Forscher erzählen von der Entwicklung modernen Rechtsdenkens im Spiegel der Göttinger Rechtswissenschaft.Auch die Rechtswissenschaft ist durch grundlegende Paradigmenwechsel gekennzeichnet. Selbst wenn diese lange zurückliegen, wirken sie teilweise bis heute nach. Das Recht steht in einer stetigen Spannung zwischen Tradition und Innovation, zwischen Beharrung und Fortschritt, die in den Rechtsgebieten unterschiedlich aufgelöst wird. Die Beiträge, entstanden aus einer Vorlesungsreihe zur Feier des 275jährigen Bestehens der Universität Göttingen, reflektieren sachlich und biografisch die Rolle der Rechtswissenschaft in der Entwicklung aufgeklärten Denkens. Es geht um den historischen Beitrag der Göttinger Rechtswissenschaft zum allgemeinen Rechtsdenken in der Moderne.Mit Beiträgen von Martin Ahrens, Martin Avenarius, Alexander Bruns, Gunnar Duttge, Hans-Michael Heinig, Werner Heun, Rüdiger Krause, Uwe Murmann, Eberhard Schmidt-Aßmann, Frank Schorkopf, Eva Schumann, Peter-Tobias Stol
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den von Werner Heun und Frank Schorkopf herausgegebenen Band zum Rechtsdenken in der Moderne geht Katja Gelinsky von hinten an. Über die abschließende Frage des Herausgebers zur Form- und Stabilisierungsfindung des Rechts gelingt der Rezensentin der Einstieg in die von den Beiträgern gesammelten Wendepunkte der Rechtswissenschaft vom römischen Zivilprozess über das Staatskirchenrecht bis zum Völkerrecht. Gelinsky lernt über Rechtsvergleichung und ihre Entwicklung, das Wechselspiel zwischen Rechtswissenschaft, Rechtspraxis und Realität sowie einzelne Rechtsprofessorenbiografien an der Uni Göttingen, zu deren 275-Jahrfeier der Band erscheint, und ihre Wirkung. Dass die Autoren dabei keinem übertriebenen Biografismus verfallen und den Begriff des Wendepunktes kritisch reflektieren, das Prozesshafte von Rechtsveränderungen mitdenken, rechnet Gelinsky ihnen hoch an.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2014Wir sind doch nicht im römischen Zirkus
EU-Stabilitätspakt: Ein Sammelband geht der Frage nach, warum das Rechtsdenken Wendepunkte scheut
Es empfiehlt sich, die Lektüre auf der Schlussseite zu beginnen: Wie kann Recht gesellschaftliche Veränderungen begleiten? Wie Wandel organisieren und steuern? "Mit anderen Worten, wie kann Recht neue Formen der Stabilisierung finden?" Die Frage, mit der Staatsrechtslehrer Frank Schorkopf sein Kapitel zur Methode des Rechts beschließt, bietet dem Leser einen willkommenen Leitfaden bei dem Streifzug durch das Rechtsdenken in der Moderne.
Denn wer den Autoren zu den gesammelten Wendepunkten der Rechtswissenschaft folgt, begibt sich auf ein weites Feld - vom römischen Zivilprozess zur Privatversicherung, vom Strafrecht zum Staatskirchenrecht, vom Arbeitsrecht bis zum Völkerrecht. Die Reise durch die Rechtswissenschaft beginnt mit der Aufklärung. Die Georg-August-Universität Göttingen, deren 275-Jahr-Feier den Anlass für die Reflexionen zur Rolle der Rechtswissenschaft für das aufgeklärte Denken bot, erlebte damals ihre erste Blüte. In diese Zeit fällt auch der Beginn der Rechtsvergleichung, deren Entwicklung und Bedeutungsgewinn der Staatsrechtslehrer Werner Heun prägnant nachzeichnet. Ferner wurden damals Fundamente des deutschen Privatrechts gelegt. Auch dafür spielten Methodenfragen eine wichtige Rolle. Eine zweite Klammer der beleuchteten Themenfelder bilden die wechselseitigen Wirkungen von Rechtswissenschaft, Rechtspraxis und gesellschaftlicher Realität sowie die Spannungen zwischen Tradition und Innovation, die dem Recht als normativem Ordnungsrahmen und politischem Gestaltungsinstrument immanent sind. Ferner geht es um jene, die Innovationen im Recht angestoßen und vorangebracht haben.
Was aber macht Rechtsgelehrte so bedeutsam, dass sie zu Protagonisten moderner Rechtsentwicklung werden? Eine schwierige Frage, erst recht, wenn es um ein Universitätsjubiläum geht. Der Gefahr des übertriebenen Biographismus und der Nabelschau sind die Autoren dadurch entgegengetreten, dass sie Ideen und Konzepte von Rechtsprofessoren, die mehr oder weniger eng mit der Geschichte der Universität Göttingen verbunden sind, kritisch-nüchtern auf ihre juristische und gesellschaftliche Nah- und Fernwirkung hin analysiert haben, einschließlich der Zurückweisungen, die etwa Hans Carl Nipperdey in der Debatte über die Drittwirkung der Grundrechte hinnehmen musste.
Wie groß der Ertrag oder Neuigkeitswert rechtswissenschaftlicher Forschung sein muss, damit von einem Wendepunkt der Rechtswissenschaft die Rede sein kann, ist zweifellos diskussionswürdig. Das wird auch von den Autoren selbst so gesehen und thematisiert.
Der Begriff des Wendepunktes sei ungeeignet, die Komplexität und das Prozesshafte von Rechtsveränderungen zu erfassen, wird eingewandt. So erinnert der Arbeitsrechtler Rüdiger Krause in seinem vorzüglichen Beitrag zur Vergrundrechtlichung des Arbeitsverhältnisses daran, dass das Bundesarbeitsgericht wenige Monate nach Aufnahme seiner Spruchtätigkeit eine unmittelbare privatrechtliche Wirkung einzelner Grundrechte bejaht hatte, bevor 1958 mit dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts der vermeintliche "Urknall" bei der Entfaltung der Grundrechte passierte.
Die kritische Betrachtung angeblicher Wendepunkte befruchtet zugleich die Debatte über künftige Aufgaben der Rechtswissenschaft. Der Strafrechtswissenschaftler Gunnar Duttge fordert nicht weniger als eine Reformbewegung des einundzwanzigsten Jahrhunderts, um endlich den Anspruch eines reformierten Strafprozesses einzulösen. Im Verwaltungsrecht hingegen gilt es nach Überzeugung von Eberhard Schmidt-Assmann, eine gefährliche Dynamik abzuwenden. Die Erosion des Rechts im Prozess der europäischen Integration müsse gestoppt werden. Sonst gerate man an einen Wendepunkt vergleichbar den Wegmarken für Wagenrennen im römischen Zirkus. Um halsbrecherische Manöver könne und dürfe es in Recht und Rechtswissenschaft nicht gehen.
KATJA GELINSKY
Werner Heun, Frank Schorkopf (Hrsg.): "Wendepunkte der Rechtswissenschaft". Aspekte des Rechts in der Moderne.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 366 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
EU-Stabilitätspakt: Ein Sammelband geht der Frage nach, warum das Rechtsdenken Wendepunkte scheut
Es empfiehlt sich, die Lektüre auf der Schlussseite zu beginnen: Wie kann Recht gesellschaftliche Veränderungen begleiten? Wie Wandel organisieren und steuern? "Mit anderen Worten, wie kann Recht neue Formen der Stabilisierung finden?" Die Frage, mit der Staatsrechtslehrer Frank Schorkopf sein Kapitel zur Methode des Rechts beschließt, bietet dem Leser einen willkommenen Leitfaden bei dem Streifzug durch das Rechtsdenken in der Moderne.
Denn wer den Autoren zu den gesammelten Wendepunkten der Rechtswissenschaft folgt, begibt sich auf ein weites Feld - vom römischen Zivilprozess zur Privatversicherung, vom Strafrecht zum Staatskirchenrecht, vom Arbeitsrecht bis zum Völkerrecht. Die Reise durch die Rechtswissenschaft beginnt mit der Aufklärung. Die Georg-August-Universität Göttingen, deren 275-Jahr-Feier den Anlass für die Reflexionen zur Rolle der Rechtswissenschaft für das aufgeklärte Denken bot, erlebte damals ihre erste Blüte. In diese Zeit fällt auch der Beginn der Rechtsvergleichung, deren Entwicklung und Bedeutungsgewinn der Staatsrechtslehrer Werner Heun prägnant nachzeichnet. Ferner wurden damals Fundamente des deutschen Privatrechts gelegt. Auch dafür spielten Methodenfragen eine wichtige Rolle. Eine zweite Klammer der beleuchteten Themenfelder bilden die wechselseitigen Wirkungen von Rechtswissenschaft, Rechtspraxis und gesellschaftlicher Realität sowie die Spannungen zwischen Tradition und Innovation, die dem Recht als normativem Ordnungsrahmen und politischem Gestaltungsinstrument immanent sind. Ferner geht es um jene, die Innovationen im Recht angestoßen und vorangebracht haben.
Was aber macht Rechtsgelehrte so bedeutsam, dass sie zu Protagonisten moderner Rechtsentwicklung werden? Eine schwierige Frage, erst recht, wenn es um ein Universitätsjubiläum geht. Der Gefahr des übertriebenen Biographismus und der Nabelschau sind die Autoren dadurch entgegengetreten, dass sie Ideen und Konzepte von Rechtsprofessoren, die mehr oder weniger eng mit der Geschichte der Universität Göttingen verbunden sind, kritisch-nüchtern auf ihre juristische und gesellschaftliche Nah- und Fernwirkung hin analysiert haben, einschließlich der Zurückweisungen, die etwa Hans Carl Nipperdey in der Debatte über die Drittwirkung der Grundrechte hinnehmen musste.
Wie groß der Ertrag oder Neuigkeitswert rechtswissenschaftlicher Forschung sein muss, damit von einem Wendepunkt der Rechtswissenschaft die Rede sein kann, ist zweifellos diskussionswürdig. Das wird auch von den Autoren selbst so gesehen und thematisiert.
Der Begriff des Wendepunktes sei ungeeignet, die Komplexität und das Prozesshafte von Rechtsveränderungen zu erfassen, wird eingewandt. So erinnert der Arbeitsrechtler Rüdiger Krause in seinem vorzüglichen Beitrag zur Vergrundrechtlichung des Arbeitsverhältnisses daran, dass das Bundesarbeitsgericht wenige Monate nach Aufnahme seiner Spruchtätigkeit eine unmittelbare privatrechtliche Wirkung einzelner Grundrechte bejaht hatte, bevor 1958 mit dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts der vermeintliche "Urknall" bei der Entfaltung der Grundrechte passierte.
Die kritische Betrachtung angeblicher Wendepunkte befruchtet zugleich die Debatte über künftige Aufgaben der Rechtswissenschaft. Der Strafrechtswissenschaftler Gunnar Duttge fordert nicht weniger als eine Reformbewegung des einundzwanzigsten Jahrhunderts, um endlich den Anspruch eines reformierten Strafprozesses einzulösen. Im Verwaltungsrecht hingegen gilt es nach Überzeugung von Eberhard Schmidt-Assmann, eine gefährliche Dynamik abzuwenden. Die Erosion des Rechts im Prozess der europäischen Integration müsse gestoppt werden. Sonst gerate man an einen Wendepunkt vergleichbar den Wegmarken für Wagenrennen im römischen Zirkus. Um halsbrecherische Manöver könne und dürfe es in Recht und Rechtswissenschaft nicht gehen.
KATJA GELINSKY
Werner Heun, Frank Schorkopf (Hrsg.): "Wendepunkte der Rechtswissenschaft". Aspekte des Rechts in der Moderne.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 366 S., geb., 28,- [Euro].
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