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Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Wien von einem Bauboom erfasst, der neben der Ost-Öffnung vor allem dem EU-Beitritt Österreichs sowie der fortschreitenden Globalisierung geschuldet ist; die Stadtväter sprechen von einer "zweiten Gründerzeit ". Wie die Planungspolitik der Stadt Wien auf die neue Situation reagierte und welche politischen und wirtschaftlichen Motive dabei im Spiel sind, seziert Reinhard Seiß in diesem Buch. Unter redlichem Beistand von Planungs-und Archivmaterial bringt er ans Tageslicht, warum der Millennium Tower mehr als 60 Meter höher geworden ist als ursprünglich…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Wien von einem Bauboom erfasst, der neben der Ost-Öffnung vor allem dem EU-Beitritt Österreichs sowie der fortschreitenden Globalisierung geschuldet ist; die Stadtväter sprechen von einer "zweiten Gründerzeit ".
Wie die Planungspolitik der Stadt Wien auf die neue Situation
reagierte und welche politischen und wirtschaftlichen Motive dabei im Spiel sind, seziert Reinhard Seiß in diesem Buch. Unter redlichem Beistand von Planungs-und Archivmaterial bringt er ans Tageslicht, warum der Millennium Tower mehr als 60 Meter höher geworden ist als ursprünglich genehmigt, wie am Wienerberg ein Hochhausviertel ohne entsprechenden öffentlichen Verkehrsanschluss entstehen konnte oder auch, wer der Nutznießer von einem Wohnviertel ist, das sich über der meistbefahrenen Autobahn Österreichs be ndet. Der komplexe Planungskrimi mündet in die alles entscheidende Frage "Wer baut Wien?" und zeichnet zugleich ein Sittenbild der politischen und demokratischen Kultur, das nicht nur auf die Donaumetropole zutrifft.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.03.2008

Der Fallwind tobt durch die Spargelstadt
Reinhard Seiß führt sachkundig vor, wie das Vorhaben, modern zu bauen, in Wien in der planerischen und ästhetischen Katastrophe endet
Die Festplatte ist die Wesensgröße der elektronisierten Welt. In Wien steht „die Platte” noch intensiver dafür, wie viele ihr zugewiesene nützliche Zeichen und gute Gedanken sich auf dem Weg in die Wirklichkeit verflüchtigen. Die fragliche, sehr feste Platte trug einmal viele kluge Absichten und Konzepte in der Stadtentwicklung. Jetzt lastet auf ihr deren Scheitern an den Interessen von Investoren und der wurstigen Planlosigkeit der politischen Struktur. Die Platte ist aus Beton, überspannt die überdimensionierte Autobahn am transdanubischen Ufer und misst viele Hektar. Sie sollte einst Basis einer mit Budapest zusammen geplanten Wiener Weltausstellung sein, wurde steinernes Monument einer an Spießigkeit gescheiterten konkreten Mitteleuropa-Idee und Feld für urbanistischen Wildwuchs.
Zuständige Magistratsabteilung und kluge Köpfe haben ein urbanistisches Konzept für diesen einst wüsten Wiener Raum jenseits des großen Stroms entwickelt, mit gewitzt zugeordneten Ebenen, mit Konfigurationen, die ein wirkliches, ein von Arbeit, Amüsement und Wohnen durchwirktes Leben ermöglicht hätten. Jetzt aber ist alles zu eng, zu hoch, zu steinern, ein Feld der Trostlosigkeit und Ödnis. In Glas, Stahl und Beton verstellt die wirre, von durchaus weltberühmten Architektenbüros verzeichnete Silhouette auch noch die skulpturale Uno-City aus den sechziger Jahren, die – allerdings stets ungeliebt – einst als markantes Zeichen Wiens nordöstlichen Horizont beschrieb.
„Wer baut Wien?” fragt da ergrimmt Reinhard Seiß. Die Platte ist eines der exemplarischen Desaster, die in seinem Buch selben Namens die bemerkenswerte Diskrepanz zwischen angemessener Großräumigkeit der Vorhaben und entgleisender Ausführung zeigen. Seiß durchforstet die Geflechte an Einflussnahmen, benennt die Verbiegungen, die in Wien vordergründige Profitinteressen sowie Gefälligkeiten und Ahnungslosigkeit politischer Art an den oft konzept- und zukunftssicheren Planungen anrichten. Mit Details, mit profunden Daten polemisiert Seiß. „Er meidet bewusst die Grauzonen harmonisierender Objektivität”, schreibt Friedrich Achleitner über Seiß im Vorwort des Bandes. „Wer baut, hat recht”, lautet eines von Achleitners Wahrworten, des wortmächtigen Doyens der österreichischen Architekturkritik. Seiß führt dies am Falle Wiens vor. Und dass es oft eine kurzfristig orientierte, renommeesüchtige und liebedienerische Politik ist, die das Planen schlichtweg dem Bauen unterwirft. Wenig Ruhm für die Planungsstadträte der letzten Zeit, unter ihnen auch für Hannes Swoboda, der sich als Vorsitzender der Berliner Schlosskommission wenig hervorgetan hat.
Eine Stadt wie Wien mit ihrer Wucht und Wohlgestalt, schön, stolz und nach grauen Jahrzehnten ängstlichen Beharrens unversehens bunt und neu aufschießend, hat kein eigenes Raumordnungsgesetz. Das ist wohl einmalig für einen Stadtstaat von eineinhalb Millionen Seelen. Einmalig auch für ein Gemeinwesen, das noch hat, wonach sich andere zurücksehnen: integre Stadtquartiere mit ideal durchmischter Lebensstruktur. Diese wirklich zu stärken, zu bewahren, fortzuentwickeln mag niemand recht als wahren Wert erkennen. Reinhard Seiß geißelt den stattdessen grassierenden Höhenwahn, der Wien wie andere Städte wie Schüttelfrost erfasst hat, so sehr, dass man damit sogar beinahe den Rang der City als Weltkulturerbe riskiert hätte. Im Süden der Stadt zum Beispiel haben – wieder renommierte – Architektenbüros eine hochaufstürmende Spargelstadt gepflanzt, imposant von weitem, viel zu eng im Innern, ohne freien Blick und mit tobenden Fallwinden in den Schluchten.
Und warum nur hat man die vier berühmten Gasometer in Simmering um ihres Erhaltes Willen unbedingt zu Wohnbauten machen müssen? Grandioser Murks, der auch durch eine quer implantierte, immer kränkelnde Einkaufsmeile nichts an Urbanität und nichts an Mittelpunktqualität gewinnt.
Der Autor Seiß ist Strukturensucher. Er lamentiert nicht, er sucht zu belegen, schließt auf unsaubere Zusammenhänge, schließt scharfe Urteile an. Manchmal mutet seine Polemik fast zurückhaltend an, wenn es etwa darum geht, dass ein Hochhaus gleich 60 Meter höher wird als erlaubt, ein Einkaufszentrum das Zweieinhalbfache an Fläche misst als genehmigt, dass das scheußlichste und lauteste Stück Autobahn Österreichs mit Wohnbauten überwölbt wird. Warum werden übergeordnete Konzepte, der Stadtentwicklungsplan, das Hochhauskonzept, das Klimaschutzprogramm zu Makulatur, wenn sie von den Fachabteilungen in den politischen Raum eintreten? In Seiß’ brisantem Band „Wer baut Wien?” ist das zu studieren. Eine Lektüre, bei der sich auch die Bürger so manch anderer Großstadt auf unbehagliche Weise zu Hause fühlen dürften. MICHAEL FRANK
REINHARD SEISS: Wer baut Wien? Verlag Anton Pustet, Salzburg 2007, 215 Seiten, 22 Euro.
Armes Wien: Blick auf die „Uno City”. Foto: imago/Schöning
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Höchst instruktiv scheint Paul Jandl dieses Buch über den anhaltenden Bauboom in Wien, das der österreichische Raumplaner und Architekturpublizist Reinhard Seiß vorgelegt hat. Bei der Lektüre von "Wer baut Wien" hat er gelernt, wer bei der baulichen Modernisierung der Stadt wirklich das Sagen hat: ein umtriebiges Konglomerat aus Bauträgern und Großarchitekten. Deutlich wird für Jandl auch: die Planung erfolgt erst im Nachhinein. Er attestiert dem Autor, an rund einem Dutzend Beispielen seit den achtziger Jahren die Entwicklung der Stadt vor Augen zu führen und den Widerstreit zwischen städtischen Utopien und partikularen Interessen zu veranschaulichen. Er würdigt die minuziöse Arbeitsweise von Seiß, seine überzeugende Dokumentation von Fakten, die beinahe "kriminalistische" Rekonstruktion der Umsetzung fragwürdiger Bauvorhaben. Sein Fazit: ein "provokantes Buch", "klug und höchst fundiert."

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