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Berichte eines sexologischen Weltenbummlers Vieles an diesem Buch ist ungewöhnlich. Es beginnt damit, dass Magnus Hirschfeld bei der Abfahrt "eine Reise um die Welt weder beabsichtigt noch geplant hatte". Auch war er kein bummelnder Tourist, sondern ein Mann mit einer Mission: Er hält auf seiner Reise - häufig zum milden Erstaunen der in der Tropensonne träge gewordenen Kolonialeuropäer - in 500 Tagen 176 Vorträge. Sein Thema ist immer das gleiche: Sexologie. Denn noch spannender als Canyons, Tempel und Grandhotels sind für ihn die sexuellen Gepflogenheiten der Landesbewohner. So steht auf…mehr

Produktbeschreibung
Berichte eines sexologischen Weltenbummlers Vieles an diesem Buch ist ungewöhnlich. Es beginnt damit, dass Magnus Hirschfeld bei der Abfahrt "eine Reise um die Welt weder beabsichtigt noch geplant hatte". Auch war er kein bummelnder Tourist, sondern ein Mann mit einer Mission: Er hält auf seiner Reise - häufig zum milden Erstaunen der in der Tropensonne träge gewordenen Kolonialeuropäer - in 500 Tagen 176 Vorträge. Sein Thema ist immer das gleiche: Sexologie. Denn noch spannender als Canyons, Tempel und Grandhotels sind für ihn die sexuellen Gepflogenheiten der Landesbewohner. So steht auf Hirschfelds Besuchsprogramm ganz selbstverständlich neben dem Kirschblütenfest in Japan das Bordellviertel in Yokohama, eine Begegnung mit japanischen Frauendarstellern, die Suche nach Phallussteinen und die Beantwortung der Frage, ob es das gefürchtete "Verschwinden des Penis" tatsächlich gibt. Bestechend ist dabei die Energie und auch die Vorurteilslosigkeit, mit der der Forscher zu Werke ging - denn neben seiner auch heute noch verblüffenden Begeisterung für die Sexualfreundlichkeit des Islam stellt er immer wieder fest, wie ungewöhnlich lebenstüchtig die Sprösslinge von Mischlingsehen sind. Kein Wunder, dass Hirschfeld bei seiner Rückkehr in Berlin wenig beliebt war und die Erstausgabe seiner Weltreise 1933 nicht dort, sondern in Zürich herauskam.
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Autorenporträt
Der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868-1935) wird auch gerne als Einstein des Sex bezeichnet zu den Themen Mann/Frau und Homosexualität hat er nicht nur sehr viel publiziert, er hat daneben durch Gründung von Instituten, durch Kongresse und Vortragsreisen in alle Welt andere für diese neue Wissenschaft zu interessieren vermocht und zu weiteren Forschungen angeregt.Ausgebildet als Arzt hat Hirschfeld nur kurz in diesem Beruf gearbeitet und sehr bald in Berlin das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), und damit die erste Schwulen-Organisation , gegründet. Hirschfeld vertrat die Ansicht, dass Homosexualität keine Krankheit sei, sondern eine genetisch bedingte sexuelle Neigung. Im Jahre 1908 gab er die erste Zeitschrift für Sexualwissenschaft heraus und 1913 war er Mitbegründer der 'Medizinischen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik'. Mit seinem 1919 ins Leben gerufenen Institut für Sexualwissenschaft schuf er das weltweit erste Institut für Sexualforschun

g. Hirschfeld leitete es bis 1933.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2006

Befreiter Sex, sauber gedacht
Liebe und treibe es, wie du willst: Magnus Hirschfelds Weltreise

"Nur Mensch sein, dieser scheinbare Rückschritt wäre der größte Fortschritt. Die vorhandenen Gegensätze von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk, von Land zu Land zu überwinden, vermag aber nur eine Brücke: Menschenliebe." Mit diesem Bekenntnis endet Magnus Hirschfelds "Weltreise eines Sexualforschers im Jahre 1931/32". Als das Buch 1933 in der Schweiz erschien, galten panhumanistische Hoffnungen auf ein kommendes goldenes Zeitalter als undeutsch und zersetzend. Hirschfeld zog es vor, schon vor der "Machtergreifung" nicht mehr in "die Heimat" zurückzukehren. Sein Institut für Sexualwissenschaft in Berlin wurde im Mai 1933 geschlossen.

Hirschfelds Reisebericht ist der Bericht eines deutschen Patrioten und Weltbürgers. Mit seinen Vorträgen zuvor in den Vereinigten Staaten und dann in Asien, Ägypten und Palästina möchte er überall in menschenfreundlicher Absicht aufklären und damit zugleich für den Humanismus deutscher Wissenschaft werben. Immer wieder stellt er zufrieden fest, als Vertreter spezifisch deutschen Geistes und ihm gemäßer Wissenschaftlichkeit anerkannt, ja bewundert zu werden. Nicht zuletzt die überall in Asien gegenwärtigen Deutschen betrachten seine Erfolge als vaterländische. Er findet unter ihnen "herzlich landsmännische Aufnahme" und zusammen mit ihnen, den zerstreuten "Weltwanderern" im Sinne des späten Goethe, wird oft genug des deutschen Vaterlandes gedacht.

Hirschfeld erzählt nicht, was die "Auslandsdeutschen" beschäftigt, wenn sie mit ihm über "die Heimat" reden. Ihn befriedigt es vor allem, daß sie in China, in Java oder wo auch immer sehr gut angesehen sind und gebraucht werden. Nicht zuletzt, weil sie sich nicht von den "Eingeborenen" herrenmäßig absondern, wie er es Briten oder Holländern vorwirft, sondern sie in ihrem Kampf um Freiheit unterstützen. Chinesen, Inder, Indonesier schätzen in den besiegten Deutschen, wie Hirschfeld erfreut beobachtet, einen Bundesgenossen. Deshalb suchten die Deutschen - nicht nur in weltbürgerlicher Absicht - enge Beziehungen zu den nach Unabhängigkeit verlangenden Kolonialvölkern. Es ist erstaunlich, wie viele Deutsche sich in Asien aufhalten, welchen Einfluß sie haben, wie ihr Rat gesucht wird.

Der Verlag verzichtete auf einen Kommentar. So bleiben die vielen Namen für die allermeisten Leser nur Schall und Rauch, lästiges "namedropping" eines Außenseiters, der nach gesellschaftlicher Anerkennung lechzt. Immerhin schmückt sich Hirschfeld mit für damalige Deutschen vertrauten "Prominenten" oder will bewußt auf Freunde die Aufmerksamkeit lenken, die wegen ihrer erotischer Neigungen im deutschen akademischen Milieu erhebliche Schwierigkeiten hatten. Sein Reisebericht weckt den Wunsch nach einer umfassenden Untersuchung deutscher Kulturpolitik in Asien vor allem nach 1918.

Magnus Hirschfeld wirkt weder als Person noch als Schriftsteller besonders anziehend. Er ist unbeholfen, ein unselbständiger Kleingeist, der gleichwohl für Großmut und Unabhängigkeit schwärmt. Sein rührender Patriotismus mischt sich mit deutsch-gemütlichen Erwartungen, daß befreite Sexualität und befreite Völker geistige und allgemeine Freiheit unter den Menschen stiften würden. Sind erst einmal die Vorurteile verschwunden, dann können endlich alle in brüderlicher Gesinnung jubeln: Seid umschlungen ihr Millionen / Diesen Kuß der ganzen Welt. Doch was ein Vorurteil ist, das bestimmt der deutsche Professor, der gewissenhafte Forscher Hirschfeld als Erzieher zu allgemeiner Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit.

Der Sexualwissenschaftler schwärmt für die Vielfalt der Sitten, der Gebräuche und der erotischen Stilisierungen. Aber nur soweit sie nicht dem Humanismus und der Menschenwürde der Moderne widersprechen. Wo das der Fall ist, müssen die anderen eben umerzogen und entwickelt werden gemäß der menschlichen Devise: "im Kinde, da steckt alles drin,/ ziehen tut die Lehrerin" oder der Doktor Magnus Hirschfeld, der die Liebe allen Menschen auf wissenschaftlicher Grundlage verständlich machen, also "verdeutschen" will. Wissenschaftlichkeit ist nun einmal etwas eminent Deutsches. Darauf ist Hirschberg stolz. Gerade Deutsche können alles verwissenschaftlichen, objektivieren und damit humanisieren. Sie denken sauber und können deshalb, wie Hirschfeld folgert, auch Sauberkeit in die Liebe bringen, sie von allem Schmutz befreien, von Lust und anderen unbürgerlichen Begleiterscheinungen.

Als Weltsaubermann reiste er um die Welt, darauf achtend, daß möglichst die gesamte Welt, um zueinanderzufinden, sich auf das phlegmatische Temperament der Hinterpommern verständigt. Der Pommer Hirschfeld blieb auch als globaler Sexologe ein biederer Pedant. Ängstigen sich Asiaten um ihre guten Sitten unter dem Eindruck amerikanischer Tänze, versichert er ihnen, daß sie nichts zu fürchten brauchen. Sich beim Tanz allzu erotisierend zu bewegen gilt in Deutschland als unschicklich und ist mit Recht verpönt. Nicht neue Rhythmen gefährden den Anstand. Nur Übertreibungen, Diätfehler in der Erotik wie beim Essen oder Trinken.

Nehmen wir uns alle zur weiteren Humanisierung ein Beispiel am munteren Kaffee, der südländisch-feurig sich dennoch gesittet mit Fräulein Milch vermählt oder ein Liebesbündnis mit der reifen Frau Sahne eingeht. Alles in Züchten. Werden wir nur nicht übermütig. Ach Du mein Hinterpommern, können da Altösterreicher aufseufzen, denen vor Milch und Sahne schaudert. Aber auch sie werden sich nicht panhumanistischer Kaffeehäuslerei verweigern. Ebnet sie doch diskret und elegant pansexueller Humanität den Weg, der Vermählung von Spießertum und Aufklärung.

EBERHARD STRAUB

Magnus Hirschfeld: "Weltreise eines Sexualforschers im Jahre 1931/32". Vorgestellt und mit einem Vorwort versehen von Hans Christian Buch. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006. 445 S., geb., 29,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.03.2006

Eifersucht mit Schlemmerbrötchen
Das Sexualleben höher kultivierter Völker ist in vieler Hinsicht ungezügelter und ungeregelter als das der Primitiven. Im Jahre 1931/32 bereiste Magnus Hirschfeld Japan, China, Indonesien, Indien und den Nahen Osten. Seine Reisebeschreibung widmete er der Eugenik
Von Jens Bisky
Dem Berliner Sexualforscher, sonst von sanfter Natur und den Menschen zugewandt, wurde auf Cocktailparties nicht wohl. Sie galten ihm als Modeerscheinung, mit der das „prohibitionistische Amerika die Welt mehr und mehr zu verseuchen” schien. In China war Magnus Hirschfeld des alkoholisierten Treibens endgültig überdrüssig. Er verließ den Standpunkt wissenschaftlicher Objektivität, um desto strenger zu urteilen: „Diese Zusammenkünfte, an denen meist die von jungen Künstlern gezeichneten Einladungskarten das einzige Originelle sind, finden zwischen Geschäftsabschluss und Abendessen, also von 6-8 Uhr abends statt, ziehen sich aber oft bis in die späte Nacht hinein. Die Dame des Hauses ,mixt‘ scharfe alkoholische Getränke, bei denen Gin und Whisky die Hauptingredienzien sind. Die Gäste genehmigen sich davon ein Glas nach dem andern mit kleinen, raffiniert zurechtgemachten ,Schlemmerbrötchen‘ als Imbiß. Es wird geflirtet, getanzt, geklatscht und gezotet, und die durch Alkohol mehr und mehr enthemmte erotische Atmosphäre ballt sich zu einer immer dichteren Schwüle zusammen, als deren Folge ich heftige Eifersuchtsszenen beobachten konnte. Ernstere Gespräche verseichen schnell. Es gibt kaum einen krasseren Gegensatz zwischen dieser angeblich verfeinerten Erotik im Zeichen der verjazzten Grammophonplatte und der urwüchsigen, zwar auch nicht vorbildlichen, aber doch wenigstens jeder Sexualheuchelei abholden Erotik Chinas.”
Die verdammende Passage gehört, da Hirschfeld hier seinen Vorurteilen vertraute statt Für und Wider abzuwägen, zu den wenigen rhetorischen Höhepunkten der Reisebeschreibung, die unter dem Titel „Die Weltreise eines Sexualforschers” 1933 in der Schweiz erschien. Jetzt ist das Buch, behutsam gekürzt und mit einem Vorwort von Hans Christoph Buch versehen, in der „Anderen Bibliothek” neu aufgelegt worden. Es ist ein sprödes Werk, reich an Reiseführerprosa und gestelzten Wendungen wie der von der „geistig sehr hochstehenden Schwester”, arm an Erlebnissen, übervoll mit Dankesworten für Kollegen, Gastgeber, Freunde, mit eitlen Schmeicheleien für den Autor.
Warum sollen wir das lesen?, fragt man sich nach fünfzig Seiten, blättert zurück zum Vorwort, in dem diese Weltreise als „ein Plädoyer für Menschlichkeit, Aufklärung und Toleranz in einer rasch sich verfinsternden Zeit” gepriesen wird. Man kehrt eher unaufgeklätr zum Text zurück. Hat er keine anderen Qualitäten als die rechte Gesinnung? Man folgt dem Reisenden von Japan nach China und gerät allmählich, ohne es zu wollen, in seinen Bann. Gemessen an den Maßstäben seiner Zeit, schreibt Hirschfeld unbeholfen. Viel zu selten finden sich herrlich untouristische Wendungen wie diese : „Kairo wirkt ähnlich wie Peking”. Unterhaltungserwartungen, die sich zwanglos einstellen, wenn die Worte „Fernreise” und „Sex” erklingen, enttäuscht Hirschfeld systematisch. Ratlos steht der Leser vor vielen einst mittelgroßen Namen, hat der Verlag doch nichts unternommen, deren Geheimnisse und Schicksale durch einen knappen Kommentar zu erschließen.
Hirschfelds Reisebeschreibung besticht als Dokument einer Wissenschaftsfreudigkeit, die uns unmöglich geworden ist, als Momentaufnahme einer globalisierten Welt in den noch lichten, frühen dreißiger Jahren. Außerdem lernt man den mehr gepriesenen als gelesenen Mann kennen: einen diskreten, liebebedürftigen, anerkennungssüchtigen, tapferen Charakter, dem der Glaube an die Wissenschaft Halt bot.
Hirschfeld war ohne festen Plan in das Abenteuer einer Weltreise hineingeraten. In Berlin, wo er seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts für Sexualaufklärung und Strafrechtsreform stritt, heftig attackiert, hatte er 1930, immerhin bereits 62jährig, eine Vortragseinladung nach New York angenommen. Weitere Anfragen schlossen sich an. Ihnen folgend fuhr Hirschfeld von San Francisco nach Japan, China, Indonesien, Indien, Ägypten und Palästina. Nach Deutschland kehrte er nicht zurück. Am 6. Mai 1933 plünderten und zerstörten SA-Männer sein Berliner Institut für Sexualforschung, seine Schriften wurden verbrannt. Er selbst, Jude und Sozialist, wohnte bereits in der Schweiz. 1935 ist er im Exil in Nizza gestorben.
Der Mann, dem Cocktailparties nicht behagten, der die Amerikanisierung der Welt skeptisch betrachtete, war selbst ein Agent der Globalisierung, der Unterwerfung der Welt unter die Herrschaft einer und nur einer Rationalität. Hier trägt sie allerdings ein freundliches Gesicht. In seinen Vorträgen - den hundersten hielt er am 8. September 1931 an Bord eines holländischen Dampers, irgendwo zwischen Singapore und Ceylon - informierte er tausende Hörer über die neue Sexualwissenschaft, die natürlichen Gesetze der Liebe, über Sexualpathologie und Sexualreform. Kollegen versorgten ihn mit den wichtigsten Informationen über Heiratssitten, politische Zustände und Prostitution im Lande.
Hirschfeld urteilte ohne Dünkel. So war er überzeugt davon, dass der mohammedanische Ehemann „im allgemeinen” seine Frau liebevoller behandele als der europäische. Da man in getrennten Welten lebe, fehlten die Reibungsflächen, die europäische und amerikanische Ehen regelmäßig in ein Modell der Hölle verwandeln. Auf Java begeistert sich Hirschfeld für den Brauch, junge Männer bei hochangesehenen Frauen eine Ehetauglichkeitsprüfung absolvieren zu lassen. „Erweisen sie sich als potent, so steht ihrer Verheiratung nichts im Wege; fallen sie durch das Examen, so wird der Befähigungsnachweis zum Ehemann als nicht erbracht angesehen.” Die Prüfung darf wiederholt werden.
Scharf widersprach Hirschfeld aller Unterdrückung, allen Zwangsmaßnahmen, Mädchenhandel und Beschneidung. Innig plädierte er für die Entlassung Indiens und Ägyptens aus der Kolonialherrschaft und für Augenmaß in Palästina. Aber sein kosmopolitischer Panhumanismus ist keine Herdflamme, an der man sich wärmen kann. Er steht ganz im Dienst der Eugenik: die naturgemäße Neuordnung der menschlichen Sexualität ist dem Ziel untergeordnet, gesunde, möglichst vollkommene, nach Vernunftspruch glückliche Wesen hervorzubringen.
Seit gut zwanzig Jahren wird Hirschfeld wegen dieser Leidenschaft für die Eugenik, die legitime Tochter von Naturwissenschaft und Lebensreform, der Prozess gemacht. Das geschieht oft ahistorisch,denunziatorisch und selbstgerecht - in Zeiten avancierter vorgeburtlicher Diagnostik ist es leicht, gegen Zwangssterilisierung zu streiten. Auch hat noch keiner der Gegner der Eugenik und Kritiker des Biologismus den Wunsch von 95 Prozent aller Lebenden nach Gesundheit, physischer Schönheit und Glück durch Argumente bannen können.
Der aufgeklärte Blick Hirschfelds, der überall Menschenrechte einklagte, an zivilisatorischen Fortschritt durch bessere Einsicht in die Gesetze der Natur glaubte, hat dennoch etwas Erkältendes, manchmal Medusenhaftes. Dank seiner theoriefernen Art, Stoff zu sammeln und zu katalogisieren, wird jeder Transvestit in Sekundenschnelle zum Forschungsobjekt, jede Prostituierte zum Gegenstand sozialreformatorischer Bemerkungen, jede Ehe zum Fall für den Berater. Für unauflösbare Gegensätze, unerfüllbare Sehnsucht bleibt nur Platz unter dem Rubrum Kuriosa.
Hirschfeld schließt mit einem politischen und sexualreformerischen Credo: „Nur Mensch sein, dieser scheinbare Rückschritt wäre der größte Fortschritt”. Ob eine Welt, die in diesem Sinne aus „Nur-Menschen” bestünde, nicht leblos sein müsse, mag Spekulation bleiben. Für seinen panhumanistischen Blick hat Hirschfeld auf jeden Fall einen hohen litearischen Preis gezahlt. Ihm wird alles Redeanlaß, Beispiel, kaum etwas Erscheinung, Rätsel, Verheißung.
Magnus Hirschfeld
Weltreise eines Sexualforschers. im Jahre 1931/1932
Vorgestellt und mit einem Vorwort versehen von Hans Christoph Buch. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006. 445 Seiten, 29,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mit großem Interesse hat Ulrike Brunotte diesen Bericht gelesen, in dem der große, wenn auch nicht unumstrittene Sexualforscher Magnus Hirschfeld von seiner Reise um die Welt in 500 Tagen berichtet. Was 1931 als Vortragsreise in die USA begann, wurde mehr und mehr zu einer sexualethnologischen Studienreise. Brunotte ist durchaus fasziniert, was Hirschfeld über das Urphänomen Sexualität so alles zusammengetragen hat. Er berichtet von der Sexualfreundlichkeit des Islams, der Androgynität des Buddhas, von Phalluskulten in China und Japan, der Frauenherrschaft auf Formosa oder den Geheimnissen des Männerkindbetts in Indonesien, wie Brunotte wiedergibt. Hirschefeld habe zudem nicht nur religiöse Kultstätten frequentiert, sondern ebenso die heimischen Nachtbars und Bordelle. "Gut lesbar" und durch viele Anekdoten angereichert, sei der Bericht geschrieben, verliere dabei aber nie die Wissenschaftlichkeit aus dem Blick, lobt Brunotte, die zwar nicht mit Hirschfelds "naiver Naturwissenschaftsgläubigkeit" einverstanden ist, seine Menschheitsliebe dafür wieder sehr rührend findet.

© Perlentaucher Medien GmbH