Texte aus den Jahren 2001 und 2002, die durch ihre tagebuchartige Anordnung den Eindruck erwecken, man habe es mit einer Art Tagebuch zu tun.
Mit den klugen Worten zu dem, was dem 11. September folgte,
und den Erfolgstexten:
Es soll keiner dabei sein, den man nicht kennt
Kiesinger weiß kein Mensch was drüber
und:
Was man nicht sagt
ebenfalls dabei:
Die Passage mit den jungen Frauen, die Ende März aus einem Glas trinken und dabei zu Tausenden fotografiert werden, was jungen Männern nie passiert und die regional bedeutsame Miniatur:
Kölner und Düsseldorfer.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Mit den klugen Worten zu dem, was dem 11. September folgte,
und den Erfolgstexten:
Es soll keiner dabei sein, den man nicht kennt
Kiesinger weiß kein Mensch was drüber
und:
Was man nicht sagt
ebenfalls dabei:
Die Passage mit den jungen Frauen, die Ende März aus einem Glas trinken und dabei zu Tausenden fotografiert werden, was jungen Männern nie passiert und die regional bedeutsame Miniatur:
Kölner und Düsseldorfer.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Hier wünscht sich Walter van Rossum, ein "berühmter Kritiker zu sein, dessen bescheidenste Meinungsrülpserei sogleich eine allgemeine Buchhandlungsbelagerung herbeiführe", so wunderbar findet er dieses Buch, das "aus einem weiträumigen Umfahren aller Großdiskursbaustellen" besteht. Aber was sind nun die Kleindiskurse, die wir stattdessen bekommen? Weil das "Tagebuch-Buch" im September 2001 beginnt, ist es damit beschäftigt, so van Rossum, sich möglichst mit Nichtigkeiten zu befassen und nicht auch noch in das allgemeine Salbadern über die Weltgeschichte einzustimmen. "Eine Art selbstgebastelte firewall gegen die massenmediale Kodierung" rühmt Van Rossum. Aber noch einmal: aus welchen Elementen besteht dieser Feuerschutz? Irgendwie macht uns die Besprechung da nicht schlauer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2002Der Präsidentendichter
Max Goldt feiert sich in seinem neuen Buch selbst
"Fuck Renommee." Schreibt Max Goldt. Doch er meint nicht seins. Er meint das Renommee des "Deutschen Theaters" in Berlin. Das so renommiert sei, daß die Bühnenarbeiter es unter ihrer Würde fänden, anständig bühnenzuarbeiten. Max Goldt liest, und "der Sound ist schlecht, es scheppert und koppelt zurück", und von der Hitze der Beleuchtung droht der Dichter, einen Hitzschlag zu erleiden. Da liest er lieber in Aschaffenburg. Wo die Bühnenarbeiter noch nicht zu berühmt sind, um vorbildliche Bühnenarbeit abzuliefern. Für einen reibungslosen Auftritt des Dichters.
"Fuck Renommee." Könnte man auch über Max Goldt schreiben. Denn nach über zehn Jahren Lob von allen Seiten, nach seinen großen und immer größeren Erfolgen als Vorlesegroßunterhalter, als Sänger, als Titanic-Kolumnist, Kolumnen-im-Buch-meisterhaft-Zusammensteller, als angeblicher Großschriftsteller, den angebliche Großkritiker ungestraft mit Botho Strauß, Ernst Jünger und Robert Walser gleichsetzen durften, nach all diesen Jahren also hält sich Max Goldt selbst für einen Großschriftsteller, einen Klassiker, eine Art Präsident unter den Dichtern. So scheint es zumindest, wenn man sein neues Buch liest: Das Tagebuch-Buch "Wenn man einen weißen Anzug anhat".
Die prachtvolle Selbstvergoldung hatte sich schon angekündigt. In einem seiner wenigen Interviews, das er im letzten Jahr der "Berliner Zeitung" gegeben hatte, kündigte er dem alten Goldt die Freundschaft: Er wolle nunmehr davon Abstand nehmen, seine Kolumnen Kolumnen zu nennen, das sei doch eine "allzu bescheiden-irreführende Bezeichnung". Früher seien seine Texte oft unreflektiert und überformuliert gewesen. Jetzt seien sie, so berichteten ihm Freunde, "etwas intellektueller" geworden. Endlich, habe er sich doch "immer ohne wenn und aber der Hochkultur zugehörig gefühlt". Und so kam es für Goldt auch nicht überraschend, daß er einige Tage zuvor erstmals Besuch vom Marbacher Literaturarchiv bekam, das schon mal erste Teile des Dichternachlasses, "zwei Baumwollsäcke mit Raritäten", abholen ließ. Sehr zu Recht, fand Goldt, denn "so richtig total irrelevant bin ich ja auch wieder nicht".
Nein, ist er nicht. Ist aber schade, wenn er inzwischen selbst regelmäßig darauf hinweisen muß. Und im Buch ist es einfach lästig: "Max Goldt war schon zuvor als geachtete Schriftstellerpersönlichkeit in Erscheinung getreten", kann man da lesen. Daß zwischen dem Comicduo Katz und Goldt "ständig viele gute Sachen hin- und herfliegen", hatte man sich schon gedacht, muß aber von Herrn Goldt nicht auch noch mitgeteilt werden.
Auch ist es schön zu erfahren, daß nach dem Bankrott des Verlegers von "Katz und Goldt", der sich von dem finanziellen Ungemach rasch erholende Max Goldt "Katz nicht länger als unter Freunden ratsam im Harn liegen ließ" und ihm selbstlos freundschaftlich wieder auf die Beine half. Nett von Herrn Goldt. Aber nicht sehr interessant. Außerdem will man von einem solcherart selbstbegeisterten Dichter nicht unbedingt häßliche und zum Teil auf bloßen Vermutungen basierende, kleinkriegerische Abrechnungen mit seinem inzwischen ebenfalls pleite gegangenen Verleger Gerd Haffmans lesen, der, so das Gerücht, nur jedes zweite Buch mit seinen Autoren abrechnete und diese dann auch noch mit unflätigen "vermutlich alkoholisiert geschriebenen" Briefen bedachte.
Der einzige Grund, warum Goldt den Haffmans Verlag nicht verließ, so schreibt er, war, daß er "das Werk nicht auseinanderreißen" wollte. Das "Werk" nicht auseinanderreißen? Doch an dieser einen, sich vollends selbstmusealisierenden Stelle fällt sich der Dichter selbst in den Arm und erklärt: "Ja, ich finde inzwischen auch, daß das pathetisch klingt. Das Werk! Die paar Bücher." Doch trotz Selbstkritik läßt er die Stelle stehen.
Pathos, Kitsch und Bitterkeit. Der neue Goldt ist ein Präsidentendichter, der über das Lesungspublikum in Ost und West etwa zu berichten weiß, daß "die Menschen im großen und ganzen überall gleich" sind und es zwischen den Menschen in Ost und West "von Anfang an keinen Unterschied" gegeben habe. Nach den Ereignissen vom 11. September atmet er, Susan Sontag zitierend, erleichtert auf, man könne "froh sein, daß die meisten Menschen zu feige sind, so etwas zu tun".
Immerhin haben die Ereignisse des 11. September auch den schönsten Satz des Buches provoziert. Die Türme stürzten, und Goldt schrieb in sein Tagebuch: "Von der Lebensfreude war mir die Schaumkrone heruntergeblasen worden." Darauf folgte: die neue Ernsthaftigkeit des Dichters Goldt. Hat uns die Lesefreude heruntergeblasen. Auch nicht toll.
VOLKER WEIDERMANN
Max Goldt: Wenn man einen weißen Anzug anhat. Rowohlt Verlag. 159 Seiten. 16,90 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Max Goldt feiert sich in seinem neuen Buch selbst
"Fuck Renommee." Schreibt Max Goldt. Doch er meint nicht seins. Er meint das Renommee des "Deutschen Theaters" in Berlin. Das so renommiert sei, daß die Bühnenarbeiter es unter ihrer Würde fänden, anständig bühnenzuarbeiten. Max Goldt liest, und "der Sound ist schlecht, es scheppert und koppelt zurück", und von der Hitze der Beleuchtung droht der Dichter, einen Hitzschlag zu erleiden. Da liest er lieber in Aschaffenburg. Wo die Bühnenarbeiter noch nicht zu berühmt sind, um vorbildliche Bühnenarbeit abzuliefern. Für einen reibungslosen Auftritt des Dichters.
"Fuck Renommee." Könnte man auch über Max Goldt schreiben. Denn nach über zehn Jahren Lob von allen Seiten, nach seinen großen und immer größeren Erfolgen als Vorlesegroßunterhalter, als Sänger, als Titanic-Kolumnist, Kolumnen-im-Buch-meisterhaft-Zusammensteller, als angeblicher Großschriftsteller, den angebliche Großkritiker ungestraft mit Botho Strauß, Ernst Jünger und Robert Walser gleichsetzen durften, nach all diesen Jahren also hält sich Max Goldt selbst für einen Großschriftsteller, einen Klassiker, eine Art Präsident unter den Dichtern. So scheint es zumindest, wenn man sein neues Buch liest: Das Tagebuch-Buch "Wenn man einen weißen Anzug anhat".
Die prachtvolle Selbstvergoldung hatte sich schon angekündigt. In einem seiner wenigen Interviews, das er im letzten Jahr der "Berliner Zeitung" gegeben hatte, kündigte er dem alten Goldt die Freundschaft: Er wolle nunmehr davon Abstand nehmen, seine Kolumnen Kolumnen zu nennen, das sei doch eine "allzu bescheiden-irreführende Bezeichnung". Früher seien seine Texte oft unreflektiert und überformuliert gewesen. Jetzt seien sie, so berichteten ihm Freunde, "etwas intellektueller" geworden. Endlich, habe er sich doch "immer ohne wenn und aber der Hochkultur zugehörig gefühlt". Und so kam es für Goldt auch nicht überraschend, daß er einige Tage zuvor erstmals Besuch vom Marbacher Literaturarchiv bekam, das schon mal erste Teile des Dichternachlasses, "zwei Baumwollsäcke mit Raritäten", abholen ließ. Sehr zu Recht, fand Goldt, denn "so richtig total irrelevant bin ich ja auch wieder nicht".
Nein, ist er nicht. Ist aber schade, wenn er inzwischen selbst regelmäßig darauf hinweisen muß. Und im Buch ist es einfach lästig: "Max Goldt war schon zuvor als geachtete Schriftstellerpersönlichkeit in Erscheinung getreten", kann man da lesen. Daß zwischen dem Comicduo Katz und Goldt "ständig viele gute Sachen hin- und herfliegen", hatte man sich schon gedacht, muß aber von Herrn Goldt nicht auch noch mitgeteilt werden.
Auch ist es schön zu erfahren, daß nach dem Bankrott des Verlegers von "Katz und Goldt", der sich von dem finanziellen Ungemach rasch erholende Max Goldt "Katz nicht länger als unter Freunden ratsam im Harn liegen ließ" und ihm selbstlos freundschaftlich wieder auf die Beine half. Nett von Herrn Goldt. Aber nicht sehr interessant. Außerdem will man von einem solcherart selbstbegeisterten Dichter nicht unbedingt häßliche und zum Teil auf bloßen Vermutungen basierende, kleinkriegerische Abrechnungen mit seinem inzwischen ebenfalls pleite gegangenen Verleger Gerd Haffmans lesen, der, so das Gerücht, nur jedes zweite Buch mit seinen Autoren abrechnete und diese dann auch noch mit unflätigen "vermutlich alkoholisiert geschriebenen" Briefen bedachte.
Der einzige Grund, warum Goldt den Haffmans Verlag nicht verließ, so schreibt er, war, daß er "das Werk nicht auseinanderreißen" wollte. Das "Werk" nicht auseinanderreißen? Doch an dieser einen, sich vollends selbstmusealisierenden Stelle fällt sich der Dichter selbst in den Arm und erklärt: "Ja, ich finde inzwischen auch, daß das pathetisch klingt. Das Werk! Die paar Bücher." Doch trotz Selbstkritik läßt er die Stelle stehen.
Pathos, Kitsch und Bitterkeit. Der neue Goldt ist ein Präsidentendichter, der über das Lesungspublikum in Ost und West etwa zu berichten weiß, daß "die Menschen im großen und ganzen überall gleich" sind und es zwischen den Menschen in Ost und West "von Anfang an keinen Unterschied" gegeben habe. Nach den Ereignissen vom 11. September atmet er, Susan Sontag zitierend, erleichtert auf, man könne "froh sein, daß die meisten Menschen zu feige sind, so etwas zu tun".
Immerhin haben die Ereignisse des 11. September auch den schönsten Satz des Buches provoziert. Die Türme stürzten, und Goldt schrieb in sein Tagebuch: "Von der Lebensfreude war mir die Schaumkrone heruntergeblasen worden." Darauf folgte: die neue Ernsthaftigkeit des Dichters Goldt. Hat uns die Lesefreude heruntergeblasen. Auch nicht toll.
VOLKER WEIDERMANN
Max Goldt: Wenn man einen weißen Anzug anhat. Rowohlt Verlag. 159 Seiten. 16,90 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2002Nichts ist provinzieller als das betont Legere
Das aktuelle Benimmbuch: Heute erscheint Max Goldts „Wenn man einen weißen Anzug anhat”
Am Anfang bekommt Max Goldt in seiner alten Wohnung Besuch von seinem neuen Verleger, der ihm vorschlägt, etwas Tagebuchartiges zu schreiben. Irgendwo in der Mitte muss Goldt feststellen, dass mittlerweile seine beiden Nachbarwohnungen von einem Zuhälter angemietet worden sind (um „Räumlichkeiten für unsere Geschäftsfreunde” einzurichten, wie sich der joviale Hausnachbar mit den Pluderhosen ausdrückt). Gegen Ende schließlich ist Max Goldt umgezogen, die Elektriker installieren die Deckenlampen und ein nicht weiter zu eruierendes Geräusch vertreibt Goldt am frühen Morgen aus seinem Schlaf- in das Gästezimmer. Dazwischen wurde ein gutes halbes Jahr lang zwanglos Tagebuch geführt.
Füße weg vom Bühnenrand!
„Ich” war auch in den früheren Büchern Max Goldts das meistgebrauchte Personalpronomen, aber es ist nicht so, dass die Tagebuchform mit ihrem intimen Bekenntnischarakter nun noch verschwiegenere Ecken und geheimere Winkel des Goldtschen Ichs publik machte. Denn bei Goldt ist das scheinbar Persönliche immer auch das Allgemeine. Deswegen wirken alle seine Idiosynkrasien weder über die Maßen exzentrisch noch je indiskret. Er würde es sich vermutlich verbitten, als schrullig bezeichnet zu werden, obwohl die Emphase, mit der er seine Vorlieben und Abneigungen kultiviert und ausbuchstabiert, das Normalmaß unserer „depressiven Toleranz” durchaus überschreitet. Es mögen seine Ansichten noch so eigentümlich sein, sie sind doch stets so formuliert, dass der Leser sie ohne weiteres zur Regel eines allgemeinen Wohlverhaltens hochrechnen kann.
Der Witz der Texte Max Goldts ist so gesehen nichts anderes als die Kehrseite des Ernstes, mit dem Goldt darauf besteht, dass das, was Humorfreunde an seinen Schriften als skurril, schrullig oder schräg goutieren, im Gegenteil als kategorischer Imperativ des Taktvollen und Menschenfreundlichen zu verstehen sei. Max Goldt-Lektüre ist insofern ein Aneinandervorbeipredigen (vom Autor in Richtung Leser) und Aneinandervorbeilachen (vom Leser in Richtung Autor) – aber das ist nicht weiter schlimm. „Die Wörter ,skurril‘ und ,gewöhnungsbedürftig‘ geben beredt Auskunft über den engen kulturellen Horizont ihrer Verwender”, heißt es unter dem Datum vom 17.10.2001. Und nur weil die Formulierung nicht allein apodiktisch, sondern auch kulinarisch, voller Selbstgenuss an der eigenen Eleganz, daherkommt, sollte man aus ihr keineswegs ein implizites Augenzwinkern herauslesen. Der artistische Narzissmus Goldts ist keine Lizenz zum Sich-Gehen-Lassen. „Extrem provinziell ist es, wenn die Besucher aus der ersten Reihe ihre Füße auf den Bühnenrand legen, wie überhaupt alles betont Legere und Punkige.” Die exemplarische Goldt-Situation ist eine Lesung, in der sein hingebungsvolles Publikum sich für sein allzu unkontrolliertes und nuancenarmes Lachen vom Meister schelten lässt.
Das neue Buch, „Wenn man einen weißen Anzug anhat”, nennt sich im Untertitel ein „Tagebuch-Buch”. In Wahrheit aber ist es ein Benimmbuch, in dem Benimm und Erkenntnis sich gegenseitig steigern. Denn der Kosmos der Ge- und Verbote, den Goldt vor seinen Lesern ausbreitet, ist zwar pedantisch, aber auch klug, und verrät nie nur etwas über den Ordnungssinn des Verfassers, sondern vor allem viel über die gedanklichen und sprachlichen Fahrlässigkeiten der Welt, an deren Verbesserung Goldt arbeitet wie nur je ein Zivilisationsliterat im Dienste der Wünschbarkeiten. So streng manche seiner Formulierungen sind, Goldt ist kein Savonarola unveränderlicher Ideen. Das, was er „innerliches Listenführen” nennt, nämlich so eine Art aufgeklärte lebensstilistische Selbstzensur, die mit feinem Gespür für das allzu Gängige und Ausgetretene darüber wacht, was man sagen kann und was nicht – diese inneren Listen also sind durchaus wandelbar. Galt Goldt einst als Avantgarde der politischen Inkorrektheit, so vermerkt er in seinem neuen Buch still: „Betroffenheit (kursiv): Wurde in den achtziger Jahren überstrapaziert. Hat sich inzwischen erholt.”
Wie überhaupt emanzipatorisches Engagement, also das, was noch vor zehn Jahren als „müslimäßig” verbucht worden wäre, heute Goldts väterlichen Schutz genießt: „Kabarettisten und ihr Publikum erwecken schon seit zehn, fünfzehn Jahren den Eindruck, es gebe nichts Lächerlicheres als gesunde Ernährung, Friedens- und Umweltaktivitäten, Emanzipation benachteiligter Gruppen etc. Traditionell steht der Bereich Kabarett/ Satire in dem Ruf, im Auftrag der gesellschaftlichen Verbesserung unterwegs zu sein. Das entspricht längst nicht mehr dem tatsächlichen Bild. Kabarettisten und Comedians sind heute Handlanger des Backlash, Formulierungshelfer des Establishments („Gutmensch”). Ich würde zu diesem Thema aus dem Kabarettlager gerne mal etwas Selbstkritisches hören.”
Strenge und Wärme sind die Pole, zwischen denen sich Goldt in diesem Buch sehr charmant situiert. Der Liste mit Wörtern, die er selber nicht benutzen würde, etwa „Dampfplauderer”, „Berufsjugendlicher” oder „das ist ein echter Hingucker”, folgt er Satz: „Ich rede nicht so, aber wer’s mag .. .”. Bei der Liste derjenigen Begriffe aber, von denen Goldt findet, dass auch andere sie nicht benutzen sollten, lässt er es an Deutlichkeit nicht fehlen: „Pseudointellektuell: Dass es Kunstanstrengungen gibt, die nur vorgeben, auf intellektueller Anstrengung zu basieren, lässt sich schlecht bezweifeln. Das Wort ,pseudointellektuell‘ ist aber generell antiintellektuell gemeint, d.h., es wird von Leuten benutzt, die gar nicht in der Lage sind, zwischen einer echten und einer vermeintlichen intellektuellen Leistung zu unterscheiden. Intellektuellenfeindlichkeit aber ist (...) hierzulande und heutzutage eine Schwundstufe von Antisemitismus.”
Und doch, wie er am Ende dieses Tages notiert, würde er, Max Goldt, nicht aufhören, jemanden zu lieben, nur weil er eines der eben aufgezählten Wörter benutzt. Und fügt hinzu: „Hm, das war gut, dass ich den letzten Absatz hinzugefügt habe. Nach all dem Strengen wird der Leser wieder warm.”
Hände weg vom Bischofswein!
Am 15.10.2001 bekommt Max Goldt „Damenbesuch” von einer „umstrittenen Sozialpädagogin”. Wo Sozialpädagoginnen als Damenbesuch ausgerufen werden, kann es sich nur um Katharina Rutschky handeln. Tatsächlich plant diese ein Benimmbuch für Jugendliche und möchte sich in dieser Sache von Goldt beraten lassen. Keine schlechte Idee. Beide sind sich einig, dass die traditionellen Benimmbücher, wie sie die fünfziger Jahre hervorgebracht haben, und in denen dem Leser nahegelegt wird, „dass man beim Toilettengang die Spülung vorher (vorher kursiv) bedienen soll, um eventuelle Körpergeräusche zu übertönen”, lächerlich seien, weil nur darauf angelegt, dem sozialen Aufsteiger Peinlichkeiten in seinem anvisierten Zielmilieu zu ersparen. „Man steigt aber normalerweise nicht auf.” Und deshalb muss man auch nicht wissen, wie man Bischöfen mit dem Weinglas zuprostet. „Wichtiger wäre es, Regeln darüber zu verbreiten, wie man sich ohne karrieristische Hintergedanken gegenüber den Menschen des eigenen Milieus verhält. Wie man jemanden etwas fragt, ohne ihn auszufragen, wie man kritisiert, ohne zu schmähen.”
Zu den Mustern der Max Goldt-Rezeption gehörte es, in seinem Namen das ,Gute-Literatur‘-Establishment abzustrafen, indem man diesem vorwarf, für die irgendwie schrägen Goldt-Qualitäten blind gewesen zu sein. Seit sich dieser Vorwurf – Jahre ist es her – nicht mehr aufrecht erhalten lässt, lässt man nun umgekehrt Goldt das Wohlwollen büßen, das ihm das hochkulturelle Feuilleton entgegen bringt. Als habe ein einst allen bürgerlichen Kunstansprüchen inkommensurabler schräger Vogel seine subkulturell-anarchistischen Wurzeln verraten und domestiziert, als sei aus dem Onkel Max, dem Titanic-Kolumnisten, ein pedantischer Anstandsonkel geworden, der mit ausdrücklicher Zustimmung des konservativen Establishments darüber wacht, was sich ziemt und was nicht.
Finger weg vom feinen Teppich!
Wenn Goldt mit „Wenn man einen weißen Anzug anhat” ein Benimmbuch geschrieben hat, dann eines, das zwar nicht übermäßig liberal, aber dafür umso zarter daher kommt. Überhaupt ist Goldts Ideal das Zarte, nicht irgendeine unbedingte Wahrheit. So erfreut er sich an der Formulierung „,tired and emotional‘ – ein schöner, verhüllender Ausdruck für betrunken”. Es ist diese Zartheit, Indirektheit und menschenfreundliche Verspieltheit, um die es Goldt geht. Die aber ist ohne Haltung und Anstrengung nicht zu haben. Der weiße Anzug ist in diesem Sinne eine ganzheitliche Lebensform. Am 31.1.2002 besucht ein Freund Max Goldt. Es soll Rotwein getrunken werden. Der Freund bemerkt den feinen Teppich unter dem Tisch und sagt, einen solchen Teppich finde er unangenehm, weil er einen ständig zur Selbstbeherrschung zwinge. Goldt antwortet mit der Apotheose des weißen Anzugs. Wenn man einen weißen Anzug trage, bewege man sich anders und bekleckere sich weniger: „Am besten, man hat einen weißen Teppich und trägt einen weißen Anzug, je edler, desto besser. Dann passiert wahrscheinlich gar nichts mehr.” Und anmutig sieht es dazu auch noch aus.
IJOMA MANGOLD
MAX GOLDT: Wenn man einen weißen Anzug anhat. Ein Tagebuch-Buch. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. 208 Seiten, 16,90 Euro.
Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch das lesen muss: Max Goldt mit offenem Kragen und ohne Schlips während der Vorstellung seines Buchs „Der Karpfen auf dem Sims” bei der 5. Erfurter Herbstlese am 6. November 2001.
Foto: DDP
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Das aktuelle Benimmbuch: Heute erscheint Max Goldts „Wenn man einen weißen Anzug anhat”
Am Anfang bekommt Max Goldt in seiner alten Wohnung Besuch von seinem neuen Verleger, der ihm vorschlägt, etwas Tagebuchartiges zu schreiben. Irgendwo in der Mitte muss Goldt feststellen, dass mittlerweile seine beiden Nachbarwohnungen von einem Zuhälter angemietet worden sind (um „Räumlichkeiten für unsere Geschäftsfreunde” einzurichten, wie sich der joviale Hausnachbar mit den Pluderhosen ausdrückt). Gegen Ende schließlich ist Max Goldt umgezogen, die Elektriker installieren die Deckenlampen und ein nicht weiter zu eruierendes Geräusch vertreibt Goldt am frühen Morgen aus seinem Schlaf- in das Gästezimmer. Dazwischen wurde ein gutes halbes Jahr lang zwanglos Tagebuch geführt.
Füße weg vom Bühnenrand!
„Ich” war auch in den früheren Büchern Max Goldts das meistgebrauchte Personalpronomen, aber es ist nicht so, dass die Tagebuchform mit ihrem intimen Bekenntnischarakter nun noch verschwiegenere Ecken und geheimere Winkel des Goldtschen Ichs publik machte. Denn bei Goldt ist das scheinbar Persönliche immer auch das Allgemeine. Deswegen wirken alle seine Idiosynkrasien weder über die Maßen exzentrisch noch je indiskret. Er würde es sich vermutlich verbitten, als schrullig bezeichnet zu werden, obwohl die Emphase, mit der er seine Vorlieben und Abneigungen kultiviert und ausbuchstabiert, das Normalmaß unserer „depressiven Toleranz” durchaus überschreitet. Es mögen seine Ansichten noch so eigentümlich sein, sie sind doch stets so formuliert, dass der Leser sie ohne weiteres zur Regel eines allgemeinen Wohlverhaltens hochrechnen kann.
Der Witz der Texte Max Goldts ist so gesehen nichts anderes als die Kehrseite des Ernstes, mit dem Goldt darauf besteht, dass das, was Humorfreunde an seinen Schriften als skurril, schrullig oder schräg goutieren, im Gegenteil als kategorischer Imperativ des Taktvollen und Menschenfreundlichen zu verstehen sei. Max Goldt-Lektüre ist insofern ein Aneinandervorbeipredigen (vom Autor in Richtung Leser) und Aneinandervorbeilachen (vom Leser in Richtung Autor) – aber das ist nicht weiter schlimm. „Die Wörter ,skurril‘ und ,gewöhnungsbedürftig‘ geben beredt Auskunft über den engen kulturellen Horizont ihrer Verwender”, heißt es unter dem Datum vom 17.10.2001. Und nur weil die Formulierung nicht allein apodiktisch, sondern auch kulinarisch, voller Selbstgenuss an der eigenen Eleganz, daherkommt, sollte man aus ihr keineswegs ein implizites Augenzwinkern herauslesen. Der artistische Narzissmus Goldts ist keine Lizenz zum Sich-Gehen-Lassen. „Extrem provinziell ist es, wenn die Besucher aus der ersten Reihe ihre Füße auf den Bühnenrand legen, wie überhaupt alles betont Legere und Punkige.” Die exemplarische Goldt-Situation ist eine Lesung, in der sein hingebungsvolles Publikum sich für sein allzu unkontrolliertes und nuancenarmes Lachen vom Meister schelten lässt.
Das neue Buch, „Wenn man einen weißen Anzug anhat”, nennt sich im Untertitel ein „Tagebuch-Buch”. In Wahrheit aber ist es ein Benimmbuch, in dem Benimm und Erkenntnis sich gegenseitig steigern. Denn der Kosmos der Ge- und Verbote, den Goldt vor seinen Lesern ausbreitet, ist zwar pedantisch, aber auch klug, und verrät nie nur etwas über den Ordnungssinn des Verfassers, sondern vor allem viel über die gedanklichen und sprachlichen Fahrlässigkeiten der Welt, an deren Verbesserung Goldt arbeitet wie nur je ein Zivilisationsliterat im Dienste der Wünschbarkeiten. So streng manche seiner Formulierungen sind, Goldt ist kein Savonarola unveränderlicher Ideen. Das, was er „innerliches Listenführen” nennt, nämlich so eine Art aufgeklärte lebensstilistische Selbstzensur, die mit feinem Gespür für das allzu Gängige und Ausgetretene darüber wacht, was man sagen kann und was nicht – diese inneren Listen also sind durchaus wandelbar. Galt Goldt einst als Avantgarde der politischen Inkorrektheit, so vermerkt er in seinem neuen Buch still: „Betroffenheit (kursiv): Wurde in den achtziger Jahren überstrapaziert. Hat sich inzwischen erholt.”
Wie überhaupt emanzipatorisches Engagement, also das, was noch vor zehn Jahren als „müslimäßig” verbucht worden wäre, heute Goldts väterlichen Schutz genießt: „Kabarettisten und ihr Publikum erwecken schon seit zehn, fünfzehn Jahren den Eindruck, es gebe nichts Lächerlicheres als gesunde Ernährung, Friedens- und Umweltaktivitäten, Emanzipation benachteiligter Gruppen etc. Traditionell steht der Bereich Kabarett/ Satire in dem Ruf, im Auftrag der gesellschaftlichen Verbesserung unterwegs zu sein. Das entspricht längst nicht mehr dem tatsächlichen Bild. Kabarettisten und Comedians sind heute Handlanger des Backlash, Formulierungshelfer des Establishments („Gutmensch”). Ich würde zu diesem Thema aus dem Kabarettlager gerne mal etwas Selbstkritisches hören.”
Strenge und Wärme sind die Pole, zwischen denen sich Goldt in diesem Buch sehr charmant situiert. Der Liste mit Wörtern, die er selber nicht benutzen würde, etwa „Dampfplauderer”, „Berufsjugendlicher” oder „das ist ein echter Hingucker”, folgt er Satz: „Ich rede nicht so, aber wer’s mag .. .”. Bei der Liste derjenigen Begriffe aber, von denen Goldt findet, dass auch andere sie nicht benutzen sollten, lässt er es an Deutlichkeit nicht fehlen: „Pseudointellektuell: Dass es Kunstanstrengungen gibt, die nur vorgeben, auf intellektueller Anstrengung zu basieren, lässt sich schlecht bezweifeln. Das Wort ,pseudointellektuell‘ ist aber generell antiintellektuell gemeint, d.h., es wird von Leuten benutzt, die gar nicht in der Lage sind, zwischen einer echten und einer vermeintlichen intellektuellen Leistung zu unterscheiden. Intellektuellenfeindlichkeit aber ist (...) hierzulande und heutzutage eine Schwundstufe von Antisemitismus.”
Und doch, wie er am Ende dieses Tages notiert, würde er, Max Goldt, nicht aufhören, jemanden zu lieben, nur weil er eines der eben aufgezählten Wörter benutzt. Und fügt hinzu: „Hm, das war gut, dass ich den letzten Absatz hinzugefügt habe. Nach all dem Strengen wird der Leser wieder warm.”
Hände weg vom Bischofswein!
Am 15.10.2001 bekommt Max Goldt „Damenbesuch” von einer „umstrittenen Sozialpädagogin”. Wo Sozialpädagoginnen als Damenbesuch ausgerufen werden, kann es sich nur um Katharina Rutschky handeln. Tatsächlich plant diese ein Benimmbuch für Jugendliche und möchte sich in dieser Sache von Goldt beraten lassen. Keine schlechte Idee. Beide sind sich einig, dass die traditionellen Benimmbücher, wie sie die fünfziger Jahre hervorgebracht haben, und in denen dem Leser nahegelegt wird, „dass man beim Toilettengang die Spülung vorher (vorher kursiv) bedienen soll, um eventuelle Körpergeräusche zu übertönen”, lächerlich seien, weil nur darauf angelegt, dem sozialen Aufsteiger Peinlichkeiten in seinem anvisierten Zielmilieu zu ersparen. „Man steigt aber normalerweise nicht auf.” Und deshalb muss man auch nicht wissen, wie man Bischöfen mit dem Weinglas zuprostet. „Wichtiger wäre es, Regeln darüber zu verbreiten, wie man sich ohne karrieristische Hintergedanken gegenüber den Menschen des eigenen Milieus verhält. Wie man jemanden etwas fragt, ohne ihn auszufragen, wie man kritisiert, ohne zu schmähen.”
Zu den Mustern der Max Goldt-Rezeption gehörte es, in seinem Namen das ,Gute-Literatur‘-Establishment abzustrafen, indem man diesem vorwarf, für die irgendwie schrägen Goldt-Qualitäten blind gewesen zu sein. Seit sich dieser Vorwurf – Jahre ist es her – nicht mehr aufrecht erhalten lässt, lässt man nun umgekehrt Goldt das Wohlwollen büßen, das ihm das hochkulturelle Feuilleton entgegen bringt. Als habe ein einst allen bürgerlichen Kunstansprüchen inkommensurabler schräger Vogel seine subkulturell-anarchistischen Wurzeln verraten und domestiziert, als sei aus dem Onkel Max, dem Titanic-Kolumnisten, ein pedantischer Anstandsonkel geworden, der mit ausdrücklicher Zustimmung des konservativen Establishments darüber wacht, was sich ziemt und was nicht.
Finger weg vom feinen Teppich!
Wenn Goldt mit „Wenn man einen weißen Anzug anhat” ein Benimmbuch geschrieben hat, dann eines, das zwar nicht übermäßig liberal, aber dafür umso zarter daher kommt. Überhaupt ist Goldts Ideal das Zarte, nicht irgendeine unbedingte Wahrheit. So erfreut er sich an der Formulierung „,tired and emotional‘ – ein schöner, verhüllender Ausdruck für betrunken”. Es ist diese Zartheit, Indirektheit und menschenfreundliche Verspieltheit, um die es Goldt geht. Die aber ist ohne Haltung und Anstrengung nicht zu haben. Der weiße Anzug ist in diesem Sinne eine ganzheitliche Lebensform. Am 31.1.2002 besucht ein Freund Max Goldt. Es soll Rotwein getrunken werden. Der Freund bemerkt den feinen Teppich unter dem Tisch und sagt, einen solchen Teppich finde er unangenehm, weil er einen ständig zur Selbstbeherrschung zwinge. Goldt antwortet mit der Apotheose des weißen Anzugs. Wenn man einen weißen Anzug trage, bewege man sich anders und bekleckere sich weniger: „Am besten, man hat einen weißen Teppich und trägt einen weißen Anzug, je edler, desto besser. Dann passiert wahrscheinlich gar nichts mehr.” Und anmutig sieht es dazu auch noch aus.
IJOMA MANGOLD
MAX GOLDT: Wenn man einen weißen Anzug anhat. Ein Tagebuch-Buch. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. 208 Seiten, 16,90 Euro.
Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch das lesen muss: Max Goldt mit offenem Kragen und ohne Schlips während der Vorstellung seines Buchs „Der Karpfen auf dem Sims” bei der 5. Erfurter Herbstlese am 6. November 2001.
Foto: DDP
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