Produktdetails
  • Verlag: Moewig Nr. 3534
  • ISBN-13: 9783811835344
  • ISBN-10: 3811835343
  • Artikelnr.: 24629158
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.02.2011

Depressionen
verboten!
Neu entdeckt: Otto Basils NS-Satire
„Wenn das der Führer wüsste“
Es gibt kein Entrinnen aus dieser stickigen, entmenschlichten, apokalyptischen Welt, die Otto Basil erschaffen hat: weder für seine Romanfiguren noch für den Leser, der doch immer so gerne auf der Seite der Guten steht. Doch die Guten existieren nicht. Mit der Atombombe auf London hat die Wehrmacht den Zweiten Weltkrieg gewonnen. Nun, in den 1960er Jahren, ist die Nazifizierung erfolgreich abgeschlossen. Dieses Endzeitszenario entwirft Basil in seinem satirischen Roman „Wenn das der Führer wüsste“. Darin schickt er die Hauptfigur Albin Höllriegl, einen Experten für „Nordische Daseinsberatung“ und der Inbegriff eines Untertanen, auf eine unfreiwillige Reise quer durchs Reich, dem nach Hitlers Tod nicht nur ein Atomkrieg mit der zweiten Supermacht Japan, sondern auch ein Bürgerkrieg zwischen alten und neuen Nazis droht.
Im Jahr 1966 erschienen, wirbelte der Roman einigen Staub auf. Die Groteske war ein Skandalerfolg, geriet aber später in Vergessenheit. Wiederentdeckt hat den Roman der Wiener Milena Verlag. Nun provoziert NS-Science-Fiction heute nicht mehr, die bekannteste zeitgenössische Variante ist gewiss Robert Harris „Vaterland“ von 1992. Was Basils Roman jedoch aus der Reihe der Dystopien herausstechen lässt, ist die Akribie, mit der er – aufbauend auf eigenen Erfahrung – ausmalt, wie die NS-Ideologie innerhalb von dreißig Jahren alle Sphären des Lebens durchdrungen hätte. Jeder Deutsche hat seinen Leibeigenen; die so genannte „Braune Ecke“ hat den Herrgottswinkel ersetzt; für niedere Arbeiten werden durch Folter und Kreuzungsversuche sogenannte Tiermenschen herangezüchtet; die Bevölkerung hält man mit der Vorführung von Hinrichtungsfilmen bei Laune; Depressionen sind verboten. Basils Figuren denken und fühlen in den Bahnen von Führerkult, Rassenwahn und jenen mythisch-esoterischen Heilslehren, denen etwa Himmler und Rosenberg anhingen.
Beim wenig heldenhaften Höllriegl äußert sich dies in überzeichneten Anfällen von Selbstverachtung sowie der gebetsmühlenartigen Wiederholung des Mottos „Landgraf werde hart“. Immer wieder finden sich unerwartet komische, fast schon liebevoll ausgestaltete Details, etwa der Geheimerlass, der die amerikanischen Indianer deutlich über andere „nicht-arische“ Gruppierungen stellt. Der Grund: Hitlers Karl-May-Verehrung. Die Detailversessenheit des Autors macht die Lektüre allerdings auch mühsam. Großartig ausgedachte, aber nicht enden wollende Monologe der Heidegger-Karikatur Gundlfinger und seitenlange Protokolle der Kriegspropaganda im Rundfunk müssen überstanden werden. Doch dann steigt der zunehmend zerstörte Höllriegl endlich in seinen VW. Das Roadmovie geht weiter, vorbei an SS-Ordensburgen und Zuchtmutterklöstern, durch Szenarien, die gut als Vorlage für den Ego-Shooter „Return to Castle Wolfenstein“ gedient haben könnten.
Basil stellt dem Roman in knappen Worten voran, dass es „in einer total vermondeten Welt, wie der hier geschilderten, durch die jedoch die Umrisse der heutigen, realen hindurchschimmern“, nur negative Figuren geben könne. Manchmal wirkt es sogar, als lasse sich selbst der anonyme Erzähler vom nationalsozialistischen Überschwang mitreißen. So endet ein Absatz über die ordentliche Ausstattung der reichseigenen Atomschutzbunker unvermittelt mit „Erhebend! Heil!“.
Als Literatur- und Theaterkritiker sah Basil deutlich, wie sehr der Nationalsozialismus die Sphäre der Kultur langfristig vergiftet hatte. Wenn er im Roman die Dauerbeschallung mit dumpfdeutschem Liedgut beschreibt, wenn er Höllriegl erwähnen lässt, dass selbst die Werke Goethes wohl bald als die eines „Französlings und Plutokratendieners“ im Feuer neuer Scheiterhaufen brennen werden, dann kann das auch als scharfe Anklage gelesen werden: gegen eine Politik, die es nach 1945 nicht geschafft – und oft nicht einmal versucht – hat, für den Wiederaufbau jener Kultur zu sorgen, deren Ausmerzung zuvor tatkräftig betrieben worden war. Basil selbst bot mit der renommierten Kunst- und Literaturzeitschrift Plan, die er von 1945 bis 1948 herausgab, eine Plattform für den Neuanfang, schuf ein Forum für undogmatische, kontroverse Debatten über neue Musik, Malerei und Literatur. Junge zeitgenössische Autorinnen wie Ilse Aichinger publizierten dort erste Texte. Zudem machte der Planerstmals Werke der Exilliteratur, von Erich Fried oder Paul Celan, zugänglich und druckte Übersetzungen zeitgenössischer Autoren.
Im Nachwort zur Neuauflage von „Wenn das der Führer wüsste“ ordnet der Germanist Johann Holzner den Roman in den politischen Kontext der sechziger Jahre in Österreich und Deutschland ein. Er liest ihn als „verdichtetes Bild der Zeit seiner Entstehung“, als eine Absage an die Verherrlichung der abendländischen Zivilisation. Ein positiver Bezug dazu ist für Basil nach 1945 nicht mehr möglich, waren doch gerade erst die größten Verbrechen der Menschheit unter eben diesem Vorzeichen begangen worden. CORNELIA FIEDLER
OTTO BASIL: Wenn das der Führer wüsste. Roman. Milena Verlag, Wien 2010. 384 Seiten, 23,90 Euro.
Das Buch von 1966 war auch eine
scharfe Anklage gegen das
Fortwirken der Nazi-Ideologie
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Man legt diesen Roman mit Atemnot aus der Hand. ORF Diese Wiederentdeckung ist zum Fürchten. Peter Pisa, Kurier Basils Buch, an dessen endzeitlicher Atmosphäre Quentin Tarantino seine helle Freude hätte, gerät zum NS-Roadmovie: Albin Höllriegls VW und Hitlers Autobahnen sind dafür prädestiniert. Marcel Atze Basils krude Geschichtsfantasie, die eine Satire auf den Nationalsozialismus, aber auch eine bittere Parodie auf die weltpolitischen Verhältnisse der Nachkriegszeit ist, hat sich sehr gut gehalten und ist auch deshalb frisch und lesbar geblieben, weil der Autor sich trotz seines Themas in kein moralisches Korsett zwängen ließ. Falter So wüst, krude, perfide, bösartig, grotesk atemberaubend und durch und durch nicht im Geringsten zur Identifikation einladend - es gibt nicht einen Charakter, der auch nur einen sympathischen Wesenszug aufweist - war damals seit Längerem kein deutschsprachiger Roman mehr gewesen. Nicht mehr seit Günter Grass' Blechtrommel von 1959. Verglichen mit dem Danziger ist Basil trockener. Zugleich aber rabiater. Und in seiner Konsequenz auch selbstpeinigender. Der Standard Man muss dieses Buch bis zum bitteren Ende gelesen haben. Katharina Schmid, Wiener Zeitung Es gibt kein Entrinnen aus dieser stickigen, entmenschlichten, apokalyptischen Welt, die Otto Basil erschaffen hat: weder für seine Romanfiguren noch für den Leser, der doch immer so gerne auf der Seite der Guten steht. Doch die Guten existieren nicht. Süddeutsche Zeitung