"Ein essenzielles Buch." Margaret Atwood auf Twitter
Eine scharfsinnige und weitsichtige Analyse der weltweiten Entdemokratisierung und ein engagierter Aufruf zur Verteidigung der Demokratie.
Ob Erdogans Türkei, die Brexit-Entscheidung oder eine weitere europäische Wahl, die Rechtspopulisten neue Rekordwerte eingebracht hat: Populismus ist zur globalen Krankheit geworden. Mit seismographischem Gespür fahndet Ece Temelkuran nach seinen Ursachen und macht sieben wiederkehrende Schritte aus, zu denen Möchtegern-Diktatoren in aller Welt greifen, um an die Macht zu gelangen. Nachdrücklich schärft sie uns den Blick und lässt uns antidemokratische Tendenzen beizeiten erkennen. Ihr Buch ist eine eindringliche Aufforderung, ins Gespräch zu kommen über das, was notwendig ist, wenn wir weiterhin friedlich zusammenleben wollen.
Eine scharfsinnige und weitsichtige Analyse der weltweiten Entdemokratisierung und ein engagierter Aufruf zur Verteidigung der Demokratie.
Ob Erdogans Türkei, die Brexit-Entscheidung oder eine weitere europäische Wahl, die Rechtspopulisten neue Rekordwerte eingebracht hat: Populismus ist zur globalen Krankheit geworden. Mit seismographischem Gespür fahndet Ece Temelkuran nach seinen Ursachen und macht sieben wiederkehrende Schritte aus, zu denen Möchtegern-Diktatoren in aller Welt greifen, um an die Macht zu gelangen. Nachdrücklich schärft sie uns den Blick und lässt uns antidemokratische Tendenzen beizeiten erkennen. Ihr Buch ist eine eindringliche Aufforderung, ins Gespräch zu kommen über das, was notwendig ist, wenn wir weiterhin friedlich zusammenleben wollen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2019Heimatvertriebene
Die Journalistin Ece Temelkuran, die in der Türkei nicht mehr erwünscht ist, klagt über den Aufstieg von Autokraten und warnt vor politischer Abstinenz
Das Exil sei eine Krankheit, „unter anderem deswegen, weil man das Gefühl hat, dauernd an einer Wunde zu leiden, die einen erinnert, dass man etwas verloren hat, dass einem etwas weh tut“, schrieb die Schriftstellerin Hilde Spiel, die 1936 von Wien nach London emigrierte. Die Türkin Ece Temelkuran kennt den Phantomschmerz der Heimat-Amputierten. Von Izmir, wo sie 1973 geboren wurde, sieht sie gerade noch den Lichtschein am Nachthimmel, wenn sie auf einer griechischen Insel Freunde trifft. Näher kann sie ihrer Heimat nicht mehr kommen. Aber die Journalistin und Juristin hatte ihr Land schon verloren, bevor sie die Türkei verließ.
Die schleichende Entfremdung beschreibt sie in ihrem jüngsten Buch. Temelkuran ist bitter, zynisch und emotional, und sie verbirgt dies nicht. Bevor es zu düster wird, erinnert sie sich immer wieder an Szenen von entlarvender Komik. Etwa wenn sie auf die „Partei-Girlies“ trifft, die neureichen Frauen der aktuellen politischen Elite, die sich „den Vergnügungen des neuen Osmanentums“ hingeben und im Porsche vor einem Lokal mit Bosporusblick vorfahren. Als der Kellner dort die Autorin bemerkt, flüstert er ihr zu: „Sie setzen sich besser in eine andere Ecke.“
Ein paar Jahre zuvor wurde auch Temelkuran noch von den Aufsteigerinnen umworben. Jede Woche lade man eine „Frau aus dem anderen Lager“ ein, erfährt sie bei einer Frauenversammlung der regierenden AKP. Temelkuran sagte: „Nein danke.“ Jedes soziale, religiöse oder politische Projekt nehme sich stets die Frauen vor, versuche, sie seinem ideologischen Outfit anzupassen, schreibt sie. Und siehe, nicht selten gelingt das auch. Temelkuran hat aber nicht nur die Türkei im Blick, sie sucht auch andernorts nach Ähnlichkeiten, nach Sympathien für das Autoritäre. „Der Rechtspopulismus ist eine globale Bewegung“, schreibt sie, das Buch soll die Aufmerksamkeit auf Abgründe lenken, die sich unter den Fundamenten der verschiedensten Gesellschaften auftun können. So berichtet sie aus Donald Trumps Amerika und von Begegnungen mit Brexiteers und denkt die Türkei immer mit. Ein absolutistischer Populismus, der für sich in Anspruch nimmt, das „wahre Volk“ zu vertreten, und Politiker, die grundanständige Begriffe wie „Respekt“ und „Würde“ so lange verbiegen, bis sie nur noch für einen Teil des Volkes gelten – Temelkuran kennt das alles aus dem eigenen Land und findet es wieder in EU-Staaten wie Ungarn oder Polen.
Die neuen Autokratien brauchen keinen „Ismus“ mehr, es reicht ein unumstrittenen Mann an der Spitze. Nur dessen persönlich gegebene Versprechen zählen, und nach jedem Haken, den der Anführer schlägt, müssten seine Anhänger herausfinden, welches Verhalten nun angesagt ist. Politik mit der „Hundepfeife“ nennt Ece Temelkuran das. Selbstkritisch fragt sie sich, wie es so weit kommen konnte. Und wo das Rettende ist.
Was ihr einfällt: Wer etwas verändern wolle, dürfe nicht am Rand bleiben, nicht bloß Zuschauer sein, gefesselt ans Smartphone. Den Luxus, nicht politisch aktiv zu sein, gebe es für all jene nicht, die ihr Land nicht eines Tages auch verlieren wollten. Temelkuran hat mehrere erfolgreiche Romane verfasst, auch in ihren Sachbüchern nutzt sie ihr poetisches Talent, sie sind mehr Essay als abgeklärte Analyse. Etwa zehn Jahre lang schrieb sie Kolumnen für große türkische Zeitungen und moderierte bis 2011 eine Sendung in einem Privatkanal. Sie verlor ihren Job, als sie die Regierung nach einem tödlichen Zwischenfall im türkisch-irakischen Grenzgebiet kritisierte. Dabei wurden 34 überwiegend junge kurdische Schmuggler durch ein Bombardement aus der Luft getötet. Die Armee beharrte, sie habe sie für Kämpfer der militanten PKK gehalten. Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 beklagte die Journalistin auch den zerstörerischen Einfluss des Predigers Fethullah Gülen.
Temelkuran lebt inzwischen in Zagreb. Wie einst die Exilantin Hilde Spiel schreibt sie jetzt auf Englisch. Im Original trägt ihr Buch den Untertitel: „The Seven Warning Signs of Rising Populism“. Das ist genauer als „Sieben Schritte in die Diktatur“, wie es in der deutschen Ausgabe heißt. Denn Temelkurans Anklageschrift macht ja gerade klar, dass der Rechtspopulismus im Fake-News-Zeitalter anders funktioniert als die klassische Diktatur der Einparteienherrschaft im alten Ostblockstil. „Nicht der Kaiser drängt dich an den Rand“, schreibt Temelkuran, das besorgen schon dessen Untertanen. Es ist eine „grauenhafte zermürbende Morallosigkeit, die zur Suche nach einem Anderswo zwingt“.
CHRISTIANE SCHLÖTZER
Ece Temelkuran:
Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist oder Sieben Schritte in die Diktatur.
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger.
Hoffmann und Campe,
Hamburg 2019.
272 Seiten. 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Journalistin Ece Temelkuran, die in der Türkei nicht mehr erwünscht ist, klagt über den Aufstieg von Autokraten und warnt vor politischer Abstinenz
Das Exil sei eine Krankheit, „unter anderem deswegen, weil man das Gefühl hat, dauernd an einer Wunde zu leiden, die einen erinnert, dass man etwas verloren hat, dass einem etwas weh tut“, schrieb die Schriftstellerin Hilde Spiel, die 1936 von Wien nach London emigrierte. Die Türkin Ece Temelkuran kennt den Phantomschmerz der Heimat-Amputierten. Von Izmir, wo sie 1973 geboren wurde, sieht sie gerade noch den Lichtschein am Nachthimmel, wenn sie auf einer griechischen Insel Freunde trifft. Näher kann sie ihrer Heimat nicht mehr kommen. Aber die Journalistin und Juristin hatte ihr Land schon verloren, bevor sie die Türkei verließ.
Die schleichende Entfremdung beschreibt sie in ihrem jüngsten Buch. Temelkuran ist bitter, zynisch und emotional, und sie verbirgt dies nicht. Bevor es zu düster wird, erinnert sie sich immer wieder an Szenen von entlarvender Komik. Etwa wenn sie auf die „Partei-Girlies“ trifft, die neureichen Frauen der aktuellen politischen Elite, die sich „den Vergnügungen des neuen Osmanentums“ hingeben und im Porsche vor einem Lokal mit Bosporusblick vorfahren. Als der Kellner dort die Autorin bemerkt, flüstert er ihr zu: „Sie setzen sich besser in eine andere Ecke.“
Ein paar Jahre zuvor wurde auch Temelkuran noch von den Aufsteigerinnen umworben. Jede Woche lade man eine „Frau aus dem anderen Lager“ ein, erfährt sie bei einer Frauenversammlung der regierenden AKP. Temelkuran sagte: „Nein danke.“ Jedes soziale, religiöse oder politische Projekt nehme sich stets die Frauen vor, versuche, sie seinem ideologischen Outfit anzupassen, schreibt sie. Und siehe, nicht selten gelingt das auch. Temelkuran hat aber nicht nur die Türkei im Blick, sie sucht auch andernorts nach Ähnlichkeiten, nach Sympathien für das Autoritäre. „Der Rechtspopulismus ist eine globale Bewegung“, schreibt sie, das Buch soll die Aufmerksamkeit auf Abgründe lenken, die sich unter den Fundamenten der verschiedensten Gesellschaften auftun können. So berichtet sie aus Donald Trumps Amerika und von Begegnungen mit Brexiteers und denkt die Türkei immer mit. Ein absolutistischer Populismus, der für sich in Anspruch nimmt, das „wahre Volk“ zu vertreten, und Politiker, die grundanständige Begriffe wie „Respekt“ und „Würde“ so lange verbiegen, bis sie nur noch für einen Teil des Volkes gelten – Temelkuran kennt das alles aus dem eigenen Land und findet es wieder in EU-Staaten wie Ungarn oder Polen.
Die neuen Autokratien brauchen keinen „Ismus“ mehr, es reicht ein unumstrittenen Mann an der Spitze. Nur dessen persönlich gegebene Versprechen zählen, und nach jedem Haken, den der Anführer schlägt, müssten seine Anhänger herausfinden, welches Verhalten nun angesagt ist. Politik mit der „Hundepfeife“ nennt Ece Temelkuran das. Selbstkritisch fragt sie sich, wie es so weit kommen konnte. Und wo das Rettende ist.
Was ihr einfällt: Wer etwas verändern wolle, dürfe nicht am Rand bleiben, nicht bloß Zuschauer sein, gefesselt ans Smartphone. Den Luxus, nicht politisch aktiv zu sein, gebe es für all jene nicht, die ihr Land nicht eines Tages auch verlieren wollten. Temelkuran hat mehrere erfolgreiche Romane verfasst, auch in ihren Sachbüchern nutzt sie ihr poetisches Talent, sie sind mehr Essay als abgeklärte Analyse. Etwa zehn Jahre lang schrieb sie Kolumnen für große türkische Zeitungen und moderierte bis 2011 eine Sendung in einem Privatkanal. Sie verlor ihren Job, als sie die Regierung nach einem tödlichen Zwischenfall im türkisch-irakischen Grenzgebiet kritisierte. Dabei wurden 34 überwiegend junge kurdische Schmuggler durch ein Bombardement aus der Luft getötet. Die Armee beharrte, sie habe sie für Kämpfer der militanten PKK gehalten. Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 beklagte die Journalistin auch den zerstörerischen Einfluss des Predigers Fethullah Gülen.
Temelkuran lebt inzwischen in Zagreb. Wie einst die Exilantin Hilde Spiel schreibt sie jetzt auf Englisch. Im Original trägt ihr Buch den Untertitel: „The Seven Warning Signs of Rising Populism“. Das ist genauer als „Sieben Schritte in die Diktatur“, wie es in der deutschen Ausgabe heißt. Denn Temelkurans Anklageschrift macht ja gerade klar, dass der Rechtspopulismus im Fake-News-Zeitalter anders funktioniert als die klassische Diktatur der Einparteienherrschaft im alten Ostblockstil. „Nicht der Kaiser drängt dich an den Rand“, schreibt Temelkuran, das besorgen schon dessen Untertanen. Es ist eine „grauenhafte zermürbende Morallosigkeit, die zur Suche nach einem Anderswo zwingt“.
CHRISTIANE SCHLÖTZER
Ece Temelkuran:
Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist oder Sieben Schritte in die Diktatur.
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger.
Hoffmann und Campe,
Hamburg 2019.
272 Seiten. 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Temelkuran hat mehrere erfolgreiche Romane verfasst, auch in ihren Sachbüchern nutzt sie ihr poetisches Talent, sie sind mehr Essay als abgeklärte Analyse.« Christiane Schlötzer Süddeutsche Zeitung 20190401