Nach seinen Anfängen in Otto Neuraths Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien ging der 24jährige Jurist Rudolf Modley 1930 in die USA, wo er in den folgenden Jahrzehnten das graphische Informationsdesign entscheidend prägen sollte. Als 1964 die Vereinten Nationen die Idee der Kulturanthropologin Margaret Mead aufgriffen, so genannte Glyphs zu schaffen, Symbole, die unabhängig von Kultur und Sprache verstanden werden konnten, taten sich Mead und Modley zusammen. Sie gründeten 1966 die Gesellschaft Glyphs, Inc. In getrennten wie in gemeinsamen Publikationen entwickelten sie ihre Idee weiter, sie planten Ausstellungen, sammelten umfassend bereits existierende Symbole und diskutierten verschiedene Systeme ihrer Klassifizierung. Als "Weltsprache ohne Worte" (Modley) sollte schließlich eine relativ eng begrenzte Anzahl universell verständlicher Glyphs entstehen, was freilich erst den Beginn ihres geplanten, großen universalsprachlichen Projektes signalisierte. Doch das ambitionierte Vorhaben der Erfindung einer neuen Weltsprache endete ernüchternd.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2023Lasst Bilder sprechen
Die Geschichte der von Otto Neurath entwickelten Wiener Methode der Bildstatistik und von Isotype, dem aus ihr hervorgegangenen International System of Typographic Picture Education, ist mittlerweile gut erforscht. Isotype wurde, obwohl Neurath schon 1945 im englischen Exil verstarb, bekannt genug, um unter die Vorläufer fast aller späteren Versuche auf dem Feld von piktographischen Systemen gereiht werden zu können. Mit den gesellschaftlich-politischen Ambitionen der von Neurath im "Roten Wien" entwickelten Methode hatten die Versuche auf dem Feld universaler Bildersprachen, die sich von den Sechzigerjahren an mehrten, kaum mehr zu tun; es ging nun vor allem um die Überwindung sprachlicher, nationaler und kultureller Barrieren.
Umso interessanter ist, dass aus dem Wien der Zwanzigerjahre, wie Günther Sandner zeigt, auch ein direkter Weg zu einem dieser Versuche etwa vierzig Jahre später führt, ausgehend von der Methode der Bildstatistik und gleichzeitig doch auch an ihr vorbei: Rudolf Modley (1906 bis 1976) begann als überzeugter Mitarbeiter in Neuraths "Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum", ging bereits 1930 als dessen Verbindungsmann nach Chicago, wo ein "Museum of Science and Industry" aufgebaut werden sollte, gründete später eine Agentur und entwickelte eigene Varianten der Piktographie, die von den strengen Regeln für Isotype abwichen (was Neurath nicht goutierte).
"Glyphs" hieß das Mitte der Sechzigerjahre von Modley und der damals wie heute ungleich bekannteren amerikanischen Anthropologin Margaret Mead (1901 bis 1978) betriebene Projekt, kulturübergreifende Verständigung jenseits politisch-ökonomischer Durchsetzungsmacht zu ermöglichen. Wozu es universelle Symbole, eben die Glyphs, für Handel und Tourismus, aber auch eine natürliche Sprache zur Alltagskommunikation brauchte - man verfiel im ersten Anlauf auf das Armenische - und eine elaborierte Schriftsprache für wissenschaftlichen Austausch. Dass aus diesem Projekt nichts wurde, verwundert angesichts dieser hoch gesteckten Ziele natürlich nicht. Aber auch die Umstände des Scheitern des Projekts sind bei Sandner aufschlussreich dargestellt. HELMUT MAYER
Günther Sandner: "Weltsprache ohne Worte". Rudolf Modley, Margaret Mead und das Glyphs-Projekt.
Turia + Kant Verlag, Wien 2022. 135 S., Abb., br., 16,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geschichte der von Otto Neurath entwickelten Wiener Methode der Bildstatistik und von Isotype, dem aus ihr hervorgegangenen International System of Typographic Picture Education, ist mittlerweile gut erforscht. Isotype wurde, obwohl Neurath schon 1945 im englischen Exil verstarb, bekannt genug, um unter die Vorläufer fast aller späteren Versuche auf dem Feld von piktographischen Systemen gereiht werden zu können. Mit den gesellschaftlich-politischen Ambitionen der von Neurath im "Roten Wien" entwickelten Methode hatten die Versuche auf dem Feld universaler Bildersprachen, die sich von den Sechzigerjahren an mehrten, kaum mehr zu tun; es ging nun vor allem um die Überwindung sprachlicher, nationaler und kultureller Barrieren.
Umso interessanter ist, dass aus dem Wien der Zwanzigerjahre, wie Günther Sandner zeigt, auch ein direkter Weg zu einem dieser Versuche etwa vierzig Jahre später führt, ausgehend von der Methode der Bildstatistik und gleichzeitig doch auch an ihr vorbei: Rudolf Modley (1906 bis 1976) begann als überzeugter Mitarbeiter in Neuraths "Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum", ging bereits 1930 als dessen Verbindungsmann nach Chicago, wo ein "Museum of Science and Industry" aufgebaut werden sollte, gründete später eine Agentur und entwickelte eigene Varianten der Piktographie, die von den strengen Regeln für Isotype abwichen (was Neurath nicht goutierte).
"Glyphs" hieß das Mitte der Sechzigerjahre von Modley und der damals wie heute ungleich bekannteren amerikanischen Anthropologin Margaret Mead (1901 bis 1978) betriebene Projekt, kulturübergreifende Verständigung jenseits politisch-ökonomischer Durchsetzungsmacht zu ermöglichen. Wozu es universelle Symbole, eben die Glyphs, für Handel und Tourismus, aber auch eine natürliche Sprache zur Alltagskommunikation brauchte - man verfiel im ersten Anlauf auf das Armenische - und eine elaborierte Schriftsprache für wissenschaftlichen Austausch. Dass aus diesem Projekt nichts wurde, verwundert angesichts dieser hoch gesteckten Ziele natürlich nicht. Aber auch die Umstände des Scheitern des Projekts sind bei Sandner aufschlussreich dargestellt. HELMUT MAYER
Günther Sandner: "Weltsprache ohne Worte". Rudolf Modley, Margaret Mead und das Glyphs-Projekt.
Turia + Kant Verlag, Wien 2022. 135 S., Abb., br., 16,- Euro.
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