes Zeitalter als undeutsch und zersetzend. Hirschfeld zog es vor, schon vor der "Machtergreifung" nicht mehr in "die Heimat" zurückzukehren. Sein Institut für Sexualwissenschaft in Berlin wurde im Mai 1933 geschlossen.
Hirschfelds Reisebericht ist der Bericht eines deutschen Patrioten und Weltbürgers. Mit seinen Vorträgen zuvor in den Vereinigten Staaten und dann in Asien, Ägypten und Palästina möchte er überall in menschenfreundlicher Absicht aufklären und damit zugleich für den Humanismus deutscher Wissenschaft werben. Immer wieder stellt er zufrieden fest, als Vertreter spezifisch deutschen Geistes und ihm gemäßer Wissenschaftlichkeit anerkannt, ja bewundert zu werden. Nicht zuletzt die überall in Asien gegenwärtigen Deutschen betrachten seine Erfolge als vaterländische. Er findet unter ihnen "herzlich landsmännische Aufnahme" und zusammen mit ihnen, den zerstreuten "Weltwanderern" im Sinne des späten Goethe, wird oft genug des deutschen Vaterlandes gedacht.
Hirschfeld erzählt nicht, was die "Auslandsdeutschen" beschäftigt, wenn sie mit ihm über "die Heimat" reden. Ihn befriedigt es vor allem, daß sie in China, in Java oder wo auch immer sehr gut angesehen sind und gebraucht werden. Nicht zuletzt, weil sie sich nicht von den "Eingeborenen" herrenmäßig absondern, wie er es Briten oder Holländern vorwirft, sondern sie in ihrem Kampf um Freiheit unterstützen. Chinesen, Inder, Indonesier schätzen in den besiegten Deutschen, wie Hirschfeld erfreut beobachtet, einen Bundesgenossen. Deshalb suchten die Deutschen - nicht nur in weltbürgerlicher Absicht - enge Beziehungen zu den nach Unabhängigkeit verlangenden Kolonialvölkern. Es ist erstaunlich, wie viele Deutsche sich in Asien aufhalten, welchen Einfluß sie haben, wie ihr Rat gesucht wird.
Der Verlag verzichtete auf einen Kommentar. So bleiben die vielen Namen für die allermeisten Leser nur Schall und Rauch, lästiges "namedropping" eines Außenseiters, der nach gesellschaftlicher Anerkennung lechzt. Immerhin schmückt sich Hirschfeld mit für damalige Deutschen vertrauten "Prominenten" oder will bewußt auf Freunde die Aufmerksamkeit lenken, die wegen ihrer erotischer Neigungen im deutschen akademischen Milieu erhebliche Schwierigkeiten hatten. Sein Reisebericht weckt den Wunsch nach einer umfassenden Untersuchung deutscher Kulturpolitik in Asien vor allem nach 1918.
Magnus Hirschfeld wirkt weder als Person noch als Schriftsteller besonders anziehend. Er ist unbeholfen, ein unselbständiger Kleingeist, der gleichwohl für Großmut und Unabhängigkeit schwärmt. Sein rührender Patriotismus mischt sich mit deutsch-gemütlichen Erwartungen, daß befreite Sexualität und befreite Völker geistige und allgemeine Freiheit unter den Menschen stiften würden. Sind erst einmal die Vorurteile verschwunden, dann können endlich alle in brüderlicher Gesinnung jubeln: Seid umschlungen ihr Millionen / Diesen Kuß der ganzen Welt. Doch was ein Vorurteil ist, das bestimmt der deutsche Professor, der gewissenhafte Forscher Hirschfeld als Erzieher zu allgemeiner Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit.
Der Sexualwissenschaftler schwärmt für die Vielfalt der Sitten, der Gebräuche und der erotischen Stilisierungen. Aber nur soweit sie nicht dem Humanismus und der Menschenwürde der Moderne widersprechen. Wo das der Fall ist, müssen die anderen eben umerzogen und entwickelt werden gemäß der menschlichen Devise: "im Kinde, da steckt alles drin,/ ziehen tut die Lehrerin" oder der Doktor Magnus Hirschfeld, der die Liebe allen Menschen auf wissenschaftlicher Grundlage verständlich machen, also "verdeutschen" will. Wissenschaftlichkeit ist nun einmal etwas eminent Deutsches. Darauf ist Hirschberg stolz. Gerade Deutsche können alles verwissenschaftlichen, objektivieren und damit humanisieren. Sie denken sauber und können deshalb, wie Hirschfeld folgert, auch Sauberkeit in die Liebe bringen, sie von allem Schmutz befreien, von Lust und anderen unbürgerlichen Begleiterscheinungen.
Als Weltsaubermann reiste er um die Welt, darauf achtend, daß möglichst die gesamte Welt, um zueinanderzufinden, sich auf das phlegmatische Temperament der Hinterpommern verständigt. Der Pommer Hirschfeld blieb auch als globaler Sexologe ein biederer Pedant. Ängstigen sich Asiaten um ihre guten Sitten unter dem Eindruck amerikanischer Tänze, versichert er ihnen, daß sie nichts zu fürchten brauchen. Sich beim Tanz allzu erotisierend zu bewegen gilt in Deutschland als unschicklich und ist mit Recht verpönt. Nicht neue Rhythmen gefährden den Anstand. Nur Übertreibungen, Diätfehler in der Erotik wie beim Essen oder Trinken.
Nehmen wir uns alle zur weiteren Humanisierung ein Beispiel am munteren Kaffee, der südländisch-feurig sich dennoch gesittet mit Fräulein Milch vermählt oder ein Liebesbündnis mit der reifen Frau Sahne eingeht. Alles in Züchten. Werden wir nur nicht übermütig. Ach Du mein Hinterpommern, können da Altösterreicher aufseufzen, denen vor Milch und Sahne schaudert. Aber auch sie werden sich nicht panhumanistischer Kaffeehäuslerei verweigern. Ebnet sie doch diskret und elegant pansexueller Humanität den Weg, der Vermählung von Spießertum und Aufklärung.
EBERHARD STRAUB
Magnus Hirschfeld: "Weltreise eines Sexualforschers im Jahre 1931/32". Vorgestellt und mit einem Vorwort versehen von Hans Christian Buch. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006. 445 S., geb., 29,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Mit großem Interesse hat Ulrike Brunotte diesen Bericht gelesen, in dem der große, wenn auch nicht unumstrittene Sexualforscher Magnus Hirschfeld von seiner Reise um die Welt in 500 Tagen berichtet. Was 1931 als Vortragsreise in die USA begann, wurde mehr und mehr zu einer sexualethnologischen Studienreise. Brunotte ist durchaus fasziniert, was Hirschfeld über das Urphänomen Sexualität so alles zusammengetragen hat. Er berichtet von der Sexualfreundlichkeit des Islams, der Androgynität des Buddhas, von Phalluskulten in China und Japan, der Frauenherrschaft auf Formosa oder den Geheimnissen des Männerkindbetts in Indonesien, wie Brunotte wiedergibt. Hirschefeld habe zudem nicht nur religiöse Kultstätten frequentiert, sondern ebenso die heimischen Nachtbars und Bordelle. "Gut lesbar" und durch viele Anekdoten angereichert, sei der Bericht geschrieben, verliere dabei aber nie die Wissenschaftlichkeit aus dem Blick, lobt Brunotte, die zwar nicht mit Hirschfelds "naiver Naturwissenschaftsgläubigkeit" einverstanden ist, seine Menschheitsliebe dafür wieder sehr rührend findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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