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Die Mauer ist gerade erst gefallen. Im mecklenburgischen Neustrelitz verlässt der 19-jährige Charly Hübner sein Elternhaus im Streit. Er findet Zuflucht am Theater und in der Literatur, liest wie besessen und landet nahezu unumgänglich bei den Jahrestagen von Uwe Johnson. Er taucht darin ein - und sehr lange nicht wieder auf. 40 Jahre nach Johnsons Tod und 90 nach dessen Geburt hat Charly Hübner Johnsons Großwerk als Hörbuch eingelesen. Wieder ist er vollkommen darin eingetaucht und war erstaunt, wie aktuell es nach wie vor ist - literarisch und politisch.
Eher durch Zufall landete die
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Produktbeschreibung
Die Mauer ist gerade erst gefallen. Im mecklenburgischen Neustrelitz verlässt der 19-jährige Charly Hübner sein Elternhaus im Streit. Er findet Zuflucht am Theater und in der Literatur, liest wie besessen und landet nahezu unumgänglich bei den Jahrestagen von Uwe Johnson. Er taucht darin ein - und sehr lange nicht wieder auf.
40 Jahre nach Johnsons Tod und 90 nach dessen Geburt hat Charly Hübner Johnsons Großwerk als Hörbuch eingelesen. Wieder ist er vollkommen darin eingetaucht und war erstaunt, wie aktuell es nach wie vor ist - literarisch und politisch.

Eher durch Zufall landete die wuchtige Buchclubausgabe der Jahrestage in Charly Hübners neuem Zuhause. Ein dicker Wälzer, der trotz der manchmal sperrigen Sprache und verwinkelten Erzählweise einen so noch nie erlebten Sog auf den damaligen Teenager ausübte. Da erzählte jemand aus dem fernen Sehnsuchtsort New York und verband das wie selbstverständlich mit einer Familiensaga in Mecklenburg - Weltliteratur aus der Heimat quasi.
Aus dem Teenager von damals ist einer der beliebtesten Schauspieler des mehr oder weniger vereinten Deutschland geworden - während Johnson mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist. Zu Unrecht, findet Charly Hübner, denn die Lektüre dieses Autors, eines genauen Beobachters seiner Zeit, der wie kein anderer die Sprache und Denkweise der Menschen um ihn herum zu Papier gebracht hat, ist heute noch aktueller denn je.
Autorenporträt
Charly Hübner, geboren 1972 in Neustrelitz, ist Schauspieler, Regisseur sowie Sprecher von Hörspielen und Hörbüchern. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Bayerische Fernsehpreis, der Grimme-Preis, der Deutsche Fernsehpreis sowie der Deutsche Hörbuchpreis. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2024

Uwe Johnson ist eh der Größte

Man kann sich die Szene nur zu gut vorstellen: Da steht der Schauspieler Charly Hübner, an dessen ebenso massiger wie verletzlicher Gestalt aller intellektueller Dünkel abprallen muss, mit zwei Schriftstellern zusammen und wagt diesen dann doch intellektuellen Dünkel todesmutig herausfordernden Satz: "Uwe Johnson ist eh der größte deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts" - so einer wie Homer, Tol-stoi, Proust in ihrer Zeit eben. Hübner selbst steigt mit dieser Szene in sein jetzt bei Suhrkamp erscheinendes Fanbuch über Uwe Johnson ein, das seiner Eloge auf Motörhead, die Heavy-Metal-Band, folgt, die 2021 herauskam (nicht bei Suhrkamp). Und erzählt weiter: "Danach entstand eine nicht spannungslose Stille." Die Denkblasen der beteiligten Autoren kann man sich dazudenken: So etwas sagt man nicht, kann man doch so nicht sagen. Weitere Leute kamen dazu, die Stille schlug in Empörung um. Wenn man überhaupt vom Größten reden könne, so müssten selbstverständlich doch erst einmal Thomas Mann, Franz Kafka oder Bertolt Brecht in Erwägung gezogen werden! Aber Hübner bleibt bei seiner Meinung, und die Begründung will er in diesem Buch liefern.

Mit der Szene gibt er den persönlich-selbstironischen Ton vor, der den "kleinen Jubeltext" grundiert und gegen die Skrupel der Betriebsprofis absichert. Hübners Johnson-Begeisterung geht auf die Tage nach dem Untergang der DDR zurück, als er gerade Abitur gemacht hatte und mit seiner Zukunftseuphorie den mit dem Verschwinden ihres Staats hadernden Eltern derart auf die Nerven ging, dass diese ihn vor die Tür setzten. Er kam in einem Forsthaus unter und las dort alle möglichen Klassiker, die ihm ein Buchklub zuschickte, irgendwann auch den Roman "Jahrestage". "Johnson hatte mich sofort."

Und zwar nicht nur, weil es "Weltliteratur aus der Heimat" ist, aus Mecklenburg, woher auch Hübner kommt. Von Anfang an war dieses Buch mit seinen oft vertrackten Wort- und Gedankenstellungen für ihn vielmehr die Schule einer besonderen Art des Lesens: "Johnson zwingt uns dazu, gleich von vornherein zu verweilen, nicht zu eilen." Der Schlüssel zu diesem Autor sei die Langsamkeit - "da entsteht sein Sog". Es sei ein ruhiges und zugleich aktives, ganz und gar aufmerksames Lesen, das die "Jahrestage" einfordern. Das hat Hübner viel später auch professionell erfahren, als er vergangenes Jahr zusammen mit Caren Miosga den gesamten Roman 74 Stunden lang eingelesen hat. Wer dort hineinhört, kann nur bewundern, wie es Hübner gelingt, sich auf die unterschiedlichen Rhythmen und Verästelungen des Textes einzulassen, ihnen einen Körper und eine Selbstverständlichkeit zu geben, über die er nun selbst an einer Stelle schreibt: "Dann ist diese Sprache nicht mehr sperrig oder geziert, dann ist sie folgerichtig, geradezu logisch, plauderhaft und von großem Understatement." (Understatement ist Hübner besonders wichtig, es ist auch die Grundhaltung seines eigenen Buchs.) Tatsächlich lässt einen diese Lesung nicht nur Johnson besser verstehen, sondern auch die intellektuelle und emotionale Spannweite des Schauspielers Charly Hübner, in dem eben noch viel mehr steckt als bloß der Kommissar Bukow aus dem Rostocker "Polizeiruf 110", das Authentizitäts-Urgestein des deutschen Fernsehkrimis.

Und zugleich ist die Johnson-Lektüre für Hübner, von heute her gesehen, auch eine Art Schule des Lebens in unruhigen, ja bedrohlichen Zeiten. Er erzählt, wie es dazu kam, dass auch er selbst sich jahrzehntelang der Illusion einer vor den Zumutungen der großen Geschichte verschonten Sicherheit hingab und darauf vertraute, "dass das System BRD/EU/NATO das eigene Leben schützte und man sich wirklich vor allem um seinen Kram kümmern konnte". Als jugendlichem Mitglied einer Clique namens "The Lost Boys" war ihm in den letzten Monaten der DDR eine Reglementierung angedroht worden, die sein ganzes Leben verdorben hätte. So war die Wende für ihn ein riesiges "historisches Glück", von dem er annahm, dass es ewig dauern werde. Jetzt aber scheint sich mit Macht der beiläufige Satz zu bestätigen, den er von Johnson zitiert: "Es ist schlecht möglich, abseits der Zeitgeschichte zu leben."

Die "Jahrestage" schildern von Tag zu Tag, was der deutschen Bankangestellten Gesine Cresspahl und deren Tochter Marie 1967 und 1968 in New York widerfährt, geben wieder, was die "New York Times" an diesen Tagen berichtet, und erzählen in Rückblenden, wie Gesines Vater die Dreißiger-, Vierziger- und Fünfzigerjahre in der erfundenen mecklenburgischen Kleinstadt Jerichow erlebt. In den vermeintlich sicheren Zeiten der Bundesrepublik konnte einem die Art und Weise, wie Johnson da die Entwicklung seiner Figuren aufs Engste mit historischen Ereignissen verschränkt, fast etwas künstlich vorkommen. Heute aber, da die Erfahrungen von Krieg, Pandemie und dem Erstarken demokratiefeindlicher Bewegungen wieder ganz gegenwärtig geworden sind, liest sich diese Rekonstruktion des Eindringens der Geschichte in die persönlichsten Gefühle ganz realistisch. Hübner erklärt das auch aus Johnsons Biographie: "Sein Lebensweg war von klein auf vom Umgang mit Meinungssetzungen, Verboten, Ideologisierungen und Ängsten geprägt, die sich bis in sein privatestes Leben hineinschleichen sollten."

Besonders interessiert sich Hübner auch dafür, wie Johnson den Verschiedenheiten des Fühlens, Sehens und Sprechens zwischen Ost- und Westdeutschland nachforscht, vor allem in dem 1961 erschienenen Roman "Das dritte Buch über Achim". "Der Gedanke der Wiedervereinigung scheint mir zu verlangen", zitiert ihn Hübner einmal, "dass wir uns gründlich und geduldig, d. h. also durch den Versuch eines Verständnisses und der Kenntnisnahme, darauf vorbereiten." So ist es bekanntlich nicht gekommen, Johnson selbst hat das nicht mehr erlebt.

MARK SIEMONS

Charly Hübner: "'Wenn du wüsstest, was ich weiß...' Der Autor meines Lebens". Suhrkamp Verlag, 126 Seiten, 20 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Die Begeisterung des Schauspielers Charly Hübner für Uwe Johnsons "Jahrestage" kann Rezensent Michael Pilz nach der Lektüre dieses Buches gut nachvollziehen. Als Johnsons Buch erschien, war Hübner Abiturient, so Pilz. Hübner konnte sich sofort identifizieren: die fiktive Ostgegend in "Jahrestage" erinnerte ihn an seinen Heimatort, mit seinen systemtreuen Eltern überwarf sich Hübner schon vor dem Fall der Mauer. Literarisch tastet sich der junge Mann langsam heran, wie er in seinem Buch schildert, indem er Johnsons "Achim" las, weiß der Kritiker nun. Hübner denkt darüber nach, was Johnson über die Wende gedacht hätte, wäre er noch am Leben, beantwortet die Frage aber nicht abschließend. Für Hübner sei klar, dass Johnsons Werk uns gerade angesichts heutiger Ost-West-Debatten noch einiges zu sagen haben, schließt der Kritiker.

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»[Ein] informations- und gedankenreiches Buch ...« Gustav Seibt Süddeutsche Zeitung 20241012