25,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 3-5 Tagen
  • Broschiertes Buch

Aus der Arbeit am Klingspor Museum zu Leben und Werk des Offenbacher Künstlers "Rudolf Koch in Offenbach am Main. 1926" - so steht, für sich allein, auf der letzten Seite seines Bandes "Die vier Evangelien", was selbstverständlicher nicht ausgedrückt sein könnte: die Verbindung des Schriftkünstlers mit seinem Heimatort in den Jahren 1906 bis zu seinem Tod 1934. Diese Selbstverständlichkeit von damals scheint heute verloren. Viele Menschen wissen nicht mehr um den für die Schrift- und Buchkunst prägenden Mann, den Schöpfer zahlloser exquisiter handgeschriebener Blätter und Bücher, den Gestalter…mehr

Produktbeschreibung
Aus der Arbeit am Klingspor Museum zu Leben und Werk des Offenbacher Künstlers "Rudolf Koch in Offenbach am Main. 1926" - so steht, für sich allein, auf der letzten Seite seines Bandes "Die vier Evangelien", was selbstverständlicher nicht ausgedrückt sein könnte: die Verbindung des Schriftkünstlers mit seinem Heimatort in den Jahren 1906 bis zu seinem Tod 1934. Diese Selbstverständlichkeit von damals scheint heute verloren. Viele Menschen wissen nicht mehr um den für die Schrift- und Buchkunst prägenden Mann, den Schöpfer zahlloser exquisiter handgeschriebener Blätter und Bücher, den Gestalter von über 20 Druckschriften der Schriftgießerei Gebrüder Klingspor und den gefeierten Lehrer an den Technischen Lehranstalten (heute Hochschule für Gestaltung). Das Bild, auch das kritische, das sich von einem enorm produktiven Künstler in der von Umbrüchen gezeichneten Geschichte zwischen den Weltkriegen entwickelt hat, ist heute blasser geworden. Dieses Buch möchte einige Impulse geben, esaufzuhellen. In einer Form und Optik, die dem Kernanliegen Rudolf Kochs nachspürt: Menschen auch heute für die Brisanz und Schönheit von Schrift und Buch zu gewinnen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2021

Eigenwillig und vielseitig

Mit einer neuen Publikation erinnert das Klingspor-Museum Offenbach an den Schriftkünstler Rudolf Koch und blickt zudem nach vorn.

Von Christian Riethmüller

Die Frage nach Rudolf Koch sollte sich in Offenbach eigentlich erübrigen. Schließlich gehört der Schriftkünstler zu den großen Persönlichkeiten der Stadt, in der nicht zuletzt ein Gymnasium nach ihm benannt ist. Und doch ist der Titel der jüngsten Publikation des Klingspor-Museums Offenbach nicht willkürlich gewählt und auch nicht rhetorisch gemeint. "Wer, bitte, ist Rudolf Koch?" fragt der Materialienband, mit dem das Museum und sein Leiter Stefan Soltek das breitgefächerte Schaffen Kochs beleuchten und es auch vor dem allmählichen Vergessen bewahren möchten.

Diese Sorge ist nicht ganz unbegründet, den obwohl einige von Kochs Entwürfen für Schriftarten bis heute als wegweisend gelten und im Fall der 1927 entstandenen "Kabel" in Variationen noch immer Anwendung finden und gedruckt werden, ist über ihren Schöpfer vergleichsweise wenig geschrieben und gedruckt worden. Tatsächlich galt bis zur Veröffentlichung des neuen Materialienbands zu Rudolf Koch eine englischsprachige Publikation als Standardwerk. Das Buch "Rudolf Koch; Letterer, Type Designer, Teacher", im Jahr 2000 von dem Amerikaner Gerald Cinamon, dem langjährigen Chef-Designer des bekannten Buchverlags Penguin Books, vorgelegt, wurde allerdings nie ins Deutsche übersetzt. "Wer, bitte, ist Rudolf Koch?" ist somit der erste Band in deutscher Sprache über den Schriftkünstler, dessen Nachlass zu den Schätzen im Archiv des Klingspor-Museums gehört.

Diesen Schatz zu bergen und ihn zu erforschen,ist eines der Anliegen, die Museumsleiter Stefan Soltek mit der Veröffentlichung des Materialienbands im Sinn hatte: "Es ist der Versuch, diesen vielseitigen, eigenwilligen Künstler in den Blick und ins Zentrum der Forschung zu stellen." Dabei ist Koch biographisch kein Unbekannter. Am 20. November 1876 in Nürnberg als Sohn eines Bildhauers geboren, war Koch als Jugendlicher erstmals ins Hessische gekommen. 1892 hatte er in einer Hanauer Metallwarenfabrik eine Lehre als Ziseleur begonnen, diese aber abgebrochen. Während der Lehrzeit besuchte er gleichzeitig die Zeichenakademie in Hanau. Seine künstlerischen Studien setzte er an der Kunstgewerbeschule in Nürnberg fort, bevor er über München, Leipzig und London schließlich in Offenbach und im Druckgewerbe landete, das zu seiner Berufung wurde. 1906 wurde er Mitarbeiter der aufstrebenden Rudhardschen Gießerei, die kurz darauf unter dem Namen Gebr. Klingspor firmierte und schon bald zu den bedeutendsten deutschen Schriftenherstellern gehörte, nicht zuletzt auch, weil sie ihre Schriften von Künstlern wie Peter Behrens, Otto Eckmann, Walter Tiemann und eben Rudolf Koch entwerfen ließ.

Koch war dabei wohl nicht der Begründer der bald bei Druckereien in aller Welt gefragten Schriftkunst aus Offenbach, doch hatte er wesentlichen Anteil an deren Ausbau, nicht zuletzt durch seine von absoluter Hingabe befeuerte Könnerschaft. Koch liebte das Schreiben mit der Hand, war sich aber auch stets der für die Gießerei unabdingbaren Akkuratesse der typographischen Arbeit bewusst. Also brachte er es in beiden Disziplinen zur Meisterschaft, ohne dabei aber Intuition und künstlerischen Gestus der handwerklichen Perfektion dranzugeben.

Verschiedene Schriftproben und Holzschnitte Kochs aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts lassen unwillkürlich an expressionistische Ausdrucksweisen denken, wenngleich nirgendwo dokumentiert ist, dass Koch im Austausch mit expressionistischen Künstlern gewesen wäre oder diese ihn beeinflusst hätten. Vermutlich teilte Koch mit vielen seiner künstlerischen Zeitgenossen eher das Interesse an den Meistern des Mittelalters, die ihnen Quelle und Inspiration zugleich waren. Kochs damaliger Stil, die oft wuchtige Schwärze auf den Blättern, auf denen er mit gebrochenen Schriften wie Gotik und Fraktur arbeitete, können auf den heutigen Betrachter aber auch verstörend wirken. Nimmt dieser Stil nicht Ausdrucksweisen vorweg, die später im Nationalsozialismus Anwendung fanden? Und stand Koch in seinem späten Lebensjahren nicht sogar den Nazis nah?

Diese Aspekte spart die Materialiensammlung nicht aus, überlässt das Urteil aber dem Leser, der sich anhand verschiedener Quellen und Abhandlungen zu Koch kritisch mit dessen Person und Werk auseinandersetzen kann und so vermutlich vor allem ein Kind seiner Zeit entdecken wird: Einerseits dachte der am 9. April 1934 verstorbene Koch geradewegs verblendet deutschnational und trotz eigener erschütternder Kriegserfahrungen militaristisch, und er hegte auch für Hitlers Ansichten Sympathien, während er andererseits zutiefst christlich geprägt war, sich intensiv für die Erneuerung des kirchlichen Kunsthandwerks seiner Zeit einsetzte, sich uneingeschränkt solidarisch mit seinen jüdischen Freunden zeigte, als Professor an den Technischen Lehranstalten Offenbach von seinen Schülern verehrt wurde und vor allem mit seinen runden Schriften wie der Koch-Antiqua oder der Kabel Maßstäbe für die moderne Schriftgestaltung setzte.

Den vielseitigen Charakter Kochs sowie dessen Betätigung als Schriftkünstler, der mehr als zwanzig Schriftarten entworfen hat, als Buchkünstler oder als Zeichner weiter zu erforschen ist ein Anstoß, den das Klingspor-Museum mit der Veröffentlichung des Materialienbands nach außen geben möchte. Doch die Publikation reicht auch nach innen, in die Tiefen des Archivs, das eines schönen Tages - die entsprechenden finanziellen Mittel dafür vorausgesetzt - komplett digitalisiert sein soll. Wie dies aussehen könnte, ist im Zuge der Publikation bereits ausprobiert worden. Deren Gestaltung durften Laura Brunner und Leonie Martin übernehmen, Studentinnen an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach. Mit der Hochschule kooperiert das Klingspor-Museum im neugegründeten Institut Klingspor Schriftgestaltung und hat bereits das Klingspor Type Archive anlegen lassen, das Interessierten in aller Welt den Zugang zu der umfangreichen Schriftprobensammlung des Museums ermöglichen soll. Für ihre Diplomarbeit bei Marc Schütz haben Brunner und Martin beispielhaft an Kochs Nachlass aufgezeigt, wie das Design für dieses im Aufbau befindliche digitale Archiv aussehen könnte. Für die Schrift haben sie eine eigene Type entwickelt, die auf Koch verweist. Basis ist die 1922 entstandene Koch-Antiqua, die die beiden weitergedacht und weiterverarbeitet und damit auch das Vermächtnis eines die Schriftkunst prägenden Mannes bewahrt haben.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr