»Das wissen Sie nicht, stimmt's? Nein, natürlich wissen Sie das nicht. Ich sag's Ihnen. Jede Frau - ich rede von Frauen und nicht von biologischen Einheiten weiblichen Geschlechts - jede Frau möchte mit einem Mann zusammen sein. Sie will nicht dem Mann gehören, oder dass er ihr gehört, sondern mit dem Mann zusammen sein. Sie will mit dem Mann in Klubs gehen und ins Kino zu Harry Potter, mit ihm in den Urlaub fahren, in die Sauna gehen, sonst wohin, was weiß ich. Will mit dem Mann essen und sich saumäßig betrinken. Oder denken Sie, nur Männer können sich saumäßig betrinken? Nee, nee, junger Mann!«Die Polizeiermittler sind überfordert. Sie werden von den Verdächtigen, den Freunden der Ermordeten, nach Strich und Faden an der Nase herumgeführt, so wie auch der Leser. Die Freunde wissen, wer sie umbrachte, geben aber nichts preis. Warum, erschließt sich nach und nach aus den vielen Geschichten, die sich die Freunde, eine bunte, unkonventionelle, ja grelle Schar, über die Tote und sich selbst erzählen. Ein dichter und sehr raffiniert erzählter Roman. Das Kriminalelement ist ein Kniff für das äußerst spannende Enthüllen eines Panoramas ungewöhnlicher Lebensgeschichten und Figuren, ein Plädoyer für die Möglichkeit verschiedenster Lebensentwürfe und für Toleranz und Zusammenhalt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2016Tiflis ist wie Paris, nur ohne Franzosen
Nie war die Schuldfrage so uninteressant: Anna Kordsaia-Samadaschwili zeichnet im Roman "Wer hat die Tschaika getötet?" ein faszinierendes Bild der georgischen Hauptstadt und ihrer Bewohner.
Alles beginnt mit einem Spaziergang, weil der Hund vor die Tür muss, und also läuft Teso, der Strohwitwer, mit dem Hund und seiner kleinen Tochter die Straße entlang an einem baufälligen Haus vorbei, und weil seine kleine Tochter neugierig die Nase an der Fensterscheibe platt drückt, findet Teso eine Leiche.
Im Grunde endet alles auch so, die letzte Szene des Romans vor dem Epilog nimmt die erste noch einmal auf. Teso, der in der Zwischenzeit eine Reihe von offenbar fruchtlosen Befragungen über sich hat ergehen lassen, kratzt sich den schweren Kopf, denkt noch einmal über alles nach und kommt zu keinem Ergebnis. Und tatsächlich verläuft, was wie ein klassischer Kriminalroman beginnt, irgendwann im Sand - von echten Ermittlungen durch den jungen Kommissar Wato kann keine Rede sein; wer die allein lebende Kindergärtnerin Elisabeth umgebracht hat, bleibt der Justiz wie auch dem Leser unklar, nur dass es die Figuren im Freundeskreis des Opfers wissen, deutet sich an - doch die, so gern und viel sie sonst reden, behalten es für sich. Und die Autorin tut es auch.
Das mag man unbefriedigend finden oder intellektuell herausfordernd, in jedem Fall aber geht man, liest man diesen Roman vor allem als ein Rätsel, bei dem ein Mörder ermittelt werden soll, der 1968 geborenen georgischen Autorin Anna Kordsaia-Samadaschwili gründlich auf den Leim. Ihr Roman schließt in diese Klammer aus Leichenfund und neuerlichem Blick auf den Finder ein Panorama, das von unserer Gegenwart und der mehr als hundert Jahre zurückliegenden Vergangenheit des Landes erzählt, Kriege streift und Verwerfungen der Nachwendezeit, das mit leichter Hand die scheiternden Lebensentwürfe ebenso skizziert wie die leidlich gelungenen und das eine aberwitzige Verbindung zwischen den Generationen stiftet, die sich schließlich im Komplott zu einem weiteren Mord erfüllt - ob es gelingt und wen es eigentlich trifft, auch dies bleibt im Dunkeln.
Das Zentrum dieses Panoramas nimmt ein Mädchenbund ein, der aus dem späteren Mordopfer Elisabeth (oder Elo) und ihren Freundinnen Magda und Storchi besteht. Er hält auch weiter, als längst Kinder da sind, während die Männer eher wetterleuchtend kommen und gehen. Storchi, die ihren Spitznamen offenbar ihrer Physiognomie verdankt, verliert den Geliebten an den Sowjetstaat, der ihn in einem zentralasiatischen Gefängnis verkommen lässt, und viel später ihre Tochter an ein Kloster in Karelien. Beiden reist sie hinterher, so die fast beiläufige Schilderung der Autorin, und in beiden Fällen steht sie nach jeweils tagelangen Reisen vor verschlossenen Türen.
Außer den drei Freundinnen mischen noch Storchis demente Mutter mit, Magdas Tochter Manana oder Elos homosexueller Gefährte Alexander, genannt Sandro, der von allen möglichen Ängsten geplagt wird und weder Aufzug fahren noch allein sein kann. Er ist der erste, der des Mordes verdächtigt wird, weil Elo ihm testamentarisch alles hinterlassen hat, was sie besitzt, und ihm gilt auch die besondere Aufmerksamkeit der Autorin.
Kordsaia-Samadaschwili unternimmt nun erfreulicherweise nichts, um diesen Stoff gewaltsam zu bündeln oder ihn gar einer einheitlichen Perspektive zu unterstellen, etwa der des so hilflos ermittelnden Kommissars, der auf diese Weise stellvertretend für den Leser nach und nach das Dickicht lichten könnte. Im Gegenteil: Wäre dies ein Film, hätte man es mit einer wüst herumschwenkenden Kamera zu tun, die ihre Aufnahmen mal aus diesem, mal aus jenem Blickwinkel macht und deren Material später im Schneideraum in eine nur oberflächliche chronologische Ordnung gebracht wird. Undeklarierte Rückblenden sind in die Geschichte der wenigen Augusttage zwischen dem Mord und dem Begräbnis eingewoben, die Gespräche finden mal mit, mal ohne Beteiligung des Mordopfers statt und offenbaren so, wo sie in etwa zeitlich angesiedelt sind. Auf diese Weise scheint in der Darstellung der längst erwachsenen Freundinnen immer auch die Kindheit und Adoleszenz durch, die Spiele, die Beobachtung der Erwachsenenwelt mit all ihren Umbrüchen, schließlich Kummer und Enttäuschungen mit Liebhabern, und die Gesellschaft, die hier geschildert wird, ist eindeutig weiblich strukturiert - es geht nicht nur sehr gut ohne Männer, so die Erfahrung dieser Frauen, es geht sogar besser.
Derlei wird allerdings nie direkt ausgesprochen, es wird dezent gezeigt oder angedeutet. Etwa, wenn Storchi, die mit all ihren Verlusten ständig auf der Kippe steht, wieder dem Alkohol zu verfallen, mit ihrer tiefen, schönen Stimme das Judy-Garland-Lied "Somewhere Over the Rainbow" anstimmt, zur großen Freude der Anwesenden, die sich der Sehnsucht und der Utopie hingeben, während der Kommissar Wato als Einziger den Text nicht parat hat und seine Braut dies stirnrunzelnd zur Kenntnis nimmt.
Dass der Ermittler hier überhaupt noch einmal auf diejenigen trifft, die er wegen des Mordes befragt hat, liegt an einer weiteren Eigenschaft dieses Romans: Die Autorin stiftet Verbindungen, wo sie kann, so dass Watos Verlobte ihr Hochzeitskleid ausgerechnet in Sandros Atelier bestellt, wo nun Elos Freundeskreis versammelt ist. Gezwungen aber wirkt das nicht, es unterstreicht nur wiederum, dass die Perspektiven und Erfahrungen der Protagonisten oft genug so sehr voneinander abweichen, dass sich reizvolle Doppelbelichtungen auf dieselbe Situation ergeben können - vor allem, wenn es um die eigentliche Hauptperson dieses Buches geht, die Stadt Tiflis.
Die Autorin und Journalistin Anna Kordsaia-Samadaschwili lebt seit langem in der georgischen Hauptstadt, und dass sie bestens mit deren Facetten vertraut ist, liest man ihrem Roman leicht ab. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben und übersetzt aus dem Deutschen ins Georgische, darunter Bücher von Cornelia Funke und Elfriede Jelinek. Ihrer Heldin Storchi bleibt es überlassen, die Hinwendung der meisten Figuren zu Tiflis in Worte fassen: "Storchi liebte den staubigen Wind, die heißen Nächte, mochte es, früh mit schweißnassen Haaren aufzuwachen, und war sehr zufrieden, wenn die Frauen mit den schmutzigen Kitteln in der sengenden Sonne riefen: ,Pontschiki! Heiße Pontschiki! Schaut, was ich für gute Pontschiki habe!'" An anderer Stelle meint sie gar, Tiflis sei "wie Paris, nur dass da alle französisch sprechen". Blind aber für das, was ihre Heimatstadt ihren Bewohnern abverlangt, ist sie nicht: Tiflis sei nämlich, sagt Storchi, "eine furchtbare Stadt, heruntergekommen, heiß, dreckig. Nachts verfolgen und beißen dich die Straßenhunde, und wenn du dem Sensenmann gegenüberstehst und um Hilfe schreist - Hilfe, Hilfe, jemand will mich umbringen -, hilft dir niemand, und am nächsten Tag werden alle erzählen, dass letzte Nacht..."
Es ist wohl kein Zufall, dass die Autorin kürzlich ausgerechnet diese Passage fast wörtlich ein zweites Mal publiziert hat (in "Le monde diplomatique" vom 9. Juni), aber in einem anderen Zusammenhang: Sie ist dort der Kern eines kurzen Textes, der unter dem Titel "Brief aus Tiflis" die georgische Hauptstadt feiert, und was im Roman Storchi sagt, liest man hier direkt von der Autorin - oder zumindest von der fiktiven Absenderin jenes Briefs. Hier aber wie auch im Roman geht es darum, was die Stadt dank ihrer Eigenheiten, ihrer Geschichte, ihrer Topographie und nicht zuletzt ihres Klimas, mit denen macht, die in ihr leben. Natürlich stellt sich die Autorin damit in eine ehrwürdige literarische Ahnenreihe, die mindestens bis zu John Dos Passos reicht. Und trotzdem findet sie zu einem eigenen Ton, der aufhorchen lässt und den man nur zu gern in weiteren deutschen Übersetzungen ihrer Bücher lesen möchte.
TILMAN SPRECKELSEN.
Anna Kordsaia-Samadaschwili: "Wer hat die Tschaika getötet?". Roman.
Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze. Verlag Hans Schiler, Berlin 2016. 170 S., br., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nie war die Schuldfrage so uninteressant: Anna Kordsaia-Samadaschwili zeichnet im Roman "Wer hat die Tschaika getötet?" ein faszinierendes Bild der georgischen Hauptstadt und ihrer Bewohner.
Alles beginnt mit einem Spaziergang, weil der Hund vor die Tür muss, und also läuft Teso, der Strohwitwer, mit dem Hund und seiner kleinen Tochter die Straße entlang an einem baufälligen Haus vorbei, und weil seine kleine Tochter neugierig die Nase an der Fensterscheibe platt drückt, findet Teso eine Leiche.
Im Grunde endet alles auch so, die letzte Szene des Romans vor dem Epilog nimmt die erste noch einmal auf. Teso, der in der Zwischenzeit eine Reihe von offenbar fruchtlosen Befragungen über sich hat ergehen lassen, kratzt sich den schweren Kopf, denkt noch einmal über alles nach und kommt zu keinem Ergebnis. Und tatsächlich verläuft, was wie ein klassischer Kriminalroman beginnt, irgendwann im Sand - von echten Ermittlungen durch den jungen Kommissar Wato kann keine Rede sein; wer die allein lebende Kindergärtnerin Elisabeth umgebracht hat, bleibt der Justiz wie auch dem Leser unklar, nur dass es die Figuren im Freundeskreis des Opfers wissen, deutet sich an - doch die, so gern und viel sie sonst reden, behalten es für sich. Und die Autorin tut es auch.
Das mag man unbefriedigend finden oder intellektuell herausfordernd, in jedem Fall aber geht man, liest man diesen Roman vor allem als ein Rätsel, bei dem ein Mörder ermittelt werden soll, der 1968 geborenen georgischen Autorin Anna Kordsaia-Samadaschwili gründlich auf den Leim. Ihr Roman schließt in diese Klammer aus Leichenfund und neuerlichem Blick auf den Finder ein Panorama, das von unserer Gegenwart und der mehr als hundert Jahre zurückliegenden Vergangenheit des Landes erzählt, Kriege streift und Verwerfungen der Nachwendezeit, das mit leichter Hand die scheiternden Lebensentwürfe ebenso skizziert wie die leidlich gelungenen und das eine aberwitzige Verbindung zwischen den Generationen stiftet, die sich schließlich im Komplott zu einem weiteren Mord erfüllt - ob es gelingt und wen es eigentlich trifft, auch dies bleibt im Dunkeln.
Das Zentrum dieses Panoramas nimmt ein Mädchenbund ein, der aus dem späteren Mordopfer Elisabeth (oder Elo) und ihren Freundinnen Magda und Storchi besteht. Er hält auch weiter, als längst Kinder da sind, während die Männer eher wetterleuchtend kommen und gehen. Storchi, die ihren Spitznamen offenbar ihrer Physiognomie verdankt, verliert den Geliebten an den Sowjetstaat, der ihn in einem zentralasiatischen Gefängnis verkommen lässt, und viel später ihre Tochter an ein Kloster in Karelien. Beiden reist sie hinterher, so die fast beiläufige Schilderung der Autorin, und in beiden Fällen steht sie nach jeweils tagelangen Reisen vor verschlossenen Türen.
Außer den drei Freundinnen mischen noch Storchis demente Mutter mit, Magdas Tochter Manana oder Elos homosexueller Gefährte Alexander, genannt Sandro, der von allen möglichen Ängsten geplagt wird und weder Aufzug fahren noch allein sein kann. Er ist der erste, der des Mordes verdächtigt wird, weil Elo ihm testamentarisch alles hinterlassen hat, was sie besitzt, und ihm gilt auch die besondere Aufmerksamkeit der Autorin.
Kordsaia-Samadaschwili unternimmt nun erfreulicherweise nichts, um diesen Stoff gewaltsam zu bündeln oder ihn gar einer einheitlichen Perspektive zu unterstellen, etwa der des so hilflos ermittelnden Kommissars, der auf diese Weise stellvertretend für den Leser nach und nach das Dickicht lichten könnte. Im Gegenteil: Wäre dies ein Film, hätte man es mit einer wüst herumschwenkenden Kamera zu tun, die ihre Aufnahmen mal aus diesem, mal aus jenem Blickwinkel macht und deren Material später im Schneideraum in eine nur oberflächliche chronologische Ordnung gebracht wird. Undeklarierte Rückblenden sind in die Geschichte der wenigen Augusttage zwischen dem Mord und dem Begräbnis eingewoben, die Gespräche finden mal mit, mal ohne Beteiligung des Mordopfers statt und offenbaren so, wo sie in etwa zeitlich angesiedelt sind. Auf diese Weise scheint in der Darstellung der längst erwachsenen Freundinnen immer auch die Kindheit und Adoleszenz durch, die Spiele, die Beobachtung der Erwachsenenwelt mit all ihren Umbrüchen, schließlich Kummer und Enttäuschungen mit Liebhabern, und die Gesellschaft, die hier geschildert wird, ist eindeutig weiblich strukturiert - es geht nicht nur sehr gut ohne Männer, so die Erfahrung dieser Frauen, es geht sogar besser.
Derlei wird allerdings nie direkt ausgesprochen, es wird dezent gezeigt oder angedeutet. Etwa, wenn Storchi, die mit all ihren Verlusten ständig auf der Kippe steht, wieder dem Alkohol zu verfallen, mit ihrer tiefen, schönen Stimme das Judy-Garland-Lied "Somewhere Over the Rainbow" anstimmt, zur großen Freude der Anwesenden, die sich der Sehnsucht und der Utopie hingeben, während der Kommissar Wato als Einziger den Text nicht parat hat und seine Braut dies stirnrunzelnd zur Kenntnis nimmt.
Dass der Ermittler hier überhaupt noch einmal auf diejenigen trifft, die er wegen des Mordes befragt hat, liegt an einer weiteren Eigenschaft dieses Romans: Die Autorin stiftet Verbindungen, wo sie kann, so dass Watos Verlobte ihr Hochzeitskleid ausgerechnet in Sandros Atelier bestellt, wo nun Elos Freundeskreis versammelt ist. Gezwungen aber wirkt das nicht, es unterstreicht nur wiederum, dass die Perspektiven und Erfahrungen der Protagonisten oft genug so sehr voneinander abweichen, dass sich reizvolle Doppelbelichtungen auf dieselbe Situation ergeben können - vor allem, wenn es um die eigentliche Hauptperson dieses Buches geht, die Stadt Tiflis.
Die Autorin und Journalistin Anna Kordsaia-Samadaschwili lebt seit langem in der georgischen Hauptstadt, und dass sie bestens mit deren Facetten vertraut ist, liest man ihrem Roman leicht ab. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben und übersetzt aus dem Deutschen ins Georgische, darunter Bücher von Cornelia Funke und Elfriede Jelinek. Ihrer Heldin Storchi bleibt es überlassen, die Hinwendung der meisten Figuren zu Tiflis in Worte fassen: "Storchi liebte den staubigen Wind, die heißen Nächte, mochte es, früh mit schweißnassen Haaren aufzuwachen, und war sehr zufrieden, wenn die Frauen mit den schmutzigen Kitteln in der sengenden Sonne riefen: ,Pontschiki! Heiße Pontschiki! Schaut, was ich für gute Pontschiki habe!'" An anderer Stelle meint sie gar, Tiflis sei "wie Paris, nur dass da alle französisch sprechen". Blind aber für das, was ihre Heimatstadt ihren Bewohnern abverlangt, ist sie nicht: Tiflis sei nämlich, sagt Storchi, "eine furchtbare Stadt, heruntergekommen, heiß, dreckig. Nachts verfolgen und beißen dich die Straßenhunde, und wenn du dem Sensenmann gegenüberstehst und um Hilfe schreist - Hilfe, Hilfe, jemand will mich umbringen -, hilft dir niemand, und am nächsten Tag werden alle erzählen, dass letzte Nacht..."
Es ist wohl kein Zufall, dass die Autorin kürzlich ausgerechnet diese Passage fast wörtlich ein zweites Mal publiziert hat (in "Le monde diplomatique" vom 9. Juni), aber in einem anderen Zusammenhang: Sie ist dort der Kern eines kurzen Textes, der unter dem Titel "Brief aus Tiflis" die georgische Hauptstadt feiert, und was im Roman Storchi sagt, liest man hier direkt von der Autorin - oder zumindest von der fiktiven Absenderin jenes Briefs. Hier aber wie auch im Roman geht es darum, was die Stadt dank ihrer Eigenheiten, ihrer Geschichte, ihrer Topographie und nicht zuletzt ihres Klimas, mit denen macht, die in ihr leben. Natürlich stellt sich die Autorin damit in eine ehrwürdige literarische Ahnenreihe, die mindestens bis zu John Dos Passos reicht. Und trotzdem findet sie zu einem eigenen Ton, der aufhorchen lässt und den man nur zu gern in weiteren deutschen Übersetzungen ihrer Bücher lesen möchte.
TILMAN SPRECKELSEN.
Anna Kordsaia-Samadaschwili: "Wer hat die Tschaika getötet?". Roman.
Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze. Verlag Hans Schiler, Berlin 2016. 170 S., br., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tilman Spreckelsen attestiert Anna Kordsaia-Samadaschwili einen eigenen Ton, auch wenn sie mit ihrem Roman für ihn deutlich an Vorbilder wie John Dos Passos anschließt. Überzeugt hat ihn die gekonnte Art, wie die Autorin ihren Text als Kriminalroman beginnen lässt, dann aber bald diese Spur verlässt und stattdessen ein Panorama der Gegenwart entwickelt und tief in die Geschichte Georgiens eintaucht. Dass vieles im Text im Dunkeln bleibt, kann Spreckelsen verkraften, derart leicht springt Kordsaia-Samadaschwili zwischen Perspektiven hin und her, flicht Rückblenden ein und präsentiert eine "eindeutig weiblich" strukturierte Gesellschaft mit einem Mädchenbund im Zentrum der Geschichte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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