Eines Nachts wird der Gentechnologe Dr. Kurt Wenzel zu einer Notsitzung gerufen. Um die von Umweltverschmutzung zerstörten Wälder Norwegens wieder aufzuforsten, hatte man säureresistente Bäume entwickelt, die als Symbiosepartner einen Pilz benötigen - dieser von Dr. Wenzel kreierte Pliz wird jedoch plötzlich überdimensional groß... Seit 1.1.1997 sind genmanipulierte Lebensmittel in Deutschland zugelassen!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1997Alle bohren in Wenzel
Bernhard Kegel warnt vor gentechnischen Monstern und Mutationen
Dem Gentechnologen Dr. Kurt Wenzel geht es schlecht. Er ist beruflich nur mäßig erfolgreich, tolpatschig, schüchtern, schreckhaft, unattraktiv, verbittert und der Tücke seines Vorgesetzten ausgeliefert. Wenzels Schöpfung, ein gentechnisch veränderter, freigesetzter Pilz, entwickelt sich durch unvorhergesehenes Riesenwachstum zum Umweltproblem; und Wenzels Schöpfer, der Schriftsteller Bernhard Kegel, quält seine Kreatur mit einer Politik der Nadelstiche. "Die Schneeflocken stachen wie winzige Nadeln in sein Gesicht, und seine Augen tränten." Ein paar Seiten später wird erneut zugestochen: "Mit glühenden Nadeln bohrten sich diese Worte in Wenzels Gehörgang, und er krümmte sich wie unter Schmerzen."
In Wenzel gebohrt wird sowohl mit Worten als auch mit Blicken. So kommt es, daß er schrumpft, weil sich die bohrenden Blicke auf ihn richten, "den kleinen Molekularbiologen, der unter den bohrenden Blicken zusammenzuschrumpfen schien". Auch Frau Uhlich, seine Kollegin, ist bohrenden Blicken ausgesetzt: "Die bohrenden Blicke der anderen erwiderte sie mit einem freundlichen Lächeln." Darin hat sie Übung: "Uhlich hielt den bohrenden Blicken ihres Gegenübers stand", heißt es auf S. 107. Dann tritt eine Bohrpause ein, die erst auf Seite 134 abrupt ihr Ende findet: "Wieder dieser bohrende Blick." Anschließend geht es "mit bohrenden Fragen nach Sinn und Unsinn" weiter. Unterdessen hat Wenzels Versuch, "die Gemüter, so gut es ging, zu beruhigen", ausnahmsweise einen glücklichen Verlauf genommen, denn es "beruhigten sich die Gemüter schnell", wie der Erzähler versichert. Im Nachwort des Autors haben sich dann allerdings noch einmal "die Gemüter erhitzt". Aus seinem harten Ringkampf mit der Sprache ist er als Sieger hervorgegangen: "Ohne aufzublicken, begannen seine Hände auf der Tischplatte nach den Zigaretten zu suchen." Immerhin kann Bernhard Kegel, dessen Wortschatz gering ist, nicht nachgesagt werden, daß er überhaupt nicht gebohrt habe.
Der undankbaren Aufgabe, einen Roman zu lektorieren, in welchem Hände es vermeiden aufzublicken, während ein geflügeltes Wort umstandslos "zum roten Tuch" wird, scheint sich niemand unterzogen zu haben; sonst wäre wohl wenigstens der Hinweis auf die Liebe einer Romanfigur zu dem Schauspieler "James Stuart" unterdrückt worden. Einsam, von allen guten Geistern und Lektoren verlassen, stolpert der Held in einer unwirtlichen, von Stilblüten im Freilandversuch verunstalteten Gegend von Satz zu Satz. Kegels Wenzel ergeht es hier wie dem bedauernswerten, von Woody Allen erdachten Professor Kugelmass, der durch Zauberei in jedes Werk der Weltliteratur gelangen und sich unter das Romanpersonal mischen kann. Nachdem Professor Kugelmass es zunächst mit "Madame Bovary" probiert hat, möchte er, übermütig geworden, in "Portnoys Beschwerden" hinein, wobei es jedoch zu einer folgenschweren Verwechslung kommt: "Er war nämlich nicht in ,Portnoys Beschwerden' gelandet oder überhaupt in einem Roman. Er befand sich in einem alten Lehrbuch, ,Spanisch für alle Fälle', und rannte in einem öden, felsigen Gelände um sein Leben, während das Wort ,tener' (,besitzen') - ein großes, haariges unregelmäßiges Verb - auf seinen spindeldürren Beinen ihm nachsetzte." Kurt Wenzel hat das vergleichbar schlimme Pech, sich in einem Roman von Bernhard Kegel zu befinden.
Vor vier Jahren ist "Wenzels Pilz" zum ersten Mal erschienen; jetzt hat Kegel eine überarbeitete Fassung des Romans vorgelegt, der irgendwann im kommenden Jahrtausend spielt und als Science-fiction-Thriller gleichermaßen fesseln und aufrütteln soll: Vor genetisch manipulierten Pflanzen und den skrupellosen Ingenieuren "der blühenden biotechnischen Industrie" wird gewarnt. Skeptisch blickt der Autor in die Zukunft und denkt sich die "spektakulären Überschriften" der Boulevardpresse von übermorgen aus. Subjekt, Prädikat, Objekt: "Haushoher Fliegenschwarm verbreitete Angst und Schrecken!" Und: "Riesiges Fliegenschwarmmonster versetzt ganze Stadt in Panik" - unwahrscheinlich, daß kommende Katastrophen derart altfränkisch behäbige Schlagzeilen machen werden, die schon heute hoffnungslos von gestern sind. "Ein Buch, das Aussagen über die Zukunft macht, muß sich an ebendieser messen lassen", heißt es im Nachwort. Wo er nicht gerade von grauenhaften Mutationen oder von "Hochleistungsalgen" aus dem futuristischen Genlabor handelt, sondern vom Alltag, wirkt der Roman bereits an der Gegenwart gemessen überholt. In Bernhard Kegels blühender Phantasie können auch im nächsten Jahrtausend noch "Telefonhörer auf die Gabel" geknallt werden. Es muß sich um eine Parallelwelt handeln, in der man vom Telefongabelsterben noch nichts läuten gehört hat.
Mit seiner umständlich und unbeholfen erzählten Geschichte hat Bernhard Kegel auch den Kritikern der Gentechnologie, mit denen er es gut meint, keinen Gefallen getan. Wer Langeweile verbreitet, erwirbt sich keine Sympathie. Der technische Fortschritt birgt Gefahren und wird außer Kontrolle geraten, wenn seine Geschwindigkeit weiterhin zunimmt (auch wenn dabei nicht einmal die Telefone geringfügig modernisiert werden) - das ist die Botschaft. Die Zukunft wird Übles bringen. Wehe! Nur ein einziges Mal blitzt etwas auf, das verlockend utopisch wirkt. "Stört es Sie, wenn ich das Radio anmache?" fragt ein Taxifahrer. So etwas kann sich nur in der besten aller möglichen Welten zutragen. GERHARD HENSCHEL
Bernhard Kegel: "Wenzels Pilz". Roman. Ammann Verlag, Zürich 1997. 368 S., geb., 42,- DM.
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Bernhard Kegel warnt vor gentechnischen Monstern und Mutationen
Dem Gentechnologen Dr. Kurt Wenzel geht es schlecht. Er ist beruflich nur mäßig erfolgreich, tolpatschig, schüchtern, schreckhaft, unattraktiv, verbittert und der Tücke seines Vorgesetzten ausgeliefert. Wenzels Schöpfung, ein gentechnisch veränderter, freigesetzter Pilz, entwickelt sich durch unvorhergesehenes Riesenwachstum zum Umweltproblem; und Wenzels Schöpfer, der Schriftsteller Bernhard Kegel, quält seine Kreatur mit einer Politik der Nadelstiche. "Die Schneeflocken stachen wie winzige Nadeln in sein Gesicht, und seine Augen tränten." Ein paar Seiten später wird erneut zugestochen: "Mit glühenden Nadeln bohrten sich diese Worte in Wenzels Gehörgang, und er krümmte sich wie unter Schmerzen."
In Wenzel gebohrt wird sowohl mit Worten als auch mit Blicken. So kommt es, daß er schrumpft, weil sich die bohrenden Blicke auf ihn richten, "den kleinen Molekularbiologen, der unter den bohrenden Blicken zusammenzuschrumpfen schien". Auch Frau Uhlich, seine Kollegin, ist bohrenden Blicken ausgesetzt: "Die bohrenden Blicke der anderen erwiderte sie mit einem freundlichen Lächeln." Darin hat sie Übung: "Uhlich hielt den bohrenden Blicken ihres Gegenübers stand", heißt es auf S. 107. Dann tritt eine Bohrpause ein, die erst auf Seite 134 abrupt ihr Ende findet: "Wieder dieser bohrende Blick." Anschließend geht es "mit bohrenden Fragen nach Sinn und Unsinn" weiter. Unterdessen hat Wenzels Versuch, "die Gemüter, so gut es ging, zu beruhigen", ausnahmsweise einen glücklichen Verlauf genommen, denn es "beruhigten sich die Gemüter schnell", wie der Erzähler versichert. Im Nachwort des Autors haben sich dann allerdings noch einmal "die Gemüter erhitzt". Aus seinem harten Ringkampf mit der Sprache ist er als Sieger hervorgegangen: "Ohne aufzublicken, begannen seine Hände auf der Tischplatte nach den Zigaretten zu suchen." Immerhin kann Bernhard Kegel, dessen Wortschatz gering ist, nicht nachgesagt werden, daß er überhaupt nicht gebohrt habe.
Der undankbaren Aufgabe, einen Roman zu lektorieren, in welchem Hände es vermeiden aufzublicken, während ein geflügeltes Wort umstandslos "zum roten Tuch" wird, scheint sich niemand unterzogen zu haben; sonst wäre wohl wenigstens der Hinweis auf die Liebe einer Romanfigur zu dem Schauspieler "James Stuart" unterdrückt worden. Einsam, von allen guten Geistern und Lektoren verlassen, stolpert der Held in einer unwirtlichen, von Stilblüten im Freilandversuch verunstalteten Gegend von Satz zu Satz. Kegels Wenzel ergeht es hier wie dem bedauernswerten, von Woody Allen erdachten Professor Kugelmass, der durch Zauberei in jedes Werk der Weltliteratur gelangen und sich unter das Romanpersonal mischen kann. Nachdem Professor Kugelmass es zunächst mit "Madame Bovary" probiert hat, möchte er, übermütig geworden, in "Portnoys Beschwerden" hinein, wobei es jedoch zu einer folgenschweren Verwechslung kommt: "Er war nämlich nicht in ,Portnoys Beschwerden' gelandet oder überhaupt in einem Roman. Er befand sich in einem alten Lehrbuch, ,Spanisch für alle Fälle', und rannte in einem öden, felsigen Gelände um sein Leben, während das Wort ,tener' (,besitzen') - ein großes, haariges unregelmäßiges Verb - auf seinen spindeldürren Beinen ihm nachsetzte." Kurt Wenzel hat das vergleichbar schlimme Pech, sich in einem Roman von Bernhard Kegel zu befinden.
Vor vier Jahren ist "Wenzels Pilz" zum ersten Mal erschienen; jetzt hat Kegel eine überarbeitete Fassung des Romans vorgelegt, der irgendwann im kommenden Jahrtausend spielt und als Science-fiction-Thriller gleichermaßen fesseln und aufrütteln soll: Vor genetisch manipulierten Pflanzen und den skrupellosen Ingenieuren "der blühenden biotechnischen Industrie" wird gewarnt. Skeptisch blickt der Autor in die Zukunft und denkt sich die "spektakulären Überschriften" der Boulevardpresse von übermorgen aus. Subjekt, Prädikat, Objekt: "Haushoher Fliegenschwarm verbreitete Angst und Schrecken!" Und: "Riesiges Fliegenschwarmmonster versetzt ganze Stadt in Panik" - unwahrscheinlich, daß kommende Katastrophen derart altfränkisch behäbige Schlagzeilen machen werden, die schon heute hoffnungslos von gestern sind. "Ein Buch, das Aussagen über die Zukunft macht, muß sich an ebendieser messen lassen", heißt es im Nachwort. Wo er nicht gerade von grauenhaften Mutationen oder von "Hochleistungsalgen" aus dem futuristischen Genlabor handelt, sondern vom Alltag, wirkt der Roman bereits an der Gegenwart gemessen überholt. In Bernhard Kegels blühender Phantasie können auch im nächsten Jahrtausend noch "Telefonhörer auf die Gabel" geknallt werden. Es muß sich um eine Parallelwelt handeln, in der man vom Telefongabelsterben noch nichts läuten gehört hat.
Mit seiner umständlich und unbeholfen erzählten Geschichte hat Bernhard Kegel auch den Kritikern der Gentechnologie, mit denen er es gut meint, keinen Gefallen getan. Wer Langeweile verbreitet, erwirbt sich keine Sympathie. Der technische Fortschritt birgt Gefahren und wird außer Kontrolle geraten, wenn seine Geschwindigkeit weiterhin zunimmt (auch wenn dabei nicht einmal die Telefone geringfügig modernisiert werden) - das ist die Botschaft. Die Zukunft wird Übles bringen. Wehe! Nur ein einziges Mal blitzt etwas auf, das verlockend utopisch wirkt. "Stört es Sie, wenn ich das Radio anmache?" fragt ein Taxifahrer. So etwas kann sich nur in der besten aller möglichen Welten zutragen. GERHARD HENSCHEL
Bernhard Kegel: "Wenzels Pilz". Roman. Ammann Verlag, Zürich 1997. 368 S., geb., 42,- DM.
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