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Am Anfang steht ein Autounfall. Sie überlebt, aber die Schmerzen wollen einfach nicht vergehen. Bis ihr eine Freundin die Telefonnummer eines gewissen Pierre Mounier anvertraut. Der habe schon einer Menge Leute geholfen, lass dich von ihm anschauen, sagt die Freundin. Die Behandlung dauert keine Stunde, und Monsieur Mounier verabschiedet sich heiter, ein weiterer Termin sei nicht nötig. Auf unbestimmte Weise scheint er mit ihr verbunden, wie eine Gestalt aus ihrer Vergangenheit. Beim Hinausgehen wirft sie einen beiläufigen Blick auf das Schild neben seiner Eingangstür, auf dem sich Mounier als…mehr

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Produktbeschreibung
Am Anfang steht ein Autounfall. Sie überlebt, aber die Schmerzen wollen einfach nicht vergehen. Bis ihr eine Freundin die Telefonnummer eines gewissen Pierre Mounier anvertraut. Der habe schon einer Menge Leute geholfen, lass dich von ihm anschauen, sagt die Freundin. Die Behandlung dauert keine Stunde, und Monsieur Mounier verabschiedet sich heiter, ein weiterer Termin sei nicht nötig. Auf unbestimmte Weise scheint er mit ihr verbunden, wie eine Gestalt aus ihrer Vergangenheit. Beim Hinausgehen wirft sie einen beiläufigen Blick auf das Schild neben seiner Eingangstür, auf dem sich Mounier als Therapeut für Mikrokinesie ausweist, und plötzlich erinnert sie sich an ein Detail aus ihrer Kindheit: eine kleine Figur, mit der vergessene Geschichten, die sie erlebt oder gelesen hat, schmerzvoll zu ihr zurückkehren.
Birgit Vanderbekes Heldin sucht die Befreiung von ihrer Familie - und erkennt erst spät, dass Gewalt allgegenwärtig ist.
Autorenporträt
Vanderbeke, Birgit
Birgit Vanderbeke, geboren 1956 im brandenburgischen Dahme, lebt im Süden Frankreichs. Ihr umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis und dem Kranichsteiner Literaturpreis. 2007 erhielt sie die Brüder-Grimm-Professur an der Kasseler Universität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2017

Gefangen in der Geschichte der Gewalt
Birgit Vanderbekes neuer Roman "Wer dann noch lachen kann"

Birgit Vanderbeke wuchs in Frankfurt am Main auf, nachdem ihre Familie 1961 aus Ostdeutschland übergesiedelt war. Sie veröffentlichte ihr erstes Buch, "Das Muschelessen", 1990, nachdem sie dafür den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hatte. Seitdem sind regelmäßig sowohl Bücher als auch Auszeichnungen hinzugekommen. Ihr neuester Roman heißt "Wer dann noch lachen kann" und erzählt mit einfachen Sätzen, deren eindringlichen Klarheit man sich nicht entziehen kann, eine Geschichte aus der Sicht eines kleinen Mädchens, das mit seiner Familie von Ost- nach West-Berlin geflohen ist.

Am Anfang wirkt alles noch ganz harmlos, doch je länger man liest, desto bedrohlicher wird das unbestimmbare Etwas, das die Atmosphäre verdüstert und im Hintergrund der Alltagsroutine lauert, ohne dass man es erfassen könnte. Recht schnell bröckelt die Fassade des modernen Hauses in der Neubausiedlung, und auch der Zweitwagen kann nicht über das unharmonische Zusammenleben der Familie hinwegtäuschen. Angesichts der oft so viel schlimmeren Schicksale von Menschen überall auf der Welt empfindet das Kind die Schläge des Vaters und die Versuche der Mutter, es mit Medikamenten ruhigzustellen, als "im Grunde nicht der Rede wert". Liebe und Verständnis erfährt es nur nachts in seinen selbsterschaffenen Welten voller Romanfiguren, verstorbener Komponisten und der vertrauenerweckend tiefen Stimme seines imaginierten erwachsenen Ichs. Das Kind hat einer weiteren Phantasiefigur, dem "Mikrochinesen", versprochen, jemandem von seinen Erlebnissen zu erzählen, aber "ein Kind hat keine Stimme", und so ruht die Vergangenheit noch jahrzehntelang, bis schließlich eine ungewöhnliche Schmerztherapie nach einem Autounfall die Kindheitserinnerungen der Erzählerin hervorruft.

"Immer ganz genau hinschauen", beschwor der Onkel die Kleine, auch wenn es nicht einfach sei, "ganz genau hinzuschauen, während es einem den Magen umdreht". Bei diesen Worten geht es nicht nur um die häusliche Gewalt, der das Mädchen ausgesetzt ist, sondern sie stehen metaphorisch für alle Missstände der Welt: Kriege, Armut, Hunger, Überbevölkerung und Klimawandel. Birgit Vanderbeke versucht dem Leser anhand der Misshandlung ihrer Erzählerin einen immer gleichen Mechanismus der Gewalt aufzuzeigen: Wie der Vater nicht aufhört, seine Tochter zu schlagen, obwohl es eigentlich "nicht mehr so weitergehen konnte", so zerstören wir unseren Lebensraum und unsere Mitmenschen. Ob das Kind aus Zuneigung zum Vater dessen Brutalität auf eine Unfähigkeit, sich selbst zu stoppen, schiebt, ist unklar, aber so oder so wird dadurch der Eindruck erweckt, der Täter sei seinen eigenen Handlungen ohnmächtig ausgeliefert. Inwieweit könnte man da noch von Schuldzuweisung sprechen? Es erscheint zweifelhaft, solche Gewalt als Zustand von Kontrolllosigkeit darzustellen und nicht als den eines nur temporären Kontrollverlusts, für den man zur Verantwortung gezogen werden könnte. Mag sein, dass die Absicht von Birgit Vanderbeke eine andere ist, aber den Täter als Opfer seiner Tat zu schildern ist sehr gewagt.

Die Geschichte besteht aus der Abfolge sprunghafter Gedanken- und Erinnerungsfetzen des Kindes, was anfangs noch übersichtlich und kompakt, aber zunehmend verwirrend und langatmig wird, sobald in der Mitte des Buches plötzlich noch die Perspektive der nun erwachsenen Protagonistin hinzukommt. Der rote Faden franst immer weiter aus und verliert sich mehr und mehr zwischen den Zeitsprüngen. Das Durchhalten des Lesers wird jedoch schließlich belohnt, da die einzelnen Erzählstränge abermals aufgegriffen werden und man erkennt, dass alle vermeintlichen Nichtigkeiten ein zusammenhängendes Bild erzeugen, das das Ausmaß der Gewalt erst ganz zum Schluss preisgibt.

Aus dem naiven Kind, dem unbegreiflich ist, warum sich Geschichte dauernd wiederholt, ohne dass die Menschheit etwas aus ihren Fehlern lernt, wird eine Frau, die jene Erwachsenen, die vergessen haben, wie es war, ein Kind zu sein, davor warnt, nur im Hier und Jetzt zu leben, da man "ohne Erinnern nicht in die Zukunft schauen kann". Vergangenes ist nicht vorbei, nur weil es in der Vergangenheit liegt. Elend verschwindet nicht, nur weil man nicht hinsieht. Das macht "Wer dann noch lachen kann" deutlich.

CHARLOTTE KRUPPA

Birgit Vanderbeke: "Wer dann noch lachen kann". Roman.

Piper Verlag, München 2017. 160 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Geschickt verwebt Bachmann-Preisträgerin Vanderbeke die Zeitebenen, springt leichtfüßig wie ein Mädchen beim Gummihüpfen hin und her und erzählt Monströses über häusliche Gewalt in so federleichter, scheinbar kindlich naiver Sprache und mit lakonischem Witz, dass es umso mehr schmerzt.", Nürnberger Nachrichten, 02.12.2017

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Birgit Vanderbeke schreibt ihren Roman "Wer da noch Lachen kann", in einer Sprache von der Rezensentin Cornelia Geissler "die Finger frieren beim Umblättern der Seiten". Geissler bewundert die diskrete Sprachkunst Vanderbekes, nicht umsonst werde ihre DDR- und Nachkriegs-Erzählung "Das Muschelessen" an den Schulen gelesen. Das neue buch handelt von einem Thema, über das lange Zeit geschwiegen wurde: häusliche Gewalt. Vanderbeke springe virtuos zwischen Jetzt-Zeit der erwachsenen Erzählerin und ihrer Vergangenheit, die weit zurückzuliegen scheint, aber durch einen Autounfall durch den sie unter chronischen Schmerzen leidet, wieder hochkommt. Vanderbeke gelinge es einmal mehr hinter ihrem kühlen Ton verstörende Ereignisse zu verbergen, und eine unheimliche Spannung aufzubauen, bis der Punkt erreicht sei, an dem der eigentliche Grund für die Erzählung offengelegt werde, beschreibt die beeindruckte Rezensentin.

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