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"Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört"
Die Flüchtlingsbewegungen nach Europa verweisen auf ein grundlegendes Problem, nämlich auf die Ungerechtigkeit unserer Weltwirtschaftsordnung. Katja Kipping beschreibt prägnant und eindeutig Fluchtursachen und plädiert für ein Europa der Einwanderung.
Die täglich hier ankommenden Geflüchteten fallen in die bis dato vermeintlich heile Welt des Merkel'schen Biedermeiers. Sie führen uns unsere Mitverantwortung am Zustand dieser Welt vor Augen. Ihre Botschaft lautet: So wie wir wirtschaften und handeln, wie wir arbeiten, konsumieren und
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Produktbeschreibung
"Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört"

Die Flüchtlingsbewegungen nach Europa verweisen auf ein grundlegendes Problem, nämlich auf die Ungerechtigkeit unserer Weltwirtschaftsordnung.
Katja Kipping beschreibt prägnant und eindeutig Fluchtursachen und plädiert für ein Europa der Einwanderung.

Die täglich hier ankommenden Geflüchteten fallen in die bis dato vermeintlich heile Welt des Merkel'schen Biedermeiers. Sie führen uns unsere Mitverantwortung am Zustand dieser Welt vor Augen. Ihre Botschaft lautet: So wie wir wirtschaften und handeln, wie wir arbeiten, konsumieren und Politik machen - so kann es nicht weitergehen. Katja Kipping, Vorsitzende der linken und Sozialpolitikerin, beschreibt unsere Mitverantwortung an der aktuellen Situation und wie wir dem zunehmenden Rassismus begegnen sollten. Sie sagt, was jetzt konkret hier bei uns zu tun ist und zeigt, wie Europa gestärkt, solidarischer und offener aus den jetzigen Herausforderungen hervorgehen kann.
Autorenporträt
Katja Kipping ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags, sozialpolitische Sprecherin und Parteivorsitzende der Partei DIE LINKE. Sie studierte Slawistik mit den Nebenfächern Amerikanistik und Öffentliches Recht an der TU Dresden und ist Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne e.V., dessen Vorstand sie angehört.
Katja Kipping ist verheiratet, hat ein Kind und lebt in Berlin und Dresden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016

Vor lauter Schlagbaum die Grenze verpasst

Flüchtlinge sind nicht gleichbedeutend mit Vertriebenen, auch wenn Katja Kipping dies meint, während Stefan Luft die Krise sachlich betrachtet.

Von Georg Paul Hefty

In der Politik sind Bücher geistige Offenbarungseide. Wer als in der Verantwortung stehender Politiker ein Buch schreibt, ist gezwungen, mehr darzulegen, als er es in einer Parlaments-, Wahlkampf- oder Parteitagsrede tun müsste - sonst kommt er nicht auf die mindestens 100 Seiten, bei denen ein Buch erst Gestalt gewinnt. Legt jedoch ein Politiker ein solches Werk vor, so kann er sich nicht mehr auf den Eifer des Wortgefechts berufen, falls er beim Schreiben - welcher Art auch immer, mit und ohne Zuarbeiter und Gegenleser - einen zweifelhaften Ausdruck gewählt oder ein Argument an den Haaren herbeigezogen hat.

Bei Buchtexten gibt es nach Erscheinen keine Rückzugsmöglichkeiten mehr; übrig bleibt nur die Flucht nach vorn - und die setzt oft genug lediglich den gedanklich eingeschlagenen Weg fort. Die Bürger merken umso deutlicher, dass sich der Irrläufer endgültig verrannt hat. Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke und Mitglied des Bundestages, ergeht es so mit ihrem Buch. Ärgerlich ist die sprachliche Einfalt, der unbedachte Umgang mit den benutzten Wörtern, denen gedankliche Eindeutigkeit und Überzeugungskraft unterstellt wird, obwohl sie doch für den unvoreingenommenen Leser mehrdeutig und unverbindlich sind. Das beginnt mit dem Titel "Wer flüchtet schon freiwillig?". Hat nicht auch Kippings Partei zum Beispiel von Steuerflüchtlingen gesprochen? Und wird nicht den einzelnen Wirtschaftsflüchtlingen eine freiwillige Entscheidung zugutegehalten, wenn über sie als die Kraftvollen, Wagemutigen, Zukunftsgerichteten geurteilt wird, während ihre Nachbarn in den Elendsgebieten, denen es genauso schlecht geht, sich nicht zur Flucht entschließen?

Flüchtlinge sind nicht gleichbedeutend mit Vertriebenen. Auch der Entschluss, nach dem Erreichen lebensrettender Flüchtlingslager die Flucht über fünf bis zehn Landesgrenzen bis Deutschland oder Schweden und England fortzusetzen, beruht auf persönlichen Entscheidungen und ist nicht zwingend, wie die Zahl der in Libanon oder Jordanien lebenden Flüchtlinge offenbart. Die unkritische Wahl der Worte stürzt den Leser mehr in Zweifel, als dass er ihn für die Ziele der Verfasserin gewinnen würde. "Das Grenzregime der EU basierte bisher auf der Verabredung, Flüchtlinge an den Außengrenzen sterben zu lassen, wenn nicht sogar auf dem stillschweigenden Konsens, bei diesem Sterben im Zweifelsfall nachzuhelfen." Würde Kipping diese "Verabredung" - wann und von wem in mehreren europäischen Staaten und Brüsseler Institutionen? - belegen, hätte sie der EU eine Ungeheuerlichkeit nachgewiesen. Kann sie diesen Nachweis nicht erbringen, dann hätte sie die Anklage anders fassen müssen, etwa: Erwartung, Absicht.

Sorgfältiger sind auch die eigenen politischen Überlegungen nicht formuliert. Den "aktuellen Flüchtlingsbewegungen" hält Kipping zugute, dass sie "eine Botschaft nach Europa" trügen. "Diese lautet: So wie wir wirtschaften und handeln, wie wir arbeiten, konsumieren und Politik machen - so kann es nicht weitergehen." Dass die (Mit-)Vorsitzende der Partei Die Linke eine andere Politik anstrebt, wird klar. Schwerer wiegt, dass sie ihrerseits eine Botschaft an die Zugewanderten aussendet: Ihr braucht euch nicht zu integrieren, ihr braucht euch nicht in die freiheitliche Demokratie und in die freie Marktwirtschaft einzugliedern, hier soll sich sowieso alles ändern, hier soll - mit oder auch ohne euch - kein Stein auf dem anderen bleiben. Sind der Linkspartei die Willkommenskultur und die Flüchtlinge selbst lediglich Mittel zum Zweck des politischen Systemwechsels? Einen größeren Bärendienst könnte keine Partei ihren Zielen und ihrer Klientel erweisen.

Kipping geht es darum, dass nun der "globale Charakter" der besonders dringlichen "Gerechtigkeitsfragen" klarwerde. Und sie setzt auf ein "neues Verständnis von Kultur" - "frei von jeglichem nationalen Reinheitsgebot oder Leitkultur-Ansprüchen". Doch den Zusammenhang zwischen der leitenden Kultur in Deutschland und den gerne beschworenen "europäischen Werten" einerseits und die von ihr selbst angeführte Bewertung Deutschlands "als das gelobte Land" der Einwanderer andererseits will sie nicht sehen - und unterstellt so den Flüchtlingen unbewusst ausschließlich wirtschaftliche und soziale Ziele. Auch will sie die Bedenken der Bürger hinsichtlich einer Überforderung nicht gelten lassen - wer von "Obergrenze" redet, den reiht die Autorin unter die Regierenden und die Rassisten ein, als gäbe es nicht auch ganz andere Kriterien der Besorgnis.

Wer weniger verblendet die Wirklichkeit betrachten will, mag das Buch "Die Flüchtlingskrise - Ursachen, Konflikte, Folgen" des sachlich ausgewiesenen Bremer Politikwissenschaftlers Stefan Luft in die Hand nehmen, auch wenn es eine wesentlich sprödere Darstellung bietet. Dafür sind die Begrifflichkeiten und Rechtsvorschriften, die in all den kurzgefassten Medien wild durcheinander gebraucht werden, sauber getrennt. Die Sprache ist unideologisch, weder lobend noch beschimpfend: "Warnsignale für Flüchtlingsbewegungen sind oft früh zu erkennen: Hunger, Krankheiten, Zwangsrekrutierungen. Sie werden aber häufig ignoriert, meist herrscht daher Überraschung über Umfang und Geschwindigkeit der Fluchtbewegungen vor."

Was sonst nicht erwähnt wird, darauf weist Luft mit historischen Bezügen hin: Die Visegrád-Staaten, insbesondere Polen, mussten - bevor sie als europa- und schengentauglich angesehen wurden - wegen ihrer "EU-Außengrenzen besondere Bedingungen erfüllen. Diese bestanden im Nachweis der effizienten Grenzkontrolle und in der Umsetzung der Schengen-Standards in der Asyl- und Visapolitik, was zum Beispiel bedeutete, die Visafreiheit mit den östlichen Nachbarn zu beenden."

Um die öffentliche Debatte macht sich Luft bei der rechtlichen und praktischen Klärung von Flucht, Zuwanderung und Einwanderung verdient. Zwar sind diese recht unterschiedlichen Kategorien immer wieder eindrücklich beschrieben worden, aber seit der Vorwurf an die CDU/CSU wohlfeil ist, sie habe das angeblich nötige Einwanderungsgesetz verweigert, denken nur noch wenige Bürger - und Politiker sowie Meinungsmacher - über die Verschiedenartigkeit nach. Es fällt den Deutschen gar nicht mehr auf, dass die klassischen Einwanderungsländer Vereinigte Staaten, Kanada, Australien, Neuseeland von den Herkunftsländern (mit Ausnahme Mexikos) durch Meere getrennt sind: Kein Syrer, aber auch kein Schweizer oder Slowake kann in Kanada unkontrolliert "einwandern", sei es als Flüchtling, sei es als Arbeit- oder Unternehmer. "Flüchtlinge benötigen in erster Linie Schutz - unabhängig von Alter, Ausbildung und anderen Kriterien. Einwanderungspolitik unterliegt hingegen zunächst politischen Erwägungen, die Nützlichkeitserwägungen sein können und dürfen. Einwanderungspolitik ermöglicht gezielte Auswahl unter denen, die kommen wollen, Flüchtlingsschutz verbietet hingegen weitgehend Selektion."

Die Fortführung der Forderung nach einem "Einwanderungsgesetz", die das linke Spektrum in Deutschland mit den Vertretern des (von Kipping so genannten) "Krisenkapitalismus" eint, würde keinen einzigen Flüchtling auf dem Weg nach Deutschland behindern und damit die Zahl der Zuwanderungen mindern, denn die deutsche und europäische Öffentlichkeit würde es nicht hinnehmen, wenn die Bundespolizei die Kommenden an den Grenzen nach Gesunden, Gebildeten und Gewerbetreibenden sichten würde und nur diese sowie deren Familien hereinließe. Insgesamt 300 Buchseiten von Kipping und Luft reichen kaum aus, um die Gesichtspunkte der akuten Flüchtlingspolitik Deutschlands, der EU, der Türkei und der anderen beteiligten Staaten und Interessengruppen zu benennen, zu erörtern und zu wägen.

Katja Kipping: Wer flüchtet schon freiwillig? Die Verantwortung des Westens oder Warum sich unsere Gesellschaft neu erfinden muss.

Westend Verlag, Frankfurt 2016. 208 S., 16,- [Euro].

Stefan Luft: Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen.

C.H. Beck Verlag, München 2016. 128 S., 8,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kein gutes Haar lässt Georg Paul Hefty an Katja Kippings Schrift "Wer flüchtet schon freiwillig?". Auf den berühmten Eifer im Gefecht kann sich die Linken-Politikerin seiner Ansicht nicht berufen, eine solche Schrift lege jeder mit Bedacht vor. Zunächst einmal bescheidet er der Autorin, dass der Flucht im Gegensatz zur Vertreibung durchaus ein freiwiliges Moment anhafte. Gern hätte Hefty auch den Vorwurf belegt gesehen, den Kipping erhebt: "Das Grenzregime der EU basierte bisher auf der Verabredung, Flüchtlinge an der Außengrenzen sterben zu lassen, wenn nicht sogar auf dem stillschwiegenden Konsens, bei diesem Sterben im Zweifelsfall nachzuhelfen." Neben solch fahrlässigen Aussagen sieht er aber auch Entlarvendes, etwa wenn Kipping meint, die ankommenden Flüchtlinge seien Beweis dafür, dass es so, wie wir wirtschaften und Politik betreiben, nicht weitergehen kann. Einen Bärendienst erweise Kipping damit den Flüchtlingen und der Willkommenskultur, meint Hefty.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Kipping vermittelt nicht nur die Hintergründe, sondern hat den Mut zu einem optimistischen Ausblick ... Das Buch ist ein wichtiger und sehr fundierter Beitrag zur gesamten Debatte des Flüchtlingsproblems." Axel Troost in seinem Blog