»Das brauche ich mir nicht zu merken. Das habe ich erlebt.« Neugier und Forscherdrang sind Kindern angeboren. Die eigenen Kräfte erproben, die Dinge bewegen, untersuchen, auseinandernehmen, nach dem Wie und Warum fragen - Leben lernen heißt immer auch, elementare Physik zu betreiben. Donata Elschenbroich beschreibt in ihrem neuen Buch elementare Naturwissenschaft im Familienalltag: Die Chemie und Physik des Putzens, frühe Erfahrungen mit Naturgesetzen beim Schaukeln, eine Mutter, die ihr Wissen als Biologin mit ihren Kindern neu entdeckt. Sie spricht mit Nobelpreisträgern, Erfindern und Kindergärtnerinnen und beleuchtet naturwissenschaftliche Bildungsinitiativen in anderen Ländern. Unbefangen wie in der Kinderzeit der Naturwissenschaften, als Leonardo da Vinci fliegen lernen wollte, legt dieses Buch den Weg zu den Grundlagen alles Forschens frei und wirbt zugleich für ein neues, naturkundliches Bildungsverständnis.
Das Weltwissen der Naturwissenschaften! Nach ihrem in mehrere Sprachen übersetzten Bestseller "Weltwissen der Siebenjährigen" macht Donata Elschenbroich in diesem Buch Eltern wie Kindern Lust am elementaren Naturforschen, an Naturkunde als Bildungserlebnis.<
Das Weltwissen der Naturwissenschaften! Nach ihrem in mehrere Sprachen übersetzten Bestseller "Weltwissen der Siebenjährigen" macht Donata Elschenbroich in diesem Buch Eltern wie Kindern Lust am elementaren Naturforschen, an Naturkunde als Bildungserlebnis.<
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005Bildung ist Zeit mal Kraft mal Umweg
Neugier ist aller Tugenden Anfang: Donata Elschenbroich entdeckt für uns die Kinder als Naturforscher / Von Jürgen Kaube
Über Kinder gibt es tausend Theorien. Die meisten davon teilen vor allem etwas über die Erwachsenen mit, die sie geschrieben haben. Gerade sind Bücher über die Gehirne von Kindern en vogue, über ihr Konsumverhalten und über Medien im Kinderzimmer. Einst wurden Kinder als unschuldig, poetisch oder anarchisch bezeichnet, jetzt wird betont, wie lernbegierig, unterhaltungsanfällig und suchtbedroht sie sind. Als Religion unselbstverständlich wurde, schrieb man über christliche Unterweisung. Als die Industrie aufkam, geriet das Kind als disziplinbedürftig in den Blick. Etwas später machte man sich Sorgen um die Individualität und entdeckte das Kind als Subjekt samt Seele und unbestimmter Zukunft. Heute bangen die Europäer um ihre Stellung im globalen Innovationswettbewerb, also gibt es Bücher über die frühkindlichen Grundlagen der Kognition.
Manche werden auch das Buch von Donata Elschenbroich so lesen. Handelt es doch vom elementaren Erkenntnisinteresse der Säuglinge und Vorschulkinder. Das Kind kommt auf die Welt und fängt sogleich an, sie zu befragen. Wenn es schreit, zieht es aus den Reaktionen der Eltern Schlüsse. Es erlebt, was von Objekten, ihrer Schwere, ihrer Temperatur, ihrer Beweglichkeit zu halten ist, daß Tiere etwas anderes sind als Möbel, daß manche Dinge ein Inneres haben, sich also öffnen lassen, oder daß sie eine Rückseite haben. Die Autorin beschreibt diese entdeckende Weltaneignung als Entwicklung einer kindlichen Alltagsphysik. Dabei liegt ihr Akzent auf dem Verstehen. Die Umwelt, der eigene Körper und die Interaktionen mit anderen werden vom Kind nicht in erster Linie betrachtet, sondern ausprobiert und auf ihre Funktionsweise hin untersucht. In Gesprächen mit Psychologen, Ärzten, Neurobiologen und Erziehern, die Donata Elschenbroich dokumentiert, wird vielfach betont, wie wichtig es ist, das Kind bei diesen Entdeckungen zu unterstützen. Was nicht nur heißt, auf es aufmerksam zu sein, sondern auch, es in Ruhe spielen zu lassen, das Kinderzimmer nicht mit Sachen vollzustopfen, dem Gefühl zu widerstehen, das Kind bedürfe ständiger Unterhaltung.
Das geht weit über Alltagsphysik hinaus. Substanz, Zahl, Kausalität, die Unterscheidung von innen und außen oder die Erfahrung, daß lächelnde Eltern nicht einfach froh sind, sondern über etwas froh sind, daß also innen und außen zusammenhängen - mit demselben Recht, mit dem man dies alles im Begriff des "Naturforschers" zusammenfassen kann, ließe es sich auch als "Das Kind als Denker" umschreiben. Nur wer sich Denken ohne Anschauung und Anschauung ohne variierende Bewegung vorstellen kann, würde in dieser Formulierung das Sinneswesen ausgeschlossen finden.
Wie kommt es nun, daß eine so elementare Sicht kindlicher Weltaneignung eigens aufgeschrieben, durch Forschung belegt und den Eltern als bedeutsam für die Erziehung nahegebracht werden muß? Zwei Gründe stechen hervor. Zum einen hat sich die Dingwelt um die Kinder herum verändert. Wie viele von ihnen spielen noch ungestört draußen, hocken vor Pfützen und Käfern oder haben eine große Schaukel? Wenn es Backmischungen und Fertiggerichte gibt, schwinden die vorchemischen Erfahrungen. Wie viele Kinder wissen, wie man Mayonnaise macht? Waldlehrpfade ohne Eltern, die spazierengehen und etwas erklären können, nützen nichts. Elektronisches Spielzeug hat, diesseits aller Medienkritik, den Nachteil, nur noch die Augen sowie ein, zwei Finger zu beanspruchen und überdies die Erfahrung der physikalischen Merkwelt zu umgehen: Was hier fällt, ist nicht schwer, was hier wächst, riecht nicht, hat keine Kanten und auch keine Rückseite. In der wirklichen Welt gibt es keine Löschtasten.
Was es in ihr statt dessen gibt und was alles Anregungen enthält, mit Kindern Natur zu erschließen, dafür gibt es in diesem Buch tausend kluge Anregungen. Warenkunde, Tiere, Sprichworte (Was heißt das: Sand im Getriebe?), Papierflieger, Iglus, Blumenpflanzen, Tischexperimente (Kann man Eiswürfel anmalen?), Landkarten - den Denker im Kind zu unterstützen kostet eigentlich nur Zeit und eigenes Nachdenken. Beides scheint knapp, und die Verführung, die Überwindung dieser Knappheit an unverstandene Technik oder an organisierte Freizeit zu delegieren, ist groß.
Zum anderen weist Elschenbroich darauf hin, daß zwar kleine Kinder hoch neugierig sind, daß jedoch in den Schulen sich wenig von dieser Neugier erhält. Die Kindergärten, jedenfalls manche, denken inzwischen um, experimentieren, bauen, kochen mit den Kindern. Aber schon in der Grundschule wird der Umgang mit Objekten abstrakt, nehmen Sachkunde und Werken eine Randstellung im Unterricht ein. Von der Absurdität, daß Englisch immer früher eingeführt wird, aber Physik wie Chemie spät und dann als Wissensgebiet, nicht als Erfahrungsraum und Anlaß zum Nachdenken, ganz zu schweigen. Wem eigentlich verdanken wir die Idee, daß es sinnvoll ist, mit solchen Fächern ausgerechnet zu beginnen, wenn die Kinder in die Pubertät kommen? Und würde es wirklich viel Mühe machen, die Biologiestunde über das Auge mit der Physikstunde über die Linse und der Kunststunde über die Perspektive zu verbinden?
Nein, fast nichts von dem, wofür dieses Buch plädiert und was es mit Blick auf die Vielfalt frühkindlicher und schulischer Erziehungsmodelle anderer Länder illustriert, würde sehr viel Mühe machen. Vorausgesetzt wäre nur Initiative und die Einsicht, wieviel Erkenntnisglück die Anstrengung entlohnt, aus eingefahrenen Bahnen des Wegdelegierens von Zuständigkeit - von der Familie an die Schule, von dort an die Bildungspolitik und zurück - herauszutreten.
Donata Elschenbroich hat keinen Ratgeber in dem Sinne geschrieben, daß hier eine Erziehungstechnologie hin zum Kind als Nobelpreiskandidat, zur Hochbegabung oder auch nur zur standortförderlichen Gehirnauslastung angepriesen würde. Im Grunde geht es nur um die Bekräftigung des alten Gefühls, daß wir gut daran tun, Kinder ernst zu nehmen, und daß dieses Ernstnehmen Zeit haben verlangt. Denn in welchem Sinne sind Kinder Naturforscher, wenn nicht dem, daß sie - sofern man sie läßt - mit großem Ernst bei etwas verweilen, von dem die meisten Erwachsenen nur vorgeben, sie verstünden es schon und das sei doch nichts Neues?
Donata Elschenbroich: "Weltwunder". Kinder als Naturforscher. Verlag Antje Kunstmann, München 2005. 271 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neugier ist aller Tugenden Anfang: Donata Elschenbroich entdeckt für uns die Kinder als Naturforscher / Von Jürgen Kaube
Über Kinder gibt es tausend Theorien. Die meisten davon teilen vor allem etwas über die Erwachsenen mit, die sie geschrieben haben. Gerade sind Bücher über die Gehirne von Kindern en vogue, über ihr Konsumverhalten und über Medien im Kinderzimmer. Einst wurden Kinder als unschuldig, poetisch oder anarchisch bezeichnet, jetzt wird betont, wie lernbegierig, unterhaltungsanfällig und suchtbedroht sie sind. Als Religion unselbstverständlich wurde, schrieb man über christliche Unterweisung. Als die Industrie aufkam, geriet das Kind als disziplinbedürftig in den Blick. Etwas später machte man sich Sorgen um die Individualität und entdeckte das Kind als Subjekt samt Seele und unbestimmter Zukunft. Heute bangen die Europäer um ihre Stellung im globalen Innovationswettbewerb, also gibt es Bücher über die frühkindlichen Grundlagen der Kognition.
Manche werden auch das Buch von Donata Elschenbroich so lesen. Handelt es doch vom elementaren Erkenntnisinteresse der Säuglinge und Vorschulkinder. Das Kind kommt auf die Welt und fängt sogleich an, sie zu befragen. Wenn es schreit, zieht es aus den Reaktionen der Eltern Schlüsse. Es erlebt, was von Objekten, ihrer Schwere, ihrer Temperatur, ihrer Beweglichkeit zu halten ist, daß Tiere etwas anderes sind als Möbel, daß manche Dinge ein Inneres haben, sich also öffnen lassen, oder daß sie eine Rückseite haben. Die Autorin beschreibt diese entdeckende Weltaneignung als Entwicklung einer kindlichen Alltagsphysik. Dabei liegt ihr Akzent auf dem Verstehen. Die Umwelt, der eigene Körper und die Interaktionen mit anderen werden vom Kind nicht in erster Linie betrachtet, sondern ausprobiert und auf ihre Funktionsweise hin untersucht. In Gesprächen mit Psychologen, Ärzten, Neurobiologen und Erziehern, die Donata Elschenbroich dokumentiert, wird vielfach betont, wie wichtig es ist, das Kind bei diesen Entdeckungen zu unterstützen. Was nicht nur heißt, auf es aufmerksam zu sein, sondern auch, es in Ruhe spielen zu lassen, das Kinderzimmer nicht mit Sachen vollzustopfen, dem Gefühl zu widerstehen, das Kind bedürfe ständiger Unterhaltung.
Das geht weit über Alltagsphysik hinaus. Substanz, Zahl, Kausalität, die Unterscheidung von innen und außen oder die Erfahrung, daß lächelnde Eltern nicht einfach froh sind, sondern über etwas froh sind, daß also innen und außen zusammenhängen - mit demselben Recht, mit dem man dies alles im Begriff des "Naturforschers" zusammenfassen kann, ließe es sich auch als "Das Kind als Denker" umschreiben. Nur wer sich Denken ohne Anschauung und Anschauung ohne variierende Bewegung vorstellen kann, würde in dieser Formulierung das Sinneswesen ausgeschlossen finden.
Wie kommt es nun, daß eine so elementare Sicht kindlicher Weltaneignung eigens aufgeschrieben, durch Forschung belegt und den Eltern als bedeutsam für die Erziehung nahegebracht werden muß? Zwei Gründe stechen hervor. Zum einen hat sich die Dingwelt um die Kinder herum verändert. Wie viele von ihnen spielen noch ungestört draußen, hocken vor Pfützen und Käfern oder haben eine große Schaukel? Wenn es Backmischungen und Fertiggerichte gibt, schwinden die vorchemischen Erfahrungen. Wie viele Kinder wissen, wie man Mayonnaise macht? Waldlehrpfade ohne Eltern, die spazierengehen und etwas erklären können, nützen nichts. Elektronisches Spielzeug hat, diesseits aller Medienkritik, den Nachteil, nur noch die Augen sowie ein, zwei Finger zu beanspruchen und überdies die Erfahrung der physikalischen Merkwelt zu umgehen: Was hier fällt, ist nicht schwer, was hier wächst, riecht nicht, hat keine Kanten und auch keine Rückseite. In der wirklichen Welt gibt es keine Löschtasten.
Was es in ihr statt dessen gibt und was alles Anregungen enthält, mit Kindern Natur zu erschließen, dafür gibt es in diesem Buch tausend kluge Anregungen. Warenkunde, Tiere, Sprichworte (Was heißt das: Sand im Getriebe?), Papierflieger, Iglus, Blumenpflanzen, Tischexperimente (Kann man Eiswürfel anmalen?), Landkarten - den Denker im Kind zu unterstützen kostet eigentlich nur Zeit und eigenes Nachdenken. Beides scheint knapp, und die Verführung, die Überwindung dieser Knappheit an unverstandene Technik oder an organisierte Freizeit zu delegieren, ist groß.
Zum anderen weist Elschenbroich darauf hin, daß zwar kleine Kinder hoch neugierig sind, daß jedoch in den Schulen sich wenig von dieser Neugier erhält. Die Kindergärten, jedenfalls manche, denken inzwischen um, experimentieren, bauen, kochen mit den Kindern. Aber schon in der Grundschule wird der Umgang mit Objekten abstrakt, nehmen Sachkunde und Werken eine Randstellung im Unterricht ein. Von der Absurdität, daß Englisch immer früher eingeführt wird, aber Physik wie Chemie spät und dann als Wissensgebiet, nicht als Erfahrungsraum und Anlaß zum Nachdenken, ganz zu schweigen. Wem eigentlich verdanken wir die Idee, daß es sinnvoll ist, mit solchen Fächern ausgerechnet zu beginnen, wenn die Kinder in die Pubertät kommen? Und würde es wirklich viel Mühe machen, die Biologiestunde über das Auge mit der Physikstunde über die Linse und der Kunststunde über die Perspektive zu verbinden?
Nein, fast nichts von dem, wofür dieses Buch plädiert und was es mit Blick auf die Vielfalt frühkindlicher und schulischer Erziehungsmodelle anderer Länder illustriert, würde sehr viel Mühe machen. Vorausgesetzt wäre nur Initiative und die Einsicht, wieviel Erkenntnisglück die Anstrengung entlohnt, aus eingefahrenen Bahnen des Wegdelegierens von Zuständigkeit - von der Familie an die Schule, von dort an die Bildungspolitik und zurück - herauszutreten.
Donata Elschenbroich hat keinen Ratgeber in dem Sinne geschrieben, daß hier eine Erziehungstechnologie hin zum Kind als Nobelpreiskandidat, zur Hochbegabung oder auch nur zur standortförderlichen Gehirnauslastung angepriesen würde. Im Grunde geht es nur um die Bekräftigung des alten Gefühls, daß wir gut daran tun, Kinder ernst zu nehmen, und daß dieses Ernstnehmen Zeit haben verlangt. Denn in welchem Sinne sind Kinder Naturforscher, wenn nicht dem, daß sie - sofern man sie läßt - mit großem Ernst bei etwas verweilen, von dem die meisten Erwachsenen nur vorgeben, sie verstünden es schon und das sei doch nichts Neues?
Donata Elschenbroich: "Weltwunder". Kinder als Naturforscher. Verlag Antje Kunstmann, München 2005. 271 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Wie Kinder lernend sich die Welt erschließen - und wie man ihrem Neugierverhalten lehrend, unterstützend entgegenkommt: darum geht es in diesem Buch. Es gehe also, einfach gesagt, so der Rezensent Jürgen Kaube, um nichts anderes als "das Kind als Denker". Und darum, dass so zu reden die Sinnlichkeit, das Konkrete des Verstehen-Wollens der eigenen Umwelt, keineswegs ausschließt. Donata Elschenbroich bietet nun, stellt der Rezensent begeistert fest, "tausend kluge Anregungen", wie man das Kind bei der Erschließung der Welt unterstützen kann. Es bedürfe keiner kulturpessimistischen Medienkritik, um die heute gegebene einseitige Ausrichtung aufs Virtuelle eher bedenklich zu finden: "In der wirklichen Welt gibt es keine Löschtasten." Erschreckend findet der Rezensent vor allem eines: Wie leicht es wäre, diesen klugen Vorschlägen zu folgen. Und wie fern in Deutschland der Alltag frühkindlicher und schulischer Erziehung diesen Modellen nach wie vor ist.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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