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Der Roman besteht aus den Aufzeichnungen von Juan Carr, einer -heillos gescheiterten Existenz-. Carr sieht eines Tages eine Annonce, die einem Mann, -dessen Ehrgeiz keine Grenzen kennt und der bereit ist zu reisen-, etwas Interessantes verheißt. Ein dubioser Job, daran läßt auch der schillernde Auftraggeber keinen Zweifel. Er schickt Carr über den schlammigen Strom in die Nähe von Santa Maria. Dort soll er für gute Dollars Arbeiten an einem Staudamm beaufsichtigen. Mit einigen Gringos lebt er in einem Haus am Fluß, versorgt von der Mestizin Eufrasia, zu deren merkwürdig hellhäutiger Tochter…mehr

Produktbeschreibung
Der Roman besteht aus den Aufzeichnungen von Juan Carr, einer -heillos gescheiterten Existenz-. Carr sieht eines Tages eine Annonce, die einem Mann, -dessen Ehrgeiz keine Grenzen kennt und der bereit ist zu reisen-, etwas Interessantes verheißt. Ein dubioser Job, daran läßt auch der schillernde Auftraggeber keinen Zweifel. Er schickt Carr über den schlammigen Strom in die Nähe von Santa Maria. Dort soll er für gute Dollars Arbeiten an einem Staudamm beaufsichtigen. Mit einigen Gringos lebt er in einem Haus am Fluß, versorgt von der Mestizin Eufrasia, zu deren merkwürdig hellhäutiger Tochter Elvira sich Carr hingezogen fühlt. Er stößt auf Diaz Grey, der ihn zu Gesprächen und Alkohol einlädt. Der Arzt hat Angelica Ines, die labile Tochter des Werftbesitzers, geheiratet und lebt mit einem Wissen, das ihn zu Schweigsamkeit und Bekenntnis treibt. Dialog und Geste erhellen blitzartig Geheimnis und Wahrheit; in Andeutungen enthüllt sich allmählich Verborgenes, Verbotenes.
Autorenporträt
Juan Carlos Onetti, geboren 1909 in Montevideo, ging 1975 ins Exil nach Spanien, 1980 erhielt er den "Premio Cervantes", der als "Nobelpreis der spanisch-sprachigen Welt" gilt. Juan Carlos Onetti starb 1994 in Madrid.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996

Alle meine Schwächen
Juan Carlos Onettis Roman "Wenn es nicht mehr wichtig ist" / Von Elias Torra

Juan Carlos Onetti ist die graue Eminenz der lateinamerikanischen Gegenwartsliteratur. Die Bücher des 1909 in Uruguay geborenen und 1994 im spanischen Exil gestorbenen Romanciers gehören zwar zu den einflußreichsten des Kontinents. Aber neben Weltberühmtheiten wie Julio Cortázar, Gabriel García Márquez oder Mario Vargas Llosa blieb Onetti stets der große Unbekannte. Nachdem er 1980 vergeblich für den Nobelpreis nominiert worden war, wurde ihm ein Jahr später mit dem Premio Cervantes, dem höchsten Literaturpreis Spaniens, die längst fällige offizielle Anerkennung zuteil. Die Dankesrede zeigt die rührende Bescheidenheit des Preisträgers, dem es nie in den Sinn gekommen wäre, irgendwelche Ressentiments gegen seine im helleren Rampenlicht stehenden Kollegen zu hegen.

Onetti ist kein vitaler Fabulierer wie Márquez, er entwirft keine surrealen Phantasmagorien wie Cortázar, und er ist auch nicht der luzide Konstrukteur von Labyrinthen wie Borges. Daß sein Werk sich solchen Etikettierungen entzieht, macht begreiflich, warum er das gängige Bild der lateinamerikanischen Literatur nur in geringem Maße geprägt hat. Seine ästhetische Kompromißlosigkeit dürfte viele Leser abschrecken. Mit der schäbigen Provinzstadt Santa María, dem Schauplatz der Romane seit "Das kurze Leben" (1950), erfand er eine spröde, düstere und hermetisch abgeschlossene Welt, deren Personal vielfach undurchsichtig bleibt und deren Handlungsstruktur ihr Geheimnis über weite Textstrecken nicht preisgibt. Indizien sind mit der gekonnten Unauffälligkeit eines Kriminalautors verteilt; ihre Entzifferung verlangt viel Aufmerksamkeit und stellt die Kombinationsgabe des Lesers auf die Probe.

Die Romane und Erzählungen Onettis lassen sich als zusammenhängendes Werk lesen; wie in Balzacs "Comédie humaine" treten einige Personen in mehreren Büchern auf. Onetti forderte von einem ernsthaften Schriftsteller, er solle bei einem einzigen Lebensthema ausharren, um es immer tiefer auszuloten. Die eindrucksvolle Kohärenz seines erzählerischen Universums dokumentiert, daß er sich an diese Norm streng gehalten hat. Sein Werk formuliert erneut die alte Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen, nach dem Gelingen oder Mißlingen von Identität, nach Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. Zugleich wird diese Frage mit einer Reflexion über die prekären Bedingungen des Erzählens und Schreibens verwoben. Denn nur an der Oberfläche erscheinen Onettis Antihelden als Gelegenheitsjobber oder Bordellbesitzer; in erster Linie sind sie Erzähler von (meist pointenlosen) Anekdoten und geständnisfreudige Autobiographen, die ihrem schalen Dasein etwas mehr Glanz verleihen wollen, indem sie es in Worte fassen.

Schon sein erster Roman, "Der Schacht" (1939), wies Onetti als Pionier der literarischen Moderne Lateinamerikas aus. Der Bruch mit traditionellen Erzählformen, den dieser Text vollzog, löste das ästhetische Programm ein, das Onetti in einigen Literaturkritiken aus den Jahren 1939 bis 1941 formulierte. Aus diesen Zeitungsartikeln sprach kein umsichtig argumentierender Intellektueller, sondern ein leidenschaftlicher Pamphletist, der nur seiner Intuition vertraute. Angesichts der politischen und kulturellen Krise, die Lateinamerika in den dreißiger Jahren erfaßt hatte, plädierte Onetti dafür, Autoren wie Faulkner, Céline und Hemingway zum Vorbild zu nehmen, um die Situation im eigenen Land literarisch bewältigen zu können.

Onettis Hoffnungen galten der literarischen Moderne. Die "engagierte" Literatur betrachtete er mit unverhohlener Skepsis. Ein Schriftsteller dürfe nicht an der äußerlichen Abbildung des gesellschaftlichen Zustandes klebenbleiben, sondern müsse seine persönliche Sicht der Welt darstellen. Mehr als alles andere sei hierbei Aufrichtigkeit (sinceridad) gefragt: "Das, was mir an meinen Büchern am wichtigsten scheint, ist ihre Aufrichtigkeit." Onetti, der sein Schreiben als Obsession, Laster und Manie ansah, erhob ein moralisches Postulat zum poetologischen Schlüsselbegriff. Dies war ihm auch ein Trost: "Alle Schwächen, die sich in meinen Büchern finden lassen, sind meine eigenen Schwächen."

Diese einfachen Grundsätze hat Onetti zeitlebens ebenso beibehalten wie seine negative Anthropologie, die der Roman "Wenn es nicht mehr wichtig ist" (1993) ein letztes Mal entfaltet. Dessen Hauptfigur, der grüblerisch veranlagte Tagebuchschreiber Juan Carr, ist der Archetyp des Onettischen Helden; die folgende Szene könnte sich auch auf den in seinem Pensionszimmer vergrabenen Eladio Linacero ("Der Schacht") beziehen: "Es war ein schöner sonniger Tag, und nach dem Essen streckte ich mich angezogen auf dem großen Bett aus. Nicht um Siesta zu halten, sondern um, unbeweglich auf dem Rücken liegend, die Hände auf dem Bauch gefaltet, mit anzusehen, wie die Sonne über Fußboden und Wände wanderte. Minutenlang, stundenlang. Die Sonne kletterte, und ich verhielt mich ruhig und spielte den Gleichgültigen. Es hatte nichts mit mir zu tun." Die hier noch vergleichsweise sanft getönte melancholische Starre begleitet Carr wie sein Schatten. Zu Beginn des Romans hat diese Indifferenz einen zynischen Einschlag, wenn der Erzähler trocken notiert, vor "vierzehn Tagen oder einem Monat" habe ihn seine Frau verlassen: "Es gab weder Vorwürfe noch Klagen. Ihr Magen und ihre Vagina gehören ihr."

Nachdem er zeitweilig erwogen hat, Leuchtturmwärter zu werden, antwortet der arbeitslose Carr schließlich auf eine Stellenanzeige, die ihn nach Santa María führt, wo er zunächst eine unklar definierte Aufgabe beim Bau eines Stauwerks übernimmt. Sein Arbeitgeber hat ihn jedoch für eine andere Tätigkeit ausersehen. Carr soll einen regelmäßig stattfindenden Schmuggel von Drogen beaufsichtigen. Sonst gibt es wenig zu tun. Die freie Zeit verbringt er mit seiner Wirtin Eufrasia und ihrer kleinen Tochter Elvirita. Ablenkung sucht er im Alkohol, in der Lektüre schlechter Krimis, im Bordell und in langen Gesprächen, mit dem seltsamen Arzt Díaz Grey, die Carr in sein Tagebuch einträgt. Am Ende verläßt er die Stadt für immer.

In Santa María steht die Zeit still. Die ohnehin spärlichen Ereignisse sind von frustrierender Vorhersehbarkeit, und von den interessantesten erfährt Carr ohnehin nur indirekt durch verschlungene mündliche Berichte, in die manchmal weitere Erzählungen eingeschaltet werden. Diese Indirektheit kann sich bis zur Undurchdringlichkeit steigern. Onettis Welt ist doppelbödig, und daran hat die Sprache entscheidenden Anteil. Nicht einmal auf Bezeichnungen kann man sich verlassen: Carr trägt einen Ingenieurstitel, den er niemals rechtmäßig erworben hat; der Schmuggler Abu nennt sich "der Türke", stellt sich dann aber als Araber heraus. Worte verschaffen Carr keinen Zugang zur Wirklichkeit, auch wenn er sich im Tagebuch unablässig darum bemüht.

Ironischerweise sind viele der Romanfiguren Leser, und sie stellen meist an besonders unpassender Stelle ihre literarische Bildung zur Schau. Onetti versteht es meisterhaft, seine Figuren ineinander zu spiegeln. Díaz Greys Geständnisse etwa finden ihr parodistisches Komplement in den Pseudogeständnissen des permanent schwadronierenden "Türken" Abu. Und der Arzt Díaz Grey, den der Leser Onettis schon aus "Das kurze Leben" (1950) kennt, ähnelt Carr in mehrfacher Hinsicht: Beide wollen ihre Vergangenheit loswerden, und ihre Vergeßlichkeit leistet ihnen gute Dienste. Carr greift zu dem drastischen Bild, er wolle sich in Santa María die Vergangenheit abschütteln wie eine Hündin ihre Flöhe.

Nur einmal gibt Carr seinen zynischen Blick auf und läßt sich zu einer Idylle hinreißen: "Manchmal, nur mit einer Hose bekleidet, verbrachte ich meine Tage damit, daß ich Elvirita alte Geschichten erzählte. Sie saß auf meinen Knien oder lag halb schlafend in ihrem kleinen Bett und korrigierte jede Modifikation der bereits gehörten, ihr längst bekannten Sage mit freundschaftlichen Püffen." Aber selbst die Verehrung, die Carr für Elvirita empfindet und die ihm Worte von seltener Zartheit in die Feder diktiert, ist trügerisch. Sie erstarrt zur Allegorie: Da zeigt nicht Elvirita, sondern "die Kindheit" auf den Mond. Carrs Beschreibung seiner letzten Begegnung mit dem Arzt liest sich nicht von ungefähr wie eine barocke Allegorie: "Und nun, vom langen Dienen billigerweise ermüdet, erschlaffte die Haut erleichtert und fältelte sich dann zu Runzeln, wie sie das immer tut, bevor sie kahle Schädel, leere Augenhöhlen hinterläßt und die völlige Ruhe des Gewürms und des Staubs sucht."

In der schwarzen Welt Onettis hat aber auch der Humor seinen Platz. So wird ein Postbote eingeführt: "Habib war dick und kahlköpfig, den Ruhestand lehnte er ab." Und so Carrs drei Mitarbeiter im Stauwerk: "Zuerst erschienen Tom, Dick und Harry in hohen Gummistiefeln und mit breitem einfältigen Lächeln, da oben in Oklahoma City oder Main Street oder Texas von Kindheit an gelernt. Ich fand sie sympathisch und grausam."

Onetti braucht einen einzigen Nebensatz, um den Charakter einer Person zu veranschaulichen. Carrs Wirtin Eufrasia hat ihr Baby im Fluß ertrinken sehen. Am Tag nach der Katastrophe erzählt sie ihren Gästen bei der Zubereitung des Mittagessens weinend ihr Unglück, "während sie das Fleisch am Bratspieß im Auge behielt". Präziser könnte man ihre nüchterne und pragmatische Art nicht umreißen.

Letztlich sieht Onetti die moralisch verkommene Welt Santa Marías stets vor dem Hintergrund einer gänzlich anderen, aber ungenannten Welt. Das zeigt sich schon daran, daß Carr überhaupt ein Tagebuch führt: So zynisch und gleichgültig, wie er sich gibt, kann er wohl nicht sein. In Carrs kümmerlichen Selbstreflexionen steckt ein Rest Sinnsuche. Es ist eine metaphysische Beunruhigung, die ihn umtreibt. Solches Pathos der Negativität schreibt sich vom französischen Existentialismus her. Sartres "Der Ekel" erschien 1938, ein Jahr vor Onettis erstem Roman, und in "Wenn es nicht mehr wichtig ist" fällt sein Name gleich zu Beginn. Der lehrhafte Gestus des Franzosen war dem äußerst diskreten Onetti jedoch denkbar fremd. Adorno hat einmal von der Scham gesprochen, die sich dagegen sträube, "metaphysische Intentionen unmittelbar auszudrücken". Es ist die Scham Onettis.

Juan Carlos Onetti: "Wenn es nicht mehr wichtig ist". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Rudolf Wittkopf. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 192 S., geb., 36,- DM.

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