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»Ich mag keine Gedichte, sie sind mir fremd, und ich verstehe auch nichts von bisexuellen russischen Poetessen ä la Marina Zwetajewa. Ich lebe jetzt anderswo, doch meine Eltern wohnen nach wie vor in dem alten Bürgerhaus am Hamburger Rotherbaum, wo wir 1974 auf unserem Weg von Moskau über Wien, Israel und New York schließlich untergekommen waren, zufrieden über jene lebensnotwendige Portion materieller Sicherheit, die Deutschland uns bot.«
Mit beißendem Sarkasmus, Witz und oft auch liebevoller Zuneigung führt Maxim Biller die Figuren seiner Welt vor: Die Überlebenden des Holocaust, ihre
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Produktbeschreibung
»Ich mag keine Gedichte, sie sind mir fremd, und ich verstehe auch nichts von bisexuellen russischen Poetessen ä la Marina Zwetajewa. Ich lebe jetzt anderswo, doch meine Eltern wohnen nach wie vor in dem alten Bürgerhaus am Hamburger Rotherbaum, wo wir 1974 auf unserem Weg von Moskau über Wien, Israel und New York schließlich untergekommen waren, zufrieden über jene lebensnotwendige Portion materieller Sicherheit, die Deutschland uns bot.«

Mit beißendem Sarkasmus, Witz und oft auch liebevoller Zuneigung führt Maxim Biller die Figuren seiner Welt vor: Die Überlebenden des Holocaust, ihre Kinder und Enkel, vereinsamte Alte, verfolgungs- und größenwahnbesessene Kulturkosmopoliten, Intellektuelle und Geschäftsleute, vor allem die Jüngeren unter ihnen zwischen Aufbegehren gegen die eigenen Eltern, dem Kampf gegen aufrichtige Antisemiten und heuchlerische Philosemiten und der Suche nach der eigenen jüdischen Identität.

Autorenporträt
Biller, Maxim
Maxim Biller, geboren 1960 in Prag, lebt seit 1970 in Deutschland. Seine Erzählungen, Reportagen, Kolumnen und Kritiken veröffentlicht er u. a. in 'Tempo', 'Spiegel', 'Weltwoche', in der 'Süddeutschen Zeitung' und in der 'Zeit'. Mit der 1991 herausgegebenen Sammlung seiner journalistischen Arbeiten gelang ihm eine rasant-literarische Fibel der 80er Jahre. Der vorliegende Erzählband 'Wenn ich einmal reich und tot bin ' wurde bereits ins Französische, Holländische, Dänische und Amerikanische übersetzt. Von Biller sind außerdem erschienen: 'Die Tempojahre' (1991), Essays; 'Harlem Holocaust' (1998), Erzählungen; sowie 'Die Tochter'(2000), Roman
Rezensionen
"Ich habe seit den Nachkriegsromanen von Wolfgang Koeppen, seit Bölls früher Prosa, seit einigen Essays von Hannah Arendt, Adorno, Mitscherlich und Hans Magnus Enzensberger kaum etwas gelesen, das dem Blendzahn der Zeit so wahr und diesmal so witzig an den Nerv gegangen wäre ...Was für ein Buch!"(Peter von Becker in der "Süddeutschen Zeitung")
"Ich möchte mich zu dieser Art von Literatur lieber nicht äußern."(Marcel Reich-Ranicki in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung")
"Ein deutscher Philip Roth."(Michael Wise in der Jerusalem Post)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2002

Maxim Biller: Wenn ich einmal reich und tot bin
1990 - Auch Juden dürfen böse sein

Ein Mann, von Beruf Autor (er selbst hat sich den Spitznamen Brille gegeben), hat gerade einen Artikel im "Spiegel" veröffentlicht. Über eine in derselben Ausgabe erschienene Kolumne des Herausgebers Augstein ärgert er sich so sehr, daß er sich hinsetzt, einen Leserbrief zu schreiben. Jedoch: Weiter als bis zur Anrede kommt er nicht. So sehr er sich auch bemüht - das Thema der Augstein-Kolumne will ihm partout nicht mehr einfallen. Auch neuerliches Lesen nützt nichts: Sobald er mit dem Brief beginnen will, hat er schon wieder alles vergessen.

Mit dieser eigenwilligen Episode beginnt Maxim Biller eine seiner schönsten Erzählungen, "Brille, Lara und die Glocken von St. Ursula", eine von dreizehn Kurzgeschichten aus dem Buch "Wenn ich einmal reich und tot bin". Sie handeln von zornigen Söhnen und liebenden Müttern, von Essen, Sex, Schuld und der Suche nach einer Identität, und so unterschiedlich sie auch sind, sie alle haben eines gemein: Auf wunderbar unaufgeregte Weise erzählen sie von jüdischem Leben im Deutschland von heute.

Es sind ganz alltägliche Geschichten, in denen Biller das Besondere entdeckt. Ein junges Mädchen aus gutem Hause ist todkrank, unsterblich verliebt und tödlich genervt über einen Pickel an ihrem Po; eine Frau will für einen berühmten amerikanischen Schriftsteller kochen und sperrt sich am Tag der Einladung aus ihrer Wohnung aus: "Auf der Treppe saß sie mehr als eine Stunde, ohne zu weinen, zu klagen, zu jammern oder hysterisch zu lachen. Ihr Kopf füllte sich statt dessen mit heißem Dampf, sie hob ab, stieg über die Dächer, und von dort beobachtete sie die Stadt Hamburg und ihre winterschwarze Umgebung, den breiten Elbstrom und dahinter das Meer, sie sah nach Moskau und Leningrad, sie erblickte Stakanow-Monumente, rote Transparente, ihre Schule in der Kromsskaja, ihr Geburtshaus (. . .) Woher ich das so genau weiß? Anders kann es gar nicht gewesen sein."

Oder Brille, der von Amnesie befallene Leserbriefschreiber: Seine nichtjüdische Freundin überredet ihn eines christlichen Feiertags zu einem Kirchbesuch. Während des Gottesdienstes fällt ihm versehentlich eine Tüte zu Boden, und eine Flasche Milch geht krachend zu Bruch. Wieder zu Hause legt er sich auf der Stelle ins Bett und wird krank.

Im scheinbar Banalen sieht Biller das Außergewöhnliche - die großen Dramen des Lebens dagegen erzählt er ganz nebenbei. Ein eifersüchtig über seine Tochter wachender Vater zahlt deren Bräutigam eine Million Mark, damit der auf die Hochzeit verzichtet; ein unsympathischer Jude und ein komplexbeladener Deutscher lieben dieselbe Frau; ein Mann erfährt erst spät, daß er eine jüdische Mutter hat und kann ihr diesen Verrat lange nicht verzeihen - erst, als er im Schaufenster eines Buchladens eine Szene aus einem Holocaust-Film sieht, beginnt er, ihr Schweigen zu verstehen.

Egal, wie klein sie auch sein mögen, wie selbstgerecht, häßlich oder dreist - Biller bringt seinen Figuren Respekt und Wärme entgegen. Menschliches ist sein Thema, und das ist nunmal nicht immer schön, und manchmal riecht es auch schlecht, na und? So wirken seine Charaktere denn auch lebendiger als die so vieler anderer deutscher Schriftsteller. Jeder Figur glaubt man ihre Geschichte anzumerken, eine Biographie, eine Familie, die viele Generationen zurückreicht. Als hätte die Handlung vor dem Text-Anfang schon begonnen, als gäbe Biller nur Ausschnitte aus viel längeren Geschichten wieder. In einem Land, dessen Erzähl-Tradition durch den Nationalsozialismus jäh unterbrochen wurde, ist der Autor Maxim Biller damit einzigartig.

ador

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»Was für ein Buch!« Peter von Becker Süddeutsche Zeitung