Das ist die Geschichte von Sphere. Sie handelt von "Sex & Drugs & Rock 'n' Roll", von der Musik der 70er Jahre, von Saufgelagen und Hippies und von der kosmischen Liebe Spheres zu seiner Freundin Elysium Dream. Spheres Geschichte ist die Geschichte von Ross David Burke, eines paranoiden Schizophrenen, der nach Fertigstellung seines Buches Selbstmord beging. Deshalb handelt diese Geschichte auch von den dunklen Seiten der Schizophrenie: von Aufenthalten im Knast und in psychiatrischen Anstalten, von Angstzuständen und dem Wahn, Erfinder des Rock 'n' Roll und Schöpfer des Universums zu sein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.1998Schnelles Leben, früher Tod
Ross David Burkes Flaschenpost aus den siebziger Jahren
Über den Wert seines Manuskriptes machte Ross David Burke sich keine Illusionen: "Es ergibt nicht viel Sinn, aber als Therapie ist es spitze." In der Nacht, in der er es beendete, legt er seine Lieblingsplatte von Grateful Dead auf und schluckte eine Überdosis Antidepressiva. "Ich bin ein paranoider Schizophrener", heißt es in seinem Abschiedsbrief, "und für uns ist das Leben die Hölle. P. S. Tut mit leid, Gott".
Das Buch "Der Wahrheitseffekt", das Burke einen "Roman" nannte, ist ein konfuses Konglomerat aus Lebens- und Krankheitsgeschichte, paranoidem Größenwahn und verzweifelten Hilferufen, aus dem selten Funken von Poesie oder Selbsterkenntnis aufblitzen. Seele und Geist des Erzählers sind von der Krankheit, die er beschreiben will, unheilbar zerrüttet. Dem Chaos in seinem Kopf vermag der Autor nur Rudimente von chronologischer Ordnung, Rollenprosa und analytischer Vernunft abzugewinnen. Insofern tat der Verlag gut daran, die Aufzeichnungen aus dem schizophrenen Kellerloch mit biographischen und psychiatrischen Erläuterungen seines Arztes einzufassen.
Burke alias "Sphere" ist ein Kind der siebziger Jahre. "Ich verstand, was meine Generation bewegte", darf der Freak mit Recht von sich behaupten: Sex - wenn auch eher die onanistische Variante -, Drogen und Rock'n'Roll sind seine heilige Dreifaltigkeit. Er hört, wie alle normalen Hippies, die Musik von Captain Beefheart, Velvet Underground, Frank Zappa und natürlich das titelgebende "When the music's over" der Doors; seine Freunde haben so psychedelische Namen wie Elysium Dream, Magic Star Flower und Baron Wasteland. Er pflanzt Marihuana im Garten an und haßt alle "Plastic People": den autoritären Vater und die ehrgeizigen Brüder, Lehrer, "Bullen" und die Rednecks der australischen Provinz sowieso. Im klapprigen VW-Bus oder auf dem Easy-Rider-Motorrad begibt sich seine Clique auf die Magical Mystery Tour ins Reich der Drogen. Man begrüßt sich mit "Hi Alter" und "Peace, Mann, ihr cool, wir cool", würzt das "Gelaber" mit Zitaten aus Rocksongs, von Carlos Castaneda oder C. G. Jung und fährt auf Aborigines-Esoterik, Zivilisationskritik und "kosmische Sonnenscheinvibes" ab.
Daß sich seine halluzinogenen Erleuchtungen bei nüchterner Betrachtung als Flower-Power-Kitsch erweisen, muß Burke nicht weiter beunruhigen: Ein "Acidhead" kann schon mal LSD und Pilze für Pforten der spirituellen Wahrnehmung, ein Amateurfreudianer sich für Ronald D. Laing halten. Aber immer öfter wird der "kleine Trip ins Chaos" zum nackten Horror. Burke beginnt sich für den Erfinder des Rock'n'Roll und Jesus Christ Superstar zu halten. Er phantasiert von Abhörgeräten, die eine wahrhaft pynchoneske Geheimorganisation von Eidechsenmännern und schachspielenden Ameisen in seinen Zahnplomben implantierten. Halluzinationen und psychotische Schübe, Wahn und Schuldgefühl, assoziative Bewußtseinsströme und therapeutische Selbstreflexion fließen in einem hämmernden Staccato ineinander.
Drogendelikte, Erregung öffentlichen Ärgernisses und zunehmende Aggressivität lassen den sanften Dropout auf die schiefe Bahn geraten. Ein Banküberfall - die Beute verteilte er, "um die Sadomasochisten zu irritieren", unter Passanten - bringt ihn in den Hochsicherheitstrakt für kriminelle Geisteskranke; der Bericht darüber gehört zu den besten Passagen. Nach einer Odyssee durch Psychiatrie, Gefängnisse und Entziehungsheime ist Burke nur noch ein verkrachter Freak auf der manisch-depressiven Achterbahn. Vor die Alternative gestellt, als medikamentös sediertes Wrack dahinzuvegetieren oder den psychotischen Attacken schutzlos ausgeliefert zu sein, wählt er den Tod: ein tragischer Fall von "Live fast, die young".
Burkes Flaschenpost aus dem Innern des Wahnsinns ist kein Sprachkunstwerk. Seine Gedanken drehen sich im Kreis, verwirren sich in Widersprüchen, Wiederholungen und sinnlosen Reimzwängen; selbst der gelegentlich aufblitzende sarkastische Humor ist nur gequält. Unter Schmerzen versucht Burke, sich und der Nachwelt Rechenschaft von einer Hölle zu geben, wo die Musik und zuletzt auch die Sprache verstummt. In und unter seinem befremdlichen, "zusammenhanglosen Traum" leuchten die Erfahrungen und gespenstischen Fratzen einer ganzen Generation hervor. Deren Schriftsteller haben ihre Qual oft genug mit ästhetischem und psychologischem Feinsinn zu beglaubigen oder politisch zu rationalisieren versucht. Hier sagt ein authentisches "Kind des elektrischen Acid" durch lauter Wort- und Seelenmüll hindurch, wie es leidet. MARTIN HALTER
Ross David Burke: "Wenn die Musik verstummt. Meine Reise in die Schizophrenie". Aus dem Englischen übersetzt von Clara Drechsler. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1997. 384 S., geb., 45,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ross David Burkes Flaschenpost aus den siebziger Jahren
Über den Wert seines Manuskriptes machte Ross David Burke sich keine Illusionen: "Es ergibt nicht viel Sinn, aber als Therapie ist es spitze." In der Nacht, in der er es beendete, legt er seine Lieblingsplatte von Grateful Dead auf und schluckte eine Überdosis Antidepressiva. "Ich bin ein paranoider Schizophrener", heißt es in seinem Abschiedsbrief, "und für uns ist das Leben die Hölle. P. S. Tut mit leid, Gott".
Das Buch "Der Wahrheitseffekt", das Burke einen "Roman" nannte, ist ein konfuses Konglomerat aus Lebens- und Krankheitsgeschichte, paranoidem Größenwahn und verzweifelten Hilferufen, aus dem selten Funken von Poesie oder Selbsterkenntnis aufblitzen. Seele und Geist des Erzählers sind von der Krankheit, die er beschreiben will, unheilbar zerrüttet. Dem Chaos in seinem Kopf vermag der Autor nur Rudimente von chronologischer Ordnung, Rollenprosa und analytischer Vernunft abzugewinnen. Insofern tat der Verlag gut daran, die Aufzeichnungen aus dem schizophrenen Kellerloch mit biographischen und psychiatrischen Erläuterungen seines Arztes einzufassen.
Burke alias "Sphere" ist ein Kind der siebziger Jahre. "Ich verstand, was meine Generation bewegte", darf der Freak mit Recht von sich behaupten: Sex - wenn auch eher die onanistische Variante -, Drogen und Rock'n'Roll sind seine heilige Dreifaltigkeit. Er hört, wie alle normalen Hippies, die Musik von Captain Beefheart, Velvet Underground, Frank Zappa und natürlich das titelgebende "When the music's over" der Doors; seine Freunde haben so psychedelische Namen wie Elysium Dream, Magic Star Flower und Baron Wasteland. Er pflanzt Marihuana im Garten an und haßt alle "Plastic People": den autoritären Vater und die ehrgeizigen Brüder, Lehrer, "Bullen" und die Rednecks der australischen Provinz sowieso. Im klapprigen VW-Bus oder auf dem Easy-Rider-Motorrad begibt sich seine Clique auf die Magical Mystery Tour ins Reich der Drogen. Man begrüßt sich mit "Hi Alter" und "Peace, Mann, ihr cool, wir cool", würzt das "Gelaber" mit Zitaten aus Rocksongs, von Carlos Castaneda oder C. G. Jung und fährt auf Aborigines-Esoterik, Zivilisationskritik und "kosmische Sonnenscheinvibes" ab.
Daß sich seine halluzinogenen Erleuchtungen bei nüchterner Betrachtung als Flower-Power-Kitsch erweisen, muß Burke nicht weiter beunruhigen: Ein "Acidhead" kann schon mal LSD und Pilze für Pforten der spirituellen Wahrnehmung, ein Amateurfreudianer sich für Ronald D. Laing halten. Aber immer öfter wird der "kleine Trip ins Chaos" zum nackten Horror. Burke beginnt sich für den Erfinder des Rock'n'Roll und Jesus Christ Superstar zu halten. Er phantasiert von Abhörgeräten, die eine wahrhaft pynchoneske Geheimorganisation von Eidechsenmännern und schachspielenden Ameisen in seinen Zahnplomben implantierten. Halluzinationen und psychotische Schübe, Wahn und Schuldgefühl, assoziative Bewußtseinsströme und therapeutische Selbstreflexion fließen in einem hämmernden Staccato ineinander.
Drogendelikte, Erregung öffentlichen Ärgernisses und zunehmende Aggressivität lassen den sanften Dropout auf die schiefe Bahn geraten. Ein Banküberfall - die Beute verteilte er, "um die Sadomasochisten zu irritieren", unter Passanten - bringt ihn in den Hochsicherheitstrakt für kriminelle Geisteskranke; der Bericht darüber gehört zu den besten Passagen. Nach einer Odyssee durch Psychiatrie, Gefängnisse und Entziehungsheime ist Burke nur noch ein verkrachter Freak auf der manisch-depressiven Achterbahn. Vor die Alternative gestellt, als medikamentös sediertes Wrack dahinzuvegetieren oder den psychotischen Attacken schutzlos ausgeliefert zu sein, wählt er den Tod: ein tragischer Fall von "Live fast, die young".
Burkes Flaschenpost aus dem Innern des Wahnsinns ist kein Sprachkunstwerk. Seine Gedanken drehen sich im Kreis, verwirren sich in Widersprüchen, Wiederholungen und sinnlosen Reimzwängen; selbst der gelegentlich aufblitzende sarkastische Humor ist nur gequält. Unter Schmerzen versucht Burke, sich und der Nachwelt Rechenschaft von einer Hölle zu geben, wo die Musik und zuletzt auch die Sprache verstummt. In und unter seinem befremdlichen, "zusammenhanglosen Traum" leuchten die Erfahrungen und gespenstischen Fratzen einer ganzen Generation hervor. Deren Schriftsteller haben ihre Qual oft genug mit ästhetischem und psychologischem Feinsinn zu beglaubigen oder politisch zu rationalisieren versucht. Hier sagt ein authentisches "Kind des elektrischen Acid" durch lauter Wort- und Seelenmüll hindurch, wie es leidet. MARTIN HALTER
Ross David Burke: "Wenn die Musik verstummt. Meine Reise in die Schizophrenie". Aus dem Englischen übersetzt von Clara Drechsler. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1997. 384 S., geb., 45,- DM.
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"Die Lektüre dieses Vermächtnisses ist ein Abenteuer für den Leser."(SZ)