Seit Jahrzehnten beginnt Roger Schawinski seine Talksendungen mit der Frage aller Fragen: "Wer sind Sie?" Nun hat er den
Blickwinkel gewechselt und fragt sich selbst: "Wer bin ich?" und gibt dabei sehr persönliche Einblicke in sein berufliches und privates Leben. Der Gründer des ersten privaten Radios und Fernsehens der Schweiz begegnete zahlreichen der heute etablierten Medienschaffenden schon zu Beginn ihrer Laufbahn und weiß brisante Anekdoten über sie zu erzählen. Zudem führt ihn sein Weg nach Hollywood, als Sat.1-Chef nach Berlin und sogar in den Dunstkreis der Mafia.
Roger Schawinski schreibt aber auch zum ersten Mal über seine jüdische Herkunft, seine Familie, seine Jahre als Student und Reiseleiter, seine drei Ehen und seine größten Schicksalsschläge. Und er verrät, womit er seine Medienunternehmen zum Erfolg brachte, wie er mit Geld umgeht und welcher Lebensstil im offiziellen Rentenalter für ihn denkbar ist.
Blickwinkel gewechselt und fragt sich selbst: "Wer bin ich?" und gibt dabei sehr persönliche Einblicke in sein berufliches und privates Leben. Der Gründer des ersten privaten Radios und Fernsehens der Schweiz begegnete zahlreichen der heute etablierten Medienschaffenden schon zu Beginn ihrer Laufbahn und weiß brisante Anekdoten über sie zu erzählen. Zudem führt ihn sein Weg nach Hollywood, als Sat.1-Chef nach Berlin und sogar in den Dunstkreis der Mafia.
Roger Schawinski schreibt aber auch zum ersten Mal über seine jüdische Herkunft, seine Familie, seine Jahre als Student und Reiseleiter, seine drei Ehen und seine größten Schicksalsschläge. Und er verrät, womit er seine Medienunternehmen zum Erfolg brachte, wie er mit Geld umgeht und welcher Lebensstil im offiziellen Rentenalter für ihn denkbar ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2014Kanzler Schröder lästerte über Berlusconis Größe
Roger Schawinski war ein Sender-Pirat, dann ging er zu Sat.1. Von ihm erfährt man viel - über die Medienbranche und die Schweiz
"Armut und Antisemitismus" hatten seine Großeltern aus Polen vertrieben. Gerade noch rechtzeitig kamen sie in die Schweiz, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, bevor die Grenzen wieder geschlossen wurden. Seiner Familie widmet Roger Schawinski die ersten Seiten seiner Autobiographie. Als "geliebtes Kind" durfte er sich fühlen, die Liebe der Eltern wurde zur "Basis" seines Selbstvertrauens, das ja nicht gerade gering ist. Das Kapitel schließt mit dem Tod der Mutter, "die Tränen kamen mir hoch, und sie tun es wieder, während ich dies niederschreibe".
Es beginnt mit "Ich" und der legendären Demonstration 1980 in Zürich, als Tausende Jugendliche den Gründer des Piratensenders Radio 24 mit "Roger, Roger"-Rufen hochleben ließen. Das war der Grundstein seines Erfolgs als Medienunternehmer in der Schweiz. Aber damals etwas ganz anderes: die Kulturrevolution und Medienrebellion eines Besessenen, der auf einem 3000-Meter-Gipfel in Italien den schwersten UKW-Sender Europas installierte und das staatliche Rundfunkmonopol unterlief. Schawinskis abenteuerlicher Kampf gegen die Behörden zweier Länder, der ihn zum Helden der Jugend und zum Feindbild des Establishments machte, ist der zweite rote Faden seiner Autobiographie, die er angesichts seines anstehenden siebzigsten Geburtstags geschrieben hat. Die wundersame Rettung des Senders in Italien mündet in einen Schlenker zu Mord und Mafia: "In welche Gesellschaft war ich da geraten?"
Mit 22 kam Roger Schawinski erstmals nach Amerika. Er hatte einen Essay-Wettbewerb des Lions Clubs gewonnen, zunächst auf nationaler, dann europäischer Ebene. Bei der Preisverkündung wähnte er sich eine "Zehntelsekunde" als Sieger. Aber die "ausgelobten 25 000 Dollar" gewann ein anderer "Roger" (Russell, aus Kanada). Fünf Jahrzehnte später bemüht sich Schawinski noch immer um eine Erklärung für seine Niederlage, die sich der weise Vater zu Hause heimlich erhofft hatte: Schawinski empfahl in seinem Aufsatz den Vereinigten Staaten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu China, "aber das konnte weder den konservativen Lions-Leuten gefallen noch Dean Rusk", dem anwesenden Staatssekretär. "Nur wenige Jahre später waren es dann Henry Kissinger und Richard Nixon", welche gewissermaßen Roger Schawinskis kühne geopolitische Vision umsetzten.
Nach Amerika kam Roger Schawinski nur, weil der Sechs-Tage-Krieg so schnell beendet worden war. Nach seinem Ausbruch war der Student, der seine Ausbildung zum Panzersoldaten bei der Schweizer Armee hinter sich hatte, nach Paris gereist. Von dort sollte es nach Israel gehen. Schawinski war entschlossen, seine militärischen Fähigkeiten für Israel einzusetzen. Alle Brücken hatte er abgebrochen, von den Eltern in der Überzeugung Abschied genommen, dass er nie zurückkehren würde. "Statt der Vernichtung Israels stand einer der größten militärischen Siege der Neuzeit bevor", allerdings ohne Schawinskis Beteiligung, der mit dreißig Freiwilligen am Stadtrand von Paris wartete und etwas kleinlaut und gleichwohl erleichtert den Zug zurück nach Zürich nahm. Der Beziehung zu Israel, wo er später sechs Monate in einem Kibbuz lebte und aus dem nächsten Krieg für das Schweizer Fernsehen berichtete, ist das zweite Kapitel vorbehalten. Es enthält eindrückliche Abschnitte über seine Jugend in ärmlichen Verhältnissen in einem Arbeiterviertel.
Roger Schawinski war bei den Hippies in San Francisco und bei der Rückkehr des Diktators Peron in Argentinien. Für den Putsch gegen Allende hatte er beim Schweizer Fernsehen, wo man ihm eine erste Chance gab, im Voraus einen Reiseantrag gestellt, der aber abgelehnt worden war. Er musste in Zürich bleiben - und feierte dank Pinochet seine Premiere auf dem Bildschirm. Bekannt wurde er mit seinem Magazin "Kassensturz". Dann wechselte er als Chefredakteur zur Tageszeitung "Die Tat", die er in ein Boulevardblatt umwandeln musste - und wurde hochkant entlassen. Er war 33 Jahre alt. Seinen Piratensender gründete er, weil er in der Presse damals keinen Job fand.
Schawinski redet besser, als er schreibt, seine Autobiographie schrieb er so schnell, wie er spricht. Sie ist stilistisch nicht so ausgefeilt, wie es dem Stoff angemessen wäre. Etwas hilflos wirkt die Beschreibung seiner Gefühle, störend ist der Superlativ in eigener Sache. Doch man müsste dieses Buch auch lesen, wenn es nicht von Roger Schawinski handelte. Denn es erschließt die sieben Jahrzehnte seit dem Krieg, den er im Lande der Verschonten im Gegensatz zur Bevölkerung nie aus seinem politischen Bewusstsein verbannt hat. Sein Patriotismus ist nicht jener der Schweizer Volkspartei. "Nie zuvor gab es so vorteilhafte Bedingungen wie für meine Generation", schreibt er und meint nicht den Wohlstand, sondern die Schulen, die Reisemöglichkeiten und die Meinungsfreiheit. In seine Dankbarkeit schließt er Europa ein, dessen Vereinigung er als "erfolgreichstes Friedensprojekt der Geschichte" empfindet.
Schließlich führte ihn seine Karriere nach Deutschland - als Geschäftsführer von Sat.1. Allerdings nach einem Fehlstart. Die erste Berufung wurde 48 Stunden vor Amtsantritt per SMS gestoppt und von der Presse hämisch kommentiert. Es klappte erst später, als Haim Saban Pro Sieben Sat.1 kaufte. Ob er sich den Job aus "Geld oder Liebe" antun wolle, wurde er vom neuen Besitzer gefragt. Noch heute ärgert sich Schawinski über seine "naive" Antwort. Ohne zu gestehen, dass sie vielleicht nicht ganz ehrlich war. Als Saban Sat.1 nach drei Jahren "mit über zwei Milliarden Euro Gewinn verkaufte, ging ich, wie fast alle anderen 3000 Mitarbeiter, leer aus".
Schawinski war beim Verkauf seiner eigenen Sender großzügiger. Für sein Fernsehen hatte er sogar die Bundesligarechte erworben - Spiele wie Dortmund gegen Bayern kommentierte er selbst. Als er Leo Kirch besuchte, erwies sich dieser als sehr viel weniger blind als angenommen. Für den Niedergang seines Imperiums machte Kirch Schawinski gegenüber Mathias Döpfner verantwortlich. Der habe bei Springer die Aktionen ausgelöst, die Kirch in finanzielle Schieflage brachten: "Aber ich bin ihm deswegen nicht böse."
Im Gegensatz zu Kirch erweist sich Schawinski in seiner Autobiographie als rechthaberisch, manchmal gar rachsüchtig. Genüsslich zitiert er die kulturpessimistischen Kommentare zu seinem Radiosender. Unter seinem Niveau ist die Abrechnung mit dem Medienpolitiker, der sein Radio 24 bekämpfte und über dessen Verschwinden in der Anonymität des Ruhestandes - nach einer Dienstwagenaffäre - er sich freut. Witziger sind die Episoden seiner Dauerfehde mit Frank A. Meyer. Verziehen hat er Harald Schmidt, der sich auf seine Kosten bei Sat.1 einen grandiosen Abgang leistete. Es war für Schawinski ein Albtraum zum Amtsantritt. "Als ob Schiller und Goethe gleichzeitig gestorben seien", habe das deutsche Feuilleton das Ende der Harald-Schmidt-Show betrauert. Auch vom Taxifahrer wurde er erkannt: "Die haben Sie aber nicht gern bei diesem Sender." In seiner Bilanz räumt Roger Schawinski ein, die Mode der Kochshows verkannt zu haben. Anke Engelke als Schmidt-Ersatz blieb erfolglos. Dafür stärkte Schawinski, wie er meint, die "News-Kompetenz" des Senders. Er schwärmt von schönen Frauen - Schauspielerinnen auf Rollensuche - und mächtigen Politikern, denen er begegnete. Kanzler Schröder - mit Zigarre - empfing ihn um 11 Uhr morgens und lästerte über die "mickrige Körpergröße" von Berlusconi, der als Nächster auf der Besucherliste stand: "Dies empfand ich als unangenehm. Erstens bestand zwischen ihm und mir kein Vertrauensverhältnis, und zweitens ist Schröder nur wenige Zentimeter größer."
Roger Schawinskis Vater Abraham lebte nach dem Vorsatz, dass sich Juden am besten leise geben. "Die Angst vor der Konfrontation mit dem Antisemitismus bestimmte beinahe jede Handlung", schreibt der Sohn: "Ich wählte bewusst einen anderen Weg." Er ging ihn ohne Konzessionen. Seine Hellhörigkeit macht seine Wahrnehmung des schweizerischen Alltags auch in kleinen Details zu einem einzigartigen Dokument. Noch zwei Jahrzehnte nach der Schoa wurde in der Armee das Krankenzimmer "KZ" genannt und Hackfleisch aus der Dose als "gschtampfte Jud" bezeichnet. Es waren wohl die einzigen Momente in seinem Leben, da es Roger Schawinski die Sprache verschlug.
Es gibt im prallen Leben von Roger Schawinski eine Tragik, die er nicht ausblendet. Wenn sie ihn stilistisch überfordert, behilft er sich mit Kitsch. Im Rentenalter ist der Vater einer halbwüchsigen Tochter und Rebell gegen das Monopol zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen seiner Anfänge zurückgekehrt. In der hundertsten Ausgabe seiner Talkshow waren die Rollen vertauscht: Schawinski wurde interviewt. Als Überraschungsgast bat die Redaktion seine Frau in die Sendung. Auch sie konnte nicht ausreden. Dafür gibt ihr der Gatte, nachdem er am Schluss seiner Autobiographie Weggefährten schreiben lässt, dort das letzte Wort.
JÜRG ALTWEGG.
Roger Schawinski: Wer bin ich? Autobiographie. Verlag Kein & Aber, Zürich und Berlin 2014. 418 S., geb., 23,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roger Schawinski war ein Sender-Pirat, dann ging er zu Sat.1. Von ihm erfährt man viel - über die Medienbranche und die Schweiz
"Armut und Antisemitismus" hatten seine Großeltern aus Polen vertrieben. Gerade noch rechtzeitig kamen sie in die Schweiz, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, bevor die Grenzen wieder geschlossen wurden. Seiner Familie widmet Roger Schawinski die ersten Seiten seiner Autobiographie. Als "geliebtes Kind" durfte er sich fühlen, die Liebe der Eltern wurde zur "Basis" seines Selbstvertrauens, das ja nicht gerade gering ist. Das Kapitel schließt mit dem Tod der Mutter, "die Tränen kamen mir hoch, und sie tun es wieder, während ich dies niederschreibe".
Es beginnt mit "Ich" und der legendären Demonstration 1980 in Zürich, als Tausende Jugendliche den Gründer des Piratensenders Radio 24 mit "Roger, Roger"-Rufen hochleben ließen. Das war der Grundstein seines Erfolgs als Medienunternehmer in der Schweiz. Aber damals etwas ganz anderes: die Kulturrevolution und Medienrebellion eines Besessenen, der auf einem 3000-Meter-Gipfel in Italien den schwersten UKW-Sender Europas installierte und das staatliche Rundfunkmonopol unterlief. Schawinskis abenteuerlicher Kampf gegen die Behörden zweier Länder, der ihn zum Helden der Jugend und zum Feindbild des Establishments machte, ist der zweite rote Faden seiner Autobiographie, die er angesichts seines anstehenden siebzigsten Geburtstags geschrieben hat. Die wundersame Rettung des Senders in Italien mündet in einen Schlenker zu Mord und Mafia: "In welche Gesellschaft war ich da geraten?"
Mit 22 kam Roger Schawinski erstmals nach Amerika. Er hatte einen Essay-Wettbewerb des Lions Clubs gewonnen, zunächst auf nationaler, dann europäischer Ebene. Bei der Preisverkündung wähnte er sich eine "Zehntelsekunde" als Sieger. Aber die "ausgelobten 25 000 Dollar" gewann ein anderer "Roger" (Russell, aus Kanada). Fünf Jahrzehnte später bemüht sich Schawinski noch immer um eine Erklärung für seine Niederlage, die sich der weise Vater zu Hause heimlich erhofft hatte: Schawinski empfahl in seinem Aufsatz den Vereinigten Staaten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu China, "aber das konnte weder den konservativen Lions-Leuten gefallen noch Dean Rusk", dem anwesenden Staatssekretär. "Nur wenige Jahre später waren es dann Henry Kissinger und Richard Nixon", welche gewissermaßen Roger Schawinskis kühne geopolitische Vision umsetzten.
Nach Amerika kam Roger Schawinski nur, weil der Sechs-Tage-Krieg so schnell beendet worden war. Nach seinem Ausbruch war der Student, der seine Ausbildung zum Panzersoldaten bei der Schweizer Armee hinter sich hatte, nach Paris gereist. Von dort sollte es nach Israel gehen. Schawinski war entschlossen, seine militärischen Fähigkeiten für Israel einzusetzen. Alle Brücken hatte er abgebrochen, von den Eltern in der Überzeugung Abschied genommen, dass er nie zurückkehren würde. "Statt der Vernichtung Israels stand einer der größten militärischen Siege der Neuzeit bevor", allerdings ohne Schawinskis Beteiligung, der mit dreißig Freiwilligen am Stadtrand von Paris wartete und etwas kleinlaut und gleichwohl erleichtert den Zug zurück nach Zürich nahm. Der Beziehung zu Israel, wo er später sechs Monate in einem Kibbuz lebte und aus dem nächsten Krieg für das Schweizer Fernsehen berichtete, ist das zweite Kapitel vorbehalten. Es enthält eindrückliche Abschnitte über seine Jugend in ärmlichen Verhältnissen in einem Arbeiterviertel.
Roger Schawinski war bei den Hippies in San Francisco und bei der Rückkehr des Diktators Peron in Argentinien. Für den Putsch gegen Allende hatte er beim Schweizer Fernsehen, wo man ihm eine erste Chance gab, im Voraus einen Reiseantrag gestellt, der aber abgelehnt worden war. Er musste in Zürich bleiben - und feierte dank Pinochet seine Premiere auf dem Bildschirm. Bekannt wurde er mit seinem Magazin "Kassensturz". Dann wechselte er als Chefredakteur zur Tageszeitung "Die Tat", die er in ein Boulevardblatt umwandeln musste - und wurde hochkant entlassen. Er war 33 Jahre alt. Seinen Piratensender gründete er, weil er in der Presse damals keinen Job fand.
Schawinski redet besser, als er schreibt, seine Autobiographie schrieb er so schnell, wie er spricht. Sie ist stilistisch nicht so ausgefeilt, wie es dem Stoff angemessen wäre. Etwas hilflos wirkt die Beschreibung seiner Gefühle, störend ist der Superlativ in eigener Sache. Doch man müsste dieses Buch auch lesen, wenn es nicht von Roger Schawinski handelte. Denn es erschließt die sieben Jahrzehnte seit dem Krieg, den er im Lande der Verschonten im Gegensatz zur Bevölkerung nie aus seinem politischen Bewusstsein verbannt hat. Sein Patriotismus ist nicht jener der Schweizer Volkspartei. "Nie zuvor gab es so vorteilhafte Bedingungen wie für meine Generation", schreibt er und meint nicht den Wohlstand, sondern die Schulen, die Reisemöglichkeiten und die Meinungsfreiheit. In seine Dankbarkeit schließt er Europa ein, dessen Vereinigung er als "erfolgreichstes Friedensprojekt der Geschichte" empfindet.
Schließlich führte ihn seine Karriere nach Deutschland - als Geschäftsführer von Sat.1. Allerdings nach einem Fehlstart. Die erste Berufung wurde 48 Stunden vor Amtsantritt per SMS gestoppt und von der Presse hämisch kommentiert. Es klappte erst später, als Haim Saban Pro Sieben Sat.1 kaufte. Ob er sich den Job aus "Geld oder Liebe" antun wolle, wurde er vom neuen Besitzer gefragt. Noch heute ärgert sich Schawinski über seine "naive" Antwort. Ohne zu gestehen, dass sie vielleicht nicht ganz ehrlich war. Als Saban Sat.1 nach drei Jahren "mit über zwei Milliarden Euro Gewinn verkaufte, ging ich, wie fast alle anderen 3000 Mitarbeiter, leer aus".
Schawinski war beim Verkauf seiner eigenen Sender großzügiger. Für sein Fernsehen hatte er sogar die Bundesligarechte erworben - Spiele wie Dortmund gegen Bayern kommentierte er selbst. Als er Leo Kirch besuchte, erwies sich dieser als sehr viel weniger blind als angenommen. Für den Niedergang seines Imperiums machte Kirch Schawinski gegenüber Mathias Döpfner verantwortlich. Der habe bei Springer die Aktionen ausgelöst, die Kirch in finanzielle Schieflage brachten: "Aber ich bin ihm deswegen nicht böse."
Im Gegensatz zu Kirch erweist sich Schawinski in seiner Autobiographie als rechthaberisch, manchmal gar rachsüchtig. Genüsslich zitiert er die kulturpessimistischen Kommentare zu seinem Radiosender. Unter seinem Niveau ist die Abrechnung mit dem Medienpolitiker, der sein Radio 24 bekämpfte und über dessen Verschwinden in der Anonymität des Ruhestandes - nach einer Dienstwagenaffäre - er sich freut. Witziger sind die Episoden seiner Dauerfehde mit Frank A. Meyer. Verziehen hat er Harald Schmidt, der sich auf seine Kosten bei Sat.1 einen grandiosen Abgang leistete. Es war für Schawinski ein Albtraum zum Amtsantritt. "Als ob Schiller und Goethe gleichzeitig gestorben seien", habe das deutsche Feuilleton das Ende der Harald-Schmidt-Show betrauert. Auch vom Taxifahrer wurde er erkannt: "Die haben Sie aber nicht gern bei diesem Sender." In seiner Bilanz räumt Roger Schawinski ein, die Mode der Kochshows verkannt zu haben. Anke Engelke als Schmidt-Ersatz blieb erfolglos. Dafür stärkte Schawinski, wie er meint, die "News-Kompetenz" des Senders. Er schwärmt von schönen Frauen - Schauspielerinnen auf Rollensuche - und mächtigen Politikern, denen er begegnete. Kanzler Schröder - mit Zigarre - empfing ihn um 11 Uhr morgens und lästerte über die "mickrige Körpergröße" von Berlusconi, der als Nächster auf der Besucherliste stand: "Dies empfand ich als unangenehm. Erstens bestand zwischen ihm und mir kein Vertrauensverhältnis, und zweitens ist Schröder nur wenige Zentimeter größer."
Roger Schawinskis Vater Abraham lebte nach dem Vorsatz, dass sich Juden am besten leise geben. "Die Angst vor der Konfrontation mit dem Antisemitismus bestimmte beinahe jede Handlung", schreibt der Sohn: "Ich wählte bewusst einen anderen Weg." Er ging ihn ohne Konzessionen. Seine Hellhörigkeit macht seine Wahrnehmung des schweizerischen Alltags auch in kleinen Details zu einem einzigartigen Dokument. Noch zwei Jahrzehnte nach der Schoa wurde in der Armee das Krankenzimmer "KZ" genannt und Hackfleisch aus der Dose als "gschtampfte Jud" bezeichnet. Es waren wohl die einzigen Momente in seinem Leben, da es Roger Schawinski die Sprache verschlug.
Es gibt im prallen Leben von Roger Schawinski eine Tragik, die er nicht ausblendet. Wenn sie ihn stilistisch überfordert, behilft er sich mit Kitsch. Im Rentenalter ist der Vater einer halbwüchsigen Tochter und Rebell gegen das Monopol zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen seiner Anfänge zurückgekehrt. In der hundertsten Ausgabe seiner Talkshow waren die Rollen vertauscht: Schawinski wurde interviewt. Als Überraschungsgast bat die Redaktion seine Frau in die Sendung. Auch sie konnte nicht ausreden. Dafür gibt ihr der Gatte, nachdem er am Schluss seiner Autobiographie Weggefährten schreiben lässt, dort das letzte Wort.
JÜRG ALTWEGG.
Roger Schawinski: Wer bin ich? Autobiographie. Verlag Kein & Aber, Zürich und Berlin 2014. 418 S., geb., 23,90 [Euro].
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